Kritiker, Informanten, Whistleblower, Risikoboten, die auf innerbetriebliche Missstände hinweisen, finden alle Politiker wichtig. Und bewundernswert. Denn sie beweisten Zivilcourage und müssten vor Anfeindungen geschützt werden. Darin sind sich die Fraktionen des Deutschen Bundestags einig. Das war’s dann auch schon mit der Einigkeit. Die Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP sieht keinen gesetzlichen Bedarf, diese Menschen schützen. Das zeigte sich gestern in der Debatte des Deutschen Bundestages. Die Abgeordneten berieten einen Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zum Schutz sogenannter Whistleblower (17/9782), der am Ende der Debatte an den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen wurde. Darin werden Änderungen unter anderem des Bürgerlichen Gesetzbuches gefordert, die Hinweisgeber besser als bisher vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen schützen sollen.
Die Grünen machten deutlich: Hinweisgeber sind „keine Verräter“. Zur Begründung sagte die Sprecherin für Demokratie der Fraktion der Grünen, Ingrid Hönlinger, Hinweisgeber würden Verantwortung für die Demokratie übernehmen. Nach dem Willen ihrer Fraktion sollen Beschäftigte das Recht haben, sich zunächst intern um Abhilfe der Missstände zu bemühen. In schweren Fällen soll es aber auch gestattet werden, externe Stellen oder die Öffentlichkeit einzuschalten. Wenn Menschen gefährdet würden, sei es nicht nur ein Recht, sondern "nachgerade die Pflicht, darauf hinzuweisen".
Auch die SPD mahnt Regelungsbedarf an. Die Abgeordnete Kerstin Tack warf der Koalition vor, Menschen wie den Lkw-Fahrer, der auf den Gammelfleischskandal aufmerksam gemacht und daraufhin seinen Job verloren hatte, nach wie vor als „Denunzianten“ zu bezeichnen. Zum Schutz von Whistleblowern gebe es erheblichen „Regelungsbedarf“. Dass die Koalition dies bestreite, sei „zynisch“ — sie frage sich, wieso dann das Bundeskartellamt gerade eine Internetseite zum anonymen Hinweisgebertum ins Leben gerufen habe. Nicht umsonst habe sich die Bundesregierung selbst dazu verpflichtet, bis zum Ende des Jahres entsprechende Regelungen vorzulegen. Der Entwurf der Grünen findet dennoch nicht die Zustimmung der SPD: Lediglich das BGB zu ändern, reiche nicht aus. Es müsse Hinweisgebern möglich sein, sich auch ohne „betriebliche Erstuntersuchung“ an externe Stellen zu wenden.
Die Linke fordert eine Kultur des Hinsehens und Einmischens. Karin Binder unterstrich, es sei auch die Auffassung der Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass Whistleblowing ein „Grundrecht“ sei. Dass es für den Schutz der Hinweisgeber ein Gesetz brauche, habe ihre Fraktion bereits im vergangenen Jahr festgestellt. Sie begrüße, dass die Grünen diese Initiative nun aufgriffen. Es müsse dabei jedoch um mehr gehen als den Schutz vor Diffamierung. Es müsse eine neue Kultur geben, „nicht des Wegguckens und Wegduckens“, sondern des Hinsehens und Einmischens. Die Vorlage der Grünen sei nur „ein halber Schritt“, der die große Gruppe der untypisch Beschäftigten — etwa Selbstständige, Praktikanten oder Leiharbeiter — nicht einbeziehe.
CDU/CSU fordert interne Hinweisgebersysteme und sieht zusammen mit der FDP keinen Regelungsbedarf. So betonte der CSU-Abgeordnete Ulrich Lange, es sei eine „politische Reflexhandlung“, Einzelfallentscheidungen zu Gesetzeslücken hochzustilisieren. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Fall einer Altenpflegerin, die entlassen wurde, nachdem sie Missstände benannt hatte, habe die Kontrollmaßstäbe deutscher Gerichte bestätigt. Zum Schutz von Hinweisgebern gebe es bereits ausreichende Normen etwa im Arbeitsrecht. Statt neuer gesetzlicher Regelungen seien interne Hinweisgebersysteme nötig, die die Unternehmen selbst schaffen müssten.
Das Whistlebower-Netzwerk weist durch Guido Strack darauf hin, dass die Bundestag noch200 Tage Frist hat, um über die Einführung eines Gesetzes zum Schutz von Whistleblowern zu beschließen. Genau 200 Tage Zeit hat die Bundesrepublik dann noch, um ihr 2010 gegenüber den anderen G20 Staaten gegebenes Versprechen zu halten, bis Ende 2012 einen internationalen Standards entsprechenden, gesetzlichen Whistleblowerschutz auch in Deutschland einzuführen und umzusetzen.
Bei der letzten Debatte im Plenum im September 2011 hatten sich die Koalitionsfraktionen noch darauf zurückgezogen, eine OECD Studie abwarten zu wollen. Diese liegt seit November 2011 vor und bescheinigt Deutschland unzureichenden Schutz und eine unklare Rechtslage. Potentielle Whistleblower können hierzulande nicht abschätzen, wie Gerichte später ihren Fall beurteilen werden, ob sie vor Mobbing und Arbeitsplatzverlust geschützt werden oder nicht. Die Folge: Menschen, die Missstände am Arbeitsplatz beobachten, werden abgeschreckt darauf hinzuweisen. Stattdessen schweigen sie und die Missstände – gleich ob Korruption, lasche Sicherheits- und Umweltstandards oder gefährliche Behandlungen und Pflege – bestehen fort und eskalieren weiter.
Schon im Mai 2011 hatte Whistleblower-Netzwerk einen eigenen Gesetzesentwurf dazu vorgelegt, wie öffentliche Interessen durch Förderung von Whistleblowing und besseren Whistleblowerschutz besser gewahrt werden können.
Der Gesetzesentwurf von Bündnis90/Die Grünen will gutgläubige Whistleblower aus dem privaten und dem öffentlichen Sektor durch Änderungen in bestehenden Gesetzen besser vor Repressalien schützen. Er knüpft an die bisherige Rechtsprechung an und verpflichten Whistleblower, sich auch zukünftig in der Regel zunächst an den Arbeitgeber oder interne Stellen wenden zu müssen. Allerdings sollen die Ausnahmen von diesem Grundsatz ausgeweitet werden. So sollen z.B. Strafanzeigen auch ohne vorherige interne Meldung möglich sein, wenn der Arbeitnehmer aufgrund konkreter Anhaltspunkte gutgläubig vom Vorliegen einer Straftat ausgeht, wobei er seine Gutgläubigkeit insoweit auch nicht mehr selbst beweisen muss. Auch sonstige Motive des Whistleblowers sollen zukünftig unbeachtlich sein. In Ausnahmefällen, bei überwiegendem öffentlichem Interesse, wollen die Grünen eine direkte Information der Öffentlichkeit zulassen. Außerdem enthält der Vorschlag auch eine Beweiserleichterung zugunsten des Arbeitnehmers bzw. Beamten beim Nachweis von Repressalien.
Nach Meinung des Whistleblower-Netzwerks gehen die Vorschläge von SPD und Bündnis90/Die Grünen trotz gewisser Schwächen in die richtige Richtung. Durch deren sinnvolle Kombination könnte Deutschland internationalen Standards entsprechen. Das Netzwerk fordert die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen auf, ihr international gegebenes Wort zu halten und ihre Verweigerungshaltung gegenüber effektivem Whistleblowerschutz endlich aufzugeben.
Dass CDU, CSU und FDP den Gesetzesentwurf der Grünen abgeschmettert haben und trotz angeblich großen Respekts vor der Zivilcourage von Whistleblowern keinen gesetzlichen Regelungsbedarf sehen, deckt sich völlig mit der Position der deutschen Unternehmer- und Arbeitgeberverbände. Sicher wäre der Gesetzesentwurf der Grünen noch zu verbessern gewesen, sicher hätte man bestimmten Einwänden Rechnung tragen können. Aber gar keinen Regelungsbedarf zu sehen, spricht den Fakten und Erfahrungen Hohn. Über 80 Prozent der Whistleblower verlieren ihren Arbeitsplatz, leider auch mitunter durch naives Vorgehen. Viele Mitwisser ducken sich und schweigen aus Angst vor unfairen Attacken, besonders Mobbing. Von der Bewunderung mutiger Kritiker haben sie nichts. Wer ihnen gesetzlichen Schutz verweigert, handelt unfair. Und stärkt jene, die in Unternehmen und Behörden unfaire Praktiken pflegen, darum einen Abwehrwall aus Mobbing und Bedrohung bauen und so mafiöse Strukturen erhalten und weiter entwickeln. Risikohinweise und Kritik konstruktiv aufgreifen und Unternehmen verbessern: das hat Zukunft und trägt zur Fairness-Qualität in Wirtschaft und Gesellschaft bei.
Bundestagsdrucksachen zum Thema 17/9782 - Gesetzentwurf Bündnis 90/Die Grünen: Whistleblower-Schutzgesetz (PDF)
Zum Whistleblower-Netzwerk
http://whistleblower-netz.de
Informationen der Fairness-Stiftung über Whistleblowing (Risikoboten, Hinweisgeber)
http://www.fairness-stiftung.de/RMuUK.htm
http://www.fairness-stiftung.de/Whistleblowing.htm
http://www.fairness-stiftung.de/Weisse-Weste.htm (mit besonderen Hinweis zur Bau- und Immobilienbranche)
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