29.04.2019 11:45
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Warum Julia Klöckner eine klare Lebensmittel-Ampel verhindert
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Es ist offensichtlich, dass die Ministerin Klöckner die Interessen der Agrar- und Lebensmittelindustrie gegen die Verbraucher und eine fairere Lebensmittel-Kennzeichnung vertritt.
Warum will Julia Klöckner eine Nährwertkennzeichnung erst im Sommer vorstellen? Und warum wird die komplizierter und damit uneffektiver als eine, die es schon gibt? Nicolai Kwasniewski schreibt dazu im Spiegel: "Ein einfaches Ampelsystem wird es wohl nicht sein - eine positive Bewertung des sogenannten Nutri-Scores ließ die Ministerin zurückhalten.
Wie können Verbraucher im Supermarkt erkennen, welche Lebensmittel gut für sie sind? Und was heißt überhaupt "gut"? Eine simple Kennzeichnung in den Ampelfarben Rot, Gelb und Grün will die Mehrheit der Hersteller unbedingt verhindern. In Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) hat die Industrie für dieses Ziel offenbar eine Unterstützerin gefunden: Sie hält eine Studie zurück, die den zunehmend populären Nutri-Score offenbar positiv bewertet.
Das geht aus einer internen E-Mail aus dem Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung (BMEL) hervor, die die Verbraucherorganisation Foodwatch veröffentlicht hat. In einem internen Vermerk heißt es, die Ministerin habe "ausdrücklich darum gebeten" im Zusammenhang mit der Studie "größte Vertraulichkeit sicherzustellen". Geht es wirklich nur darum, "vorzeitige Festlegungen" zu vermeiden oder soll hier ein Label schlechtgemacht werden, weil es der Industrie nicht passt?
Über die Frage, wie der Gehalt an Fett, Salz, Zucker und gesättigten Fettsäuren bei verarbeiteten Lebensmitteln gekennzeichnet werden soll, wird seit mehr als zehn Jahren gestritten, zum Teil auch erbittert gekämpft. Die Vorgaben werden in Brüssel gemacht, vor gut zehn Jahren verhinderte die Lebensmittellobby eine Kennzeichnung in den Ampelfarben - ein großer Erfolg für die Industrie.
Seither verpflichtet eine EU-Verordnung die Hersteller vorgefertigter Produkte lediglich dazu, auf der Packung den Gehalt an Energie, Fett, gesättigten Fettsäuren, Kohlenhydraten, Zucker, Eiweiß und Salz anzugeben. Das sind jene Tabellen auf der Packungsrückseite, die nur wenige Verbraucher lesen und noch weniger vollständig verstehen.
Verbraucherschützer fordern deshalb, dass auf der Vorderseite der Verpackung gezeigt werden soll, wie viel Fett, Zucker und Salz das Lebensmittel enthält - und zwar in Rot, Gelb und Grün, für viel, mittel und wenig. Ihr Argument: So greifen Verbraucher eher zur "grünen" Version und ernährten sich langfristig ausgewogener. Die meisten Hersteller lehnen das als Bevormundung ab, nennen die Farbgebung willkürlich und argumentieren beispielsweise damit, dass auch gesundes Vollkornbrot einen roten Punkt für den Salzgehalt bekäme.
Laut EU-Recht ist eine zusätzliche Nährwertkennzeichnung auf der Packungsvorderseite ausdrücklich erlaubt. Einige Mitgliedstaaten haben deshalb eine freiwillige Kennzeichnung eingeführt. Derzeit sieht es so aus, als ob sich das französische Nutri-Score-Modell durchsetzt - nach Frankreich führen es auch Belgien, Spanien, Portugal und Luxemburg ein. (Lesen Sie hier mehr zum Nutri-Score) Unternehmen wie Danone, Iglo, Bofrost und ein paar kleinere Produzenten zeichnen ihre Produkte auch in Deutschland damit aus, auch wenn ein Verein gerade gerichtlich dagegen vorgeht.
Die Industrie will das Nutri-Score-System verhindern
Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, bis zum Sommer eine Nährwertkennzeichnung zu erarbeiten und einzuführen. Im vergangenen Jahr beauftragte Julia Klöckner das Max Rubner-Institut (MRI) mit einer wissenschaftlichen Bewertung der in Europa verwendeten Modelle. Im Herbst war dieser Bericht offenbar bereits fertig, und das MRI kam zu dem Schluss, dass die Nutri-Score-Ampel "grundsätzlich vorteilhaft für eine "Front of Pack"-Nährwertkennzeichnung ist". So steht es in der internen Ministeriums-E-Mail, die Foodwatch durch einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz bekommen hat und die dem SPIEGEL vorliegt.
Warum Klöckner um "größte Vertraulichkeit" bat, ist unklar - in der E-Mail heißt es, das MRI habe die Modelle "lediglich wissenschaftlich bewertet", es bedürfe noch "der Abstimmung mit anderen Referaten". Sicher ist, dass ihr Ministerium den MRI-Bericht erst sechs Monate später, im April 2019 veröffentlichte, offenbar in einer überarbeiteten Fassung. Foodwatch-Campaignerin Luise Molling bezeichnet es als inakzeptabel, dass die ursprüngliche Studie nicht veröffentlicht werden soll: "Politik auf der Basis von Wissenschaft und Fakten, wie von Frau Klöckner immer wieder betont, braucht keine Geheimhaltung von wissenschaftlichen Studien." Klöckner hat immer wieder darauf hingewiesen, dass sie ein eigenes Modell entwickeln möchte, und zwar in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und Verbrauchern. Zwar favorisieren auch die meisten Verbraucherorganisationen das Nutri-Score-System nach französischem Vorbild. Die Wirtschaft will die Ampel aber weiterhin vermeiden.
Auch um den Nutri-Score zu umgehen, stellte der Branchenverband Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) deshalb ein weiteres Modell vor, dass weniger eindeutig und weniger farbig ist. Vielleicht wollte Klöckner genau darauf warten - der BLL stellte sein Modell genau an jenem Tag vor, an dem die Ministerin den überarbeiteten MRI-Bericht veröffentlichte.“
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23.04.2019 11:31
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Wird ab Mai die Menschenrechtsverpflichtung der Unternehmen geprüft?
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Wirkt der Nationale Aktionsplatz (NAP) für Menschenrechte in Unternehmen? Oder ist er nur Schall und Rauch für die Show? Inwieweit kommen in Deutschland ansässige Unternehmen in ihren weltweiten Liefer- und Wertschöpfungsketten ihrer im NAP verankerten Sorgfaltspflicht nach?
Diese zentrale Frage leitet das NAP-Monitoring - im Mai 2019 startet die erste große Erhebungsphase. Zunächst 1.800 Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten werden in einer repräsentativen Stichprobe ausgewählt und in einem persönlichen Anschreiben eingeladen, an der Befragung teilzunehmen. Sie können den NAP-Prozess in Deutschland damit aktiv mitgestalten.
Darum geht es: Die Sorgfaltspflicht der Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte ist ausführlich im Nationalen Aktionsplan beschrieben. Sie setzt sich aus fünf Kernelementen zusammen: - einer Grundsatzerklärung der Unternehmen, die Menschenrechte zu achten, - Verfahren, die dazu dienen, tatsächliche und potenzielle nachteilige Auswirkungen auf die Menschenrechte zu ermitteln, - Maßnahmen, die potenzielle negative Auswirkungen verhindern sollen sowie weitere Maßnahmen, die geeignet sind, die Wirksamkeit dieser Maßnahmen zu überprüfen, - der Berichterstattung und - Beschwerdemechanismen.
Beachten deutsche Unternehmen im Ausland die Menschenrechte? Eine Überprüfung sollte das klären. Doch das Kanzleramt interveniert bei der Umsetzung des Nationalen Aktionsplans.
Zum Hintergrund ein Bericht von Tobias Schwab (von der Frankfurter Rundschau): „Billigtextilien aus Bangladesch, seltene Erze aus dem Kongo für die Elektronikindustrie, Kakao von Plantagen in der Elfenbeinküste – immer wieder sehen sich deutsche Unternehmen mit Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten konfrontiert. Mit dem 2016 beschlossenen Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) verpflichtete die Bundesregierung Firmen deshalb zu mehr Verantwortung für die Arbeitsbedingungen bei ihren Geschäftspartnern im Ausland – zunächst auf freiwilliger Basis. Im jüngsten Koalitionsvertrag vereinbarten Union und SPD allerdings, „national gesetzlich tätig zu werden“, sollten die Unternehmen ihre menschenrechtliche Sorgfaltspflicht nicht wahrnehmen.
Überprüft werden soll das Engagement der Firmen mittels einer umfangreichen Befragung. Dieses Monitoring sorgt nun für Zündstoff, ein handfester Koalitionskrach droht.
Kanzleramt und Wirtschaftsministerium greifen ein
Aus dem vertraulichen Entwurf für das Monitoring, den die Unternehmensberatung Ernst & Young (EY) im Auftrag des federführenden Außenministeriums erarbeitet hat, geht hervor, dass Bundeskanzleramt und Bundeswirtschaftsministerium massiv intervenieren.
Umstritten ist vor allem die Methodik des Monitorings - die letztlich darüber entscheidet, wie viele Firmen die Anforderungen erreichen. Denn der NAP setzt eine Schwelle: Demnach müssen bis 2020 mindestens die Hälfte aller in Deutschland ansässigen Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten die „wesentlichen Elemente menschenrechtlicher Sorgfalt in ihre Unternehmensprozesse“ integriert haben. Andernfalls droht ein Gesetz - das Kanzleramt und Wirtschaftsressort offenbar unbedingt vermeiden wollen.
Darauf deuten jedenfalls die Änderungen im EY-Bericht hin, der der Frankfurter Rundschau vorliegt. So wollen das Kanzleramt und das Ministerium von Peter Altmaier (CDU) etwa, dass Firmen, die den Fragebogen nicht ausfüllen, als „Nicht-Responder“ registriert werden und damit aus der Bewertung herausfallen. Darüber hinaus soll die Kategorie „Grenzfälle“ geschaffen werden - für Unternehmen, die nach einer „Gesamtwürdigung“ dann doch noch zu den „Erfüllern“ gerechnet werden können. Deren Zahl wollen Kanzleramt und Altmaier offenbar auch steigern, indem Unternehmen, anders als bislang vorgesehen, Schwächen in einem Bereich durch ihre Performance auf einem anderen Feld kompensieren können.
„Germanwatch“ kritisiert Kanzleramt Bei den zivilgesellschaftlichen Akteuren kommt das gar nicht gut an. „Es ist ein Unding, dass das Kanzleramt auf den letzten Drücker die Methodik des Monitorings weiter verwässern will“, kritisiert Cornelia Heydenreich, Expertin für Unternehmensverantwortung bei Germanwatch. Damit würde das Ergebnis schöngerechnet. Und die Wahrscheinlichkeit steige, „dass mehr als die Hälfte der Unternehmen das Monitoring besteht“.
Auch Armin Paasch von der katholischen Hilfsorganisation Misereor hält die Intervention für ein durchsichtiges Manöver, „um eine gesetzliche Regelung zu vermeiden“. Das Monitoring solle den Anschein erwecken, „dass viele Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten wahrnehmen, auch wenn sie gar nichts tun“.
Bundeskanzleramt und Wirtschaftsministerium teilten auf Anfrage der Frankfurter Rundschau beinahe gleichlautend mit: Da die Beratungen zum Bericht von EY innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen seien, könnten „zu diesem Zeitpunkt keine weiteren detaillierten Auskünfte“ gegeben werden. Entschieden werde in einem interministeriellen Ausschuss (IMA) - und zwar im Konsens.
Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung: „Zeitalter der Freiwilligkeit hat ein Ende“
Nach Übereinstimmung sieht es im Moment aber gar nicht aus. Dem Vernehmen nach lehnen die ebenfalls im IMA vertretenen und SPD-geführten Ressorts Arbeit und Soziales, Umwelt sowie Justiz die Änderungen ab. Offiziell betonte eine Sprecherin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf Anfrage, der Koalitionsvertrag sehe vor, „dass sich die Bundesregierung für eine konsequente Umsetzung des Nationalen Aktionsplans für Wirtschaft und Menschenrechte einsetzt“. Und: „Sollte sich 2020 herausstellen, dass die Freiwilligkeit nicht ausreicht, wird die Bundesregierung gemäß Koalitionsvertrag gesetzlich tätig.“ Bärbel Kofler, die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, ist da schon viel weiter. „Wir brauchen gesetzliche Regelungen, das Zeitalter der Freiwilligkeit hat ein Ende“, sagte die SPD-Bundestagsabgeordnete der Frankfurter Rundschau. „Wenn 100 Prozent der deutschen Unternehmen ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht gerecht würden, dann bräuchten wir kein Gesetz. Ansonsten besteht eine Schutzlücke, die wir dringend schließen müssen.“
Das sieht man offenbar auch im Bundesentwicklungsministerium von Gerd Müller (CSU) so. Wie jüngst bekannt wurde, liegt dort bereits der Entwurf für ein „Nachhaltiges Wertschöpfungskettengesetz“ auf dem Tisch. Das würde Unternehmen bei ihren Auslandsgeschäften umfassende Risikoabschätzungen vorschreiben und verlangen, Menschenrechtsverletzungen präventiv vorzubeugen.
Genug Zündstoff also für die große Koalition. Für diesen Mittwoch ist nun ein Krisentreffen des interministeriellen Ausschusses anberaumt, in dem das Bundeskanzleramt offiziell nur Beobachterstatus hat, aber doch sehr rührig mitwirkt“ (3.4.2019).
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