Blog nach Monat: August 2018

16.08.2018 10:18
Playmobil unfair mobil
"Playmobil führt Kleinkrieg gegen unliebsame Mitarbeiter", schreibt die Frankfurter Rundschau. Und berichtet von "Willkür, Einschüchterungen, Überwachung und Mobbing: Das Betriebsklima bei dem Unternehmen Playmobil ähnelt einem nicht endenden zermürbenden Kleinkrieg.

Vertrauliche Gespräche mit Informanten sind journalistischer Alltag. Sehr unüblich ist dagegen, wenn sich potenzielle Gesprächspartner vorab informieren, ob man auch Journalist ist und nicht ein verkappter Spion im Auftrag bestimmter Manager. Das Management wäre in diesem Fall das des Zirndorfer Playmobil-Herstellers Geobra Brandstätter und wenn die Schilderungen stimmen, wäre der Spionageverdacht gar nicht so abwegig. „Jedes Widerwort bedeutet Gefährdung der beruflichen Existenz“, sagt Bianka Möller zu Lage und Stimmung im Unternehmen. Sie betreut für die IG Metall den fränkischen Mittelständler. Aufmuckende Mitarbeiter würden dort immer wieder eingeschüchtert. Willkür, Bossing und Mobbing seien an der Tagesordnung.

Die erfahrene Gewerkschafterin erzählt von mehreren ohne Angabe von Gründen freigestellten, dann strafversetzten Playmobil-Mitarbeitern, einem heftigen Disput über die Auslegung der Arbeitsstättenverordnung bei Hitze oder systematisches Ausforschen von Gewerkschaftszugehörigkeit. Wer in Zirndorf Weihnachtsgeld beantragt, müsse seinen Gewerkschaftsausweis vorlegen. So bringe der Arbeitgeber namentlich in Erfahrung, wer gewerkschaftlich organisiert ist.

Die IG Metall musste sich bei Playmobil 2016 vor Gericht den Weg in den Betriebsrat klagen. Aneinander gewöhnt haben sich beide Parteien seitdem nicht, wovon viele Anekdoten zeugen. So habe ein Vorgesetzter mit körperlicher Gewalt zu verhindern versucht, dass ein Untergebener zu einem Gespräch in Gesellschaft eines Betriebsrats seines Vertrauens kommt. Derartiger Beistand ist aber völlig rechtens. Beschäftigte einer Abteilung mit hohem gewerkschaftlichen Organisationsgrad seien erst unbegründet freigestellt worden. Nachgereicht worden sei dann eine angebliche Weigerung, Leiharbeiter einzuarbeiten. Richtig hitzig ist es dann vor kurzem geworden.

Von den bundesweit hohen Temperaturen sind auch Franken und Playmobil nicht verschont geblieben, was Betriebsräte der IG Metall zu einem Schreiben veranlasst hat. Erst haben sie sich beim Management für das Aufstellen von Wasserspendern bedankt, dann einen Passus der Arbeitsstättenverordnung zitiert. Demnach stehe Beschäftigten bei Raumtemperaturen über 35 Grad Celsius stündlich eine zehnminütige „Entwärmungsphase“ zu. „Das bedeutet nicht, dass man zu arbeiten aufhört, sondern für diese Zeit in einen kühleren Raum wechselt und dort einfache Tätigkeiten verrichtet“, erklärt Möller.

Der Aufschrei auf den „Hitzezettel“ der Gewerkschafter war groß. Er kam nicht nur vom Management sondern auch vom Gesamtbetriebsrat, in dem die IG Metall nicht das Sagen hat und der offenkundig gespalten ist. Manager und denen wohlgesonnene Betriebsräte warfen IG Metall-Kollegen vor, zu arbeitsrechtswidrigen Hitzepausen aufzurufen, was disziplinarische Folgen haben könne.

Wie groß der Riss im Unternehmen ist, belegt eine andere Korrespondenz. Diesen April haben Playmobil-Betriebsräte die Unternehmensleitung um die „Einführung regelmäßiger Treffen“ gebeten, die es in vergleichbaren Betrieben meist monatlich gibt. „Für regelmäßige gemeinsame Termine sehen wir derzeit keinen Veranlassung“, ließ die Unternehmensleitung wissen. Denn bisherige Aktionen von Betriebsräten seien von Aktionen geprägt gewesen, die weder zum Wohl der Beschäftigten noch des Unternehmens gewesen seien. So würden Betriebsräte versuchen, Gewerkschaftsmitglieder zu werben, gegen den Arbeitgeber intervenieren oder Beschäftigte am Arbeitsplatz besuchen und diese damit von der Arbeit abhalten.

Die Vorwürfe seien der bewusste Versuch einer Skandalisierung und haltlos, entgegnet ein Playmobil-Sprecher im Namen der Geschäftsführung. Zu einzelnen Punkten im Detail Stellung nehmen wolle man nicht. Die Schilderung der Zustände sei einseitig und keine Mehrheitsmeinung im Betrieb. Wer aber mit langjährigen Beschäftigten spricht, muss das bezweifeln. Seit dem Tod von Firmengründer Horst Brandstätter 2015 sei das Betriebsklima viel mitarbeiterfeindlicher geworden, sagt einer, der seit über drei Jahrzehnten für Playmobil arbeitet".

"FR über Playmobil und Brandstätter"

13.08.2018 18:25
Textilbündnis: Das Ende der Freiwilligkeit
Das Textilbündnis soll Textilarbeiterinnen in Billiglohnländern mehr Sicherheit bringen - bislang mit mäßigem Erfolg. Alle Vereinbarungen waren freiwillig. Das soll sich nun ändern. Vermeldet das ARD-Hautstadtstudio wie folgt:

"Fünf Paar Socken für drei Euro, ein T-Shirt für 2,50 Euro. An solchen Kampfpreisen hat sich nichts geändert seit dem Einsturz der Rana Plaza Textilfabrik in Bangladesch im April 2013. Die Bilder des Unglücks mit mehr als 1100 toten Arbeiterinnen gingen um die Welt. Die Textilbranche musste sich mehr denn je Fragen zu ihrer Verantwortung für solche Produktionsbedingungen gefallen lassen.

Textilbündnis wird verbindlicher: Deutschlands Bundesentwicklungsminister Gerd Müller initiierte daraufhin 2014 das sogenannte Textilbündnis. Die Idee: Die Textilbranche hierzulande sollte gemeinsam mit Gewerkschaften und NGOs Standards entwickeln, um die Arbeitsbedingungen in den Zulieferbetrieben in Bangladesch, Indien oder China zu verbessern.

Konkret heißt das im Textilbündnis: Produzenten sollen ihre Zulieferer systematisch erfassen. Für diese sollen dann bestimmte Sozialstandards gelten. Zudem gibt es Regeln für den Einsatz von Chemikalien. Und: Der Anteil von nachhaltigen Naturfasern und Biobaumwolle soll schrittweise wachsen.

Bisher galt das Prinzip der Freiwilligkeit, die Unternehmen konnten sich selbst Ziele setzen. Aber nun wird das Textilbündnis verbindlicher. Es gibt verpflichtende Ziele, zudem müssen die Unternehmen sogenannte Roadmaps veröffentlichen, wie sie die Vorgaben erreichen wollen. Seit heute sind die ersten 60 Roadmaps einsehbar.

Beispiel Otto Group: Sie will für selbstbeschaffte Textilien bis 2020 ausschließlich nachhaltig produzierte Baumwolle verwenden. Zudem sollen Zulieferer dazu gebracht werden, bestimmte Chemikalien nicht mehr einzusetzen.
Beispiel Tchibo: Das Unternehmen unterstützt unter anderem ein Projekt, das gegen Zwangs- und Kinderarbeit vorgeht. Zudem soll die eingesetzte Menge an Chemiefasern erfasst werden.

Das klingt kleinteilig und ist es auch. Aber je verbindlicher, desto ernster wird die Arbeit des Textilbündnisses. Seit Anfang des Jahres haben rund 20 kleinere Firmen das Textilbündnis wieder verlassen - sei es, weil sie keine konkreten Zusagen geben wollen oder weil ihnen die Erstellung der Roadmaps zu aufwändig ist. Viele große der Branche sind aber nach wie vor dabei - etwa C&A, H&M oder KiK.

Nicht beteiligt ist aber Zalando. Das Unternehmen verweist auf Anfrage auf einen eigenen Verhaltenskodex und Beteiligung an einem internationalen Bündnis. Kaufhof betont ebenfalls, eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie zu verfolgen.

Textilbündnis steht für knapp 50 Prozent der Branche: Insgesamt steht das Textilbündnis für knapp 50 Prozent der Branche gemessen am Gesamtumsatz hierzulande. Erklärtes Ziel des Entwicklungsministeriums ist es, 75 Prozent der Branche zu erfassen. Die Austritte der letzten Monate sind dahingehend ein Rückschlag. Die Spreu trenne sich nun vom Weizen, sagt Jürgen Janssen, der Leiter des Textilbündnisses. Aus Sicht von Maria Flachsbarth, der Staatssekretärin im Entwicklungsministerium ist das Glas halb voll und nicht halb leer: "In vier Jahren haben wir viel erreicht."

Kritischer äußern sich viele der am Bündnis beteiligten Organisationen: Kathrin Krause von der Verbraucherzentrale Bundesverband fordert gesetzliche Vorgaben statt freiwilliger Zusagen. Deren Einhaltung sei bisher kaum zu überprüfen. Und: Wenn sich nur die Hälfte der Branche beteilige, hätten die anderen Firmen praktisch einen Freifahrtschein.

Christiane Schnura von der Kampagne "Saubere Kleidung" betont, dass sich für Näherinnen in Bangladesch kaum etwas spürbar verbessert habe. In Sachen Sozialstandards und existenzsichernde Löhne gäbe es kaum Fortschritte, sagt Katharina Edinger von der Organisation "Femnet". Gewerkschaften vor Ort würden an ihrer Arbeit gehindert.

Auch der DGB beteiligt sich am Textilbündnis. "Wir probieren das aus und werden sehen, wie weit wir kommen", sagt Frank Zach, der zuständige Referatsleiter. Deutschland sei ein wichtiger Absatzmarkt, der Druck machen könne. "Besser wäre es aber, europaweit Mindeststandards zu entwickeln - etwa zusammen mit den Niederlanden und Frankreich." Vor allem internationaler Druck habe nach dem Einsturz der Rana Plaza-Fabrik dafür gesorgt, dass der Gebäude- und Brandschutz in Bangladesch heute deutlich höher seien.

Einig sind sich alle Beteiligten: Das Textilbündnis werde nur in sehr kleinen Schritten Verbesserungen bringen. Von Kampfpreisen müssen sich die Händler noch lange nicht verabschieden".

Wenn das Textilbündnis endlich verbindlicher wird, kommt auch die Fairness - wenigstens ein wenig - in der Textilbranche voran.

"ARD zum Textilbündnis 2018"

08.08.2018 10:40
Abzocke bei Online-Partnervermittlungen – abgebrühtes Parship
Vorsicht Falle! Das müsste über allen digitalen Partnerbörsen stehen. Denn schnell sind Gebühren fällig, die vorher ungesehen, unbekannt oder unerkennbar waren. Leben Online-Datingportale vor allem von versteckten Gebühren und Berechnungen? Was hat des mit der krassen Unfairness bei Datingportalen, etwas bei Parship, auf sich?

Die Verbraucherzentrale, die Frankfurter Rundschau (FR) und der STERN haben recherchiert. Die FR schreibt: „Angebote zum Online-Dating stehen hierzulande weit oben in der Beliebtheitsskala von liebesbedürftigen Kontaktsuchenden. Dafür stehen hunderte von Onlineportalen im Internet zur Verfügung, die versprechen, alles – von der großen Liebe über unverfängliche Flirts bis hin zu sexuellen Abenteuern – zu vermitteln. Was am Ende dabei herauskommt, steht auf einem anderen Blatt, aber was es kostet, sollte zumindest von vornherein klar sein. Wenn es repräsentativ ist, was das Marktwächterteam Digitale Welt der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) in dutzenden Verbraucherinterviews erfahren und teilweise nachrecherchiert hat, sind nicht nur die Wege der Liebe unergründlich, sondern auch die Gebühren der Onlineportale.

Kostenfallen sind beim Online-Dating die Regel: „Es ist ein großes Ärgernis, dass Verbraucher beim Online-Dating von hohen Kosten überrascht werden“, kritisiert die Chefjuristin der in der Sache federführenden Verbraucherzentrale Bayern, Tatjana Halm.

Kostenfallen beim Online-Dating sind nach der Marktwächter-Studie keine Ausnahme, sondern die Regel. 25 von 26 unter die Lupe genommenen Portalen geben ohne Registrierung keinen Einblick in die Kosten für eine Mitgliedschaft. Man ist also gezwungen, persönliche Daten preiszugeben, um überhaupt zu erfahren, was die Sache kostet – falls das überhaupt jemals klar wird.

Denn wird von einem Portal künstliche Coin-Währung eingesetzt, ist das oft gar nicht mehr abschätzbar. Richtig zur Kasse gebeten wird derjenige, der nach kurzer Mitgliedschaft feststellt, dass das gewählte Portal doch nicht das Richtige ist und den Vertrag widerruft. Dann dürfen Portalbetreiber etwas verlangen, das juristisch Wertersatz genannt wird, das Betroffene aber als Wucherei empfinden.

Die Preisgestaltung von Datingportalen ist oft intransparent, rügen Verbraucherschützer. Branchenüblich sind Abos zwischen sechs Monaten und zwei Jahren, die bei den in einer Verbraucherstudie untersuchten Plattformen auf ein Jahr gerechnet über 1000 Euro kosten können. Bei Kontakten oder einzelnen Dienstleistungen werden aber Extrakosten fällig, die oft weder abschätzbar noch nachvollziehbar sind.

Der Berater einer Verbraucherzentrale schildert die Erfahrungen eines Kunden von Deutschlands größter Partnervermittlung Parship. „Er hat nach ein paar Stunden gemerkt, dass es nichts für ihn ist, hat daher Widerruf erklärt und war geschockt, was er dafür zahlen musste.“ Es waren 373,61 Euro. Ein isolierter Einzelfall war das nicht. Ein anderer Verbraucher hatte sich bei Parship um 16.22 Uhr angemeldet und um 16.52 Uhr wieder abgemeldet. Der Widerruf wurde ihm bestätigt, nebst Rechnung über 223,39 Euro Wertersatz. Der Preis für eine zwölfmonatige Premium-Mitgliedschaft hätte zu diesem Zeitpunkt 333,85 Euro betragen.

Parship findet das rechtlich und auch sonst völlig in Ordnung. Ein Wertersatz werde abhängig von Kontakten berechnet nicht zeitanteilig, was auch gerichtlich erlaubt sei, betont eine Sprecherin. Wie viele solcher Kontakte binnen einer halben Stunde anfallen können, will sie nicht abschätzen. Aus Datenschutzgründen könne man auch keine einzelnen Summen für Wertersatz oder konkrete Fälle kommentieren.

Hätte ein Kurzzeitmitglied in den allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) nach Hinweisen auf die Höhe eines Wertersatzes gesucht, wäre es nicht vorgewarnt gewesen, wobei folgendes Satzungetüm ohnehin nicht jeder versteht. „Haben Sie verlangt, dass die Dienstleistung während der Widerrufsfrist beginnen soll, so haben Sie uns einen angemessenen Betrag zu zahlen, der dem Anteil der bis zu dem Zeitpunkt, zu dem Sie uns von der Ausübung des Widerrufrechts hinsichtlich dieses Vertrages unterrichten, bereits erbrachten Dienstleistungen im Vergleich zum Gesamtumfang der im Vertrag vorgesehenen Dienstleistung entspricht,“ heißt es in den AGB.

Wer fristgerecht widerruft, muss also einen „angemessenen Betrag“ zahlen, wobei offenbleibt, was angemessen ist. Hier verweist eine Parship-Sprecherin auf eine Webseite mit häufigen Fragen und Antworten. Dort findet sich unter dem Stichwort Wertersatz folgende Erklärung. „Es werden maximal drei Viertel ihres Produktpreises berechnet – ohne Aufschläge für abweichende Zahlungsweisen.“

Ein ausgesprochener Aufreger ist auch, wenn Onlineportale mit Coin-Modellen arbeiten. Dabei erfahren Verbraucher zwar noch, wie viele Euro ein Coin-Paket kostet, aber nicht mehr, wie viele Coins etwa für einen Livecam-Chat berechnet werden. „Coins werden willkürlich abgebucht, der Verbraucher ist dem Anbieter vollkommen ausgeliefert“, stellt Halm klar. Ihre Kollegen haben selbst getestet. Beim gleichen Portal wurden für eine identische Dienstleistung bei mehreren Anläufen jeweils verschiedene Coin-Beträge abgebucht. „Wir haben keine Erklärung außer Abzocke“, sagt ein Tester.

Juristische Grauzone

Ein verbreiteter Fallstrick ist auch das für Verbraucher oft überraschende Umwandeln sogenannter Probeabos in zahlungspflichtige Mitgliedschaften. Das vollzieht sich automatisch ohne ausreichende Vorab-Kennzeichnung, rügen Verbraucherschützer. Probeabos würden als Schnupperabos gegen Einmalzahlung beworben. Selbst erfahrene Internetprofis hätten aber Probleme, auf den Webseiten von Datingportalen den Passus zu finden, der eine fristgerechte Kündigung des Probeabos verlangt, um eine automatische Umwandlung zu verhindern, beschreibt eine Verbraucherschützerin ihre Erfahrungen. Kunden finanziell im Dunkeln tappen zu lassen, sei oft Geschäftsprinzip.

Flirt-Funktion: Facebook setzt auf Online-Dating

Vieles spielt sich dabei in einer juristischen Grauzone ab. Speziell bei automatischer Mitgliedschaft nach einem Probeabo und den Coin-Modellen könnte der Bogen aber auch überspannt sein. „Wir sehen diese Praktiken kritisch und werden möglicherweise einzelne Anbieter abmahnen“, sagt Halm. Beim Thema Wertersatz dagegen haben 2017 das Hanseatische Oberlandesgericht und dieses Jahr auch der Bundesgerichtshof bereits zugunsten von Datingportalen geurteilt“.

Der STERN schreibt: „Wie Millionen andere Menschen hatte auch Christian Stoll gehofft, im Internet die große Liebe zu finden. Deshalb meldete er sich bei "Parship" an, die hierzulande wohl bekannteste Online-Partnervermittlung. "Ich wollte mich auch schnell verlieben, in 11 Minuten, wie sie immer so schön sagen. Stattdessen habe ich in fünf Tagen Mitgliedschaft fast 300 Euro verloren", so der enttäuschte 46-Jährige.

Statt Herzklopfen und Dates bekam Christian Stoll nur das Gefühl, abgezockt worden zu sein. Auch Sabine N. soll über 350 Euro bezahlen. Sie hatte nach acht Tagen ihre Mitgliedschaft widerrufen. "Ich habe gemerkt, dass dieses Matching-System nichts für mich ist, denn man bekommt nur Vorschläge, kann aber selbst nicht suchen. Man ist also darauf angewiesen, wer vorgeschlagen wird", sagt sie.

Wie diesen beiden geht es vielen Nutzern von "Parship": Nachdem sie die Plattform kennen gelernt haben, möchten sie ihre Mitgliedschaft nach wenigen Tagen widerrufen. Dann kommt die Rechnung. Bei der Verbraucherzentrale Hamburg würden sich fast täglich Leute melden, die sich über "Parship" beschweren, so Leiterin Julia Rehberg. Dahinter stecke ein System: Wer fristgerecht widerruft, beendet zwar umgehend die Mitgliedschaft. Für die bis dahin erhaltenen "Leistungen" in Form von Kontakten zu anderen Mitgliedern soll man aber trotzdem zahlen. Parship nennt das: Wertersatz.

40 Euro pro Kontakt

Aus den Werbeversprechen hatte die Plattform auf Christian Stoll einen seriösen Eindruck gemacht. Nachdem er sich zunächst kostenlos angemeldet hatte, stellte er aber fest, dass er so wenig Nutzen hatte: Die Profilbilder potenzieller Kandidatinnen waren verpixelt und Nachrichten konnte er auch nicht schreiben. "Man bekommt als kostenloses Mitglied nicht viel zu sehen. Und so wird man automatisch da hingelenkt, Premiummitglied zu werden. Denn man will ja jemandem schreiben und Kontakt aufnehmen. Und daraufhin habe ich diese Premiummitgliedschaft abgeschlossen", so Stoll.

Der Single wählte die Variante über sechs Monate für Abokosten von 310 Euro. Christian Stoll ging davon aus, dass er nun alle Bilder würde sehen und mit dem Flirten beginnen können. Aber auch für Premium-Mitglieder sind die meisten Fotos verpixelt – es sei denn, der jeweilige Kontakt schaltet das Bild frei. "Nach fünf Tagen hatte ich einfach die Nase voll, denn ich möchte die Bilder sehen." Stoll wusste von dem 14-tägigen Widerrufsrecht und widerrief seine Premiummitgliedschaft. In der Antwort von "Parship" hieß es allerdings, dass er für seine bereits geschlossen Kontakte einen so genannten "Wertersatz" zahlen müsse. In seinem Fall lag der bei mehr als 200 Euro, obwohl er die Online-Partnervermittlung nur wenige Tage genutzt hatte. "Ich fühle mich irgendwie abgezockt", so Christian Stll dazu. "Wofür gibt es ein 14-tägiges Widerrufsrecht, wenn ich davon nicht Gebrauch machen kann, wenn ich trotzdem bezahlen muss?"

Konkret verlangte "Parship" den Wertersatz für die zustande gekommenen Kontakte, die ihm vertraglich garantiert wurden. Aber was ist so ein Kontakt? Wenn ein Mann einer Frau ein Smiley schickt – und diese daraufhin schlicht mit "Danke" antwortet, gilt das als Interaktion. Für "Parship" ist das bereits ein "garantierter Kontakt". Für Christian Stoll hieß das: Fünf Kontakte, fünf Mal kein Erfolg und etwa 40 Euro Kosten pro Kontakt.

Eine derartige Berechnung eines Wertersatzes ist für Verbraucherschützerin Julia Rehberg widerrechtlich: "Die Wertersatz-Berechnung ist in vielen Fällen zu hoch", sagt sie. Der Wertersatz könne nicht nach Kontakten erfolgen, wenn Kunden einen Zeitvertrag abschließen und diesen widerrufen. "Es gibt bei einem Jahr Laufzeit beispielsweise eine Kontaktgarantie von sieben Kontakten. Das heißt, wenn ich sieben Mal irgendjemanden angeschrieben habe, oder mich jemand angeschrieben hat, dann ist diese Garantie erfüllt. Dann soll ich zahlen, und zwar bis zu 75 Prozent des ursprünglich vereinbarten Betrages. Das kann unserer Meinung nach nicht sein, weil man ja einen Laufzeitvertrag abschließt. Also muss man auch nur für die genutzte Zeit zahlen, für die ein, zwei, drei Tage, die man das Angebot genutzt hat." Zum Beispiel: Bei einer Jahresmitgliedschaft über 350 Euro wären die Kosten für einen Tag 96 Cent. Bei einer Kündigung nach fünf Tagen müsste der Nutzer demnach nur 4,80 Euro bezahlen.

Gerichtsurteil: Wertersatz-Forderungen überzogen

Die Verbraucherzentrale hatte bereits 2014 gegen die Wertersatz-Taktik von "Parship" vor dem Landgericht Hamburg geklagt. Der Richter urteilte: Kein Nutzer würde für die Garantie, für 5 bis 7 Kontakte, die auch in einer Absage bestehen können, mehrere hundert Euro investieren. (…) Das Verhältnis der bis zum Widerruf erfolgten Leistungserbringung ist (…) zeitanteilig zu berechnen.

Das Urteil ist allerdings noch immer nicht rechtskräftig, weil "Parship" dagegen in Berufung ging und sich der Prozess seitdem hinzieht. stern TV fragte beim Unternehmen nach, was sie zu den Vorwürfen sagen. Schriftlich antwortete "Parship": Unsere Rechtsauffassung unterscheidet sich ganz klar von der des Landgerichts Hamburg (…) Als seriöse Online-Partnervermittlung entsprechen unsere Widerrufs- und Wertersatzbestimmungen selbstverständlich den geltenden deutschen Gesetzesvorgaben(…)


Julia Rehberg sieht das anders: "Die lange Verfahrensdauer ist natürlich ärgerlich, weil Parship erstmal so weitermachen kann", so Julia Rehberg. "Wir raten Betroffenen deshalb, nicht zu bezahlen. Und wenn schon gezahlt wurde, dann sollten die Leute ruhig auf Erstattung klagen. Das Amtsgericht Hamburg hat den Verbrauchern ja schon Recht gegeben. Man sollte also mutig sein und ruhig klagen." Das Problem sei nämlich, dass die Ansprüche nach drei Jahren verjähren. Wer sich das Geld später wieder holen will, wenn der Prozess für die Verbraucherzentrale gewonnen ist, könnte dennoch leer ausgehen“.

"Die FR zu Online-Partnervermittlungen"

"Die Verbraucherzentrale zu digitalen Partnerbörsen und Urteilen, durch die Nutzer großenteils ihr Geld zurück bekamen"

"Der STERN zu Online Datingportalen"

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