Blog nach Monat: April 2016

29.04.2016 12:42
Deichmanns Fairness fragwürdig
Fair ist Deichmann nicht wirklich. Was die Produktion angeht und bisweilen die Qualität. Das ergab der „Deichmann-Check“ in der ARD (Das Erste). Irgendwie muss ja das Massengeschäft profitabel sein. Und das wird es offenbar durch Qualitätsmängel und durch unfaire Produktionsbedingungen für die Arbeiter z.B. in Rumänen und Mazedonien, wo Deichmann produzieren lässt.

Das Reporter-Team der ARD (WDR) stellt dazu fest: „Wir machen uns selbst ein Bild und fahren nach Rumänien. Wir finden eine Fabrik, die für Deichmann produziert. Von den Arbeiterinnen hören wir, dass sie zwar mehr als den Mindestlohn verdienen, aber selbst mit Überstunden kaum über die Runden kämen. Wir stellen fest, ein Einkauf im Discounter ist in unserer Stichprobe sogar teurer als in Deutschland und auch Benzin kostet so viel wie in Deutschland. Doch Deichmann erklärt uns gegenüber, der Lohn sei existenzsichernd. Ein ähnliches Bild in Mazedonien: Auch hier treffen wir Arbeiterinnen, die für Deichmann Schuhe herstellen. Während uns Deichmann versichert, die Arbeiterinnen bekämen einen existenzsichernden Lohn mit einem gewissen frei verfügbaren Einkommen, versteht kein Arbeiter, den wir gesprochen haben, wie Deichmann darauf kommt“.

Im Deichmann Verhaltenskodex heißt es dazu: "Die gezahlten Löhne und Gehälter müssen ausreichend sein, um die grundlegenden Bedürfnisse des Personals zu befriedigen (…) und ein gewisses frei verfügbares Einkommen gewährleisten."

Deichmann hat Marktgewicht und –einfluss. Er ist Europas größter Schuhhändler. Das Familienunternehmen hat Filialen in 24 Ländern und verkaufte letztes Jahr 172 Millionen Paar Schuhe.

Deichmann unterstützt – wie es viele Firmen machen, um ihre Schattenseiten zu überblenden - mit seinem Hilfswerk „Wort und Tat“ viele Bedürftige in der ganzen Welt. Auch in der aktuellen Flüchtlingskrise engagiert sich das Familienunternehmen. Das ist ehrenhaft und sozial.

Doch erst einmal die Arbeiterinnen und Arbeiter so zu entlohnen, dass sie vom Lohn nicht nur ihre Existenz bestreiten, sondern auch für ihr Alter vorsorgen können, wäre der erste soziale Schritt vor dem zweiten. Was in den Produktionsländern immer noch nicht zu Löhnen führt, die Deichmann auch nur geringfügig gefährden würden. Und 80 Cent bis 1,50 Euro mehr pro Schuhpaar bringen weder Konsumenten noch der Firma Probleme. Doch das wäre fair.

"Der ARD-Deichmann-Check in Video und Text"

08.04.2016 12:08
Fairness-Mechanismus: Ob er hilft - wozu er hilft?
Einen „Fairness-Mechanismus“ für Flüchtlinge will die EU-Kommission etablieren. Durch einen Fünf-Punkte-Plan will die EU-Kommission das Asylsystem EU-weit vereinheitlichen. So soll das sogenannten Dublin-Verfahren weiterentwickelt werden. Außerdem soll das EU-Asylbüro Easo die Verteilung überwachen.

Die EU-Kommission reagiert auf die Flüchtlingskrise mit einem Plan zu einem vereinheitlichten Asylsystem. Ohne direkte Auseinandersetzung mit dem Widerstand aus etlichen Mitgliedsländern will die Brüsseler Behörde die Rechte der Asylsuchenden EU-weit stärker harmonisieren und ihre Verteilung über die einzelnen Staaten gerechter regeln.

Europa müsse legale und sichere Wege für Menschen in die EU aufbauen, unabhängig davon, ob sie zum Schutz oder auf der Suche nach Arbeit kämen, sagte Innenkommissar Dimitris Avramopoulos. Auf die konkrete Ausgestaltung verzichtet die EU-Kommission erst einmal, um dem Plan eine Chance zu geben und nicht gleich wieder im Klein-Klein unterzugehen. Stattdessen hat sie zwei "Optionen" vorgelegt.

Der „Fairness-Mechanismus“ bedeutet: Nach den jetzigen Regeln müssen Flüchtlinge in dem EU-Land einen Asylantrag stellen, in dem sie zuerst den Boden der EU betreten haben. Dadurch sind Italien und Griechenland, mitunter auch Spanien, für den Großteil der Bootsflüchtlinge zuständig.

Die zweite Option der EU-Kommission gibt einen Verteilungsschlüssel vor. Ziel ist es, dass Menschen nicht mehr die oft lebensbedrohliche Reise mit Hilfe von Schleppern antreten. Dem widersetzen sich aber bislang eine Reihe von EU-Staaten - darunter osteuropäische Länder oder Frankreich.

Stärken könnte die EU-Kommission zudem die Rolle des ihr unterstellten EU-Asylbüros Easo. So könne das Büro überwachen, ob die Mitgliedsländer die Regeln bei der Überprüfung und Verteilung von Asylsuchenden einhalten und Maßnahmen vorlegen, um mögliche Defizite abzustellen. Auch sollten die Verfahrensregeln so angepasst werden, dass sich Asylsuchende nicht ein Land aussuchen können, in dem sie besonders leicht Bleiberecht und Unterstützung erhalten. Die Kommission mahnte zudem erneut einen stärkeren Datenaustausch an.

Vor allem Griechenland ist von der Flüchtlingskrise betroffen. Dort kamen 2015 mehr als eine Million Flüchtlinge an, die allerdings zum großen Teil weiter Richtung wohlhabenderer EU-Länder wie Deutschland, Österreich oder Schweden zogen.

Außerdem erwägt die EU-Kommission zur Verhinderung von Sekundärbewegungen innerhalb der EU Maßnahmen zusätzlich vorzuschlagen. Insbesondere könnten bestimmte Anrechte an die Registrierung, die Abnahme von Fingerabdrücken und den Verbleib im zugewiesenen EU-Land gebunden werden.

Ob der Plan und die Vorschläge der EU erfolgreich sind, ist fraglich, da der Widerstand einiger EU-Staaten sehr stark und grundsätzlich ist. Der Begriff „Fairness-Mechanismus“ ist etwas unglücklich gewählt, da er die der EU-Bürokratie zugeschriebene Kälte transportiert, die mit Mechanik einhergeht. „Fairness-Reglement“ wäre analog zum Reglement im Sport besser gewesen, wo es darum geht, Gemeinsamkeiten und zugleich Wettbewerb bis hin zur Gegnerschaft zu organisieren, ohne die zusammen kein Sport möglich ist. So wie keine EU ohne Fairness. Ob die EU zu einer solchen Fairness findet, die sie sich in ihrem Grundwertekatalog selbst zuschreibt und der sie sich verpflichtet hat, muss sich erweisen. Der Umgang mit den Flüchtlingen in der gesamten EU ist der humane Prüfstein dafür, der eine Balance einschließt zwischen den Flüchtenden, Ankommenden und den bisherigen Einwohnern der Länder. Fairness heißt auch: Ausgleich von Interessen bei Rücksichtnahme auf die Bedürftigen auf beiden Seiten.

"Der Vorschlag und Plan der EU-Kommission zum Fairness-Mechanismus"

01.04.2016 11:55
Fairness der Chancen
Wenn es um die „Fairness der Chancen“ geht, brauchen wir einen Befähigungsstaat, schreibt Nils Heisterhagen im Debatten-Magazin „The European“. Der Politikwissenschaftler und Volkswirt meint: „Wir haben zu lange keine Debatte mehr über den Staat geführt. Staatsgegnerschaft beherrscht immer noch den Mainstream. Zeit mit einer neuen Idee die Debatte zu erneuern.

Ein Befähigungsstaat ist ein Staat, der sich verpflichtet sieht, alle seine Bürger in den Stand zu setzen, ihr Leben selbstbestimmt führen zu können und auf dem Arbeitsmarkt bestehen zu können. Der Befähigungsstaat hat ein instrumentelles und ein ideelles und ideales Ziel:

Sein instrumentelles Ziel ist die Befähigung aller Mitbürger ungeachtet ihrer Herkunft zu einer Arbeitskraft, die einen Platz auf dem Arbeitsmarkt finden kann. Ziel dieses Befähigungsstaates ist es, dass kein Jugendlicher mehr die Schule ohne Abschluss verlässt und dass jeder Jugendliche eine Ausbildung erhält. Weiterhin ist es das Ziel dieses Befähigungsstaates, dass die Arbeitsmarktpolitik auf Weiterbildung und Qualifizierung ausgerichtet wird und nicht auf die schnelle Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt – mithin geht es darum das Fördern beim „Fördern und Fordern“ der bisherigen Arbeitsmarktpolitik endlich umfassend, systematisch und ambitioniert ernst zu nehmen.

Ideelles und ideales Ziel des Befähigungsstaates ist vor allem die Fairness der Chancen. Wir brauchen einen Befähigungsstaat, weil jedes Kind vergleichbare Bildungschancen haben soll – egal wo es herkommt. Reichtum darf nicht darüber entscheiden, ob Bildungserfolg stattfindet oder nicht. Ziel des Befähigungsstaates ist die Annäherung an eine vergleichbare substanzielle Freiheit. Der Befähigungsstaat basiert auf einem linken Freiheitsbegriff. Ein linker Freiheitsbegriff – so wie ihn etwa der Philosoph Amartya Sen mit seiner Idee der substanziellen Freiheit vorschlägt – hat ein positives Verständnis vom Staat. Freiheit durch den Staat, auch diese gibt es. Freiheit für alle gibt es nur mit einer Politik, die den Staat als Instrument der Steigerung der individuellen Freiheiten ansieht. Eine Politik gegen den Staat – die sich nur auf Deregulierung und steuerpolitische Privilegien versteift – hingegen sorgt nur für eine substanzielle Freiheit für Wenige. Diese substanzielle Freiheit hat zwar die doppelte sozialstaatliche Dimension der Verwirklichung von sozialer Sicherheit – im Sinne der Freiheit von ökonomischer Not – und die Fairness der Chancen. Aber die Alimentierung des Staates bei Arbeitslosigkeit ist eben nur ein Teil. Der wesentlich wichtigere Teil jenes für die substanzielle Freiheit sorgenden und vorsorgenden Staates, ist die Fairness der Chancen. Und diese Fairness der Chancen wird zunächst und zumeist im Bildungssystem entschieden. Deswegen ist der Befähigungsstaat Beförderer der Freiheit und entscheidendes Instrument zur Verwirklichung des Ideals vergleichbarer substanzieller Freiheit“.

"Vollständiger Essay von Nils Heisterhagen"

"Fähigkeiten schaffen - das Konzept von Martha Nussbaum"

"Der Katalog der menschlichen Grundfähigkeiten"

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