22.11.2024 08:25
|
Mehr Fairness im Internet - Verbot von Tracking und personalisierter Werbung
|
Überwachungswerbung missachtet die Privatsphäre und die informationelle Selbstbestimmung. Die neue EU-Kommission soll mit dem angekündigten Digital Fairness Act ein Verbot von personalisierter Werbung auf den Weg bringen. Der Chaos Computer Club CCC schreibt dazu:
Datenschutz ist in Europa ein Grundrecht, die klaren Prinzipien der EU-Datenschutzgrundverordnung gehören durchgesetzt. Personalisierte Werbung mit Tracking, Profilbildung oder Verhaltensanalysen sollte daher endlich als das behandelt werden, was sie ist: ein gefährlicher Manipulationsmechanismus, der nicht normalisiert werden darf. Die Fairness gegenüber den Nutzern und schon gar nicht deren Grundrechte dürfen durch solche Überwachungswerbung weiterhin ausgehebelt werden. Sie schadet dem Einzelnen und der Gesellschaft als Ganzes.
Zusammen mit der Wikimedia Deutschland, dem FifF, Germanwatch und dem Konzeptwerk Neue Ökonomie fordern wir: Die neue EU-Kommission soll ein Verbot von personalisierter Werbung auf den Weg bringen. Der erst kürzlich angekündigte Digital Fairness Act kann dafür genutzt werden, um ein Verbot von Tracking und personalisierter Werbung durchzusetzen.
Wenn sich digitale Angebote fast ausschließlich über personalisierte Werbung finanzieren, birgt das erhebliche Gefahren für die Demokratie, den sozialen Zusammenhalt, die informationelle Selbstbestimmung, das Klima und die nationale Sicherheit. Mit dem Gesetz über Digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) und der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) hat die EU wichtige Grundsteine zum Schutz von Online-Nutzer:innen gelegt. Gleichzeitig zeigen Reaktionen großer Unternehmen auf diese Regelungen, dass ein Paradigmenwechsel im Online-Werbemarkt erforderlich bleibt, da die Freiheit vor manipulativen Praktiken durch die Werbeindustrie beharrlich untergraben wird.
Auch der kürzlich veröffentlichte Digital Fairness Check kommt zu dem Schluss, dass das EU-Verbraucher:innenrecht nicht ausreicht, um Bedenken hinsichtlich der kommerziellen Personalisierung im digitalen Raum auszuräumen. Als Teil der digitalen Infrastruktur sollten sich Plattformen von der Überwachung Einzelner zu Vermarktungszwecken lösen. Alternative (z. B. kontextbasierte) Werbemodelle eröffnen Möglichkeiten, Menschen jenseits des allgegenwärtigen Trackings und Targetings zu erreichen und sie dadurch in Datenverarbeitungsprozessen zu schützen. Um alternative Werbemodelle zu stärken, sollte die neue EU-Kommission digitale Fairness ernst nehmen und ein Verbot von personalisierter Werbung auf den Weg bringen.
"Mehr und detaillierte dazu im PDF"
"Wie Sie gegen unfaire Geschäftspraktiken vorgehen können"
|
|
12.11.2024 12:24
|
Wenn der Staat Finanzkriminalität nicht ausreichend verfolgt, ist er krass unfair
|
Bis April galt sie als mächtigste Staatsanwältin Deutschlands. Dann quittierte sie den Dienst. Am Samstag (9. November) kam Anne Brorhilker in neuer Funktion nach Frankfurt. Als Co-Geschäftsführerin des Vereins Finanzwende rief sie die Menschen dazu auf, sich im Kampf gegen Wirtschaftskriminalität zu organisieren. Die Frankfurter Rundschau berichtet:
„Wenn man sich zusammenschließt, kann man viel erreichen!“, sagte sie bei einer Veranstaltung des Vereins Business Crime Control (BCC). Die 51-Jährige kritisierte scharf, dass die Justizbehörden in Deutschland gegen Wirtschaftskriminelle zu schwach aufgestellt seien. „Wir haben zu wenig Richter und zu wenig Staatsanwälte.“ Anne Brorhilker ermittelte zu Cum-Ex: Schaden der Steuerzahler bei 40 Milliarden Euro Bis zu ihrem Rückzug aus dem Staatsdienst war Brorhilker elf Jahre lang als Vorkämpferin gegen die Cum-Ex- und Cum-Cum-Kriminalität hervorgetreten. Bei diesen Tricks hatten deutsche und ausländische Banken Steuerrückerstattungen vom Finanzamt erschlichen, die ihnen nicht zustanden. Den entstandenen Schaden für die Steuerzahlenden bezifferte die Juristin auf rund 40 Milliarden Euro.
Zu dieser Summe beim größten Wirtschaftsverbrechen der Nachkriegsgeschichte habe sie vom entlassenen Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) „nichts gehört“.
Von dem angerichteten Schaden hätten Gerichte durch ihre Urteile bisher nur weniger als ein Prozent wieder zurückholen können.
Petition von 327000 Menschen gegen das Bürokratieentlastungsgesetz
Mit einer Petition, die bisher von 327.000 Menschen unterzeichnet wurde, kämpft der Verein Finanzwende gegen das neue Bürokratieentlastungsgesetz der Bundesregierung. Dieses soll es Unternehmen ermöglichen, Dokumente zu ihrem Geschäftsgebaren schon nach acht Jahren zu vernichten – während schwere Steuerhinterziehung erst nach 15 Jahren verjährt. Der Gesetzgeber hat allerdings zuletzt für Banken und für Finanzfonds die Gültigkeit dieser Regelung um ein Jahr verschoben. „Das macht Hoffnung!“, sagte sie.
Das Bürokratieentlastungsgesetz sei in Wahrheit „eine Mogelpackung“
Tatsächlich sollten „Beweismittel vernichtet“ werden. Die frühere Ermittlerin ging vor der Veranstaltung im Gespräch mit der FR auf die Motive für ihr Engagement bei Finanzwende ein. „Bei vielen Menschen gibt es ein Ohnmachtsgefühl, dass gegen Finanzkriminalität zu wenig geschieht“. Das sei „eine gefährliche Ausgangssituation.“ Die Menschen lenkten ihre Wut „in andere Kanäle“, so Brorhilker mit Verweis auf die Erfolge rechtsextremer Kräfte in Deutschland. Dagegen helfe nur Öffentlichkeit: „Das scheint mir der einzige Hebel zu sein.“ Die ehemalige Staatsanwältin ist schon mehrfach öffentlich aufgetreten und sprach von einem „Super-Interesse“ für ihre Veranstaltungen. Ressourcen ungleich: So werden Ermittlungen gegen Finanzkriminalität erschwert.
Nach ihren Worten führen die Justizbehörden in Deutschland in Sachen Cum-Ex und Cum-Cum gegenwärtig Ermittlungen gegen 1800 Beschuldigte. „Es gibt allerdings ein riesiges Dunkelfeld.“ Brorhilker hatte 2013 in Köln eines der ersten Ermittlungsverfahren wegen Cum-Ex eröffnet. Zuvor war bereits die hessische Generalstaatsanwaltschaft aktiv geworden.
Die Juristin verwies auf das sehr schiefe Kräfteverhältnis zwischen der Finanzwirtschaft in Deutschland und den Menschen, die sich gegen Finanzkriminalität engagierten. „Die Ressourcen sind ungleich verteilt.“ Die größten zehn Unternehmen der Finanzwirtschaft in Deutschland investierten im Jahr in ihre Lobbytätigkeit nur im politischen Raum 42 Millionen Euro. Dagegen verfüge der Verein Finanzwende beispielsweise gerade einmal über 30 Mitarbeitende. Brorhilker forderte, das öffentliche Register über Lobbytätigkeiten erheblich auszubauen und zu verschärfen. Es brauche mehr Transparenz. So sei es zum Beispiel für die Öffentlichkeit wichtig zu erfahren, wer an Gesetzentwürfen mitgearbeitet habe.
Olaf Scholz bei Cum-Ex verwickelt: Widerstände gegen die Ermittlungen
Die ehemalige Staatsanwältin unterliegt, wie sie in der Veranstaltung deutlich machte, einer dienstlichen Verschwiegenheit über einzelne Ermittlungsverfahren und Fälle. Sie wollte sich daher auch nicht im Detail zu den Cum-Ex-Verfahren im Zusammenhang mit der privaten Warburg Bank in Hamburg äußern. Dabei hatte die Stadt Hamburg der Bank die Rückerstattung einer zweistelligen Millionensumme an den Staat erlassen, die sie mit Cum-Ex-Tricks verdient hatte. Zuvor hatte es offenbar Treffen zwischen dem Sprecher der Warburg Bank, Christian Olearius, und dem damaligen Hamburger Bürgermeister und heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz gegeben. Während Olearius die Kontakte in seinem Tagebuch festgehalten hatte, behauptet Scholz, er könne sich nicht erinnern. Dazu sagte Brorhilker vor dem Publikum im Frankfurter Dominikanerkloster lediglich: „Es stand alles im Tagebuch!“ Und weiter: „Bei der Warburg Bank war offensichtlich, dass sie Rückhalt hatte von der Politik.“ Das Verfahren gegen Olearius war wegen des schlechten Gesundheitszustandes des Bankiers eingestellt worden, „nicht wegen fehlender Beweise“, so die Juristin.
Sie berichtete zudem über erhebliche Widerstände gegen ihre frühere Ermittlungsarbeit als Staatsanwältin. „Ich wurde persönlich diskreditiert und als komische Person dargestellt, die Probleme mit Menschen hat.“
|
|
05.11.2024 14:18
|
Das Gegenteil von Fairness
|
Da beschleunigt sich ein negativer Trend: Seit knapp anderthalb Jahrzehnten geht die Schere bei den Einkommen in Deutschland zunehmend auseinander. Schreibt Frank-Thomas Wetzel in der Frankfurter Rundschau am 5.11.24. Nun, von dem Trend habe Viele schon erfahren. Er manifestiert das Gegenteil von Fairness in der Gesellschaft. Doch – so schreibt Wetzel weiter: „diese Entwicklung gab es schon in den 2010er-Jahren. Doch mit Corona und dem anschließenden Inflationsschub hat sich insbesondere die Situation der Haushalte in der unteren Hälfte der Einkommensskala noch einmal verschärft. Auch tief in die Mittelschicht steigt die Angst der Menschen, ihren Lebensstandard nicht mehr halten zu können. Dies geht aus dem aktuellen Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) hervor, das zur gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gehört.
Das hat auch Auswirkungen auf die Demokratie: Sogar in der Mittelschicht sei mittlerweile die „politische Teilhabe teilweise brüchig“, schreiben die Studienautorin Dorothee Spannagel und ihr Kollege Jan Brülle. Eine zentrale Erkenntnis der Analysen ist, dass die Einkommen immer ungleicher verteilt sind – hier wurde ein neuer Höchstwert erreicht.
Der unter Forschenden international anerkannte Maßstab dafür ist der sogenannte Gini-Koeffizient. Er reicht von null (alle haben das gleiche Einkommen) bis 1 (eine einzige Person bekommt das gesamte Einkommen eines Landes). 2010 lag der Gini-Wert noch bei 0,282 – im Jahr 2021 war es 0,310. Dies ist auch für die Debatte über den Wirtschaftsstandort Deutschland relevant. Denn in Studien über Wettbewerbsfähigkeit spielt der Gini-Wert eine wichtige Rolle. Je niedriger er ist, umso höher wird die ökonomische und politische Stabilität eines Landes bewertet.
Die WSI-Expert:innen haben sich auch intensiv die Veränderungen angeschaut bei armen und prekären Haushalten sowie bei Personen, die zur „unteren Mitte“ der Einkommensskala gehören. Damit werden alle erfasst, die unter dem Mittelwert (Median) der verfügbaren monatlichen Nettoeinkünfte liegen – das sind 2240 Euro für einen Single.
Besonders drastisch ist die Zunahme bei Personen, die unter „strenger Armut“ leiden – also weniger als 1120 Euro monatlich für einen Ein-Personen-Haushalt. 2010 waren das noch 7,8 Prozent der Menschen in Deutschland. Ihre Zahl kletterte bis 2021 auf 11,3 Prozent. Hierbei handelt es sich um Frauen und Männer, die häufig noch nicht einmal mehr abgetragene Kleidung durch neue ersetzen können. Ins Kino gehen oder der Besuch einer Sportveranstaltung ist nicht drin. Es gibt keinerlei Rücklagen für finanzielle Notlagen.
All dies resultiert aus umfangreichen repräsentativen Umfragen des sozio-ökonomischen Panels, das aktuell bis ins Jahr 2022 reicht. Die Böckler-Stiftung hat in den Jahren 2020 und 2023 zudem 4000 Personen zu ihrer Lebenslage befragt. Ergebnis: 55 Prozent der Menschen in Armut äußerten im vorigen Jahr große oder sehr große Sorgen, ihren ohnehin niedrigen Lebensstandard dauerhaft halten zu können.
Breite Verunsicherung Aber auch bei einer Mehrheit (52 Prozent) der Haushalte in der unteren Mitte – mit maximal 2240 Euro pro Person – sind die Abstiegssorgen groß oder sehr groß. Das bedeutet ein Anstieg um 15 Prozentpunkte innerhalb von nur drei Jahren, die durch die Pandemie, einen Energiepreisschock und massive Ausschläge bei der Inflation geprägt waren.
Selbst in der oberen Mittelschicht hat sich Verunsicherung drastisch ausgebreitet. Die Gruppe der Menschen, die um ihren Lebensstandard fürchten, ist zwischen 2020 und 2024 von 32 auf 47 Prozent in die Höhe geschnellt.
Diese Entwicklung ist eng mit einer wachsenden Enttäuschung über die Demokratie verknüpft. Mehr als die Hälfte der Menschen in Armut und in prekären Verhältnissen ist mit der Demokratie nicht mehr zufrieden. In dieser Gruppe stimmt gut ein Drittel der Aussage zu: „Die regierenden Parteien betrügen das Volk.“ Und immerhin jeder und jede Vierte in der oberen Mittelschicht hält dies ebenfalls für zutreffend. Dies geht einher mit einem verbreiteten Misstrauen gegenüber Polizei und Gerichten.
„Es ist entscheidend, das Teilhabeversprechen glaubhaft zu erneuern, das konstitutiv ist für eine demokratische, soziale Marktwirtschaft“, sagt WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch. Dabei müsse die Politik das Rad nicht neu erfinden. Es gelte bewährte Institutionen wieder zu stärken, die leider erodiert seien. Sie zählt auf: „Tarifverträge, eine auskömmliche gesetzliche Rente und eine leistungsfähige öffentliche Infrastruktur.“
Wer diesem Trend, der Armut- und Prekariatsentwicklung nicht Einhalt gebietet wie der FDP-Boss Christian Lindner, befördert strukturelle Unfairness, die in individuelle Unfairness umschlägt und die Gesellschaft noch mehr unter Spannung setzt. Das nützt der AFD und ihren Helfershelfern. Will das Lindner, um seine Lobby zu bedienen und seine Macht zu zeigen? Lindner müsste dringend einen Crash-Kurs in Fairness-Denken und -Praxis absolvieren. Er sollte sich mit dem Buch „Freiheit, Fairness, Fortschritt –Zum normativen Profil liberaler Politik“ des kürzlich verstorbenen ehemaligen FDP-Vorsitzenden Wolfgang Gerhardt befassen. Gibt es bei der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung. Oder gleich das Buch Fairness https://www.penguin.de/buecher/norbert-copray-fairness/ebook/9783641050924.
|
|