Blog nach Monat: Juni 2012

25.06.2012 22:01
Menschenhandel: Himmelschreiende Ungerechtigkeit der Sklaverei
Bis zu 27 Millionen Menschen weltweit leben in Verhältnissen, die der Sklaverei ähneln. Das besagt ein Bericht des US-Außenministeriums zum weltweiten Menschenhandel. "Das Verbot der Sklaverei in den USA und anderen Staaten der Welt war leider nicht das Ende der Sklaverei", sagte US-Außenministerin Hillary Clinton in Washington bei der Vorstellung des Berichts letzte Woche. Die Opfer würden unter anderem zu schwerer körperlicher Arbeit, zum Betteln, zur Zwangsheirat oder zur Prostitution gezwungen.

Deutschland erfüllt dem Bericht zufolge die Minimalbedingungen des Gesetzes zum Schutz der Opfer von Menschenhandel. Allerdings sei die Bundesrepublik Transit- und Zielland für Menschen, die zur Arbeit oder in die Prostitution gezwungen würden. Die deutsche Regierung habe ihre Anstrengungen im Kampf gegen den Menschenhandel verstärkt, heißt es in dem Bericht. Gleichzeitig wird empfohlen, Menschenhändler härter zu bestrafen.

Die sexuelle Ausbeutung von Mädchen und Frauen ist das Zentrum des internationalen Menschenhandels, der in 175 Ländern der Erde dokumentiert ist. Auch in Deutschland. Nach Devisen- und Ölhandel ist der Menschenhandel mittlerweile der dritterfolgreichste Wirtschaftszweig der Welt. Auch eine Art Globalisierung. Im Jahre 2009 wurden schätzungsweise eine Billion US-Dollar gewaschen, die im Menschenhandel verdient wurden.

Das Buch der kritischen Journalistin und Menschenrechtlerin Lydia Cacho ist erschütternd, aufklärend und tiefgründig zugleich. Jahrelang hat sie für dieses Buch recherchiert, hat sich unter Lebensgefahr in viele Länder gewagt, die vor allem im Frauenhandel eine führende Rolle spielen, hat mit Opfern, Tätern, Mitläufern und Fachleuten gesprochen, hat Untersuchungen geprüft und Hintergründe analysiert – bis hin zu den Frauen herabwürdigenden Kulturmustern in vielen Gesellschaften und bis zu den Männlichkeit überhöhenden Rollenmustern des Kriegers, des Soldaten und des Herrschers. Cacho macht ein Amalgam sichtbar aus Macht, Geldgier und Sex, das die Welt mit einem stabilen Netz von Sklaven-, Drogen- und Waffenhändlern überzieht und sich in Teilen mit Mafia-Gesellschaften überschneidet oder von Mafia-Gesellschaften mit Gewalt geschützt wird. Das organisierte Verbrechen handelt mit Menschen als Ware, die von Station zu Station mit Mehrwert gehandelt wird, bis sie ausgebeutet ist und entweder noch an Fabrikbesitzer für Textilherstellung verkauft oder in der illegalen Herstellung chemischer Drogen eingesetzt wird. Oder die Polizei bekommt von den Händlern einen Tipp, kann ein Bordell mit ausrangierten Prostituierten ausheben und sie Hilfsorganisationen zuführen, was dann als Erfolg der Opferorganisationen bekannt wird.
79 Prozent des Menschenhandels werden zum Zweck der Zwangsprostitution, der sexuellen Ausbeutung, betrieben. Kinder, vor allem Mädchen, von 3 Jahren an kommen als Ware in den Menschenhandel. 18 Prozent des Menschenhandels macht die Zwangsarbeit aus, 3 Prozent verteilen sich auf Haussklaverei, Zwangsheiraten von Kindern, Organhandel, Bettelkinder und Kindersoldaten. Die Zahlen sind abstrakt.

Cachos Buch zeigt das millionenfachen Leid, die global vernetzte Menschenentwürdigungsmaschinerie, die durch ihre Überschneidung mit Gutbürgerlichkeit, mit etablierten Menschen der bürgerlichen Gesellschaft und durch die massenhafte Nachfrage nach oft jungfräulichen Mädchen und hypersexualisierten Frauen und nach Pornographie existiert. Die Versklavung durch Betrug und die Hypersexualisierung durch vielfache Vergewaltigungen sind derart massiv, dass viele Frauen die Sklaverei verinnerlichen und ihre Funktion als Ware leben. Cacho macht das Elend, den Prozess der seelischen und physischen Traumatisierung, vor allem der Mädchen und Frauen fühlbar und sichtbar, berichtet von unvorstellbaren Schicksalen, die Zigtausende betreffen. Zentral ihre Reportagen aus der Türkei, aus Israel und Palästina, aus Japan, Kambodscha und Birma, das Cacho als „ein Konzentrationslager für Frauen“ bezeichnet, in Mexiko und Argentinien. 2005 hatte Cacho einen Pädophilen-Ring in Mexiko aufgedeckt, wurde verhaftet, gefoltert und jahrelang verfolgt. Sie ist aktive Journalistin und Menschenrechtlerin geblieben. Sie lebt bis heute in ständiger Gefahr. Damit alle wissen, was los ist. Und handeln können. Vor Cacho kann man sich nur verneigen.

Lydia Cacho
Sklaverei
Im Inneren des Milliardengeschäfts Menschenhandel. Fischer-Taschenbuch 18855. 351 Seiten. 10,99 € http://www.fischerverlage.de/buch/sklaverei/9783596188550
http://de.wikipedia.org/wiki/Lydia_Cacho
http://www.pnn.de/kultur/406216/
http://www.youtube.com/watch?v=S3UZbt17F0w&feature=fvst
http://www.youtube.com/watch?v=IoaiXciLpSc

15.06.2012 16:09
Wer Whistleblower nicht schützt, handelt unfair
Kritiker, Informanten, Whistleblower, Risikoboten, die auf innerbetriebliche Missstände hinweisen, finden alle Politiker wichtig. Und bewundernswert. Denn sie beweisten Zivilcourage und müssten vor Anfeindungen geschützt werden. Darin sind sich die Fraktionen des Deutschen Bundestags einig. Das war’s dann auch schon mit der Einigkeit. Die Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP sieht keinen gesetzlichen Bedarf, diese Menschen schützen. Das zeigte sich gestern in der Debatte des Deutschen Bundestages. Die Abgeordneten berieten einen Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zum Schutz sogenannter Whistleblower (17/9782), der am Ende der Debatte an den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen wurde. Darin werden Änderungen unter anderem des Bürgerlichen Gesetzbuches gefordert, die Hinweisgeber besser als bisher vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen schützen sollen.

Die Grünen machten deutlich: Hinweisgeber sind „keine Verräter“. Zur Begründung sagte die Sprecherin für Demokratie der Fraktion der Grünen, Ingrid Hönlinger, Hinweisgeber würden Verantwortung für die Demokratie übernehmen. Nach dem Willen ihrer Fraktion sollen Beschäftigte das Recht haben, sich zunächst intern um Abhilfe der Missstände zu bemühen. In schweren Fällen soll es aber auch gestattet werden, externe Stellen oder die Öffentlichkeit einzuschalten. Wenn Menschen gefährdet würden, sei es nicht nur ein Recht, sondern "nachgerade die Pflicht, darauf hinzuweisen".

Auch die SPD mahnt Regelungsbedarf an. Die Abgeordnete Kerstin Tack warf der Koalition vor, Menschen wie den Lkw-Fahrer, der auf den Gammelfleischskandal aufmerksam gemacht und daraufhin seinen Job verloren hatte, nach wie vor als „Denunzianten“ zu bezeichnen. Zum Schutz von Whistleblowern gebe es erheblichen „Regelungsbedarf“. Dass die Koalition dies bestreite, sei „zynisch“ — sie frage sich, wieso dann das Bundeskartellamt gerade eine Internetseite zum anonymen Hinweisgebertum ins Leben gerufen habe. Nicht umsonst habe sich die Bundesregierung selbst dazu verpflichtet, bis zum Ende des Jahres entsprechende Regelungen vorzulegen.
Der Entwurf der Grünen findet dennoch nicht die Zustimmung der SPD: Lediglich das BGB zu ändern, reiche nicht aus. Es müsse Hinweisgebern möglich sein, sich auch ohne „betriebliche Erstuntersuchung“ an externe Stellen zu wenden.

Die Linke fordert eine Kultur des Hinsehens und Einmischens. Karin Binder unterstrich, es sei auch die Auffassung der Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass Whistleblowing ein „Grundrecht“ sei. Dass es für den Schutz der Hinweisgeber ein Gesetz brauche, habe ihre Fraktion bereits im vergangenen Jahr festgestellt. Sie begrüße, dass die Grünen diese Initiative nun aufgriffen. Es müsse dabei jedoch um mehr gehen als den Schutz vor Diffamierung. Es müsse eine neue Kultur geben, „nicht des Wegguckens und Wegduckens“, sondern des Hinsehens und Einmischens. Die Vorlage der Grünen sei nur „ein halber Schritt“, der die große Gruppe der untypisch Beschäftigten — etwa Selbstständige, Praktikanten oder Leiharbeiter — nicht einbeziehe.

CDU/CSU fordert interne Hinweisgebersysteme und sieht zusammen mit der FDP keinen Regelungsbedarf. So betonte der CSU-Abgeordnete Ulrich Lange, es sei eine „politische Reflexhandlung“, Einzelfallentscheidungen zu Gesetzeslücken hochzustilisieren. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Fall einer Altenpflegerin, die entlassen wurde, nachdem sie Missstände benannt hatte, habe die Kontrollmaßstäbe deutscher Gerichte bestätigt. Zum Schutz von Hinweisgebern gebe es bereits ausreichende Normen etwa im Arbeitsrecht. Statt neuer gesetzlicher Regelungen seien interne Hinweisgebersysteme nötig, die die Unternehmen selbst schaffen müssten.

Das Whistlebower-Netzwerk weist durch Guido Strack darauf hin, dass die Bundestag noch200 Tage Frist hat, um über die Einführung eines Gesetzes zum Schutz von Whistleblowern zu beschließen. Genau 200 Tage Zeit hat die Bundesrepublik dann noch, um ihr 2010 gegenüber den anderen G20 Staaten gegebenes Versprechen zu halten, bis Ende 2012 einen internationalen Standards entsprechenden, gesetzlichen Whistleblowerschutz auch in Deutschland einzuführen und umzusetzen.

Bei der letzten Debatte im Plenum im September 2011 hatten sich die Koalitionsfraktionen noch darauf zurückgezogen, eine OECD Studie abwarten zu wollen. Diese liegt seit November 2011 vor und bescheinigt Deutschland unzureichenden Schutz und eine unklare Rechtslage. Potentielle Whistleblower können hierzulande nicht abschätzen, wie Gerichte später ihren Fall beurteilen werden, ob sie vor Mobbing und Arbeitsplatzverlust geschützt werden oder nicht. Die Folge: Menschen, die Missstände am Arbeitsplatz beobachten, werden abgeschreckt darauf hinzuweisen. Stattdessen schweigen sie und die Missstände – gleich ob Korruption, lasche Sicherheits- und Umweltstandards oder gefährliche Behandlungen und Pflege – bestehen fort und eskalieren weiter.

Schon im Mai 2011 hatte Whistleblower-Netzwerk einen eigenen Gesetzesentwurf dazu vorgelegt, wie öffentliche Interessen durch Förderung von Whistleblowing und besseren Whistleblowerschutz besser gewahrt werden können.

Der Gesetzesentwurf von Bündnis90/Die Grünen will gutgläubige Whistleblower aus dem privaten und dem öffentlichen Sektor durch Änderungen in bestehenden Gesetzen besser vor Repressalien schützen. Er knüpft an die bisherige Rechtsprechung an und verpflichten Whistleblower, sich auch zukünftig in der Regel zunächst an den Arbeitgeber oder interne Stellen wenden zu müssen. Allerdings sollen die Ausnahmen von diesem Grundsatz ausgeweitet werden. So sollen z.B. Strafanzeigen auch ohne vorherige interne Meldung möglich sein, wenn der Arbeitnehmer aufgrund konkreter Anhaltspunkte gutgläubig vom Vorliegen einer Straftat ausgeht, wobei er seine Gutgläubigkeit insoweit auch nicht mehr selbst beweisen muss. Auch sonstige Motive des Whistleblowers sollen zukünftig unbeachtlich sein. In Ausnahmefällen, bei überwiegendem öffentlichem Interesse, wollen die Grünen eine direkte Information der Öffentlichkeit zulassen. Außerdem enthält der Vorschlag auch eine Beweiserleichterung zugunsten des Arbeitnehmers bzw. Beamten beim Nachweis von Repressalien.

Nach Meinung des Whistleblower-Netzwerks gehen die Vorschläge von SPD und Bündnis90/Die Grünen trotz gewisser Schwächen in die richtige Richtung. Durch deren sinnvolle Kombination könnte Deutschland internationalen Standards entsprechen. Das Netzwerk fordert die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen auf, ihr international gegebenes Wort zu halten und ihre Verweigerungshaltung gegenüber effektivem Whistleblowerschutz endlich aufzugeben.

Dass CDU, CSU und FDP den Gesetzesentwurf der Grünen abgeschmettert haben und trotz angeblich großen Respekts vor der Zivilcourage von Whistleblowern keinen gesetzlichen Regelungsbedarf sehen, deckt sich völlig mit der Position der deutschen Unternehmer- und Arbeitgeberverbände. Sicher wäre der Gesetzesentwurf der Grünen noch zu verbessern gewesen, sicher hätte man bestimmten Einwänden Rechnung tragen können. Aber gar keinen Regelungsbedarf zu sehen, spricht den Fakten und Erfahrungen Hohn. Über 80 Prozent der Whistleblower verlieren ihren Arbeitsplatz, leider auch mitunter durch naives Vorgehen. Viele Mitwisser ducken sich und schweigen aus Angst vor unfairen Attacken, besonders Mobbing. Von der Bewunderung mutiger Kritiker haben sie nichts. Wer ihnen gesetzlichen Schutz verweigert, handelt unfair. Und stärkt jene, die in Unternehmen und Behörden unfaire Praktiken pflegen, darum einen Abwehrwall aus Mobbing und Bedrohung bauen und so mafiöse Strukturen erhalten und weiter entwickeln. Risikohinweise und Kritik konstruktiv aufgreifen und Unternehmen verbessern: das hat Zukunft und trägt zur Fairness-Qualität in Wirtschaft und Gesellschaft bei.

Bundestagsdrucksachen zum Thema
17/9782 - Gesetzentwurf Bündnis 90/Die Grünen: Whistleblower-Schutzgesetz (PDF)

Zum Whistleblower-Netzwerk http://whistleblower-netz.de

Informationen der Fairness-Stiftung über Whistleblowing (Risikoboten, Hinweisgeber) http://www.fairness-stiftung.de/RMuUK.htm
http://www.fairness-stiftung.de/Whistleblowing.htm
http://www.fairness-stiftung.de/Weisse-Weste.htm
(mit besonderen Hinweis zur Bau- und Immobilienbranche)

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