Blog nach Monat: März 2016

18.03.2016 14:34
Was die Fairness zwischen Flüchtlingen und Deutschen verlangt
Was müssen wir von Flüchtlingen erwarten dürfen, die wir in unserer Mitte aufnehmen, fragt der syrisch-deutsche Schriftsteller Erzähler Rafik Schamir. im Interview mit der Frankfurter Rundschau. Und meint:

"Hier erwarte ich Hilfe von jedem, der sich Intellektueller nennen will. Solche Diskussionen müssen wir wieder an uns reißen und nicht den Populisten und Menschenhassern überlassen. Auch Helferinnen und Helfer der Flüchtlinge sollten vielleicht diese Punkte mit ihren Schützlingen diskutieren.

1. Die Zeit ist hier in Deutschland reif für sie, um in Freiheit nachzudenken, selbstkritisch und ohne Angst und Tabu, was sie zu dieser Misere geführt hat. Ich gebe ein paar Stichpunkte: die Sippe, das Erdöl, die Diktatur, die Vermischung von Religion und Politik.

2. Die Flüchtlinge sollten zur Kenntnis nehmen, dass sie im christlichen Abendland aufgenommen worden sind. Und sie werden dieses weder kurz- noch langfristig verändern. Wollen aber sie sich verändern und damit am zivilisatorischen Prozess teilnehmen, dann müssen sie die Sprache dieses Landes ernsthaft lernen.

3. In diesem Land sind Frauen und Männer gleichberechtigt.

4. Die reichen arabischen Länder haben sie im Stich gelassen. Diese Länder spielen sich auf als Hüter des Islams und handeln gegen den Koran und seinen Propheten.

5. Sie sollten wissen, ein Gast in der arabisch-islamischen Welt ist ein edler Gefangener seines Gastgebers. Die bürgerliche Gesellschaft achtet die Würde, auch die des Fremden, daher sind sie keine Gefangenen, sondern Gäste mit beschränkten Rechten. Ein Weiser wirft keinen Stein in den Brunnen, aus dem er trank.

6. Dankbarkeit besteht nicht darin, unterwürfig und schleimig gegenüber den Deutschen zu sein, um insgeheim rassistisch über sie zu denken, sondern Dankbarkeit besteht in erster Linie im Respekt den Helferinnen und Helfern gegenüber. Diese tapferen Frauen und Männer sind ein Garant für die Flüchtlinge gegen die Rassisten und Populisten.

7. Die deutsche Gesellschaft ist eine demokratische, freiheitliche Gesellschaft, die nicht selten schwächer erscheint, als sie ist. Sie ist aber wehrhaft. Die Flüchtlinge sollen sich von keinem Kriminellen zur Dummheit verführen lassen, die Abwesenheit von Militärs und Polizei auf der Straße bedeute Gesetzlosigkeit.

8. In diesem Land gilt ein einziges Gesetz: Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Alle anderen Gesetze der Sippe, der Ehre, der Scharia gelten hier nicht. Wer den Flüchtlingen etwas anderes erzählt, will ihnen nur schaden.

9. Sie sollen nicht heucheln, die Homosexualität existiere in den islamisch-arabischen Ländern nicht. Hier in Deutschland haben die Homosexuellen ihr Recht auf Gleichheit und Normalität im Umgang erkämpft. Nichts wurde ihnen geschenkt.

10. Sie sollen nicht zu gelähmten Zuschauern werden, sondern aktiv am Leben teilnehmen und mit allen demokratischen Kräften dafür kämpfen, dass die Zustände und Ursachen, die zu ihrer Vertreibung führten, verschwinden".

Rafik Schami kam 1971 nach Deutschland, promoviert in Chemie und wurde danach ein bedeutender Schriftsteller. Sein Werk wurde in 29 Sprachen übersetzt. Er stammt aus einer christlich-aramäischen Minderheit in Damaskus, besuchte ein jesuitisches Kloster-Internat im Norden Libanons und studierte in Damaskus Chemie, Mathematik und Physik. Schon mit 19 Jahren hatte er sich der Literatur verschrieben und gründete und leitete 1966 in der Altstadt von Damaskus die Wandzeitung Al-Muntalak (dt. ‚Ausgangspunkt‘), die 1969 verboten wurde.

1970 floh Rafik Schami aus seinem Heimatland Syrien zunächst in den Libanon, zum einen, um dem Militärdienst zu entgehen, zum anderen, weil er wegen der Zensur nach eigenen Angaben „zu ersticken“ drohte. 1971 wanderte er in die Bundesrepublik Deutschland aus. Neben seinem Studium nahm er verschiedene Aushilfsjobs in Fabriken und als Aushilfskraft in Kaufhäusern, Restaurants und auf Baustellen an. Er veröffentlichte zahlreiche Texte in Zeitschriften und Anthologien, zunächst in arabischer, seit 1977 auch in deutscher Sprache. 1978 erschien mit Andere Märchen sein erstes Buch in deutscher Sprache. 1980 war er Mitbegründer der Literaturgruppe „Südwind“ und des PoLiKunst-Vereins (= Polynationaler Literatur- und Kunstverein). Seit 1982 lebt er als freier Schriftsteller in der Pfalz. Von 1980 bis 1985 war Rafik Schami Mitherausgeber und Autor der Reihe „Südwind-Gastarbeiterdeutsch“ und der Reihe „Südwind-Literatur“ (insgesamt 13 Bände).

Rafik Schami gehört zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren der Gegenwart. Für sein Werk hat er zahlreiche Auszeichnungen und Preise erhalten. Sein Erfolg gründet sich nicht zuletzt auf seine zahlreichen Lesungen, bei denen er sein Talent zum freien Fabulieren entfaltet. Der Verkauf des einmillionsten Exemplars der Taschenbücher Schamis bei dtv im Januar 2005 zeugt von seiner gleichbleibend großen Beliebtheit beim deutschen Publikum.

Rafik Schami engagiert sich seit vielen Jahren für die Aussöhnung zwischen Palästinensern und Israelis und versucht bei vielen Gelegenheiten, für diese Aufgabe zu werben, so z. B. auf Kongressen, in seinem umfangreichen essayistischen Werk und nicht zuletzt als Herausgeber der Aufsatzsammlung Angst im eigenen Land (2001), in der Araber wie Israelis zu Wort kommen und zum Israel-Palästina-Konflikt Stellung nehmen. Schami wurde während der Frankfurter Buchmesse 2004 von staatlich loyalen Autoren aus der arabischen Welt scharf kritisiert. Anlass dazu waren Schamis Aussagen über die Situation von Autoren in den arabischen Ländern in einem stern-Interview.

Schami hat die Staatsbürgerschaften von Syrien und Deutschland. 1990 lernte er die Zeichnerin und Autorin Root Leeb kennen, mit der er seit 1991 verheiratet ist und einen Sohn hat. Root Leeb illustrierte eine große Anzahl seiner Bücher, gestaltete die Titelbilder aller bei dtv erschienenen Bücher Schamis und gab ihnen so ein unverwechselbares Gesicht. Der Sohn, Emil Fadel (* 1992), wurde mit dem Gewinn des Martha-Saalfeld-Förderpreises 2014 erstmals als Schriftsteller einer größeren Öffentlichkeit bekannt.

2010 erhielt Schami die Brüder-Grimm-Professur der Universität Kassel. Seine Vorlesungen beschäftigen sich mit der Erzählkunst. Bisherige Inhaber waren unter anderen die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller sowie Christoph Hein und Klaus Harprecht.

"Das FR-Interview"

"Rafik Schami in Wikipedia"

"dtv-Website von Rafik Schami"

01.03.2016 11:52
Sind Mitgefühl und Kooperation der neue Trend?
Der Egoismus hat ausgedient. Nicht flächendeckend, nicht international, nicht national, nicht individuell. Aber er hat seinen Höhepunkt und vor allem seine maximale Überzeugungskraft erreicht. Jetzt kommt der Kipp-Punkt. Die destruktiven Folgen des staatlichen, wirtschaftlichen und persönlichen Egoismus sind nicht nur zu erkennen, sondern auch zu spüren: weltweite Fluchtbewegungen, desaströse Klimawandeleffekte, extreme Vermögenssteigerung bei Reichen und verbreitete Verarmung der Armen, Missachtung und Herabwürdigung von Bedürftigen und Abgehängten. Ist gegen den Egoismus und seine Auswirkungen kein Kraut gewachsen, weil er zur menschlichen Natur gehört?

„Immer mehr Wissenschaftler stellen die pessimistische Sichtweise der menschlichen Natur infrage. Psychologen, Neurowissenschaftler und Primatenforscher haben herausgefunden, dass Altruismus und die Fähigkeit zur Kooperation durchaus grundlegende, angeborene Wesenszüge des Menschen sind“, schreibt der TV-Sender Arte in seiner Ankündigung einer Dokumentation. Sie läuft unter dem Titel „Die Revolution der Selbstlosen“ in der Mediathek von Arte und am Freitag, den 4.3., um 9:55 Uhr, 91 Minuten auf Arte.de (z.B. zum Aufzeichnen).

Die Arte-Redaktion stellt dazu fest: „Selbstbezogenheit, Materialismus und Geldgier beherrschen unsere moderne Gesellschaft. Aber gehört es nicht vielleicht doch zur menschlichen Natur, selbstlos zu sein, also uneigennützig im Interesse von anderen zu handeln? Seit rund 20 Jahren widerlegen Forschungsergebnisse - wie etwa die des Katastrophenforschungszentrums von Delaware - die These von einem universellen Egoismus. Psychologen, Neurowissenschaftler und Primatenforscher fanden heraus, dass sogenanntes prosoziales Verhalten wie Mitgefühl, Altruismus, Hilfsbereitschaft und die Fähigkeit zur Kooperation zu den fundamentalen Eigenschaften des Menschen zählen.

Sylvie Gilman und Thierry de Lestrade haben Wissenschaftler bei ihren Forschungsarbeiten begleitet: Ausgangspunkt sind entwicklungspsychologische Studien, die bereits im Babyalter ansetzen und das Bild eines Menschen zeigen, der hochgradig kooperativ ist: Nach Studien der Universität Yale verfügen Babys bereits in den ersten Lebensmonaten über ein moralisches Urteilsvermögen, eine Art Gerechtigkeitssinn und zeigen spontan altruistische Verhaltensweisen.

Angesichts der weltweiten Herausforderungen, die nach radikalen Veränderungen rufen, stellt sich die Frage, ob und wie diese positiven Charaktereigenschaften des Menschen gefördert werden können. Könnte man Selbstlosigkeit womöglich sogar üben? Unermüdlicher Botschafter dieser Überlegung ist der studierte Molekularbiologe Matthieu Ricard. Der buddhistische Mönch studiert mit Hirnforschern die Wirkung von Meditation auf das Gehirn - mit Erfolg. Zahlreiche Experimente zum Geistestraining weisen nach, dass die individuelle Wandlung möglich ist. Meditationsübungen an Schulen in Problemvierteln zeigen bereits überraschende Erfolge im Sozialverhalten und im Kampf gegen Aggressionen. Längerfristig besteht das Ziel darin, eine breitere Bewegung auch über den Bildungs- oder Gesundheitssektor hinaus anzustoßen.

Manche Ökonomen setzen große Hoffnungen in die Wandlungsfähigkeit unserer Gesellschaft. So haben sich Wirtschaftsexperten auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos ein neues Thema auf die Fahne geschrieben: Achtsamkeit. Seinen Geist der Güte zu öffnen und sich in humanitären Projekten zu engagieren, ist aus ihrer Sicht eine Win-win-Situation, die auch für die moderne Wirtschaft keine Utopie bleiben soll“.

"Die Arte-Sendung zum Thema"

"Das Arte-Dossier zum Thema"

"Das Buch 'Fairness' zum Thema mit Grundlagen, Analysen und Anwendungshinweisen"

  Blog-Artikel
  Blog-Kategorien
  Blog-Archiv