Blog nach Monat: März 2018

29.03.2018 09:53
Greenwashing: Betrug an Bürgern, Umwelt und Arbeitern
"Der Film „The green lie“ entlarvt das Greenwashing der Konzerne und zeigt dem Konsumenten die Wahrheit hinter angeblich nachhaltigen Produkten. Der Film ist seit 22. März in den Kinos.
Ein Interview der Zeitschrift Enorm mit der Frau hinter dem und im Film: Kathrin Hartmann.

Kathrin Hartmann, geboren 1972, lebt und arbeitet als Journalistin und Autorin in München. Seit vielen Jahren schreibt sie Bücher über Greenwashing und den industriellen Raubbau an der Natur – und seit Gründung von enorm 2010 auch immer wieder Interviews und Texte für unser Magazin. Im Blessing-Verlag ist im Februar Kathrin Hartmanns jüngstes Buch erschienen, „Die Grüne Lüge“ – das Buch zum Film „The Green lie“, den sie gemeinsam mit dem Wiener Dokumentarfilmer Werner Boote gedreht hat.

Kathrin, seit Jahren schreibst du über Greenwashing. Warum jetzt ein Kinofilm?

Hartmann: Das war die Idee von Werner Boote, dem Regisseur des Dokumentarfilms „Plastic Planet“. Wir hatten uns in einer Talkshow des ORF kennen gelernt, es ging um das Thema Nachhaltiger Konsum. Werner mochte wohl, wie ich in der Sendung gegen die Konzerne anging, in jedem Fall schlug er mir danach vor, gemeinsam einen Film über Greenwashing zu machen. Ich bin sehr froh darüber. Schreibend lässt sich das Thema manchmal schwer erklären – und im Film können wir einfach Bilder zeigen und alles wird damit völlig klar. Zum Beispiel in der Szene, in der Werner und ich auf einer riesigen, gespenstisch stillen Fläche abgebrannten Urwalds stehen. Das hat eine ganz andere Kraft, als wenn ich es in Worten beschreiben würde.

Überall auf der Welt versuchen Unternehmen, ihre umweltschädlichen und unfair hergestellten Produkte als grün zu verkaufen. Ihr habt euch aus der Masse an Beispielen in erster Linie das Palmöl herausgesucht. Warum?

Hartmann: Wir haben lange überlegt, ob wir nicht möglichst viele Branchen, Unternehmen oder Länder nennen wollen. Aber das hätte wie eine Auflistung von Einzelfällen und schwarzen Schafen gewirkt. Wir möchten die Strategie von Greenwashing zeigen, die ist ja überall gleich. Wir sind also erst einmal dem Palmöl nach Indonesien hinterhergereist. Damit hat jeder zu tun, es steckt in jedem zweiten Supermarktprodukt – und im Biodiesel. Mit dem Thema Palmöl sind viele große Firmen verbunden, vor allem in der Lebensmittel- und der Konsumgüterindustrie. Die Zerstörungen durch den Anbau in Monokultur sind offensichtlich. Und trotzdem passiert nichts, trotz des Runden Tischs für Nachhaltiges Palmöl und großer Versprechen von Unternehmen. Es gibt einen Haufen von Belegen, dass sich in den vergangenen Jahren gar nichts verbessert hat, obwohl viele Firmen behaupten, nachhaltiges Palmöl zu verwenden. Aber es gibt überhaupt kein nachhaltiges Palmöl.

Eine Schlüsselszene des Films ist diese: Auf einer Messe in Indonesien stellt euch ein Verkäufer ein Herbizid vor, das als grün beworben wird. „Ist es biologisch?“, fragst du ihn. „Nein, nein“, sagt der Mann, „Es ist einfach ein weniger giftig.“ Ist das für dich der Kern von Greenwashing?

Hartmann (lacht): Genau! Natürlich ist nicht alles erfunden und erlogen, was Unternehmen uns als nachhaltiger verkaufen. Aber das, was sie als Verbesserung anpreisen, betrifft nie das Kerngeschäft. Produktion und Gewinn bauen auf der Ausbeutung von Menschen und der Natur auf. Und diese Strategie wird nicht grundsätzlich angefasst.

The Green Lie ist dialogisch angelegt, Werner Boote spielt den Konsumentenvertreter, der gerne den grünen Siegeln vertrauen will, du bist die Expertin, die alles kritisch hinterfragt. Warum habt ihr diese Form gewählt?

Hartmann: Wir führen im Film eine Art Streit in good cop, bad cop-Manier. Werner steht auf der Seite des Zuschauers und sagt: Ich will es richtig machen und nachhaltig einkaufen, aber mich auch nicht verarschen lassen. Und ich bin die, die warnend auf die leeren Versprechen zeigt. Werner macht das ja immer so in seinen Filmen – er stellt sich eine Frage, und fährt dann los, um nach der Antwort zu suchen. Bei „Population Boom“ zum Beispiel war seine Ausgangsfrage: Alle sagen das, aber gibt es wirklich zu viele Menschen auf der Erde? Beim Thema Greenwashing funktioniert dieses Prinzip auch sehr gut. Die Strategien der Unternehmen sind inzwischen so ausgefuchst, dass es sehr schwer ist, als Einzelner dahinter zu blicken. Wir haben im Alltag nicht die Zeit, uns in all diesen Themen zu Experten zu machen, um dann die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Diesen Konflikt zeigen wir im Film.

Der Konsument soll richtig konsumieren, dann wird alles besser – gegen diese klammheimliche Verschiebung der Verantwortung vom Verursacher zum Verbraucher wehrt ihr euch.

Hartmann: Ja, klar! Die Frage ist doch: Wie kann es sein, dass solche Produkte überhaupt im Supermarkt stehen? Warum muss ich mich aktiv dagegen entscheiden, jemanden auszubeuten? Warum werden Produkte nicht einfach so hergestellt, dass sie keinem schaden? Warum kann ich mich darauf nicht verlassen? Und da sind wir dann beim Thema Recht und Gesetz, bei den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Die EU hat ihre Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, nationale Aktionspläne vorzulegen, um die Prinzipien umzusetzen. Das würde bedeuten, dass Unternehmen verbindlich verpflichtet werden, Menschenrechtsverletzung und Umweltzerstörung zu vermeiden _ sie könnten bei Verstößen sogar dafür bestraft werden. Würde das geschehen, hörten so manche Dinge einfach auf. Palmöl ist nur so billig, weil seine Herstellung Rechte verletzt. Aber die Bundesregierung setzt weiter auf das freiwillige Engagement von Unternehmen.

Zu den Bildern zerstörter Landschaften blendet Ihr Zitate von Konzernchefs ein, die den grünen Wandel ihrer Unternehmen preisen. Was für ein Gefühl soll das beim Zuschauer hinterlassen?

Hartmann: Um Greenwashing als solches zu entlarven, braucht man eine gewisse Distanz. Es ist gar nicht schlecht, auch einmal darüber zu lachen, dass der Coca Cola-Vorstand vor einer Wand voller Plastikflaschen die Nachhaltigkeit zum Herzensthema erhebt. Lachen ist gemeinsam mit ein bisschen Wut eine gute Mischung, um zu beschließen: Wir lassen uns das nicht länger gefallen, ihr spinnt ja wohl! Ihr seid die Verbrecher – nicht wir, weil wir anscheinend die falschen Sachen kaufen. Die ganz hinterfotzige Folge von Greenwashing ist ja, das uns suggeriert wird: Ihr seid schuld, Ihr kauft das Zeug doch! Deshalb haben wir ein dauerschlechtes Gewissen und fühlen uns machtlos.

Gegen Ende des Films wirkt Werner Boote erschöpft. Das sei alles so kompliziert, klagt er. Und man wisse gar nicht mehr, was man eigentlich tun solle. Du hältst dagegen …

Hartmann: Wir sollten uns nicht mehr als reine Konsumenten und Verbraucher betrachten, die können nur konsumieren und verbrauchen. Wir sind Bürger. Und haben demokratische Rechte. Die im Übrigen alle von anderen Bürgern vor uns erkämpft wurden. Es hilft nur, zu protestieren. Auf ganz unterschiedliche Weise: Der eine ist gut in einer Partei aufgehoben, der andere engagiert sich lieber in einer NGO, der dritte unterstützt auf lokaler Ebene den Kampf für eine autofreie Innenstadt. Andere werden Mitglieder eines solidarischen Bauernhofs. Es gibt sehr viele Möglichkeiten. Aber das Wichtigste ist: Das Engagement muss sichtbar sein. Einkaufen ist nicht sichtbar. Außerdem vereinzelt es. Ich merke immer wieder, dass sich Viele als absolut wirkungslos empfinden, ihnen fehlt die Gemeinschaftserfahrung. Dass man gemeinsam leichter etwas erreicht. Der erste Schritt kann die nächste Demo sein. Wo man mal wieder spürt: Da sind ja noch Tausende andere, die wollen es auch ganz anders haben!"

"Das Enorm-Interview mit Kathrin Kartmann zur 'grünen Lüge'

14.03.2018 16:58
Wie Adidas Arbeitnehmerrechte missachtet
Das SÜDWIND-Institut wirft Adidas vor, im Fall der gesetzwidrigen Entlassung von mehr als 300 ehemaligen Beschäftigten ihres indonesischen Zulieferers Panarub im Jahr 2012 seinen unternehmerischen Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen zu sein.

Damit hat Adidas gegen die Leitsätze der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) für multinationale Unternehmen verstoßen. SÜDWIND, Mitglied der Kampagne für Saubere Kleidung, wird daher gegen den Adidas-Konzern eine Beschwerde bei der OECD einlegen.

Im Juli 2012 streikten rund 2.000 Beschäftigte der Firma PT Panarub Dwikarya, Teil des zentralen Adidas-Zulieferers Panarub-Gruppe in Indonesien. Sie forderten die Zahlung des seit Januar 2012 geltenden Mindestlohnes sowie ihr Recht auf Vereinigungsfreiheit. Vorausgegangen war im Februar 2012 die Entlassung von mehreren Beschäftigten, die versucht hatten, eine Betriebsgewerkschaft zu gründen. Am 23. Juli 2012 wurden 1.300 Beschäftigte, die sich an dem Streik beteiligt hatten, entlassen. Bis heute haben mehr als 300 der Entlassenen (überwiegend Frauen) keine Abfindung erhalten, obwohl diese gesetzlich verpflichtend ist. Laut indonesischem Arbeitsrecht steht jedem Entlassenen eine Abfindung zu, deren Höhe in Relation zur Dauer ihrer Beschäftigung steht.

Mit der Beschwerde soll Adidas dazu bewegt werden, seinen Einfluss auf Panarub wahrzunehmen und dazu beizutragen, dass die Beschäftigten die ihnen zustehende Abfindung erhalten: Adidas-Schuhe wurden nachweislich in den ersten Monaten des Jahres 2012 in der besagten Fabrik produziert. Adidas ist bis heute (neben einem asiatischen Auftraggeber) einer der größten Kunden von Panarub. „Adidas trägt für die Verletzung von Arbeitsrechten bei der Panarub-Gruppe damit eine Mitverantwortung“ meint Dr. Sabine Ferenschild von SÜDWIND. Mehr noch: Adidas hat sogar aktiv zu dieser Verletzung beigetragen, da das Unternehmen versäumt hat, den Beschäftigten von PT Panarub Dwikarya Zugang zu Abhilfe zu verschaffen. Genau hier setzen die Leitsätze der OECD an: Sie formulieren Empfehlungen für verantwortungsvolles Unternehmenshandeln in einem globalen Kontext.

Die Beschwerde stützt sich auch auf die Beurteilung des Falls durch die Aufsichtsgremien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO): Diese besagt eindeutig, dass die Entlassung der Panarub-Beschäftigten nicht gerechtfertigt war und eine Verletzung des fundamentalen Rechtes der Beschäftigten auf Vereinigungsfreiheit darstellte. „Es gibt bisher kein rechtliches Instrument, mit dem multinationale Unternehmen bei Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten zur Verantwortung gezogen werden können“, so Ferenschild weiter. „Das Beschwerdeverfahren der OECD, das wir nun gemeinsam mit indonesischen und europäischen PartnerInnen anstrengen, kann aber zumindest dazu genutzt werden, dass Adidas zu den Vorwürfen offiziell Stellung nehmen muss.“

"Südwind-Institut"

13.03.2018 14:00
Wem ist klar, was drin ist?
„Bei den zahllosen Angeboten unserer globalisierten und digitalisierten Welt den Überblick zu behalten, Rechte zu kennen und durchzusetzen, ist für Verbraucher eine immer größere Herausforderung. Die Politik muss klare Regeln schaffen, damit sich die Verbraucher in allen Alltagsbereichen sicher fühlen. Die Bundesregierung hat in der letzten Wahlperiode diese Verantwortung nicht ernst genommen und Verbraucher alleingelassen“, schreiben Renate Künast und Tabea Rößner in ihrem Gastbeitrag für die Frankfurter Rundschau am 12.2.2018. Sie haben Recht. Fairness im Markt und für die Verbraucher sieht anders aus als was Politik und Konzerne bewerkstelligen.

Die Autorinnen nennen das „Beispiel Supermarkt: Die Einführung eines Tierwohllabels sollte das große Aushängeschild von Minister Schmidt werden. Das allerdings gibt es immer noch nicht. Stattdessen führen Supermärkte eigene Kennzeichnungssysteme ein. Das Ergebnis: Die unterschiedlichen Labels sind kaum zu durchschauen und nicht vergleichbar – kein Mehrwert also für die Verbraucher.

Dasselbe Dilemma bei der Nährwertkennzeichnung: Jahrelang haben Minister der Union eine einheitliche Nährwertampel als Bevormundung abgestempelt und blockiert. Mittlerweile setzen sich die großen Lebensmittelkonzerne selbst für eine Ampelkennzeichnung ein.

Das aber ist eine Mogelpackung, denn sie fordern eine portionsbezogene Bewertung. Damit können Hersteller mit kleinen Portionsgrößen rote Kennzeichnungen ganz einfach umgehen. Die Folge: Ungesunde Lebensmittel sind weiterhin nicht auf den ersten Blick erkennbar, unrealistische Portionsgrößen und keinerlei Vergleichbarkeit der Produkte.

Die Freiwilligkeitsgläubigkeit der letzten Bundesregierung hat nicht den Verbrauchern, sondern vor allem den Unternehmen genutzt. Sie hat mit Runden Tischen und Branchengesprächen auf Eigenverantwortung und Selbstregulierung der Wirtschaft gesetzt, etwa mit dem Bündnis für nachhaltige Kleidung oder der Umsetzung der internationalen Leitprinzipien für Menschenrechte. Dabei konnte sich die Wirtschaft mit eigenen Kampagnen profilieren, den Verbrauchern wurde mit Unmengen von Labels und fehlender Transparenz die Verantwortung für gesellschaftlich gewollte Entwicklungen zugewiesen.

Viele Verbraucher wollen Tierschutz, Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Menschenrechte voranbringen. Damit sie ihre Kaufentscheidung im Sinne nachhaltiger und fairer Arbeits- und Produktionsweise auch treffen können, muss Verbraucherpolitik ihnen Transparenz und Wahlfreiheit ermöglichen. Transparenz entsteht aber nicht automatisch durch möglichst viele Herstellerinformationen, sondern erfordert – je komplexer die Produkte und unsere Warenwelt sind – einheitliche Regeln und Gestaltung. Diesem politischen Gestaltungsauftrag hat sich die Bundesregierung verweigert.

Das muss sich ändern. Das gilt auch für die digitale Verbraucherwelt. Algorithmen bestimmen, wer wie viel zahlt, welche Werbung angezeigt wird und welche Kreditbedingungen gelten. Je nach Wohnort und Endgerät können Produkte unterschiedlich teuer sein. Hier sind klare Regeln gegen Diskriminierung und für Transparenz nötig.

Ebenso beim Datenschutz: Persönliche Informationen sind heute Handelsware. Verbraucherpolitik muss dafür sorgen, dass europäische Grundsätze wie voreingestellter Datenschutz auch umgesetzt werden. Beispielsweise indem Standards und Gütezeichen geschaffen und zur Voraussetzung gemacht werden. Damit das neue Smart-TV eben nicht permanent personenbezogene Daten wie die IP-Adresse erfasst und weitergibt, ohne dass die Verbraucher es wissen.

Wo die Politik zu eng mit der Wirtschaft agiert und Leerstellen lässt, sind Verbraucher die Verlierer. Das zeigt der Dieselskandal sehr deutlich. Die Bundesregierung hat weggeschaut, als die Autohersteller ihre eigenen Regeln zur Abgaskontrolle aufgestellt und Dieselbesitzer beim Schadstoffausstoß ihrer Autos betrogen haben.

Nun müssen die Autobesitzer Fahrverbote befürchten. Dabei sind nicht sie, sondern die Hersteller Verursacher des Schadens. Daher muss die Bundesregierung diese in die Pflicht nehmen, für den Schaden aufzukommen. Sie muss Nachrüstungen auf Kosten der Autoindustrie durchsetzen und die Gruppenklage endlich einführen, damit Verbraucher in Zukunft gemeinsam gegen Unternehmen klagen können.

John F. Kennedy hat vor mehr als 55 Jahren vier grundlegende Verbraucherrechte formuliert: Das Recht auf Sicherheit, das Recht auf Information, das Recht auf Wahlfreiheit und das Recht, gehört zu werden. In dieser globalisierten Welt ist genau das wichtiger denn je: das Recht, zu wissen, wer es produziert hat und was drin ist“.

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