01.06.2023 12:13
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EU-Parlament stimmt für strenges EU Lieferkettengesetz - für Menschenrechte und Umwelt
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Das ist fast nicht zu glauben: Die Regeln sind strenger als ursprünglich geplant. Die Europaabgeordneten haben neue Vorgaben für Unternehmen beim Umgang mit Lieferanten beschlossen. Sie sollen nun auch für kleinere Firmen gelten. Spiegel-Online berichtet am 1.6.2023 wie folgt:
"Das EU-Parlament hat sich für ein verhältnismäßig strenges Lieferkettengesetz ausgesprochen. Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte in Brüssel für Vorschriften, die Unternehmen für die Bekämpfung von Kinderarbeit, Ausbeutung und Umweltverschmutzung entlang ihrer weltweiten Lieferketten verantwortlich machen. Die Vorgaben sollen demnach über die im deutschen Lieferkettengesetz vorgesehenen Maßnahmen hinausgehen und etwa auch für den Finanzsektor gelten.
Die neuen Regeln übertreffen in ihrer Strenge vorherige Pläne. Denn ihnen sollen über alle Sektoren hinweg Unternehmen mit Sitz in der EU unterliegen, die mehr als 250 Angestellte und mehr als 40 Millionen Euro Jahresumsatz weltweit haben. Zunächst war das Lieferkettengesetz nur für Firmen ab 500 Beschäftigten und 150 Millionen Euro Umsatz gedacht. Auch Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU sollen sich an das neue Regelwerk halten müssen, wenn sie mehr als 150 Millionen Euro umsetzen und mindestens 40 Millionen Euro davon in der EU.
Die betroffenen Unternehmen sind künftig verpflichtet, negative Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf Menschenrechte und Umwelt zu ermitteln »und erforderlichenfalls zu verhindern, zu beenden oder abzumildern«, beschloss das Parlament. Außerdem müssen sie die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards auch bei ihren Partnerunternehmen in der Wertschöpfungskette überwachen. Dazu gehören Lieferanten, Vertriebspartner, Transportunternehmen, Lagerdienstleister oder auch die Abfallwirtschaft.
Die EU-Kommission hatte das Gesetz im vergangenen Februar vorgeschlagen. Die 27 Mitgliedstaaten einigten sich im Dezember auf eine Position, die den Vorschlag der Kommission etwas abschwächen würde. Für die abschließenden Verhandlungen zwischen Mitgliedstaaten und EU-Parlament fehlte noch die Positionierung der Abgeordneten, die nun über die Vorschläge der Kommission hinaus geht. In Deutschland gilt bereits seit Januar ein Lieferkettengesetz, das eventuell an die EU-Vorgaben angepasst werden müsste. Scharfe Kritik aus der Wirtschaft
Das deutsche und nun entsprechend auch das europäische Gesetzesvorhaben wird von Wirtschaftsvertretern scharf kritisiert. Sie warnen vor überbordender Bürokratie und einer Schwächung europäischer Unternehmen auf dem Weltmarkt.
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) kritisierte, dem Gesetzentwurf fehle es an Praxistauglichkeit, Verhältnismäßigkeit und Rechtssicherheit. »Das Lieferkettengesetz bürdet den Unternehmen ein neues und unkalkulierbares Haftungsrisiko auf.« Von ihnen werde eine Kontrolle erwartet, die außerhalb ihrer eigenen Einflussmöglichkeiten liege, sagte DIHK-Präsident Peter Adrian. Lieferketten bestünden oft aus mehreren hundert, teils mehreren tausend Firmen. In der Regel sei einem Betrieb aber nur der direkte Zulieferer bekannt. Kleine und mittlere Unternehmen würden »komplett überfordert« durch die geplanten Richtlinien.
Der Arbeitgeberverband BDA warnt gar vor einer Abwanderung von Unternehmen durch mehr Regulierung. In Krisenzeiten brauchten Unternehmen Flexibilisierung und Spielräume für Innovationen – »und weniger Bürokratie aus Brüssel«, sagte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der Vorschlag des EU-Parlaments zu den Lieferketten bringe mehr Regulierung und keinen zusätzlichen Schutz für Menschenrechte.
Tiemo Wölken, rechtspolitischer Sprecher der Europa-SPD, sieht in dem EU-Gesetz dagegen die Chance, dafür zu sorgen, dass nicht mit zweierlei Maß gemessen werde, »sondern dass wir dafür sorgen, dass Menschenrechte und Umweltschutz überall auf der Welt gleichermaßen gelten«.
Insbesondere die CDU- und CSU-Delegation im Europaparlament hatte sich bis zuletzt für weniger strenge Vorschriften eingesetzt. Etwa sollten Subunternehmer sowie der Finanzsektor ausgenommen und nur größere Unternehmen betroffen sein. Der CDU-Europaabgeordnete Axel Voss forderte noch am Mittwoch in einer Debatte im Parlament, den bürokratischen Aufwand zu stoppen. Entsprechende Änderungsanträge fanden jedoch keine Mehrheiten.
366 Abgeordnete befürworteten das geplante EU-Lieferkettengesetz, 225 Abgeordnete stimmten dagegen, 38 enthielten sich".
Der Widerstand gegen diese Fassung der Lieferkettengesetzes durch Wirtschaftsverbände im Verbund mit Politikern der konservativen Parteien, allen voran CDU und CSU, war enorm. Um so eindrucksvoller der Entscheid einer starken Mehrheit des EU-Parlaments.
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30.05.2023 10:50
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Pflegenotstand - Anwerben ausländischer Pflegekräfte ist eine Schande
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Der Arzt Dr. Bernd Hontschik ist Chirurg und Publizist. Bis 1991 war er Oberarzt am Klinikum Frankfurt-Höchst, bis 2015 in seiner chirurgischen Praxis in der Frankfurter Innenstadt tätig.
Das Zustand des Gesundheitswesens treibt ihn um. Er nennt das Anwerben von ausländischem Pflegepersonal in der Frankfurter Rundschau (26.5.23) „eine Schande“. Und schreibt weiter:
„Befragungen unter ausgestiegenen Pflegekräften ergaben in letzter Zeit immer wieder, dass die Hälfte von ihnen in ihren angestammten Beruf zurückkehren würde, wenn sie mit verträglichen Arbeitszeiten, Wertschätzung, Respekt und einer angemessenen Vergütung rechnen könnten. Was ist davon verwirklicht worden? Mehr als eine kärgliche Corona-Einmalzahlung für Wenige ist nicht herausgekommen. Ach halt, ich vergaß: Es gab außerdem auch noch sehr viel Beifall, sogar stehende Ovationen der Abgeordneten im Deutschen Bundestag. Das war’s dann aber auch.
Statt sich mit einer grundsätzlichen Reform und Neuorientierung des Pflegeberufes zu befassen, bleibt das Problem seit Jahrzehnten ungelöst. Daher reist man in arme Länder, macht Werbung für die großartigen Arbeitsbedingungen in Deutschland und beraubt diese Länder ihrer qualifizierten Pflegekräfte. Das ist ein alter Hut, keine neue Idee.
Schon als ich vor über vierzig Jahren als Chirurg im Krankenhaus Höchst gearbeitet habe, kamen als Ergebnis großangelegter Anwerbekampagnen etwa ein Viertel der OP-Schwestern und -Pfleger aus Indonesien. Inzwischen sind sechzehn Gesundheitsminister:innen an mir vorbeigezogen, aber niemand hat sich an die Ursachen gewagt. Im Gegenteil. Inzwischen sind etwa die Hälfte der damals noch 4000 Krankenhäuser geschlossen worden, mehr als 50 000 Stellen im Pflegebereich gestrichen, die Anzahl der stationären Behandlungsfälle stieg um ein Viertel an, und diese Mehrarbeit mit immer weniger Personal führte zu unerträglichem Arbeitsdruck. So sind im Laufe der Zeit etwa 300 000 ausgebildete Pflegekräfte aus ihrem Beruf geflohen.
Unter Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) flog dessen Staatssekretärin Sabine Weiss zwecks „Anwerbung ausländischer Pflegekräfte“ auf die Philippinen. Auch Spahn selbst war sich nicht zu schade, in Mexiko und dem Kosovo höchstpersönlich Abkommen über die Anwerbung von Pflegekräften abzuschließen. Das nenne ich Pflegeimperialismus. Die Bundesagentur für Arbeit nennt dieses Programm aber ungeniert „Triple Win“ und ist damit unter anderem in Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Indien, Philippinen, Tunesien, Mexiko und Brasilien unterwegs: Das Herkunftsland gibt arbeitslose Kräfte ab, Deutschland besetzt freie Stellen, die Betroffenen lernen Deutsch und verdienen hiesige Löhne.
Man könnte das Ganze aber auch als „Triple-Lose“ bezeichnen: Das Herkunftsland verliert seine gut ausgebildeten jungen Menschen, in Deutschland erfüllen sie die Funktion von Lohndrückern, und die Betroffenen erhalten häufig skandalöse Arbeitsverträge, ja sie müssen sogar nicht selten „Anwerbekosten“ von mehreren tausend Euro bezahlen, falls sie – desillusioniert – kündigen wollen, um in ihre Heimat zurückzukehren. Und nun – man glaubt es kaum – werden Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im Juni nach Brasilien reisen, um wieder Pflegekräfte „anzuwerben“. Heil berichtet schon von solchen Absprachen mit Indonesien und Mexiko. Auch Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze (SPD) steht nicht zurück und hat sich im Februar zusammen mit ihm in Westafrika nach Pflegepersonal umgetan, besonders in Ghana.
Der lächerliche Applaus, die schlechten Arbeitsbedingungen und der verzweifelte Versuch, anderen Ländern qualifizierte Arbeitskräfte wegzunehmen, werden die Probleme im Pflegebereich nicht lösen. Auf diese Katastrophe ist man sehenden Auges und untätig zugesteuert, und die Prognosen sind derart furchterregend, dass die Pflege zu einer Schicksalsfrage der Nation werden wird. Längst hätte es eine nationale Ausbildungsinitiative geben müssen, hätten Krankenhäuser und Pflegeheime mit ausreichenden finanziellen Mitteln zur Einrichtung von Schulen für Pflegekräfte ausgestattet werden müssen. Längst hätte man mit dem Ausbau der universitären Pflegestudiengänge die Attraktivität und Akzeptanz dieses Berufes erhöhen können. Längst hätten Karrierechancen in der Pflege geschaffen werden müssen, endlich verbunden mit einer angemessenen Bezahlung sowie lebens- und familienfreundlichen Arbeitszeiten.
Am wichtigsten aber wäre es, endlich die Privatisierung zu stoppen, auf allen Ebenen, in den Krankenhäusern, in der ambulanten Medizin der „Versorgungszentren“ und in den Pflegeheimen. Für die Arbeitshetze in der Pflege und im ärztlichen Bereich ist in erster Linie der Zwang zur Profitmaximierung, zu möglichst hohen Renditen für Aktionärinnen und Aktionäre verantwortlich. Pflege, Fürsorge und gute Medizin ist unter diesen Bedingungen nicht möglich. Das ist der Grund für den Exodus der Pflegekräfte, von dem inzwischen auch Ärztinnen und Ärzte massiv erfasst werden. Es wird nichts von selbst besser. Das Gesundheitswesen muss gemeinnützig und Teil staatlicher Daseinsvorsorge sein“.
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10.05.2023 10:45
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Vermittlungsausschuss schwächt Schadensersatzanspruch für Whistleblower
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Bund und Länder haben sich im Vermittlungsausschuss auf ein Hinweisgeberschutzgesetz und die damit verbundene, längst überfällige nationale Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie geeinigt. An einigen inhaltlichen Punkten stellt der Kompromiss im Vergleich zum Koalitionsentwurf leider eine Verschlechterung für Whistleblower dar.
Whistleblower weisen auf Missstände und Fehlentwicklungen hin und ermöglichen so frühzeitig Abhilfe. Sie selbst zahlen dafür oft einen hohen Preis und sind schwerwiegenden Repressalien wie Mobbing ausgesetzt. Repressalien, die gravierende und langanhaltende Auswirkungen auf ihr Leben haben, deren Schaden aber aus juristischer Sicht meist von immaterieller Natur ist.
Die EU-Whistleblowing-Richtlinie und der Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen (§ 37) haben daher zurecht ein Schmerzensgeld für „immaterielle Schäden“ vorgesehen. Dieser Entschädigungsanspruch ist dem Kompromiss im Vermittlungsausschuss zum Opfer gefallen. „Die Streichung des immateriellen Schadensersatzanspruches kann gravierende Auswirkungen für Whistleblower haben. Damit fällt ein Schmerzensgeldanspruch für sehr viele Repressalien, von denen Whistleblower betroffen sind, weg. Zudem wird gegen europäische Vorgaben verstoßen, obwohl gegen Deutschland bereits jetzt ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig ist““, kritisiert Dr. Simon Gerdemann, Leiter eines DFG-geförderten Forschungsprojekts zum Whistleblowing-Recht.
Wie zu erwarten war, konnten CDU/CSU im Vermittlungsausschuss weitere Änderungen zum Nachteil von Whistleblowern durchsetzen: - Die Anpassungen beim Wahlrecht zwischen interner und externer Meldung (§ 7) sehen vor, dass sich Whistleblower bevorzugt an eine (organisations-)interne Stellen wenden „sollten“. Dies könnte auf Whistleblower wie eine Abschwächung der von der EU-Richtlinie zwingend vorgesehenen Gleichrangigkeit von internem und externem Whistleblowing wirken. Studien und Erfahrungen belegen, dass sich Whistleblower an eine interne Stelle wenden, wenn sie das Gefühl haben, den Ansprechpartner*innen vertrauen und auf diesem Weg Veränderungen bewirken zu können. Eine Gleichrangigkeit der Meldewege schafft einen Anreiz für gutaufgestellte interne Hinweisgebersysteme und eine whistleblower-freundliche Organisationskultur. - Die Einrichtung anonymer Meldekanäle ist nicht mehr verpflichtend. Die Pflicht anonymen Meldungen nachzugehen, wird zu einer „Sollte“-Bestimmung abgeschwächt. Anonyme Meldekanäle ermöglichen es Whistleblowern, Vertrauen zur Anlaufstelle aufzubauen, bevor sie ihre Identität preisgeben, und ermutigen sie so zu Meldungen. Systematische Befragungen von Unternehmen haben ergeben, dass die Einführung anonymer Hinweisgeberkanäle keinesfalls Denunziantentum fördert. Der Nutzen anonymer Hinweisgeberkanäle überwiegt die (überschaubaren) Kosten bei weitem. „Der Kompromiss zeigt, dass es bei den Unionsparteien und Teilen der Wirtschaft nach wie vor große Vorbehalte gegen Whistleblower gibt, obwohl diese im Interesse von Gesellschaft und Wirtschaft handeln“, so der Geschäftsführer von Whistleblower-Netzwerk, Kosmas Zittel. „Erfreulicherweise hat sich wenigstens die Erkenntnis durchgesetzt, dass mit einer Einschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs keinem gedient gewesen wäre.“
Der sachliche Anwendungsbereich beinhaltet nach wie vor Hinweise zu Straftatbeständen und bestimmten Ordnungswidrigkeiten. Die von CDU/CSU geforderte Beschränkung des Anwendungsbereichs auf möglichst wenige Rechtsbereiche hätte deutlich mehr Aufwand für Unternehmen und Behörden zur Folge gehabt. Nach Eingang einer Meldung hätte jedes Mal geprüft werden müssen, ob der Verstoß in den Anwendungsbereich fällt oder nicht. Eine Abgrenzung, die bereits erfahrenen Jurist*innen in vielen Fällen schwer gefallen und für juristische Laien, wie die meisten Whistleblower, fast unmöglich gewesen wäre. Dies hätte zu Rechtsunsicherheit geführt und Whistleblower abgeschreckt.
Bedauerlicherweise hat der Gesetzgeber diese wahrscheinlich letzte Chance nicht genutzt, die Mängel des Gesetzentwurfes zu beheben. Whistleblower-Netzwerk bemängelt u.a. die restriktiven Vorgaben für Offenlegungen gegenüber den Medien und die weitgehenden Ausnahmen für Whistleblower aus dem Geheimschutzbereich. Außerdem fordert WBN eine Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereichs auf sonstiges erhebliches Fehlverhalten oder Missstände unterhalb der Schwelle eindeutiger Rechtsverstöße (s. Pressemitteilung mit Reporter Ohne Grenzen).
Weitere Informationen • Bundesrats-Pressemitteilung zur Einigung im Vermittlungsausschuss (09.05.2023) • Gesetzesbeschluss des Bundestags (16.12.2022) • WBN-Pressemitteilung und Stellungnahme für die zweite öffentliche Anhörung des Bundestags-Rechtsausschusses (27.03.2023) • WBN-Pressemitteilung zur ersten Lesung des Bundestags (15.03.2023) • WBN-Pressemitteilung zum Bundestagsbeschluss (16.12.2022) • WBN-Pressemitteilung zur ersten öffentlichen Anhörung des Bundestags-Rechtsausschusses (19.10.2022) • Podcast-Interviews zum Regierungsentwurf
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03.04.2023 10:05
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Autobahnpläne der Bundesregierung ein Desaster
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Die Prüfer des Bundesrechnungshofes gehen mit den Reformideen des Finanz- und Verkehrsministerium für die bundeseigene Autobahn GmbH hart ins Gericht. Sie sehen die Kontrollrechte des Bundestags in Gefahr. Der Spiegel (13/2023, S. 62) berichtet am 24.3.23:
„Die von Finanz- und Verkehrsministerium geplante Änderung des Gesellschaftsvertrags der bundeseigenen Autobahn GmbH stößt auf heftige Kritik des Bundesrechnungshofs (BRH). Die Prüfer aus Bonn nehmen in einem aktuellen Gutachten Anstoß daran, dass die Mitwirkungsrechte des Aufsichtsrats beschnitten, die Befugnisse der Geschäftsführung im Gegenzug gestärkt werden sollen.
»Einzelne Zustimmungsvorbehalte, wie zum Beispiel zum Erwerb von Unternehmen sowie zu Abfindungen bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen, sollen künftig ganz entfallen«, kritisiert das Gutachten, das dem SPIEGEL vorliegt. Die BRH-Experten bemängeln zudem, dass die Pläne des inhaltlich zuständigen Verkehrsministeriums darauf hinauslaufen, die Kontrollrechte des Bundestags einzuschränken.
Auch wollen sich die Prüfer nicht damit abfinden, dass sie künftig nicht mehr dafür zuständig sein sollen, die gesamte Haushalts- und Wirtschaftsführung der Autobahngesellschaft zu untersuchen. Sie sehen die Gefahr, »dass die präventive Kontrolle der Autobahn GmbH schwindet«.
Den Haushaltsausschuss fordert der BRH auf, die geplanten Änderungen abzulehnen, solange das Verkehrsministerium »nicht in jedem einzelnen Punkt überzeugend darlegt, weshalb sein Vorschlag im Interesse des Bundes ist«. Stattdessen empfehlen die Rechnungsprüfer, »die Kontroll- und Einflussmöglichkeiten des Bundes auf die Autobahn GmbH eher zu stärken«.
Gigantische Fehlkonstruktion
Die haushaltspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Gesine Lötzsch, bestärkt das Gutachten in ihrer Auffassung, dass die Autobahn GmbH »eine gigantische Fehlkonstruktion« sei. Sie koste ein Vermögen. »Schon jetzt ist für den Bundestag nicht nachvollziehbar, wie diese Firma arbeitet«, sagt sie.
Besonders pikant sei, dass Zustimmungen zu Abfindungen bei Beendigung von Verträgen ganz entfallen sollen. »Da arbeiten wohl schon einige Manager an ihren eigenen Abfindungen.« Die Autobahn GmbH brauche mehr Kontrolle, nicht weniger.
Die Gesellschaft verwaltet im Auftrag des Bundes das mehr als 13.000 Kilometer umfassende Autobahnnetz in Deutschland. Von ihrer Gründung versprach sich die Politik Effizienzgewinne bei Verwaltung, Planung und Bau der Autobahnen“.
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16.03.2023 10:35
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Deutschland unternimmt nicht genug gegen Korruption
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Nach Ansicht des Europarats tut Deutschland noch nicht genug gegen Korruption. Nur eine von vierzehn Empfehlungen des Anti-Korruptions-Gremiums Greco aus dem Jahr 2020 sei zufriedenstellend umgesetzt worden, kritisierte die Staatengruppe. Lobend erwähnt wurde das Lobbyregister des Bundestags.
Das Gremium hatte beispielsweise empfohlen, Gesetzgebungsverfahren transparenter zu gestalten und Einflüsse von Lobbyisten deutlicher zu machen. Dies sei nicht umgesetzt worden, hieß es. Bedauernswert sei auch, dass es immer noch keine schärferen Regeln für den Wechsel von Politikern in die Privatwirtschaft gebe, beispielsweise längere Karenzzeiten. Auch sei mehr Transparenz in Bezug auf finanzielle Interessen der Bundesministerinnen und -minister wünschenswert.
Nach einer Auswertung der Bürgerbewegung Finanzwende ist keine andere Branche unter den 100 finanzstärksten Lobbyakteuren so stark vertreten wie die Finanzbranche. Lob gab es für die Einführung des Lobbyregisters im Bundestag, allerdings müsste es noch mehr Informationen über den Zweck von Kontakten mit Lobbyisten geben.
Transparency erhofft von Ampel-Koalition schärfere Lobbyregeln
Der Europarat mit Sitz im französischen Straßburg ist für den Schutz der Menschenrechte zuständig. Er ist kein Organ der Europäischen Union. Die Staatengruppe gegen Korruption wurde 1999 gegründet und zählt insgesamt 50 Mitgliedstaaten, deren Engagement im Kampf gegen Korruption sie in regelmäßigen Abständen beurteilen. Greco wird die deutsche Umsetzung der Empfehlungen 2024 bewerten.
RND/dpa
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25.01.2023 10:52
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Lieferkettengesetz in der Krise durch Lobbyisten der Wirtschaft
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Wirtschaftsverbände wollen mit aller Macht ein starkes EU-Lieferkettengesetz verhindern. Bei der Bundesregierung und deutschen Abgeordneten im Europa-Parlament finden sie dabei Gehör. Die übernehmen Forderungen der Lobbyisten sogar wörtlich, wie eine Analyse von Misereor und des Global Policy Forum zeigt. Die Frankfurter Rundschau berichtet:
Einen regelrechten Lobbysturm haben deutsche Wirtschaftsverbände gegen das geplante EU-Lieferkettengesetz entfacht. Mit Erfolg – wie eine Analyse des Global Policy Forum (GPF) und des Hilfswerkes Misereor belegt. Dass der EU-Rat eine deutliche Entschärfung des Kommissionsvorschlages zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten verfolgt, geht demnach vor allem auf das Konto der Bundesregierung. Vorausgegangen waren massive Interventionen von Wirtschaftsverbänden, wie Dokumente belegen, die jetzt nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) zugänglich wurden.
Im Februar 2022 hatte die EU-Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie präsentiert. Sie soll europäische Unternehmen verpflichten, Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in ihren Wertschöpfungsketten vorzubeugen, und Opfern eine Chance auf Schadensersatz ermöglichen. Die Vorlage der Kommission geht dabei in mehreren Punkten über das seit diesem Januar geltende deutsche Lieferkettengesetz (LKSG) hinaus – zum Missfallen der Wirtschaftslobby.
Lobbyisten sprechen mindestens dreimal im Ministerium vor
In einem Brief vom 11. April vergangenen Jahres baten hochrangige Vertreter:innen der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) daher Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) „nachdrücklich, unsere Bedenken bei der Positionierung zum Richtlinienentwurf der Kommission zu berücksichtigen und für den Ansatz des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes zu werben“.
Dabei blieb es nicht – zusätzlichen Nachdruck verliehen Repräsentant:innen von BDI, der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) sowie der IHK Stuttgart ihrem Anliegen im Frühjahr 2022 bei mindestens drei Treffen mit Staatssekretär:innen aus dem Hause Buschmann.
Positionen, die dann offenbar in eine interne „Weisung“ zur deutschen Positionierung in den Ratsverhandlungen eingingen. Denn anders als die EU-Kommission wollen die Mitgliedstaaten nicht alle Stufen der Wertschöpfung menschenrechtlich betrachten, sondern nur eine sogenannte Aktivitätskette in den Blick nehmen. Außen vor blieben dann zum Beispiel Finanzinvestitionen, Waffenexporte oder die Verwendung von Produkten – also beispielsweise der Einsatz giftiger Pestizide.
Wie die Kommission will der Rat zwar Unternehmen verpflichten, Klimaschutzpläne aufzustellen. Die Mitgliedstaaten lehnen aber Sanktionen ab, sollten Firmen ihre Klimaziele nicht einhalten. Auch der von der Kommission verfolgte Ansatz, die Vergütung von Vorständinnen und Vorständen an der Nachhaltigkeit eines Unternehmens auszurichten, findet sich im Ratsbeschluss nicht wieder.
Forderung nach einer „Safe Harbour“-Regelung für Unternehmen
Für Misereor und das GPF sind das „Verwässerungen“, die zu großen Teilen auf die Bundesregierung zurückgehen. Welche Rolle die Wirtschaftsverbände dabei spielten, zeigen Recherchen des Investigativmagazins Correctiv. Demnach gab es zur Weisung vom 2. September 2022 eine Vorgängerversion, die vom 26. Juli des Jahres datiert. Darin hätten die drei Bundesministerien für Wirtschaft, für Arbeit und Soziales sowie für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eine viel ambitioniertere Positionierung für die Verhandlung unter den EU-Mitgliedstaaten formuliert.
Erst als Justizminister Buschmann intervenierte und mehrere „Leitungsvorbehalte“ einlegte, wurde die Weisung den Forderungen der Wirtschaft angepasst. Eingang fand dann auch die Forderung nach einer „Safe Harbour“-Regelung für Unternehmen, die bestimmte Zertifizierungen nutzen oder Branchenstandards umsetzen. Eine solche Bestimmung hätte zur Folge, das Unternehmen nur für Schäden haftbar zu machen sind, die sie vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben. Diese Tatbestände seien für Opfer ohne Zugang zu unternehmensinternen Unterlagen aber kaum zu belegen, schreiben Karolin Seitz (GPF) und Armin Paasch (Misereor) in ihrer Analyse.
Mit der „Safe Harbour“-Forderung kam die deutsche Seite in den Verhandlungen der Mitgliedstaaten allerdings nicht durch. Die Bundesregierung widersprach dem Ratsbeschluss zwar nicht, kündigte aber in einer Protokollerklärung an, einer Richtlinie ohne „Safe Harbour“-Regelung letztlich nicht zuzustimmen.
Auch im EU-Parlament lässt die Industrielobby nichts unversucht, ein starkes Lieferkettengesetz zu verhindern. Vor allem bei Vertreter:innen der Union und der Europäischen Volkspartei (EVP) finden die Verbände dabei offene Ohren. Noch im März 2021 hatte das EU-Parlament mit den Stimmen der Unionsabgeordneten einen detaillierten Vorschlag für ein EU-Lieferkettengesetz verabschiedet, der noch deutlich schärfer als die Kommissionsvorlage ausfiel. Minister Buschmann lehnt Treffen mit der Initiative Lieferkettengesetz ab
„Doch der Wind hat sich gedreht“, stellen Paasch und Seitz fest. Im federführenden Rechtsausschuss des EU-Parlaments brachten EVP-Schattenberichterstatter Axel Voss (CDU) und weitere Abgeordnete im November vergangenen Jahres Forderungen ein, „die den Kommissionsvorschlag vollständig entkernen würden“, so die Analyse von GPF und Misereor. Auch soll das Gesetz dem Willen der EVP-Leute nach nur bei Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten greifen und erst von 2033 an gelten. Voss hatte sich zuvor nachweislich 25-mal mit Wirtschaftsvertreter:innen wegen des Lieferkettengesetzes getroffen.
Die Wirtschaft in Zeiten der Krise
Frappierend ist, dass EVP-Mann Voss seine Forderungen offensichtlich zu weiten Teilen aus Positionspapieren und Briefen von Wirtschaftsverbänden übernommen hat, wie eine Gegenüberstellung der Texte zeigt. „Teilweise sogar durch schlichtes Copy and Paste“, heißt es in der Studie von Misereor und GPF.
Grundsätzlich sei es nicht verwerflich, wenn Regierungsvertreterinnen und Abgeordnete sich Anliegen und Positionen von Unternehmen anhörten, so Seitz und Paasch. „Wichtig aber ist, dass diese Perspektive nur eine von mehreren ist.“ Daran kann aber angesichts der dokumentierten Interventionen gezweifelt werden. Während Wirtschaftsleute im Frühjahr 2022 mindestens dreimal im Justizministerium empfangen wurden, lehnte Minister Buschmann eine Gesprächsanfrage der Initiative Lieferkettengesetz nach deren Angaben ab.
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17.12.2022 15:01
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Deutscher Bundestag verabschiedet Hinweisgeberschutzgesetz - anonymes Melden möglich
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Der Bundestag hat am Freitag, den 16.12.22 in der letzten Sitzung des Jahres das deutsche Hinweisgeberschutzgesetz verabschiedet und damit die EU-Whistleblower-Richtlinie (EU-Direktive 2019/1937) umgesetzt. Besonders erfreulich, dass beim Schutz der Whistleblower nochmals nachgebessert wurde: Meldestellen müssen nun auch anonymen Hinweisen nachgehen und Vorkehrungen treffen, um eine anonyme Kommunikation mit den meldenden Personen zu ermöglichen. Doch was oft vergessen oder absichtlich übersehen wird: interne Hinweisgeber werden oft intern unfair attackiert, also gemobbt. Ein Thema, das beim Thema Mobbing nicht selten mitschwingt und einen Teil der Fairness-Beratung der Fairness-Stiftung auch jenseits juristischer Aspekte ausmacht - dabei spielen emotionale, soziale, psychologische und strategische Elemente eine Rolle: "Fairness-Beratung"
Deutschland hat als 14. EU-Staat die EU-Richtlinie in nationales Recht umsetzt, nachdem in der letzten Woche auch Belgien und Italien diesen Schritt vollzogen haben. Dass nun auch anonyme Meldungen ermöglicht werden müssen, verbessert das Gesetz deutlich. Das erhöht zwar auch die Anforderungen an die Unternehmen, ist aber durchaus leistbar.
Unternehmen, Behörden und Kommunen müssen Meldekanäle einrichten
Für die 17.000 Unternehmen in Deutschland ab 250 Beschäftigten, aber auch öffentliche Einrichtungen und Gemeinden ab 10.000 Einwohnern besteht damit dringender Handlungsbedarf, einen Meldekanal einzurichten. Als Best Practice haben sich hier digitale Hinweisgebersysteme etabliert, da nur diese alle Anforderungen an eine sichere, anonyme und DSGVO-konforme Kommunikation erfüllen. Diese Tools können, wie es der Gesetzgeber vor allem für internationale Konzerne empfiehlt, in mehreren Sprachen aufgesetzt werden und automatisieren auch die vorgeschriebenen Prozesse für die Empfangsbestätigung und die Rückmeldung an die Hinweisgebenden.
Die Antikorruptionsorganisation Transparency Deutschland begrüßt dies sehr, obwohl das beschlossene Gesetz nicht weit genug geht. Dazu erklärt Dr. Sebastian Oelrich, Leiter der Arbeitsgruppe Hinweisgeber von Transparency Deutschland:
„Unser jahrelanger Einsatz für einen gesetzlichen Schutz von Hinweisgebenden zahlt sich heute aus. Menschen, die auf Korruption und andere Missstände hinweisen, stehen derzeit oft im Regen, weil sie ihren Job verlieren, drangsaliert oder sogar juristisch verfolgt werden können. Künftig bekommen diese Hinweisgebenden endlich einen rechtlichen Schutzschirm vor Repressalien sowie Möglichkeiten, ihre Hinweise in und außerhalb von Unternehmen sicher abzugeben.
Unternehmen und Behörden müssen neben der verpflichtenden Einrichtung von Meldestellen nun anonyme Meldewege einführen. Das ist entscheidend, da dadurch die Hemmschwelle zum Melden von Problemen deutlich sinkt. Das zeigt die Erfahrung vieler Unternehmen, die bereits heute teils anonyme Meldewege haben. Fast jeder große Skandal wurde von zunächst anonymen Hinweisgebenden gemeldet. Wir begrüßen sehr, dass die zuständigen Abgeordneten sich in den letzten Monaten intensiv bemüht und unsere Hinweise in der Anhörung zum Teil aufgegriffen haben. Das Gesetz ist jetzt besser als der ursprüngliche Entwurf der Bundesregierung, denn dieser sah vor, dass anonyme Hinweise gar nicht oder nur nachranging ermöglicht und bearbeitet werden sollten.
Gleichzeitig hätte der Schutz von Hinweisgebenden noch deutlich umfassender und besser ausfallen können. In bestimmten Bereichen ist es für potentielle Hinweisgebende schwierig zu beurteilen, ob sie geschützt sind oder nicht. Das liegt daran, dass der Anwendungsbereich des Gesetzes begrenzt und komplex ist. Aus unserer Sicht sollte das Gesetz für sämtliche Rechtsverstöße und sonstiges Fehlverhalten gelten, dessen Meldung oder Offenlegung im öffentlichen Interesse liegt.
Das gilt insbesondere für den Bereich der nationalen Sicherheit und sogenannte Verschlusssachen, die im Gesetz fast vollständig ausgenommen sind. Dabei wissen wir aus der Vergangenheit, dass gerade dort Hinweisgebende für die Aufdeckung großer Missstände besonders wichtig sind und dafür einen besonderen Schutz brauchen.
Auch fehlt es weiterhin an notwendigen Hilfs- und Beratungsangeboten oder einem Schutzfonds für (potentielle) Hinweisgebende. Hier wird weiterhin verkannt, was für ein einschneidendes Ereignis und hohes Risiko eine Hinweisgabe für viele Personen darstellt. Hinweisgebende werden hier leider weiterhin allein gelassen.”
Zum Hintergrund
Korruption erfolgt verdeckt. Korruption wird weniger durch Prüfungshandlungen als durch Hinweisgeber aufgedeckt, die internes Wissen offenbaren und sich damit dem Risiko aussetzen, wegen ihres Handelns benachteiligt zu werden. Die Etablierung von Schutzmechanismen gegen Benachteiligungen würde die Bereitschaft potentieller Hinweisgeber, ihr Wissen zu offenbaren, deutlich erhöhen. Effiziente Korruptionsprävention in Organisationen und Unternehmen, im öffentlichen und privaten Sektor erfordert daher den Schutz der Personen, die durch ihre Hinweise Korruption aufdecken und so die Verfolgung von Korruptionstaten ermöglichen.
Der Begriff "Whistleblowing" hat – aus den USA kommend – inzwischen auch Einzug in Europa gehalten. In Deutschland wird der Begriff "Hinweisgeber" leider noch zu oft mit dem Stigma des Denunzianten belegt. Gleichwohl gibt es in Deutschland inzwischen eine Vielzahl von Hinweisgebersystemen. Länder, Kommunen, Städte und vor allem Unternehmen der Wirtschaft und des öffentlichen Sektors haben interne oder externe Stellen eingerichtet, um Menschen zu ermutigen, Hinweise auf schwerwiegendes Fehlverhalten oder gravierende Missstände zu geben. Es gibt viele Definitionen für den Begriff des Whistleblowers oder Hinweisgebers. Transparency International Deutschland e.V. verwendet diese Definition:
„Hinweisgeber ist, wer Informationen über wahrgenommenes Fehlverhalten in einer Organisation oder das Risiko eines solchen Verhaltens gegenüber Personen oder Stellen offenlegt, von denen angenommen werden kann, dass diese in der Lage sind, Abhilfe zu schaffen oder sonst angemessen darauf zu reagieren.“
Hinweisgeber sind in Deutschland nur in spezifischen Situationen geschützt, für die Mehrzahl der Beschäftigten ist der Schutz unzureichend. Hinreichend geschützt sind Beschäftige in Unternehmen oder Organisationen, die über ein System verfügen, das Vertraulichkeit gewährleistet (Ombudsanwalt, Vertrauensanwalt, nicht rückverfolgbares internetbasiertes System).
Nicht ausreichend geschützt sind vor allem Personen, die – zum Beispiel mangels einer internen Möglichkeit – einen Hinweis außerhalb ihrer Organisation platzieren wollen, sei es bei einer Behörde oder den Medien. Für dieses externe Whistleblowing gibt es in Deutschland keine klaren Regeln. Es gibt nur die schwer einschätzbare Rechtsprechung der Arbeitsgerichte im jeweiligen Einzelfall, für die der Schutz von Geheimnissen und die Treuepflicht des Arbeitnehmers (oft zu) hohe Bedeutung haben. Aufgrund dieser Rechtsunsicherheit werden Personen davon abgehalten, Missstände gegenüber Stellen aufzudecken, die Abhilfe schaffen oder – wie bei Rechtsverstößen die Ermittlungsbehörden – sonst angemessen darauf reagieren könnten.
"Was ist ein Whistleblower?"
"Wer ist ein Risk-Messenger?"
"Unfaire Geschäftspraktiken und Beschwerdestellen"
"Whistleblower-Netzwerk mit Info und Beratung"
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28.11.2022 12:32
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Julian Assange - offener Brief von New York Times, Guardian, Le Monde, SPIEGEL und El País
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Journalismus ist kein Verbrechen
Die Chefredakteure und Herausgeber von New York Times, Guardian, Le Monde, SPIEGEL und El País haben sich an die US-Regierung gewandt. Die US-Regierung sollte die Verfolgung von Julian Assange wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente einstellen.
„Heute vor zwölf Jahren, am 28. November 2010, haben unsere fünf Redaktionen in Zusammenarbeit mit WikiLeaks eine Serie von Enthüllungsgeschichten veröffentlicht, die weltweit Schlagzeilen machten. Die diplomatischen Depeschen, eine Sammlung von 251.000 vertraulichen Nachrichten des US-Außenministeriums, entlarvten Korruption, diplomatische Skandale und Spionageaffären von internationalem Ausmaß. In den Worten der »New York Times« zeigten die Dokumente »ungeschönt, wie die US-Regierung ihre wichtigsten Entscheidungen trifft, Entscheidungen, die das Land viele Menschenleben und viel Geld kosten«. Und noch immer veröffentlichen Journalisten und Historiker neue Enthüllungen, die auf diesem einzigartigen Dokumentenschatz basieren.
Für Julian Assange, den Herausgeber von WikiLeaks, hatten diese Veröffentlichungen und andere damit zusammenhängende Leaks jedoch gravierende Folgen. Am 12. April 2019 wurde Assange aufgrund eines US-amerikanischen Haftbefehls in London festgenommen. Er sitzt seit rund dreieinhalb Jahren in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis, in dem ansonsten Terroristen oder Mitglieder des organisierten Verbrechens eingesperrt werden. Ihm droht die Auslieferung an die USA und eine Haftstrafe von bis zu 175 Jahren in einem amerikanischen Hochsicherheitsgefängnis.
Unsere Redaktionen, die damals mit WikiLeaks zusammenarbeiteten, entschieden sich 2011, Assanges Verhalten öffentlich zu kritisieren, als die Dokumente im Original, ohne journalistische Bearbeitung an die Öffentlichkeit gelangten. Und einige von uns haben mit Sorge die Vorwürfe in der Anklage zur Kenntnis genommen, denen zufolge Assange dabei geholfen haben soll, in einen Computer mit Zugang zu einer geheimen Datenbank einzudringen. Aber heute äußern wir uns gemeinsam, weil wir zutiefst besorgt darüber sind, dass Julian Assange noch immer verfolgt wird, weil er geheimes Material beschafft und veröffentlicht hat.
Die Regierung von Barack Obama und Joe Biden, die während der WikiLeaks-Veröffentlichungen 2010 im Amt war, hatte es abgelehnt, Assange anzuklagen, weil dann auch Journalistinnen und Journalisten der großen Medien hätten angeklagt werden müssen. Ihre Wertschätzung der Pressefreiheit überwog, selbst in einem Fall, in dem die Konsequenzen schmerzhaft waren. Unter Donald Trump änderte sich diese Haltung jedoch. Das US-Justizministerium nutzte das alte Anti-Spionage-Gesetz von 1917, einst gedacht für die Verurteilung von Spionen während des Ersten Weltkriegs. Es wurde nie zuvor angewendet, um einen Herausgeber oder Journalisten vor Gericht zu stellen.
Die Anklage gegen Assange ist ein gefährlicher Präzedenzfall und ein Angriff auf die Pressefreiheit.
Es zählt zu den Kernaufgaben von Journalistinnen und Journalisten in demokratischen Staaten, Fehler von Regierungen zu kritisieren. Sensible Informationen zu beschaffen und zu publizieren, wenn das im öffentlichen Interesse liegt, ist Teil unserer täglichen Arbeit. Wer diese Arbeit kriminalisiert, schwächt den öffentlichen Diskurs und damit die Demokratie. Zwölf Jahre nach den Botschaftsdepeschen ist es an der Zeit für die US-Regierung, die Verfolgung von Julian Assange wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente einzustellen. Denn Journalismus ist kein Verbrechen“.
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10.11.2022 08:45
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17 Fachleute legen Empfehlungen gegen Greenwashing vor
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UN-Chef prangert Ölkonzerne wegen schöngefärbter Klimabilanzen an UN-Generalsekretär António Guterres hat Konzerne der Öl- und Kohleindustrie kritisiert, dass manche von ihnen ihre eigentlich verheerenden Klimabilanzen bewusst schönfärben. Unlautere Selbstverpflichtungen zum Netto-Null-Ausstoß an Treibhausgasen, die aber Kernprodukte nicht erfassen, "vergiften unseren Planeten", sagte er am 8. November laut Redetext auf der Weltklimakonferenz in Ägypten. Firmen müssten sich alle klimaschädlichen Emissionen vollständig anrechnen, also direkte, indirekte und auch jene aus ihren Lieferketten.
Falsche Versprechen zur Klimaneutralität seien verabscheuungswürdig. "Das ist reinster Betrug", wetterte Guterres. Solche Schummeleien könnten die Welt über die "Klima-Klippe stoßen". "Netto-Null-Emissionen" bedeutet, nur noch so viele Kohlendioxid-Emissionen zu verursachen, wie kompensiert werden können - also etwa durch die unterirdische Speicherung von CO2 oder Aufforstungen.
Den Basisprospekt sowie die Endgültigen Bedingungen und die Basisinformationsblätter erhalten Sie bei Klick auf das Disclaimer Dokument. Beachten Sie auch die weiteren Hinweise zu dieser Werbung.
Vor einem Jahr auf der UN-Klimakonferenz hatte Guterres einen Expertenrat damit beauftragt, Standards und Richtlinien für Klimaschutzversprechen zu erarbeiten, um "Greenwashing" von Staaten und Unternehmen einzudämmen. Mit Greenwashing sind Strategien gemeint, mit denen sich Unternehmen oder Staaten wahrheitswidrig als besonders umweltfreundlich darstellen.
Die 17 Fachleute legten in Ägypten nun Empfehlungen vor. Unter anderem schlagen sie vor, dass speziell große Unternehmen jährlich detailliert über ihre Fortschritte beim Klimaschutz berichten.
Die Vorsitzende des Gremiums, die frühere kanadische Umweltministerin Catherine McKenna, sagte, Klimaschutzversprechen der Industrie, des Finanzsektors und auch von Städten und Regionen müssten "ehrgeizig, transparent und glaubwürdig" sein. Dafür gebe es nun klare Standards und Kriterien. "Unser Planet kann sich keine weiteren Verzögerungen, keine neuen Ausreden und nicht noch mehr Greenwashing leisten", sagte sie.
Guterres sagte, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft sowie von Städten und Regionen sollten Zwischenziele auf ihrem Weg zur Klimaneutralität enthalten, und zwar alle fünf Jahre und für alle ihre Emissionen. Seine Botschaft laute: "Haltet euch an diesen Standard und aktualisiert sofort eure Richtlinien - und das möglichst zur COP28." Die nächste UN-Klimakonferenz, die COP28, findet Ende nächsten Jahres in den Vereinigten Arabischen Emiraten statt.
Gegen Greenwashing: "www.fairness-check.de"
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07.11.2022 11:04
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Kooperieren um zu (über-) leben - im Weltklima
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Entweder gebe es einen »Klimasolidaritätspakt oder einen kollektiven Selbstmordpakt« – Uno-Generalsekretär Guterres findet auf der Weltklimakonferenz eindringliche Worte.
Zum 27. Mal trifft sich die Weltgemeinschaft zur alljährlichen Klimakonferenz. Dieses Mal findet sie im ägyptischen Badeort Scharm al-Scheich statt. Am Montag und Dienstag halten mehr als 100 Staats- und Regierungschefs Eröffnungsreden, auch Bundeskanzler Olaf Scholz wird erwartet
Worum es bei der COP27 geht
Aktuell ist die Staatengemeinschaft weit davon entfernt, vereinbarte Klimaziele zu erreichen. Worum geht es bei der COP27 und kann die diesjährige Weltklimakonferenz den schlechten Vorzeichen zum Trotz noch ein Erfolg werden? Antworten auf die wichtigsten Fragen lesen Sie hier.
Guterres mahnt Staats- und Regierungschefs zum Handeln
Uno-Generalsekretär António Guterres hat die angereisten Staats- und Regierungschefs gewarnt, dass diese ohne verstärkte Zusammenarbeit im Klimaschutz das Überleben der Menschheit aufs Spiel setzen. »Die Menschheit hat eine Wahl: kooperieren oder umkommen«, sagte Guterres vor dem Plenum der 27. Uno-Klimakonferenz. Entweder gebe es einen »Klimasolidaritätspakt oder einen kollektiven Selbstmordpakt«.
»Wir sind im Kampf unseres Lebens und wir sind dabei, zu verlieren«, sagte Guterres. Doch er hat auch eine positive Botschaft: »Eins ist sicher: Diejenigen, die aufgeben, werden mit Sicherheit verlieren. Also lasst uns zusammen kämpfen – und lasst uns gewinnen.«
Der Klimawandel sei »das bestimmende Thema unserer Zeit« und »die zentrale Herausforderung unseres Jahrhunderts«, betonte Guterres. Viele der heutigen Konflikte hingen mit »dem wachsenden Klimachaos« zusammen. So habe der Ukrainekrieg »die tiefgreifenden Risiken unserer Abhängigkeit von fossilen Energieträgern« offengelegt. Der Krieg in der Ukraine und andere Krisen dürften daher »keine Entschuldigung für ein Zurückfallen« im Klimaschutz sein.
ani/AFP/dpa/Reuters
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27.10.2022 07:48
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Gerhart Baum ist überzeugt, „die Menschenwürde ist nicht totzukriegen“
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Der frühere FDP-Innenminister Gerhart Baum gab Martin Bennningshoff ein Interview über Völkerrechtsverletzungen, Putins Missachtung aller Regeln und den dringenden Reformbedarf der UN.
Herr Baum, Friedenssicherung und Menschenrechte sind Ihr politisches Lebensthema. Was bewirkt der russische Angriff auf die Ukraine bei Ihnen persönlich?
Zunächst ist der russische Angriffskrieg eine Gefahr, die weit über das bisher Bekannte hinausgeht. Die Völkerrechtsordnung ist immer Herausforderungen ausgesetzt gewesen, denken wir nur an die Völkermorde in Ruanda, Kambodscha, und an zahlreiche andere Verletzungen des Völkerrechts. Aber diese mit seiner strikten Absage an Gewalt, mit seiner Verbindung von Friedenssicherung und Schutz der Menschenwürde, blieb trotzdem der Maßstab. Das hat sich verändert: Wladimir Putin hat diese Völkerrechtsordnung ins Wanken gebracht. Er missachtet alle Regeln und bedroht diejenigen, die diese Ordnung verteidigen, mit Atomwaffen. Das ist ein schwerwiegender Tabubruch.
Sie werden in diesem Monat 90 Jahre alt. Sie haben den Zweiten Weltkrieg und Flucht miterlebt, aber auch die Jahrzehnte danach, in denen es um Wiederaufbau und Versöhnung ging. Fühlen Sie sich jetzt, im zehnten Lebensjahrzehnt, zurückgeworfen – auf alte Erfahrungen und in Ihren Bemühungen?
Trotz aller Niederlagen: In meinem Leben habe ich eine grundlegende positive Erfahrung gemacht: Das Thema Menschenrechte ist stärker geworden. Es ist mittlerweile ein Querschnittsthema der internationalen Politik. Ein Beispiel: Die Reise eines demokratischen Politikers nach Katar kann heute nicht mehr ablaufen, ohne dass die Menschenrechte zum Thema gemacht werden. Wir haben im Laufe der Jahrzehnte ein neues Instrumentarium bekommen, um das Recht gegen das Recht des Stärkeren durchzusetzen: eine internationale Gerichtsbarkeit zum Beispiel. Schutzobjekt ist jetzt der einzelne Mensch, und zur Verantwortung gezogen werden nicht nur Staaten, sondern die einzelnen Täter, jetzt zum Beispiel die russischen Militärs, die Kriegsverbrechen in der Ukraine begehen. Das weltweite Bewusstsein, die Menschenrechte zu schützen, das ist gewachsen.
Aber was bedeutet Russlands Krieg für dieses völkerrechtliche „Instrumentarium“, wie Sie sagen?
Naja, Russland ist ein Ständiges Mitglied des Sicherheitsrates und in besonderer Weise der UN-Charta verpflichtet. Und Russland tritt die Völkerrechtsordnung mit Füßen. Die Charta der Vereinten Nationen ist auf Friedenssicherung ausgelegt. Die Gräuel des Zweiten Weltkrieges sollten sich nicht wiederholen. Und diese Ordnung hat Putin praktisch aufgehoben. Das Bedrohliche ist aber auch, dass eine ganze Reihe wichtiger Staaten abseits stehen, das heißt, den Angriffskrieg zwar nicht unterstützen, ihn aber auch nicht verurteilen. Einen solchen Angriff auf die Werteordnung der Völker hat es bisher seit 1945 noch nicht gegeben.
Wie kann der Sicherheitsrat reformiert werden? Man kann doch nicht zulassen, dass Russland die Resolutionen zum eigenen Krieg weiter blockiert?
Der Sicherheitsrat ist ein Produkt der Nachkriegszeit. Wichtige Kontinente wie Afrika oder Südamerika sind überhaupt nicht vertreten im wichtigsten Gremium, dem Sicherheitsrat, Indien auch nicht. Die Zusammensetzung stimmt nicht. Und es ist nicht mehr zu ertragen, dass ein Staat die Verurteilung seiner Aggression durch ein Veto verhindern kann, wie gerade im Falle Russlands erlebt. Oder nehmen Sie den Vernichtungskrieg in Syrien, den Russland zusammen mit dem Assad-Regime dort geführt hat: Mehrfach hat der Sicherheitsrat versucht, Frieden zu stiften – und mehrfach ist das am Veto Russlands und Chinas gescheitert.
Sie haben familiäre Verbindungen zu Russland und der Ukraine, schreiben von einer „emotionalen Bindung“: Ihre Mutter wurde in Moskau geboren, Ihr Großvater stammt aus Charkiw …
… und ich habe eine große Sympathie für viele Menschen, die ich in Russland kennengelernt habe. Ich kenne viele Vertreter der Zivilgesellschaft in Russland und bin ganz anderer Meinung als jene, die behaupten, Russland sei nicht demokratiefähig. Quatsch. Die jungen Menschen, die ich kennengelernt habe, denken genauso wie wir: Sie sind gut ausgebildet, wollen vorankommen, die Welt sehen. Durch die Digitalisierung sind sie, ganz anders als frühere Generationen, durch das Internet auch verbunden mit der Welt. Russland ist anders als Putin-Russland. Die Deutschen haben ja auch unter Beweis gestellt, dass ein anderes Deutschland gab und gibt als das Nazideutschland.
Sie schreiben in Ihrem Buch von einer historischen Konfrontation zwischen demokratischen und autokratischen Staaten. In den neunziger Jahren, nicht nur in den Schriften Francis Fukuyamas, gingen viele davon aus, dass sich die liberale Demokratie mehr oder minder durchsetzt. Was ist davongeblieben?
Es gibt ja Anzeichen, dass die Demokratie weltweit unter Druck gerät und schwächelt, auch im Westen. Denken Sie an die große Demokratie, die USA, die in der Amtszeit Donald Trumps einen enormen Rückschlag in dieser Beziehung erlitten hat. Allerdings hat sie sich wieder von ihm befreit. Aber es gibt keine Blöcke mehr, stattdessen sehen wir das interessante Phänomen, dass große Staaten wie Indien, Südafrika oder Brasilien ihre Rolle suchen. Ich meine, dass die Europäer hier eine Verantwortung haben, Brücken zu bauen. Diese Staaten bestimmt eine gewisse Zurückhaltung gegenüber US-amerikanischer Dominanz. Und wir Europäer könnten die Vermittlung übernehmen. Wir sollten die berechtigten Interessen dieser Staaten aufnehmen und an unsere eigenen Interessen binden. Nicht antiamerikanisch, aber eigenständig. Wir sollten alles tun, um die schwer beschädigte Weltordnung zu reparieren, als Gegengewicht gegen die imperiale Allianz, die Putin zu schmieden versucht. Wir sind inzwischen weltweit so vernetzt, so aufeinander angewiesen, dass wir verlässliche Regeln für ein Zusammenleben auf diesem Planeten mehr brauchen als je zuvor.
Menschenrechtspolitik sei immer Einmischung und müsse das auch sein, schreiben Sie weiter. Das sehen diese Staaten, vor allem China, anders. Was kann Deutschland da tun?
Kluge Politik machen. Menschenrechtspolitik bedeutet ja nicht, die Beziehungen abzubrechen. Russland ist ein Ausnahmefall, Putin ist nicht mehr vertragsfähig. Man denke nur daran, wie er wichtige Repräsentanten der Welt und uns alle vor der Aggression getäuscht und belogen hat, Die Chinesen dagegen sind viel pragmatischer, sie wollen eine regelbasierte Politik. Wie man den Menschen, die in Diktaturen verfolgt werden, helfen kann, ist von Staat zu Staat unterschiedlich – aber alle Mühe wert. Verurteilung alleine reicht nicht, man muss versuchen, die Dinge zu ändern. Das ist schwer genug und oft aussichtslos.
Sie sagen, die Chinesen seien pragmatischer. Putin galt vielen hierzulande lange Zeit auch als vergleichsweise pragmatisch. Wer hätte vor 2014 gedacht, dass er sich ernsthaft auf einen solchen nahezu mythologisch aufgeladenen Krieg einlässt? Kann man sicher sein, dass China in der Taiwan-Frage nicht irgendwann ähnlich agiert?
Die Taiwan-Frage ist ein besonderer Fall, ich weiß nicht, ob die Chinesen das riskieren. Taiwan ist in einer merkwürdigen Situation, von uns ja auch nicht diplomatisch, aber als schutzwürdig anerkannt. Aber insgesamt sind die Chinesen eine Handelsnation. Ihr System beruht auf Wohlstandswachstum. Gefährdet sie diesen Pfad, gefährdet sich die Regierung in Peking selbst. Daraus erwächst ein gewisser Pragmatismus. Russland ist hingegen eine Tankstelle mit Atomwaffen, ein reiner Energie-Exporteur. Ökonomisch verödet Russland, alleine schon durch die Flucht der begabten und gut ausgebildeten Menschen.
Sie selbst waren Staatssekretär im Kabinett von Bundeskanzler Willy Brandt, später Minister in der sozialliberalen Koalition. „Wandel durch Annäherung“ war das Motto der Brandt’schen Ostpolitik, „Wandel durch Handel“ später der deutschen China- und auch Russland-Politik …
Ja, das war zu viel, die ökonomische Abhängigkeit von Russlands Rohstoffen war zu groß. Man wird auch mit Staaten Handel betreiben, die nicht demokratisch geordnet sind. Denken Sie an den Helsinki-Prozess von 1975 in Beziehung zur früheren Sowjetunion. Man vereinbarte zwischen Ost und West Friedenssicherung, Handel und Menschenrechtsschutz. Wir müssen in Kontakt bleiben und Handel betreiben, aber sollten nicht davon ausgehen, dass dieser politische Systeme verändert. Das ist in der Regel nicht der Fall, schon gar nicht in China.
Demokratien sind auch aus dem Inneren heraus gefährdet: In Italien regieren Postfaschisten, Ungarn verabschiedet sich nach und nach vom Rechtsstaat. Man hat den Eindruck, der Demokratie fehle das Verständnis für wirksame Gegenmittel gegen Phänomene wie den Trumpismus in den USA oder den Bolsonarismus in Brasilien. Täuscht das?
Es gibt starke Kräfte, die Protest geltend machen, allerdings oft gemeinsam mit rechtsradikalen und antidemokratischen Strömungen, das stimmt. Aber in Italien würde ich abwarten. Viele Italien-Kenner sagen, das Land bliebe in Europa, das glaube ich auch. Die Suppe wird nicht so heiß gegessen wie sie gekocht wird.
Der frühere Ministerpräsident Romano Prodi hat jüngst im „Spiegel“ auf den Fall Jörg Haider aufmerksam gemacht. Als der Rechtspopulist in Österreich an der Macht beteiligt wurde, hat Europa scharf reagiert. Seiner Ansicht nach wohl zu scharf. Aber man könnte auch sagen: Wehret den Anfängen! Wie sehen Sie das?
Ja, es bleibt eine gar nicht zu verharmlosende Grundströmung, die demokratische Grundregeln und Weltoffenheit infrage stellt. Es gibt eine Tendenz der nationalen Abschottung, auch in Frankreich. Aber es gibt immer auch lokale Ursachen, wie in Schweden. Einige Grundtendenzen in diesen Staaten sind vergleichbar, die wird man kritisch beobachten müssen. Verletzungen demokratischer Spielregeln wie durch Orban und auch in Polen, darf Europa nicht hinnehmen,
Viele Ihrer Wegbegleiter, wie Burkhard Hirsch, sind verstorben. Generell können immer weniger Menschen von ihren Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg berichten, immer weniger können auch mahnen. Sind die Jüngeren bereit, die Verantwortung des „Nie wieder“ zu übernehmen?
Die Jahrzehnte seit 1945 sind auch Jahrzehnte des moralischen Wiederaufbaus. Wir haben eine geglückte Demokratie. Und das ermutigt mich, dass dies auch in anderen Ländern möglich ist. Ich sehe mit großem Optimismus in die Zukunft, getragen von der Feststellung: Der Mensch wird frei geboren. Wir alle werden frei geboren. In uns steckt der Wille zur Freiheit, er ist einfach nicht zu unterdrücken, egal wo ich zu Besuch war. Die Menschenwürde ist nicht totzukriegen.
17.11.2022 FR
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21.09.2022 07:17
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Wer wen und wann diskriminiert - wie Diskriminierung zu stoppen ist
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Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Ferda Ataman, spricht im Interview mit Markus Decker für die Frankfurter Rundschau heute über die versteckten Formen der Benachteiligung, nötige Reformen und Vorurteile.
Frau Ataman, es gibt viele Arten der Diskriminierung. Was ist denn verboten und was nicht?
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, einer Behinderung, der Religion oder Weltanschauung, wegen des Alters, der sexuellen Identität sowie aus rassistischen und antisemitischen Gründen. Doch das Gesetz muss reformiert werden. Es hat große Lücken. Zum Beispiel wird rassistische Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt durch Schlupflöcher im Gesetz legal. Oder: Viele Eltern erfahren Diskriminierung. Wir haben eine Studie dazu gemacht. Darin gaben 40 Prozent der Eltern an, dass sie am Arbeitsplatz diskriminiert werden, zum Beispiel, weil sie früher nach Hause müssen, um ihr Kind zu betreuen. Diese Form der Diskriminierung fällt nicht unter das Gesetz, gleiches gilt, wenn Arbeitnehmer Angehörige pflegen.
Das ist sicher nicht alles, oder?
Diskriminierung aufgrund des sozialen Status liegt mir sehr am Herzen. Wir haben immer wieder Fälle dazu, zum Beispiel, dass jemand eine Wohnung nicht bekommt, weil er oder sie staatliche Leistungen bezieht. Auch dieses Thema gehört ins Gesetz.
Sind manche Diskriminierungen nicht nachvollziehbar – etwa, wenn ein Arbeitgeber ein Interesse hat, junge Angestellte zu halten und ältere nicht?
Finden Sie? Arbeitnehmer:innen mit 50 Jahren haben in der Regel doch noch eine Arbeitsperspektive von 20 Jahren vor sich und sind sehr erfahren. Meist hat die Diskriminierung mit gesellschaftlichen Ressentiments und Vorurteilen zu tun. Die wirken bei Rassismus, bei Sexismus, und sie wirken ebenso beim Alter. Bis heute hält sich das Bild hartnäckig, dass Leute, die auf die 60 zugehen, fast schon in der Rente sind. Aber das ist längst nicht mehr so. Sie sind oft mittendrin im Leben oder wären es gerne, wenn man sie denn ließe. Das Thema will ich stärker angehen. Wir verhandeln das Thema Diskriminierung noch zu sehr als Minderheitenthema.
Wie meinen Sie das?
Das Gefühl, benachteiligt zu sein, kennen die meisten Menschen in Deutschland, das zeigt eine aktuelle Umfrage der Bertelsmann Stiftung. Wenn man sich die eben erwähnten Diskriminierungsgründe anschaut, hat das auch einen Sinn. Diskriminierung betrifft Frauen, Menschen mit Behinderung, Menschen aus Einwandererfamilien, queere Menschen besonders oft. Das allein sind schon mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Hinzu kommen junge Menschen und ältere, die aufgrund ihres Alters benachteiligt werden können. Zwischen diesen Lebensphasen kann man Diskriminierung erfahren, weil man Kinder bekommt, Eltern pflegt oder chronisch krank wird. Jeder kann im Laufe seines Lebens in eine Diskriminierungssituation geraten. Antidiskriminierungspolitik ist für alle da.
Und wie steht es um die Menschen aus Ostdeutschland?
Faktisch gibt es Benachteiligungen wegen der ostdeutschen Herkunft. Wir wissen, dass Ostdeutsche im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung deutlich seltener in Führungspositionen kommen. Auch sie stoßen also an die sogenannte gläserne Decke. Zudem verdienen sie oft weniger und sind einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt. Allerdings gibt es auch in der „alten“ Bundesrepublik Regionen, die stark unter einer hohen Arbeitslosigkeit und dem Strukturwandel leiden, wie das Ruhrgebiet. Deshalb sollten wir aus meiner Sicht eher über den sozialen Status als Diskriminierungsmerkmal nachdenken, statt einzelne Regionen ins Gesetz zu schreiben.
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30.08.2022 11:30
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Die Heuchelei zum Lehrermangel
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Um Geld zu sparen, entledigen sich viele Schulverwaltungen befristet beschäftigter Lehrkräfte, sobald das Schuljahr endet. Vor allem Vertretungslehrer im Angestelltenverhältnis werden für die Zeit der Sommerferien entlassen. Trotz des Lehrermangels halten einige Bundesländer an der Praxis fest, Lehrer mit befristeten Verträgen in den Sommerferien in die Arbeitslosigkeit zu entlassen. Dieser Trend zeichne sich "wieder deutlich ab", sagte die Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW, Marlis Tepe. Die Länder sparen dadurch Millionen ein.
Was für eine Heuchelei, wenn sich Vertreter der Kultusministerin dann vor die Kamera stellen und den Lehrermangel dramatisch beklagen. Wer die Anstellung von Lehrern und Lehrerinnen so schlecht behandelt und managt, muss sich Heuchelei und Unfairness vorwerfen lassen; Unfairness auch gegenüber den Schülerinnen und Schülern, die auf etlichen Unterricht verzichten müssen.
Wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur unter den Kultusministerien der Länder ergab, enden in Baden-Württemberg nach Angaben eines Sprechers des Kultusministeriums die Arbeitsverträge von 3.300 Lehrerinnen und Lehrern spätestens mit dem Beginn der Sommerferien. Sie weiter zu bezahlen, würde das Land 12,5 Millionen Euro kosten.
Aus einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit geht hervor, "dass die Zahl arbeitsloser Lehrkräfte regelmäßig in den Sommerferien stark ansteigt". Bundesweit meldeten sich demnach in den Sommerferien 2017 rund 4.900 Lehrkräfte arbeitslos. Die meisten Meldungen gab es in Baden-Württemberg (1.680), Bayern (860) und Niedersachsen (470). Auch im relativ kleinen Hamburg (260) sei das Phänomen besonders erkennbar gewesen.
Die tatsächliche Zahl der betroffenen Lehrer dürfte aber höher liegen. Nicht alle meldeten sich arbeitslos, sagte Gewerkschaftschefin Tepe. Nach den Sommerferien geht die Arbeitslosenzahl wieder zurück.
Tepes Angaben nach praktizieren das vor allem die südwestlichen Bundesländer so, Baden-Württemberg etwa und Rheinland-Pfalz. Das bedeute für die Betroffenen eine "totale Unsicherheit". Der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, bezeichnete die Sommer-Kündigungen als skandalös. "Junge motivierte Lehrkräfte werden damit als beliebig verschiebbare Manövriermasse missbraucht", sagte er der Bild-Zeitung. Er verlangte, dem Lehrermangel mit 50.000 Stellen zu begegnen.
Ein Sprecher des Kultusministeriums in Baden-Württemberg sagte, dass die befristete Beschäftigung dort mit drei Prozent aller Lehrer die große Ausnahme sei. Es handele sich um Vertretungslehrer, die bei längeren Krankheiten oder Ausfällen durch Mutterschutz und Elternzeit einsprängen. Die meisten Kultusministerien äußerten sich ähnlich. Wie viele Lehrer dieses Jahr betroffen sind, war aber vielerorts noch nicht klar.
Auch Referendare stehen laut Tepe in einigen Bundesländern in den Sommerferien zu Tausenden ohne Gehalt da. Nach GEW-Angaben haben die Nachwuchslehrer keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, weil sie als Beamte auf Widerruf während des Vorbereitungsdienstes nicht in der Arbeitslosenversicherung versichert seien.
Und dann fehlen massenhaft Lehrkräfte
Zum Schuljahresbeginn fehlen an den Schulen in Deutschland nach Einschätzung des Deutschen Lehrerverbands bis zu 40.000 Lehrerinnen und Lehrer. Die Unterrichtsversorgung habe sich in allen Bundesländern verschlechtert, sagte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger der Deutschen Presse-Agentur. „Bundesweit gehen wir von einer echten Lücke von mindestens 30.000, vielleicht sogar bis zu 40.000 unbesetzten Stellen aus.“
Die Situation, Stellen mit voll ausgebildeten Lehrkräften zu besetzen, habe sich „im Vergleich zum Vorjahr noch einmal deutlich verschärft“, sagte die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern. „Unterrichtsausfall gleich zu Beginn des Schuljahres ist bereits Tatsache, größere Lerngruppen, Zusammenstreichen von Förderangeboten, Kürzung der Stundentafel usw. sind an der Tagesordnung“, sagte Udo Beckmann, der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE).
Alarmmeldungen aus den Ländern
In 11 der 16 Bundesländer hat das Schuljahr inzwischen begonnen. Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland folgen nächste Woche, in der Woche darauf geht's in Bayern und Baden-Württemberg wieder los. Traditionell sind die beiden Südländer bei den Sommerferien die letzten.
Aus einzelnen Ländern kamen bereits die ersten Alarmmeldungen: In Bayern hieß es schon kurz vor den Sommerferien, dass im neuen Schuljahr Unterrichtsangebote gestrichen werden müssten, um genug Pädagogen als Klassenleiter zu haben. In der Bundeshauptstadt Berlin begann das Schuljahr mit so vielen Schülern wie nie, bei gleichzeitig 875 fehlenden Lehrkräften. Aus Sachsen hieß es zum Schuljahresbeginn von Kultusminister Christian Piwarz (CDU): „Insgesamt bleibt die Lage bei der Unterrichtsversorgung angespannt“.
Lehrerverbandspräsident Meidinger sagte, die bis zu 40.000 unbesetzten Lehrerstellen seien zwar eine Schätzung, da noch nicht in allen Ländern die Schule wieder begonnen habe. „Die bisher bekannten Zahlen sind aber dramatisch“, fügte er hinzu. Wie VBE-Chef Beckmann spricht auch Meidinger von Unterrichtsausfällen, gekürzten Stundenplänen, gestrichenen Zusatzangeboten bereits zum Schuljahresbeginn. In Deutschland gibt es mehr als 800.000 Lehrkräfte an Schulen und Berufsschulen.
Überlappende Probleme
Es gibt zwar seit Jahren Klagen über fehlende Lehrkräfte. Die Lage scheint sich aber zuzuspitzen, weil sich inzwischen mehrere Probleme überlappen:
Der allgemeine Fachkräftemangel schlägt auch im Schulbereich durch. Der geschäftsführende Direktor des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF), Kai Maaz, hatte im Juni von drohenden Verteilungskämpfen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt gesprochen. Obwohl Personalmangel herrscht, entscheiden sich laut Statistischem Bundesamt mehr Lehrerinnen und Lehrer für Teilzeit. Im Schuljahr 2020/2021 arbeiteten demnach knapp 40 Prozent nicht voll, die höchste Quote seit zehn Jahren.
Durch mehr Geburten und Zuwanderung steigen nach Angaben der Kultusministerkonferenz (KMK) die Schülerzahlen - es gibt momentan knapp elf Millionen Schülerinnen und Schüler in Deutschland. Dazu kommen inzwischen mehr als 150.000 Schüler aus der Ukraine. Politische Entscheidungen, wie der Ganztagsausbau, Vorgaben zu Inklusion oder Sprachförderung verstärken den Personalbedarf an den Schulen weiter. Es drohen weiterhin Personalausfälle durch Krankheit und durch Isolationsvorschriften im Falle einer Corona-Infektion. Schwangere Lehrkräfte fallen ebenfalls aus, weil für sie nach Meidingers Angaben wegen Corona fast überall ein Beschäftigungsverbot gilt. Auch das noch: Das Angebot an Quer- und Seiteneinsteigern schrumpft. „Auch hier ist der Arbeitsmarkt mittlerweile oft leergefegt“, sagte GEW-Chefin Finnern.
Die KMK setzt „derzeit einen wesentlichen Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die Fachkräftegewinnung“, wie deren Präsidentin Karin Prien (CDU) auf Nachfrage erklärte. Als mögliche kurzfristige Maßnahmen zur „Sicherstellung der verlässlichen Unterrichtsversorgung“ nannte sie den Einsatz von Vertretungslehrern und „im Einzelfall auch eine Zusammenlegung von Schulklassen“. Sie fügte hinzu: Man müsse nicht nur in einzelnen Jahren oder Wahlperioden denken, sondern die Entwicklung der Bildung auf zehn, zwanzig Jahre in die Zukunft denken.
Gegen den „Schweinezyklus“
Das fordern Lehrerverbände schon lange. Die Länder sollten ihrer Ansicht nach über Bedarf ausbilden und auch einstellen, um dem „Schweinezyklus“ entgegenzuwirken - ein Begriff aus der Wirtschaftswissenschaft: Wird mehr Schweinefleisch nachgefragt, weil sich Essgewohnheiten ändern oder die Bevölkerung wächst, wird in Schweinezucht investiert. Wenn schließlich mehr Schweine auf dem Markt sind, ist die Nachfrage vielleicht schon wieder gesunken. Dann gibt es ein Überangebot. Entsprechendes Nachsteuern in die andere Richtung führt in einiger Zeit wieder zum Mangel und so weiter.
Würde bei Lehrkräften über Bedarf ausgebildet und eingestellt, so die Idee, wäre bei steigenden Schülerzahlen genügend Personal da. Sinkt der Bedarf wieder und die Stellen werden nicht wieder abgebaut, könnte das „Überangebot“ für Qualitätsverbesserungen genutzt werden und stünde dann bei steigenden Zahlen wieder bereit. Allerdings beantwortet das nicht die aktuell brennende Frage: Wo soll das Personal herkommen? Ausgebildet und eingestellt werden können nur so viele Lehrkräfte, wie potenziell da sind und es konkurrieren viele Branchen um Nachwuchs.
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17.08.2022 09:02
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Über 5600 Antidiskriminierungsfälle in 2021 gemeldet – hohe Dunkelziffer
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Die Zahl der gemeldeten Fälle von Diskriminierungen in Deutschland bleibt auf hohem Niveau. Das zeigt der Jahresbericht 2021 der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, den die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, am Dienstag in Berlin vorgestellt hat.
Im Jahr 2021 gab es mehr als 5.600 Beratungsanfragen an die Antidiskriminierungsstelle, die mit einem vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschützten Diskriminierungsmerkmal zusammenhingen. Das ist der zweithöchste Wert in der Geschichte der Antidiskriminierungsstelle, die 2006 gegründet wurde. Der leichte Rückgang gegenüber dem Vorjahr (6383) ist auf weniger Anfragen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, insbesondere zur Maskenpflicht, zurückzuführen. Die Anzahl der Beratungsanfragen zu allen anderen Diskriminierungen blieb unverändert hoch.
"„Die Zahl der uns geschilderten Diskriminierungsfälle ist alarmierend. Sie zeigt aber auch, dass sich immer mehr Menschen nicht mit Diskriminierung abfinden und Hilfe suchen"“, sagte die Beauftragte bei der Vorstellung des Jahresberichts. Ataman appellierte an alle Menschen, die Diskriminierung erleben, dagegen vorzugehen – wenn nötig vor Gericht. An die Bundesregierung richtete sie die Forderung, Betroffenen bessere Möglichkeiten zu geben, ihre Rechte durchzusetzen – etwa durch eine Verlängerung der Fristen und durch ein Verbandsklagerecht. "„Das deutsche Antidiskriminierungsrecht muss endlich internationalen Standards entsprechen. Bisher schützt es nicht wirkungsvoll vor Diskriminierung. Die von der Koalition angekündigte AGG-Reform muss umfassend und zeitnah kommen“", sagte Ataman.
Für ihre Amtszeit kündigte im Juli gewählte Bundesbeauftragte zunächst folgende Schwerpunkte an:
Den Schutz vor Diskriminierung stärken: Dafür will sie die Reform des AGG begleiten, Rechtsgutachten vorlegen und Perspektiven von Betroffenen einbringen. Das AGG bekannter machen: Alle Menschen sollten ihre Rechte kennen und wissen, was sie gegen Diskriminierung tun können. Ein flächendeckendes Beratungsangebot gegen Diskriminierung schaffen: Dazu soll ein Förderprogramm mit den Ländern und der Zivilgesellschaft aufgebaut werden.
Beratungsstatistik im Überblick
2021 wurden der Antidiskriminierungsstelle des Bundes insgesamt 5.617 Fälle gemeldet, die mit einem im AGG genannten Diskriminierungsgrund zusammenhingen. Davon bezogen sich 37 Prozent der Fälle auf rassistische Diskriminierung. An zweiter Stelle folgte mit 32 Prozent das Merkmal Behinderung und chronische Krankheiten. Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts machten 20 Prozent der Anfragen aus, aufgrund des Alters 10 Prozent. 9 Prozent bezogen sich auf den Merkmalsbereich Religion und Weltanschauung und 4 Prozent auf die sexuelle Identität.
Die meisten Diskriminierungserfahrungen wurden im Arbeitsleben (28 Prozent) und beim Zugang zu privaten Dienstleistungen gemeldet (33 Prozent). In 37 Prozent der Fälle hat sich die Diskriminierung allerdings in einem Lebensbereich abgespielt, der nicht oder nur teilweise vom AGG geschützt ist. Der größte Anteil davon betrifft Benachteiligungen im Bereich des staatlichen Handelns, also beispielsweise durch Ämter, durch die Polizei oder die Justiz. Aber auch im Bildungsbereich, in den sozialen Medien oder im öffentlichen Raum wurden regelmäßig Benachteiligungen, diskriminierende Beleidigungen bis hin zu Gewalt erlebt und geschildert.
Mehr als 2.000 Anfragen hat das Beratungsteam erhalten, in denen Bezug auf ein Merkmal genommen wurde, das vom Diskriminierungsschutz im AGG nicht erfasst wird. Rechnet man diese zu den Fällen mit AGG-Merkmalsbezug hinzu, erhöht sich die Gesamtzahl der Anfragen auf 7.750 – und liegt damit auf ähnlichem Niveau wie 2020 (7.932 Anfragen) und deutlich über dem der Vorjahre (2018: 4220; 2019: 4247 Anfragen).
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28.07.2022 08:50
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Kommt endlich der Schutz für Whistleblower?
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Darauf mussten wir lange warten und ohne die Androhung einer Klage durch den Europäischen Gerichtshof hätte es die deutsche Politik auf eine noch längere Bank geschoben. Deutschland bringt nun einen Gesetzentwurf zum Schutz für Whistleblower und zur Einrichtung von Meldestellen in Unternehmen und Behörden auf den Weg. Dazu schreibt Markus Decker in der Frankfurter Rundschau heute (S. 13):
„Das Bundeskabinett hat am Mittwoch einen Gesetzentwurf gebilligt, der Bürgerinnen und Bürger, die Hinweise auf Missstände in Unternehmen oder Behörden geben, besser vor Kündigung und Mobbing schützen soll. Der Entwurf soll nun von Bundestag und Bundesrat beraten und beschlossen werden. Bei der Reform steht Deutschland unter Zeitdruck, denn es droht eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Eigentlich lief im Dezember eine Frist für die EU-Staaten aus, gemeinsame Regeln zum Schutz sogenannter Whistleblower in nationales Recht umzuwandeln.
Die Hinweise können Gesetzesverstöße gegen Umweltschutzvorgaben oder gegen Sicherheitsvorschriften sein. Die Meldestellen, an die sich die Whistleblower laut Entwurf künftig wenden können, müssen die Identität der Hinweisgeber vertraulich behandeln. Alle Arbeitgeber und Organisationen mit mindestens 50 Beschäftigten sollen eine solche Meldestelle einrichten müssen.
In einem Konzern soll es ausreichen, wenn es eine Meldestelle bei der Konzernmutter gibt. Für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sowie für jeden Hinweisgeber, der Bedenken hat, sich an eine interne Stelle zu wenden, will Justizminister Marco Buschmann (FDP) die Möglichkeit schaffen, beim Bundesamt für Justiz vorstellig zu werden.
Allerdings stößt der Entwurf von verschiedenen Seiten auf Kritik. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände schrieb bei Twitter, Hinweisgeberschutz sei wichtig, und Arbeitgeber könnten Fehler im Unternehmen am schnellsten beseitigen. Der Gesetzentwurf gehe aber „über die EU-Richtlinie hinaus und muss überarbeitet werden“. Konkreter wurde die BDA nicht.
David Werdermann, Projektkoordinator bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte, sagte: „Wer auf ein umfassendes Schutzgesetz für Whistleblowerinnen und Whistleblower gehofft hat, wird enttäuscht. Der Entwurf lässt viele Hinweisgebende im Stich und legt ihnen Steine in den Weg.“
So würden Meldungen nicht geschützt, wenn sie sich auf Fehlverhalten bezögen, das nicht gegen Rechtsvorschriften verstoße. „Dabei kann es auch bei solchem Fehlverhalten ein erhebliches öffentliches Interesse am Bekanntwerden geben“, betonte Werdermann. „Das zeigen etwa Missstände in der Pflege oder rechtsextreme Chats von Polizeibeamten, die oft keinen Straftatbestand erfüllen, aber trotzdem skandalös und schädlich für das Gemeinwohl sind.“
Geheimdienste seien überdies vollständig ausgenommen. Edward Snowden, der weltweite Massenüberwachung ans Licht gebracht habe, wäre demnach in Deutschland nach dem Gesetzentwurf nicht geschützt. „Hier wird angeblichen Sicherheitsinteressen einseitig der Vorrang gegenüber der Presse- und Meinungsfreiheit eingeräumt.“
Schließlich fehle es auch weiterhin an abschreckenden Sanktionen für Unternehmen, wenn sie rechtswidrig gegen Whistleblower und Whistleblowerinnen vorgingen. „Bußgelder sind auf maximal 100 000 Euro beschränkt“, so Werdermann. „Unternehmen wie Volkswagen oder Wirecard bezahlen das aus der Portokasse.“
Die Abwehr gegen ein Whistleblowing-Gesetz aus der Wirtschaft, aber auch Teilen der Behörden und der Justiz ist heftig, sonst hätte sich der Vorgang auch nicht über Jahre hingezogen. Nun beginnt die heiße Phase und die Gegner laufen sich warm. Dabei ist der Entwurf schon so abgemildert, um nicht zu sagen: verwässert, dass keine wirkliche Weichenstellung zu erwarten ist.
"Siehe zur weiteren Kritik am Gesetesentwurf"
Bei Bedarf an Beratung und Hilfe: "Das Whistleblower-Netzwerk"
"Information"
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12.07.2022 14:15
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Raubbau an der Natur ungebrochen - Weltbiodiversitätsrat drängt auf Einsicht und Handlungsänderung
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Bericht des Weltbiodiversitätsrats IPBES Wissenschaftler kritisieren Profitgier zu Lasten der Natur Was ist uns die Natur wert? Dieser Frage haben sich laut Spiegel-Online nun Fachleute des Weltbiodiversitätsrats IPBES in einem Bericht angenähert: Fazit: Gewinnstreben schließt die Berücksichtigung der vielfältigen Werte der Natur häufig aus:
„Im Grunde weiß die Menschheit schon lange, dass es um die Natur oft nicht gutsteht. Doch beim Schutz dieser wichtigen Ressource steht sich der Mensch selbst im Weg, bemängeln Wissenschaftler. Ein verengter Blick auf die Natur und ökonomisches Gewinnstreben verhindern einem nachhaltigen Artenschutz, erklärte der Weltbiodiversitätsrat IPBES nun in Bonn zu einem Expertenbericht.
Die Art, wie Natur in politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen bewertet werde, sei ein Schlüsselfaktor der globalen Biodiversitätskrise – zugleich aber auch eine Chance, sie anzupacken, hieß es. Ein vorherrschender Blick auf kurzzeitige Gewinne und wirtschaftliches Wachstum schließe die Berücksichtigung der vielfältigen Werte der Natur häufig aus.
Umweltverbände äußerten sich zustimmend. Der Naturschutzbund (Nabu) erklärte, das Bruttoinlandsprodukt steige oft, wenn Natur vernichtet werde, etwa um eine Straße oder einen Damm zu bauen. »Kurzfristig profitieren wir von günstigen Preisen für ein T-Shirt oder einen Liter Milch. Doch langfristig gefährden wir damit unseren Wohlstand«, sagte Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger. Dieser hänge auch von intakten Ökosystemen ab.
Die Umweltstiftung WWF betonte: »Für die einen ist die Natur nur Lieferantin von Nahrung und Wasser, für die andern ist sie die schützenswerte Mutter Erde«. Politische Entscheidungen sollten in Zukunft die Vielfalt zwischen ethischen, ökonomischen und kulturellen Leistungen der Natur besser widerspiegeln. »Wir müssen dringend weg vom kurzfristigen und gewinnorientierten Denken, das Wachstum über alles andere stellt«, erklärte der WWF.
Bis zu eine Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht
Indigene Gruppen aus Südamerika begrüßten die Beschlüsse. »Wir feiern insbesondere die Empfehlung, unsere territorialen Rechte und unser traditionelles Wissen anzuerkennen, was für einen wirksamen Schutz des Amazonasgebiets unerlässlich ist«, erklärte José Gregorio Diaz Mirabal, Koordinator des Dachverbands der indigenen Gruppen im Amazonasbecken (Coica).
Den Bericht (»Values Assessment«) hatte ein Treffen mit mehr als 900 Vertretern der 139 IPBES-Mitgliedsstaaten am Samstag in Bonn gebilligt. 82 Experten aus 47 Ländern arbeiteten an dem Papier mit, das sich auf mehr als 13.000 wissenschaftliche Referenzen stützt. Laut einem schon 2019 veröffentlichten Papier dieses Gremiums sind bis zu eine Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht. Das Wirtschaftswachstum war als ein wichtiger Faktor genannt worden.
Laut dem neuen Report haben wirtschaftliche und politische Entscheidungen bestimmte Werte der Natur bevorzugt, die zum Beispiel der marktwirtschaftlich orientierten Nahrungsmittelproduktion nützlich sind. Damit werde aber nicht angemessen berücksichtigt, wie Eingriffe in die Natur sich auf die Lebensqualität von Menschen insgesamt auswirken. Außerdem werde übersehen, dass etwa Klimaregulierung und kulturelle Identität ebenfalls mit Natur zu tun haben.
Es gebe keinen Mangel an Ansätzen, um die Werte der Natur sichtbar zu machen. Woran es fehle, seien aber Methoden, mit der ungleichen Machtverteilung zwischen Gruppen umzugehen und die verschiedenen Werte der Natur in politische Entscheidungen einzubeziehen.
Studie über invasive Arten geplant
Mitautorin Patricia Balvanera aus Mexiko erklärte, angesichts der globalen Biodiversitätskrise sei eine Verlagerung von Entscheidungen hin zu den vielfältigen Werten der Natur wichtig. »Dies bedeutet auch eine Neudefinition von Entwicklung und guter Lebensqualität«, sagte Balvanera. In Bonn beschlossen wurde ein neuer IPBES-Bericht zum Thema Wirtschaft und Biodiversität, der 2025 fertiggestellt sein soll. Im kommenden Jahr soll eine Studie über invasive Arten vorgelegt werden“.
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01.07.2022 14:40
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Greenwashing in großem Stil? Finanzprodukte in der Klimakrise noch nicht ehrlich genug
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Finance Watch fürchtet die Diskreditierung des Emissionsziels. Deshalb schlägt die NGO jetzt strengere Regeln vor. Antje Mathez schreibt dazu in der Frankfurter Rundschau (1.7.22, S. 14):
Ob aus der Wirtschaft oder der Politik – fast täglich werden Netto-Null-Emissionsziele (Net Zero targets) verkündet. Manche Unternehmen oder Kommunen führen sie neu ein, manche sind schon weiter, verschärfen ihre Vorgaben für den Klimaschutz. Denn: Ein grünes Image heften sich alle gerne an. Das mögen Anlegerinnen und Kunden. Doch da es bislang keine allgemeingültige Definition gibt, unterscheiden sich die Details hinter dem Netto-Null-Label enorm. Manche Ankündigungen beziehen sich nur auf Kohlendioxid, andere auf alle Treibhausgase. Manchmal werden gar keine echten Reduktionen angestrebt, sondern nur Kompensationsmaßnahmen. Ein großes Durcheinander.
Vergangene Woche haben die Mitglieder des Europäischen Parlaments und die Regierungen der Europäischen Union zwar für mehr Transparenz gesorgt und die verpflichtende Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen auf den Weg gebracht. Die Regulierung greift aber erst – je nach Art des Unternehmens – ab 2024 bis 2026 und ersetzt mit Sicherheit keine Einigung auf ein paar grundlegende Definitionen in Sachen Nachhaltigkeit.
Netto-Null als Greenwashing-Instrument?
Finance Watch warnt nun, dass die Bezeichnung Netto-Null als Greenwashing-Instrument diskreditiert zu werden droht, und fordert eine Verschärfung der Vorschriften. Die Nichtregierungsorganisation veröffentlichte dazu am Donnerstag den Bericht „The Problem lies in the net“ (Das Problem ist das Netto), der Empfehlungen an die politischen Entscheidungsträger enthält. Sie sollen dafür sorgen, dass „sinnvolle Netto-Null-Ziele festgelegt und von den Finanz- und Nichtfinanzsektoren erreicht werden“.
Ziel des Labels Netto-Null solle nicht die Dekarbonisierung von Finanzportfolios oder die Rechtfertigung des „business as usual“ sein, „sondern die Dekarbonisierung der realen Welt, um eine Klimakatastrophe zu vermeiden“, erklärte Finance Watch zur Vorstellung des Berichts. Der Finanzsektor könne Nicht-Finanzunternehmen zwar zur Kohlenstoffneutralität drängen, doch würden konkurrierende Ziele und Messungen für Netto-Null zu Verwirrung führen.
Die gemeinnützige Organisation verweist auf „die jüngsten Greenwashing-Skandale“, womit vor allem die DWS gemeint sein dürfte. Der Vermögensverwalter der Deutschen Bank hatte sein Produktportfolio wohl grüner dargestellt, als es ist. Diese Skandale würden zeigen, dass der Mangel an Klarheit zu irreführenden Behauptungen führen könne, die der Glaubwürdigkeit der Netto-Null-Ziele schadeten.
Netto-Null-Emissionen und Klimaneutralität sind zwei Unterschiedliche Label
Aber was heißt eigentlich Netto-Null? Netto-Null bedeutet laut Weltklimarat, dass alle durch Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen durch Reduktionsmaßnahmen wieder aus der Atmosphäre entfernt werden müssen und somit die Klimabilanz der Erde netto, also nach den Abzügen durch natürliche und künstliche Senken, Null beträgt. Auf Unternehmensebene ist das ein ehrgeiziges Ziel, das sich theoretisch auf die gesamte Organisation und ihre Wertschöpfungskette bezieht. Es besagt, dass auch die indirekten Emissionen von den Lieferanten bis hin zu den Verbraucher:innen reduziert werden müssen. Da das aber ein komplexes Unterfangen darstellt in einer Welt, in der Firmen nicht ihre gesamte Wertschöpfungskette kontrollieren können, werden die dort anfallenden Klimagase, sogenannte Scope-3-Emissionen, bislang nicht in die Berechnungen einbezogen.
Nicht zu verwechseln ist Netto-Null mit dem Label der Klimaneutralität. Es besagt, dass die Emissionen für einen Unternehmensstandort, ein Produkt, eine Marke oder eine Veranstaltung so weit wie möglich reduziert und der verbliebene CO2-Ausstoß kompensiert wurde.
Finance Watch fordert mehr Regulierung und Kontrolle
Zur Ruf-Rettung von Netto-Null empfiehlt Finance Watch einen verstärkten Regulierungsrahmen. Danach sollen Finanzinstitute unter anderem nur dann den „Netto-Null-Status“ beanspruchen können, wenn sie mindestens eines von drei Finanzprodukten mit Bezug zum Klimawandel verkaufen. Für die Realwirtschaft fordert der Bericht in erster Linie eine Pflicht zur Umsetzung von Übergangsplänen, die sich auf die Reduzierung der absoluten Treibhausgasemissionen einschließlich der Scope-3-Emissionen konzentrieren sollten. Die jeweiligen Ziele müssten von den Aufsichtsbehörden kontrolliert und durchgesetzt werden können. Thierry Philipponnat, Chefökonom von Finance Watch, kommentierte: „Der Begriff „Netto-Null“ kann nur dann sinnvoll sein, wenn wir ihn genau definieren und ihn nutzen, um politische Maßnahmen und Praktiken durchzuführen, die sich in der Praxis auswirken werden.“
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01.04.2022 10:02
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Wenn Rechte den digitalen Faschismus verbreiten - und viele ihm auf den Leim gehen
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Der internationale Rechtspopulismus und Rechtsextremismus bemächtigt sich der vormals klassisch linken Themen und Begriffe für seine reaktionäre Agenda. Der Medien- und Genderforscher Simon Strick über den digitalen Faschismus, seine Untergangsszenarien und seine Beschwörung einer „Normalität“ in der Frankfurter Rundschau vom 23.2.22 S. 26f.:.
„Dem Faschismus geht es gut – er ist Meme, Konsumgut und Gefühlswelt geworden.“ Sagt Simon Strick in seinem aktuellen Buch. Im Kampf um die kulturelle und politische Hegemonie nutzt die Neue Rechte diesseits und jenseits des Atlantiks die Chancen und Angebote der Social-Media-Welt. Online wie offline entwirft der Digi-Faschismus Erlebniswelten und Kommunikationsräume, in denen sich vermeintlich Abgehängte, Bedrängte und Verunsicherte aufgehoben fühlen – geschützt vor einer beschleunigten, immer komplexeren Welt, in der die weiße Mehrheitsgesellschaft um ihre Privilegien fürchtet“. Das Interview führt Klaus Walter:
„Herr Strick, in Ihrem Buch analysieren Sie eine breite Palette rechter Gefühle. Gibt es da einen Gefühlskern, einen gemeinsamen Nenner der Emotionen, der diese Leute verbindet?
Der Kern ist aus meiner Sicht ein Gefährdungsgefühl, Bedrohung, Unterdrückung. Diese Gefühle werden aber, und das ist zentral, für Bevölkerungsgruppen aufgerufen, die in der Mehrheit sind, also generell nicht marginalisiert, sondern privilegiert sind: Weiße, Männer, Konservative, Herkunftsdeutsche und so weiter.
Digitaler Faschismus, ein großes Wort! Ich denke an gedrillte Männer in schwarzen Uniformen und hochglanzpolierten Stiefeln. Mussolinis Faschismus war eine nach dem Führerprinzip organisierte, rechtsradikale Bewegung. Ähnlich hierarchisch funktionierte der Nationalsozialismus in Deutschland. Wie verhält sich dazu der digitale Faschismus von heute?
Ich finde es wichtig, die Unterschiede zu betonen. Wir verstehen den Faschismus oder das Rechtsradikale generell als Top-down-Bewegung: ideologische Führer oben, die auf autoritäre Charaktere treffen, die diese Führerfiguren verehren und denen blind folgen. So wird generell auch der Rechtspopulismus beschrieben. Im digitalen Zeitalter funktionieren diese Autoritätsverhältnisse nicht mehr. Da kann jede(r) die persönliche Agitation im Netz machen und Ideologie an allen möglichen Orten verbreiten. Diese Bewegung von unten, das Bottom-up – das ist der entscheidende Unterschied durch die Bedingungen der sozialen Medien. Es vollzieht sich weniger blindes Folgen und Gehorchen, sondern man partizipiert an Erzähl- und Erklärungsmustern, die gemeinsam plausibel gemacht werden. Ideologisch propagiert der Faschismus noch immer weiße Vorherrschaft und eine rassistische Weltordnung – nun aber eher durch User auf Facebook als durch ein Propagandaministerium.
Partizipieren statt gehorchen, kommunizieren, assoziieren, Geschichten produzieren und miteinander teilen. In Ihrem Buch entwerfen Sie ein Bild von rechten Erlebniswelten, in denen nicht mehr das Prinzip Befehl und Gehorsam gilt. Schon gar nicht: blinder Gehorsam. Denn ein wichtiges Element in diesen Kommunikationsräumen ist das Visuelle. Fotos, Bilder, Cartoons, Memes. Viele dieser visuellen Elemente sind abgebildet in „Rechte Gefühle“, auch ein Wahlplakat der AfD von 2018. Was sehen wir da?
Wir sehen eine schwangere weiße Frau, die auf einer Wiese liegt. Ihr Bauch steht im Zentrum des Bildes, darüber der Slogan: „Neue Deutsche machen wir selber, trau dich Deutschland. AfD.“
Was sagen Sie als Genderforscher dazu?
Neue Deutsche sollen weiße Deutsche sein. Das ist nicht viel anders als die Reproduktionspolitik im Nationalsozialismus: Kindermachen als deutscher weißer Widerstand gegen eine überfremdete Welt, gegen undeutsche Horden, für arischen Lebensraum und Zukunft. Die AfD formuliert hier die rechte Welterklärungsformel vom sogenannten großen Austausch. Nach dieser Theorie werden weiße Menschen in weißen Mehrheitsgesellschaften wie den USA oder Deutschland allmählich verdrängt. Sie werden – wie die AfD sagt – überfremdet. Dieser große Austausch rekurriert einerseits auf den demografischen Wandel, den es tatsächlich gibt. In den Agitationen des digitalen Faschismus ist dieser Wandel aber mit Untergangsszenarien konnotiert: Verlust einer angeblich angestammten Kultur, Unterdrückung von weißen Menschen oder auch das antisemitische Narrativ, dass dieser Austausch von geheimen Eliten gesteuert wird. Danach wird ein koordinierter Kampf gegen weiße Mehrheitsgesellschaften geführt, der diese zu multikulturellen Gesellschaften macht. Weiße werden zur Minderheit, zur bedrohten Volksgruppe. Mit Migrationszahlen und Geburtenstatistiken werden die entsprechenden Ängste getriggert, zugleich wird Kinderkriegen von Herkunftsdeutschen als völkischer Widerstand stilisiert. Ein Wechselspiel von diffusem Unbehagen und White Empowerment. Auf diesem Feld arbeiten die Akteure des digitalen Faschismus im Netz.
Aus der Alltagskultur kommt ein weiteres Meme in Ihrem Buch. Was sehen wir da?
Eine weiße Frau und ein weißer Mann um die dreißig in einem außergewöhnlich weißen Raum. Die beiden formen eine Gruppe mit der Jungfrau Maria, einem Josef und dem Jesuskind. Der Mann nimmt die mütterliche Position ein, hält aber kein Kind in den Armen, sondern einen Hund. Darüber steht eine Textbotschaft in Form eines Countdowns: Deine Urgroßmutter hatte zwölf Kinder, deine Großmutter hatte sechs Kinder. Deine Mutter hatte zwei Kinder. Du hast eine Abtreibung und einen Hund.
Die Weißen sind auf den Hund gekommen?
Für die Rechten ist die Entscheidung für den Hund und eine Abtreibung Volksverrat. An diese Text-Bild-Kombination schließen sich alle möglichen rechtsextremen Erzählungen oder Spielweisen an: Der große Austausch wird als Verfall der Geburtenraten erzählt. Die Urgroßmutter habe mit ihren zwölf Kindern noch Volk und Familie gedient. Dass sie weder wählen noch Geld verdienen oder gar abtreiben durfte, wird natürlich nicht erwähnt. Darauf folgt die Regression: statt für Kinder entscheide sich die moderne Frau für einen Ersatzhund und eine Abtreibung. In diesem Meme wird der Feminismus als reproduktive Selbstbestimmung zur Zielscheibe: Er sorge sowohl dafür, dass keine weiße Fortpflanzung mehr stattfinde, als auch dafür, dass die Geschlechterrollen unklar würden. Im Bild hält der Mann den Hund wie ein Baby. Für die Rechten ist das ein Bild des Niedergangs: Aussterben der Weißen, Feminisierung der Männer, Perversion der Familie. Schuld an allem: der Feminismus.
Das Private ist politisch! Das war eine Parole der feministischen Bewegung. Im digitalen Faschismus wird das Private von rechts politisiert, vor allem der Körper der Frau wird zum Schauplatz von Kulturkämpfen. Ist das eine Spezialität der Neuen Rechten: die Adaption und Umkehrung linker oder feministischer Errungenschaften und Strategien? Ich denke da an die Parolen gegen das Impfen. Da läuft ein Mann mittleren Alters mit einem Schild herum, auf dem steht: „Mein Körper gehört mir.“ Eine kulturelle Aneignung der speziellen Art: „Mein Bauch gehört mir“ war der zentrale Slogan der Bewegung für das Recht auf Abtreibung. Ein Amoklauf der Zeichen?
Das ist ein Kennzeichen digitaler Kommunikationen, das Spiel mit verfügbaren Zeichen und Bildern. Die Rechten haben lange geübt, und eine Bewegung ist die Übernahme emanzipatorischer Rhetorik, wie der des Feminismus. Aus ihrer Sicht geht es ja um die Emanzipation einer Minderheit, den Freiheitskampf der angeblich unterdrückten weißen Männer. Daher hat mich der Boom der sogenannten Querdenker nicht überrascht. Es gibt ein rechtes Klima, das sich seine Anlässe sucht. Corona hat eine gesellschaftliche Situation geschaffen, an der sich Bedrohungsgefühle, Gefühle der Unterdrückung sehr gut anschließen können. Die Überforderung durch die Pandemie ist uns allen gemeinsam, viele haben sie damit beantwortet, Rücksicht zu nehmen und über gesellschaftliche Abhängigkeiten nachzudenken. Die Querdenker:innen und die mitdemonstrierenden Neofaschist:innen haben ein anderes Reaktionsmuster: Wir – Weiße, Deutsche, Gesunde, Arbeiter:innen und so weiter – werden gerade unterdrückt und ausgetauscht.
Menschen fühlen sich vielfach bedroht: Corona, Political Correctness, Cancel Culture, Migration, Feminismus, neue Geschlechter, neue Sprachregelungen, und, der Gipfel: Gender Studies, Gendersprache. Warum sind diese allergischen Affekte ausgerechnet hier so ausgeprägt?
Via Genderstern kann wunderbar das Narrativ des Kulturverfalls in die breite Gesellschaft getragen werden, die Gender Studies können dann als vermeintlich ideologische Wissenschaft denunziert werden. Dabei geht es um sehr viel mehr als nur das Sternchen. Wir Genderforscher:innen beschreiben Geschlechterrollen und Geschlechtsmuster in verschiedensten Arten und Weisen. Wie sich das historisch verändert hat, wie Gesellschaft vergeschlechtlicht, dass Frauen lange nicht wählen durften oder nur bestimmten Arbeiten nachgehen konnten und immer noch können. Allgemein formuliert Genderforschung also Fragen, die mit allen Menschen etwas zu tun haben, also sowohl gesellschaftlich als auch persönlich wahrgenommen werden können. Jede(r) hat ein Geschlecht und lebt in einem Geschlechtersystem. Darüber wissenschaftlich zu sprechen, erleben nun viele so, als ob die Gender Studies den Leuten das Geschlecht wegnehmen wollen, was uns völlig fernliegt. Oder dass wir zwangsweise den Glottisschlag einführen wollen. Das ist weitgehender Unsinn und eine Verkürzung der Bedeutung von „Gender“, die aus meiner Sicht der Kulturkampf von rechts bereits angerichtet hat.
In Ihrem Buch verorten Sie den Widerstand gegen das Gendern politisch eindeutig: „Anti Genderismus ist rechter Gefühlskitt.“ Ich kenne viele Leute, die das Gendern vehement ablehnen, die sich aber ebenso vehement dagegen wehren würden, als Rechte bezeichnet zu werden. Sind das alles Rechte, ohne es zu wissen?
Der Antigenderismus ist eine Diskursfigur, an der alle möglichen Akteure Anschluss finden: ob jetzt rechtsextrem oder nur rechts oder noch gar nicht entschieden. Da wird ein totalitäres System imaginiert, das den Leuten ihre Freiheiten nehmen will als ganz normaler Mensch, als ganz normaler Bürger. Im Parteiprogramm der AfD steht, dass die Gender Studies aus den Universitäten verschwinden sollen, weil sie ein ideologisches Unternehmen seien.
Apropos normaler Bürger. Immer mehr Politiker und Politikerinnen berufen sich auf eine ominöse Normalität und den „Normalbürger“, von Olaf Scholz bis Sahra Wagenknecht, von Norbert Röttgen bis zur AfD mit ihrem Slogan: „Deutschland. Aber normal“ …
… ein einflussreicher und sehr gut gewählter Slogan.
Was ist daran gut gewählt?
Der Slogan macht aus der Position „normaldeutsch“ eine scheinbar bedrohte, was sich aus dem „aber“ ableitet. „Normal“ heißt hier natürlich weiß, heterosexuell, herkunftsdeutsch. Der Slogan vermittelt präzise das Gefühl, das die neue Rechte auslösen will: Diese angeblich „normalen Deutschen“ seien irgendwie marginalisiert. Die Normalität, die da beschworen wird, suggeriert einen Zustand des Lebens, der außerhalb gesellschaftlicher Verhältnisse, außerhalb von Politik stattfindet. Sozusagen ein Ruheraum des Lebens, wie man sich das in den 50er Jahren gerne vorgestellt hat, als quasi natürliche Ordnung. Die Frauen sind lieber zu Hause, die Männer müssen arbeiten gehen. Das sind Gefühle des Unpolitischen, die verteidigt werden möchten.
Die Sehnsucht nach dem Ruheraum des Lebens, die Angst vor dem Verlust des gewohnten Lebens, auch die Angst vor dem Verlust von Privilegien, das bezeichnen Sie als rechte Gefühle. Steht da wirklich der Faschismus vor der Tür? Sind Sie da nicht allzu alarmistisch?
Verlustängste haben sicher alle, und viele Menschen in Deutschland haben bereits viel verloren. Es ist aber der Rechtsextremismus, der die Erzählung anbietet, das „Normale“ – das weiße, konservative, geschlechtskonforme, herkunftsdeutsche Deutsche – sei in Gefahr und drohe verdrängt zu werden. Alarmismus kann man mir gerne vorhalten, und sich dann noch mal die Gewaltstatistiken zum Rechtsextremismus anschauen, die Anschläge und die Migrationsdebatten. Auf die Frage „Steht der Faschismus vor der Tür?“, frage ich zurück: welche Tür? Und welcher Raum soll das sein, wo es noch keinen Faschismus gäbe oder nur vereinzelte Rechtsextreme oder Rassismus nur ein persönliches Problem einiger Dummer wäre? Der Faschismus ist nicht weit weg, nicht so extrem außen, wie der Extremismusbegriff impliziert. Und er war es auch nie. Die Mehrheitsgesellschaft hält oft an diesem Bild fest: Oh, da gibt es plötzlich Hate Speech. Plötzlich gibt es einen Rassisten. Nichts passiert plötzlich, Rassismus und Sexismus sind Alltag in deutschen Strukturen, von denen Mehrheitsdeutsche eben profitieren. Ich schlage für diese rechte Agitation und ihre Flächeneffekte ein anderes Bild vor: nicht der plötzliche Angriff, sondern die Klimaveränderung. Der rechte Kulturkampf will das Klima der Gesellschaft ändern. Sie nennen das Metapolitik: die Ideologisierung des Alltags und der Begriffe, mit denen wir reden. Warum geht es mir gerade schlecht? Warum hast du gerade Probleme mit deinem Partner, auf der Arbeit? Das sind banale emotionale Punkte, an denen rechte Agitation ansetzt. Und sie liefert griffige Antworten und Welterklärungsformeln: Warum der große Austausch daran schuld ist, wie es uns gerade geht.
Was tun? Wie können wir den digitalen Faschismus stoppen?
Eine gute Frage, auf die ein weißer Deutscher wie ich allein keine Antwort geben kann. Ich wünsche mir breite gesellschaftliche Allianzen und diversere Öffentlichkeiten, die andere, bessere und weniger tödliche Antworten geben. Wen Sie mit „wir“ meinen, ist sehr wichtig. Aber ich antworte mal mit einer Beobachtung im Anschluss an mein Buch: Die rechten Provokationen, die ich 2014 in irgendwelchen abseitigen Internetforen wie 4Chan gefunden habe, höre ich heute etwas ausführlicher ausgedrückt in deutschen Medien. Wenn der Publizist Jan Fleischhauer damit provozieren will, Hitler hätte den Sozialstaat erfunden, dann imitiert er Memes und Diskursmanöver, die das rechte Internet seit Jahrzehnten erfolgreich ausschlachtet. Es hat sich eine beispiellose Ausbreitung digitaler Agitationsstrategien in den journalistischen Mainstream und in die Breite der Gesellschaft ereignet. Rechte Metapolitik schreitet voran, die Gewaltbereitschaft und -akzeptanz folgt ihr. Daher die Rückfrage: Wie will der Journalismus diese Entwicklung stoppen?"
Zur Person: Simon Strick, Jahrgang 1974, ist Medien- und Genderforscher am Brandenburgischen Zentrum für Medienwissenschaften in Potsdam. Seine Forschungs- und Lehrtätigkeit konzentriert sich auf Gender- und Rassismustheorien, Populäre Kulturen, Affect Studies, Medien- und Kulturanalyse. Mit Susann Neuenfeldt und Werner Türk gründete er 2009 das Performancekollektiv Panzerkreuzer Rotkäppchen. Simon Strick lebt in Berlin. Sein aktuelles Buch „Rechte Gefühle - Affekte und Strategien des digitalen Faschismus“ ist im transcript Verlag erschienen (480 S., 34 Euro).
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09.03.2022 09:50
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Neue Studie zu Lieferketten - Grenzenlose Ausbeutung: Wie Supermärkte von Hungerlöhnen und Akkordarbeit profitieren
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Katastrophale Arbeitsbedingungen und ausbeuterische Verhältnisse – die neue Studie „Grenzenlose Ausbeutung“ von Oxfam deckt massive Arbeits- und Menschenrechtsverstöße auf Ananas-, Bananen- und Traubenfarmen in Costa Rica und Südafrika auf. Besonders betroffen: Arbeitsmigrant*innen. Oxfam schreibt und fragt:
"Profitieren deutsche Supermärkte von ausbeuterischen Verhältnissen entlang der Lieferkette? In einer aufwendigen Recherche sind wir dieser Frage nachgegangen und sind den Spuren von den Regalen bis zu Farmen und Anbaugebieten gefolgt. Das Ergebnis ist erschreckend: Menschenrechtsverstöße sind an der Tagesordnung. Sie konnten in Lieferketten aller großen deutschen Supermärkte nachgewiesen werden. Das zeigt unsere neue Studie „Grenzenlose Ausbeutung“.
Hungerlöhne und Akkordarbeit auf Plantagen
Die Löhne der Arbeiter*innen sind extrem niedrig. Keine der befragten Personen im Ananas-Sektor bekam den in Costa Rica festgelegten Mindestlohn, auf einer Edeka-Zulieferplantage waren es sogar nur 4,50 Euro pro Tag. In Südafrika verdient knapp die Hälfte der für die Studie befragten Arbeiterinnen weniger als den Mindestlohn von 194 Euro pro Monat. In beiden Ländern ist Akkordarbeit mit mehr als zwölf Stunden für die Arbeiter*innen an der Tagesordnung.
Arbeiterinnen im südafrikanischen Wein und Tafeltraubenanbau berichten, dass sie zu sexuellen Handlungen genötigt werden, um eine Arbeitsstelle zu bekommen. Sie sind außerdem giftigen Pestiziden ausgesetzt und haben während der Arbeit keinen Zugang zu Toiletten und Trinkwasser.
Wenn sich die Menschen gegen diese Missstände wehren, werden sie massiv unter Druck gesetzt. Gerichtsurteile aus Costa Rica belegen die unrechtmäßige Entlassung von Gewerkschaftsmitgliedern auf einer Ananasplantage, die Rewe und Lidl beliefert und von Rewe sogar ausdrücklich als vorbildlich beworben wird. Arbeiter*innen berichteten uns, dass selbst Familienangehörige von Gewerkschaftsmitgliedern entlassen werden.
Besonders schwierig ist die Situation für migrantische Arbeitskräfte, die ständig Angst haben müssen, abgeschoben zu werden und die deshalb von Gewalt und Ausbeutung noch stärker betroffen sind.
Supermärkte spielen ihre Marktmacht aus In Deutschland teilen sich die vier großen Supermarktketten (Rewe mit Penny, Aldi Süd und Nord, Edeka mit Netto und die Schwarz-Gruppe, zu der Lidl und Kaufland gehören) 85 Prozent des Lebensmitteleinzelhandels.
„Mit dieser Marktmacht üben die Supermärkte massiven Druck auf Lieferanten und Produzenten aus: Nur wer im Einkauf billig ist, kommt ins Supermarktregal“, erklärt Tim Zahn, Oxfam-Experte für Wirtschaft und Menschenrechte und einer der Autoren der Studie.
Steffen Vogel, Oxfam-Experte für globale Lieferketten und ebenfalls Mitautor der Studie, ergänzt: „Während Arbeiterinnen mit Hungerlöhnen abgespeist werden, machen die Supermärkte auf ihre Kosten satte Gewinne.“
Was eine Plantagenarbeiterin in Costa Rica in einem Jahr verdient, streicht Lidl- und Kaufland-Eigentümer Dieter Schwarz in sechs Sekunden ein.
Das sieht man auch an den Preisen im Supermarkt: Von einer Flasche Wein, die für 3 Euro verkauft wird, kommen nur circa drei Cent bei den Farmarbeiterinnen in Südafrika an. Die Anteile am Verkaufspreis von Tankwein aus Südafrika. 51,7 % verdient der Einzelhandel, 1,2 % gehen als Löhne an die Arbeiter*innen (Quelle: Berechnungen für Wein nach Daten von VinPro, UN Comtrade, UNCTAD, OECD, DeStatis (2019).
Supermärkte müssen endlich Verantwortung übernehmen
Eins ist klar: Es muss sich etwas ändern. Wir fordern von den Supermärkten daher,
für die Einhaltung der Menschenrechte in ihren Lieferketten zu sorgen; ihren Zulieferern gerechte Preise zu zahlen, anstatt enormen Preisdruck auszuüben; die Zahlung existenzsichernder Löhne bei Erzeuger*innen sicherzustellen.
Auch die Bundesregierung ist in der Pflicht: Sie muss das 2021 verabschiedete deutsche Lieferkettengesetz ambitioniert umsetzen, damit es Betroffenen wirklich nutzt. Zudem muss sich die Bundesregierung für ein starkes EU-Lieferkettengesetz einsetzen, das Betroffenen von Arbeitsrechtsverletzungen Zugang zu effektivem Rechtsschutz verschafft.
Wir brauchen endlich ein Gesetz, das den Menschen und unserem Planeten wirklich nutzt!"
"Oxfam zu Lieferketten"
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24.02.2022 09:24
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Werden Unternehmen durch die EU ernsthafter mit einem Lieferkettengesetz in die Pflicht genommen?
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Die EU-Kommission will Firmen zwingen, Menschenrechte und Umwelt bei der Herstellung ihrer Produkte zu schützen. Sie geht viel weiter als Deutschland mit seinem Lieferkettengesetz. Damir Fras beschreibt heute in der Rundschau, was das Vorgehen der EU-Kommission für deutsche Unternehmen und für Menschenrechtsgeltung bedeutet.
„In Deutschland ist ein Lieferkettengesetz bereits beschlossen. Jetzt zieht die EU mit einem eigenen Gesetz nach. Große Unternehmen sollen künftig keine Gewinne mehr mit Produkten machen, die mit Hilfe von Kinder- oder Zwangsarbeit hergestellt werden, die Umwelt zerstören oder das Klima belasten. Das Gesetz folgt einer in den letzten Jahren immer intensiver geführten Debatte über uigurische Zwangsarbeit in chinesischen Arbeitslagern, die Zustände in Textilfabriken in Pakistan und Bangladesch und Umweltverschmutzungen der Ölindustrie in Nigeria. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach am Mittwoch bei der Vorstellung des Entwurfs in Brüssel von „einem starken Signal“ der EU: „Geschäfte dürfen niemals auf Kosten der Menschenwürde und der Freiheit gemacht werden.“ Was plant die EU genau? Ein Überblick.
Was müssen Unternehmen künftig leisten?
Die Firmen müssen nach dem am Mittwoch vorgestellten Gesetzesentwurf genau darauf achten, dass ihre ausländischen Produzenten, Zwischenhändler und Lieferanten nicht gegen Menschenrechte verstoßen oder die Umwelt zerstören. Konkret heißt das zum Beispiel: Ein deutsches Unternehmen, das Kakaobohnen vertreibt, muss sicherstellen, dass bei Anbau und Ernte der Bohnen keine Kinder eingesetzt werden. Die Lieferanten des Unternehmens, in diesem Fall zum Beispiel Reedereien, werden verpflichtet, Umwelt- und Klimastandards zu beachten.
Welche Unternehmen sind betroffen? In die Pflicht genommen werden Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mehr als 150 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Nach Angaben der EU-Kommission sind das etwa 9400 Unternehmen. Dazu kommen etwa 2600 Firmen, die ihren Sitz nicht in der EU haben, aber im EU-Binnenmarkt Geschäfte machen.
Die Auflagen sollen zudem für Firmen gelten, die mehr als 250 Beschäftigte und einen Jahresumsatz von mehr als 40 Millionen Euro haben, wenn sie mehr als die Hälfte des Umsatzes in sogenannten Risikosektoren machen. Dazu gehören die Textilbranche, die Landwirtschaft, der Mineralienabbau und die Ölförderung. Das trifft etwa 3400 Unternehmen aus der EU und 1400 Unternehmen, die ihren Hauptsitz nicht in der EU haben.
Kleinere Firmen sind von dem Lieferkettengesetz ausgenommen, aber indirekt davon betroffen, wenn sie etwa als Zulieferer für größere Unternehmen arbeiten.
Welche Strafen gibt es bei Verstößen gegen das Gesetz?
Das ist in dem Gesetz nicht genau geregelt. Die EU-Mitgliedstaaten sollen die Sanktionen festlegen, wenn es Verstöße gegen die Sorgfaltspflicht gibt. In dem Gesetz ist von einem Haftungsmechanismus die Rede, der Opfern von Menschenrechtsverletzungen den Zugang zu Gerichten erleichtern soll. Auch müssen Geschäftsführer:innen die Vorgaben des EU-Klimaplans in ihre Unternehmenspläne integrieren.
Wirtschaft und Menschenrechte
Ausgangspunkt für die menschenrechtliche Sorgfalt in globalen Lieferketten sind die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP). Nach diesen Prinzipien soll der Schutz der Menschenrechte weltweit in Form von „Nationalen Aktionsplänen“ (NAP) umgesetzt werden.
Deutschland verabschiedete im Dezember 2016 einen NAP zu Wirtschaft und Menschenrechten und vertraute dabei zunächst auf das freiwillige Engagement der Unternehmen, diesen entsprechend umzusetzen. Ein unabhängiges Monitoring zeigte aber, dass nur 17 Prozent der größeren Unternehmen die Anforderungen zur Beachtung der Menschenrechte erfüllten – weit weniger als das von der großen Koalition vorgegebene Ziel von mindestens 50 Prozent.
Der Bundestag verabschiedete daher am 11. Juni 2021 das innerhalb der Bundesregierung hart umkämpfte Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Wirtschaftsverbände gingen von Anfang an gegen eine solche Regulierung auf die Barrikaden.
Die Industrielobby BDI warnte vor einem „nationalen Sonderweg“ und forderte stattdessen ein EU-Rahmenwerk, um ein europäisches Level-Playing-Field – also gleiche Bedingungen für alle Firmen – zu schaffen. Aber auch gegen eine EU-weite Regulierung ziehen Wirtschaft und Arbeitgeber zu Felde, wie Recherchen des Global Policy Forum und von Misereor zeigen. Zentrales Ziel ist dabei, eine zivilrechtliche Haftung der Unternehmen bei Menschenrechtsverstößen und Sanktionen wie den Ausschluss von der öffentlichen Auftragsvergabe auszuschließen. tos
Was haben Verbraucher:innen von dem Gesetz?
„Verbraucherinnen und Verbraucher können aufatmen“, sagte die Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im Europaparlament, Anna Cavazzini (Grüne), dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Denn sie können sicher sein, dass die Produkte, die sie kaufen, dank der kommenden EU-Vorschriften nachhaltiger und fairer produziert werden.“
Welche Unterschiede gibt es zum deutschen Lieferkettengesetz?
Das deutsche Lieferkettengesetz, das von 2023 an gelten soll, gilt zunächst nur für Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten. Von 2024 an sinkt diese Schwelle auf 1000 Beschäftigte. Cavazzini sagte: „Der Vorschlag für ein europäisches Lieferkettengesetz geht bedeutend weiter als das deutsche Gesetz.“ Die neuen EU-Regeln zur Sorgfaltspflicht „sollen für viel mehr Unternehmen gelten und auch indirekte Zulieferer in der Wertschöpfungskette umfassen“. Der Vorschlag beinhalte konkrete Vorgaben zu umweltbezogenen Sorgfaltspflichten. „Vor allem aber enthält das europäische im Gegensatz zum deutschen Lieferkettengesetz Haftungsklauseln, die sicherstellen, dass Unternehmen vor EU-Gerichten zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie ihren Pflichten nicht nachkommen“, so Cavazzini.
Was ist die Kritik an dem EU-Vorschlag?
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) warnte vor einer Überlastung deutscher Unternehmen. „Es drohen enormer Aufwand und hohe Kosten – für vergleichsweise wenig Wirkung“, sagte DIHK-Präsident Peter Adrian. Ähnlich äußerte sich der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). „Der Entwurf droht Unternehmen zu überfordern. Angesichts der Größe der Herausforderung ist es falsch, die Aufgabe des Schutzes von Menschenrechten und Umwelt in dieser Form auf die Unternehmen abzuwälzen“, sagte Wolfgang Niedermark, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung.
Dagegen begrüßte das Bündnis „Initiative Lieferkettengesetz“, in dem Gewerkschaften und Umweltverbände vertreten sind, den Gesetzentwurf. Er gehe jedoch nicht weit genug. Auch kleinere Unternehmen müssten zu mehr Sorgfalt verpflichtet werden.
Wann tritt das EU-Gesetz in Kraft?
Der Gesetzgebungsprozess dauert anderthalb bis zwei Jahre. Danach haben die EU-Staaten zwei Jahre Zeit, um ihre Lieferkettengesetze anzupassen. Die schärferen Verordnungen dürften also in Deutschland nicht vor 2026 gelten“.
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23.02.2022 09:50
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Lieferkettengesetz muss strenger werden
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Auf größere Unternehmen in der EU könnten bald strengere Regeln gegen Menschenrechtsverstöße und Umweltzerstörung in ihren Lieferketten zukommen.
Die EU-Kommission stellt an diesem Mittwoch einen Gesetzesvorschlag vor, mit dem Firmen zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie nicht darauf achten, dass ihre Lieferanten sich an bestimmte Mindeststandards halten. In einem Entwurf heißt es, dass Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern betroffen seien. Für Branchen mit einem hohen Risiko für Verstöße gegen Arbeits- und Umweltstandards soll die Grenze bei 250 liegen. Der Entwurf liegt der Deutschen Presse-Agentur vor und kann noch geändert werden.
In Deutschland sind die Regeln weniger streng: Unternehmen mit mehr als 3000 Angestellten müssen ab 2023 sicherstellen, dass in ihren Lieferketten Menschenrechte eingehalten werden und die Umwelt nicht zerstört wird. Ein Jahr später sinkt diese Grenze auf 1000. Bei Verstößen sind Bußgelder und der Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen vorgesehen. Der Bundestag hat im vorigen Juni das entsprechende Gesetz verabschiedet. Sollten die EU-Länder und das EU-Parlament dem Vorschlag der Kommission zustimmen, müsste das deutsche Lieferkettengesetz voraussichtlich angepasst werden.
Über Lieferkettengesetze wird schon länger diskutiert. Größere Öffentlichkeit bekommt das Thema zumeist, wenn Missstände wie Kinderarbeit und Hungerlöhne in Entwicklungsländern ans Licht kommen oder es zu schweren Arbeitsunfällen kommt. So stürzte 2013 etwa in Bangladesch eine achtgeschossige Textilfabrik in knapp 90 Sekunden ein. Rund 1100 Menschen starben in den Trümmern.
Das aktuelle Lieferkettengesetz ist zu schwach. Das zeigt auch "Warum das Lieferkettengesetz derzeit zu schwach ist"
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06.12.2021 12:01
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Killerroboter sind schon im Einsatz - Kriege wahrscheinlicher und noch grausamer
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Künstliche Intelligenz (KI) verändert Kriege dramatisch und – macht sie wahrscheinlicher. Die UN nehmen wieder einen Anlauf für ein Abkommen gegen den kriegerischen Gebrauch von künstlicher Intelligenz. Darüber schreibt Jan Dirk Herbermann in der Frankfurter Rundschau (3.12., S. 7):
>>Mehr als sieben Jahre schon ziehen sich die internationalen Gespräche über Killerroboter bei den Vereinten Nationen in Genf hin. Weiterhin steht der eine entscheidende Schritt aus: eine klare Empfehlung an die Regierungen der Welt, mit Verhandlungen über ein Verbot der „tödlichen autonomen Waffensysteme“ zu beginnen. An diesem Donnerstag gingen die Beratungen von Diplomat:innen und Fachleuten im Rahmen der UN-Konvention über konventionelle Waffen in die nächste Runde. Eine Woche ist dafür veranschlagt.
Friedeninitiativen verlangen vehement die Ächtung der Kriegsmaschinerie, die ohne jede menschliche Kontrolle töten kann – und so den Krieg revolutioniert. „Die internationale Staatengemeinschaft muss endlich Verhandlungen für einen robusten, rechtlich bindenden internationalen Vertrag aufnehmen, um die Entwicklung und Verbreitung von Killerrobotern zu stoppen“, verlangt Mathias John von Amnesty International.
Kaum jemand glaubt an einen Erfolg der Konferenz
Doch einem Erfolg der Konferenz gibt kaum jemand eine Chance. Allenfalls könnten die Staaten das Mandat für die Beratungen verlängern – damit würden die Gespräche dann aber endgültig zur Farce. „Vielleicht wird noch ein Jahr drangehängt“, sagt Thomas Küchenmeister von der Internationalen Kampagne zum Verbot der Killerroboter.
Den Stillstand verantworten vor allem die großen Militärmächte USA und Russland. Sie sperren sich gegen ein völkerrechtlich verbindliches Verbot. In ihrem Windschatten folgen Länder wie Israel, die autonome Waffensysteme für ihr Militär als unverzichtbar betrachten.
Doch es ginge auch ohne die Bremser. „Wenn bei den Genfer Gesprächen wieder nichts Entscheidendes herumkommt, könnten die erklärten Gegner der Killerroboter mit Verbotsverhandlungen außerhalb der Konvention über konventionelle Waffen beginnen“, erklärt Küchenmeister. Besonders Österreich, Irland und Mexiko pochen auf ein Verbot.
Als Vorbild für ein solches Abkommen könnte nämlich der 2008er Vertrag zur Ächtung von Streumunition dienen. Jahrelang behinderten Washington und Moskau die Verhandlungen über die heimtückischen Waffen in den üblichen UN-Abrüstungsgremien. Darüber waren Norwegen und andere Staaten derart verärgert, dass sie einen Prozess außerhalb der UN anstießen, ohne die USA und Russland. Am Ende stand das Verbot.
Guterres: Killerroboter „moralisch abstoßend“
Warum sollten die Staaten nun Killerroboter verbieten? Besonders eindringlich beantwortet UN-Generalsekretär António Guterres das: „Autonome Maschinen, die ohne menschliches Zutun Ziele auswählen und Leben vernichten, sind politisch inakzeptabel (und) moralisch abstoßend.“ Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz macht klar: Entscheidungen „über Leben und Tod auf dem Schlachtfeld dürfen nicht Maschinen übertragen werden“.
Nach Meinung kritischer Fachleute stoßen autonome Waffensysteme die Tür auf zu einer immer brutaleren Kriegsführung. Die Unterscheidung zwischen Gut und Böse, die Abschätzung der Folgen bestimmter Aktionen, Verantwortung für das eigene Tun, Verhältnismäßigkeit – das alles würde verschwinden. Aktivist Küchenmeister betont zudem: „Es ist zu befürchten, dass allein die Verfügbarkeit autonomer Kampfroboter die Wahrscheinlichkeit kriegerischer Auseinandersetzungen erheblich erhöhen wird.“
Human Rights Watch listet die USA, Großbritannien, China, Israel, Russland und Südkorea als diejenigen Staaten auf, die bei der Entwicklung der Roboter sehr weit sind. Das Friedensforschungsinstitut in Stockholm (Sipri) berichtete 2017 von mindestens 381 autonomen Systemen zu militärischen Zwecken. Künstliche Intelligenz bildet die Grundlage für die Systeme. Sie sind oft fest verankert, zum Beispiel auf Kriegsschiffen, zum Schutz militärischer oder ziviler Einrichtungen, auch von Atomanlagen. Südkorea lässt die Grenze zu Nordkorea von Robot-Waffen überwachen. Mobile Systeme brauchen nicht unbedingt einen Marschbefehl. Als ein führender Anbieter gilt die israelische Firma Rafael Advanced Defense Systems, die das Panzerabwehrsystem Trophy anbietet. Die Firma Elbit, ebenfalls aus Israel, präsentierte im September das System Arcas, das Sturmgewehre digital vernetzt. Killerroboter: Herumlungernde Drohnen
Zu autonomen Waffensystemen zählt man auch „loitering munitions“, zu Deutsch: herumlungernde Sprengkörper. Der deutsche Bundeswehrverband definiert diese unter Berufung auf das Fachblatt „Soldat & Technik“ als unbemannt fliegende Systeme mit Lenkfunktion, „die ohne präzise Zielkoordinaten auf Verdacht gestartet werden können und im Anschluss über eine längere Zeit über einem Zielgebiet kreisen, bis ein lohnendes Ziel entdeckt und bekämpft wird“. Angeblich sollen diese Kamikazedrohnen den jüngsten Konflikt in Berg-Karabach mitentschieden haben.
Auf eine Anfrage zu Entwicklungen und Marktvolumen autonomer Waffensysteme antwortet der Düsseldorfer Konzern Rheinmetall, bei ihm sei man „davon überzeugt, dass der Mensch im Falle eines Waffeneinsatzes die Entscheidungsgewalt behalten muss“. Autonome letale Systeme lehne man ab. Rheinmetall entwickelt allerdings in Kooperation mit dem Schweizer Konzern Oerlikon das Flugabwehrsystem „Skyshield“ – mit „unbemannter Erfassungs- und Verfolgungssensoreinheit“ und mit „unbemannten Geschützen“. Laut Werbevideo nur gegen Drohnen gerichtet.<<.
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01.11.2021 12:31
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200 Millionen Dollar für einen Whistleblower
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Wenn das hierzulande Schule machte! Ein Whistleblower erhält in den USA knapp 200 Millionen Dollar von der US-Aufsicht als Belohnung, weil er den Skandal mit aufdeckte, dass die Deutsche Bank Referenzzinssätze manipulierte, um größere Gewinne einzustreichen. In Deutschland sind Whistleblover von Staat und Recht verlassen, kämpfen oft einen einsamen Kampf, riskieren berufliche Existenz und Einkommen, oft auch Gesundheit und ihr soziales Umfeld. Seit Jahren bremsen die deutsche Regierungen ein Whistleblowing-Gesetz nach us-amerikanischem oder britischen Vorbild aus.
Während der Finanzkrise soll die Deutsche Bank wichtige Referenzzinssätze künstlich niedrig gehalten haben – unter anderem beim Libor. Ein Ex-Mitarbeiter des Geldhauses deckte den Skandal um die manipulierten Zinssätze auf und erhält dafür einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge nun eine üppige Belohnung.
Die US-Aufsichtsbehörde CFTC zahle dem Mann eine Rekordsumme von fast 200 Millionen Dollar, heißt es in dem Bericht unter Berufung auf Insider. Die U.S. Commodity Futures Trading Commission (CFTC), die für die Kontrolle der Derivatemärkte zuständig ist, kündigte die Belohnung in einer Mitteilung an, nannte aber keine näheren Details.
Strafen in Milliardenhöhe
In den vergangenen Jahren hatten Behörden weltweit Strafen in Milliardenhöhe gegen Banken und Händler verhängt sowie Strafverfahren angestrengt, nachdem die langjährigen Manipulationen wichtiger Referenzzinssätze aufgeflogen waren.
In den USA wurde vor Kurzem ein Gesetz verabschiedet, um das CFTC-Whistleblower-Programm aufrechtzuerhalten. Das »Wall Street Journal« hatte im Mai berichtet, das Programm sei aufgrund einer erwarteten hohen Auszahlung an einen Deutsche-Bank-Manager gefährdet.
Diese stehe im Zusammengang mit dem Vergleich in Höhe von 2,5 Milliarden Dollar, auf den sich die Deutsche Bank vor einigen Jahren mit Aufsehern wegen der Libor-Manipulationen geeinigt hatte. Die CFTC lehnte eine Stellungnahme unter Hinweis auf die Politik der Behörde ab.
Der Whistleblower war laut Reuters ehemals bei der Deutschen Bank beschäftigt, wie es unter Berufung auf zwei Insider hieß. Das Geldhaus lehnte am Freitag eine Stellungnahme ab. Die Kanzlei Kirby McInerney teilte mit, die von ihr vertretene Person habe die Rekordsumme zugesprochen bekommen, da sie 2012 umfangreiche Informationen und Dokumente zur Verfügung gestellt habe. Dies habe Untersuchungen der CFTC und einer ausländischen Behörde beschleunigt. Den Namen der Person nannte sie nicht.
Die bislang größte Belohnung, die laut Reuters für einen Whistleblower bislang vergeben wurde, beläuft sich auf 114 Millionen Dollar und wurde von der Wertpapieraufsichtsbehörde gewährt. Der nun auszuschüttende Betrag sei »überwältigend«, sagte Erika Kelton, eine Whistleblower-Anwältin bei der Kanzlei Phillips & Cohen LLP.
mit Material von apr/Reuters
Zum Whistleblowing "Was ist Whistleblowing?"
"Beratung und Hilfe beim Whistelblowing"
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12.10.2021 13:44
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Tempo 130 auf Autobahnen – Wenn Verbote nötig sind
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Michael Herl bringt es auf den Punkt; >>Eigentlich wäre es ja – wie so oft – ganz einfach. Das menschliche Miteinander könnte von solch einer segensreichen Selbstverständlichkeit geprägt sein, wie es sie nicht einmal im Märchen gibt. Dort sogar am wenigsten, denn solche Fabelerzählungen sind ja bekanntlich erst recht keine immerfort blühenden Landschaften der Glückseligkeit, sondern strotzen nur so vor Hass, Neid, Missgunst, Brutalität und Beutelschneiderei.
Warum also sollte es im richtigen Leben anders sein? Ist es ja auch nicht. Es ist sogar so wenig anders, dass ohne gegenseitige Kontrolle, Verbote, Gesetze, Erlasse und Strafen das Hauen und Stechen in unserer Gesellschaft noch ausufernder wäre, als es ohnehin schon ist.
Impfpflicht – Wie weit geht „persönliche Freiheit“ und wie definieren wir diese Berühmtestes aktuelles Beispiel für ein Für und Wider von Regeln ist die Diskussion um eine Impfpflicht gegen Covid-19. Kernthema der Auseinandersetzung ist hier, wie weit der Begriff „persönliche Freiheit“ definiert werden darf.
Dabei gilt diese Frage in vielen anderen Bereichen längst als beantwortet. Zum Beispiel im Straßenverkehr. Niemand fühlt sich in seiner Entfaltung beschränkt, weil er nicht ohne Führerschein oder mit zehn Bier im Kopf Auto fahren darf. Das wird widerspruchslos eingesehen – aber dennoch ständig gemacht. Nicht selten gar in Kombination.
Autobahn und Tempolimit – Stück Freiheit oder Großmannssucht?
Ähnlich ist es bei der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Tempo 30 vor Schulen wird allgemein als vernünftig erachtet. Gleiches prinzipiell innerhalb von Ortschaften und Städten findet schon mehr Kritikerinnen und Kritiker. Die meisten Gegner aber hat die Begrenzung auf 130 Stundenkilometer auf Autobahnen. Da fühlt sich denn eine ganze Nation inklusive Regierung und Industrie gefesselt, geknebelt und bei Brot und Kerzen eingekerkert.
„Autobahn“, das ist seit Adolf Hitler das Synonym schlechthin für die Großmannssucht einer Nation, für die Leistungsfähigkeit eines Volkes, für die Freiheit einiger Auserwählter inmitten einer Welt von Geknechteten, deren Armseligkeit sich darin äußert, nicht so schnell fahren zu dürfen, wie sie wollen.
Verbote im Straßenverkehr – Ganz oder gar nicht
Was da hilft? Richtig. Eine Entnazifizierung. Und wie geht die? Das lehrt uns die Geschichte. Sie funktioniert ausschließlich durch Verbote, Gesetze, Erlasse und Strafen. Mit Setzen auf Vernunft kommt man da nicht weit. Wie weit, das sieht man seit 1978 an dem zahnlosen Tiger namens „Richtgeschwindigkeit“. Da könnte man genauso gut auch eine Keuschheitsempfehlung in Bordellen aussprechen. Wer da hingeht, will nur das Eine, und genau das wollen auch jene, die sich mit PS-strotzenden Blechhaufen auf die Autobahn stürzen.
Würden die stattdessen ihre Triebe im Freudenhaus befriedigen, wäre der Welt geholfen. Tun sie aber nicht. Oder nicht oft genug – und ergehen sich ersatzweise im Straßenverkehr. Also müssen Verbote her.
Bundesregierung: Mit Bußgeldern zum Ziel?
Das hat nun endlich auch die Bundesregierung erkannt und Bußgelder für Verkehrsdelikte nach oben geschraubt. So kostet nun zu schnelles Fahren bis zu 600 Euro. Ein netter Versuch. Aber immer noch zu wenig.
Vor allem fehlt in der Novelle etwas, das seit Jahrzehnten mehr als überfällig ist und sogar der neuen (ihr aufgezwungenen) umweltgerechten Philosophie der Autoindustrie entspräche, aber immer noch an der Starrköpfigkeit einiger Vorgestriger scheitert: Tempo 130 auf Autobahnen<<.
Michael Herl in Frankfurter Rundschau 12.10.2021 S. 30
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05.10.2021 14:38
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Facebook, Instagram, WhatsApp - Hass, Manipulation und FakeNews für Geldmaximierung
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„Die heute existierende Version von Facebook reißt unsere Gesellschaften auseinander und löst ethnische Gewalt rund um die Welt aus“, sagt in „60 Minutes“ die 37-jährige Frances Haugen, die 13 Jahre bis Mai 2021 bei Facebook gearbeitet hat. Facebook ist „eine Geldmaschine, die unsere Gesellschaften zu zerreißen droht“, sagen die preisgekrönten Journalistinnen Cecilia Kang und Sheera Frenkel in ihrem Buch „Inside Facebook. Die hässliche Wahrheit“ (An Ugly Truth. S. Fischer 2021). Haugen sagte laut Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) dem „Wall Street Journal“, sie sei frustriert gewesen, weil Facebook nicht ausreichend offen damit umgehe, dass das Online-Netzwerk Schaden anrichten könne. Zu ihrem Job bei Facebook, den sie im Mai nach rund zwei Jahren aufgab, habe der Kampf gegen Manipulationsversuche bei Wahlen gehört. Sie habe jedoch schnell das Gefühl gehabt, dass ihr Team zu wenig Ressourcen habe, um etwas zu bewirken.
Facebook stellte eigene Interessen in den Fokus
Auch sei ihr Eindruck gewesen, dass Facebook weiter auf Wachstum gesetzt habe, obwohl dem Unternehmen negative Auswirkungen der Plattform auf die Nutzerinnen und Nutzer bekannt gewesen seien. „Es gab Interessenkonflikte zwischen dem, was für die Öffentlichkeit gut war und was für Facebook gut war“, sagte Haugen bei „60 Minutes“. Und Facebook habe sich immer und immer wieder dafür entschieden, für eigene Interessen das Geschäft zu optimieren.
Der Demokrat Ed Markey verglich die Vorgehensweise des Online-Netzwerks vor allem bei Instagram, das wie WhatsApp zu Facebook gehört, mit verantwortungslosem Handeln der Tabakindustrie. „Instagram ist diese erste Zigarette der Kindheit“, die Teenager früh abhängig machen solle und am Ende ihre Gesundheit gefährde, sagte Markey unter anderem. „Facebook agiert wie die großen Tabakkonzerne: Sie verbreiten ein Produkt, von dem sie wissen, dass es der Gesundheit junger Menschen schadet.“ Haugen beantragte bei US-Behörden offiziell Schutz als Whistleblowerin – so werden Mitarbeitende genannt, die durch Weitergabe von Informationen Missstände aufdecken wollen.
Auf die Frage von Bascha Mika in der Frankfurter Rundschau „Wie steht es um den Schutz von Whistleblowing hierzulande?“ antwortet der Geschäftsführer der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ Christian Mihr: „Es gibt seit zwei Jahren die Whistleblower-Schutzrichtlinie der EU, die bis zum 17. Dezember in nationales Recht der Mitgliedsstaaten umgesetzt werden muss. Doch Deutschland hat das bisher nicht getan und auch keine Schritte dafür in die Wege geleitet. Hintergrund ist die Diskussion in der großen Koalition, wie weitreichend dieses Gesetz sein soll. Die Richtlinie will Whistleblowing im EU-Rahmen schützen. Hierzulande geht es aber auch um die Frage, inwieweit das Gesetz dann im nationalen Zusammenhang gilt und eine Schutzfunktion hat“.
Und auf die Frage: „Was wäre erforderlich, um Whistleblowing weltweit zu schützen?“ sagt er: „Einen juristischen Rahmen, der zum Beispiel durch eine völkerrechtliche Konvention die Bedeutung von Whistleblowing weltweit betont. Kleiner gebacken bräuchte es hierzulande erst mal die Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht. Gekoppelt mit einem besseren Schutz von digitaler Kommunikation, die Überwachung verhindert. Denn sonst lässt sich die vertrauliche Kommunikation mit Whistleblower:innen ja nicht sichern.“
Dass es bis heute keine Whistleblower-Schutzgesetz in Deutschland gibt, ist ein Skandal. Das kann nur damit erklärt werden, dass es zu viele politische Entscheider gibt, die Whistleblowing zu befürchten haben (Stichwort: Maskendeals) oder die unter steuerndem Druck aus Wirtschaft und Kapital stehen. Hier braucht es künftig mehr Druck aus der Zivilgesellschaft, NGOs, Medien und, Journalisten. Es muss sich was ändern.
Bei Whistleblowing "Information über Whistleblowing" "Hilfe bei Whistleblowing" "Was Wikileaks für Journalismus und Whistleblowing bedeutet" "Ex-Facebook-Mitarbeiterin packt aus"
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01.10.2021 10:38
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Weltkaffeetag: Fair gehandelter Kaffee - „Steuer für fairen Kaffee aussetzen“
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Noch-Entwicklungsminister Müller appelliert an die kommende Bundesregierung, fair gehandelten Kaffee günstiger zu machen. Das habe Olaf Scholz schon vor Jahren versprochen. Es gibt aber auch fairen Kaffee, der nicht so heißt.
Ein sehr gutes Beispiel ist indigena von den Genossenschaft FEDECOCAGUA in Guatemala, der hierzulande in Partnerschaft von der action365 vertrieben wird. Unter dem Siegel „gerecht handeln“ gibt es folgende Garantien zum Vorteil der Kaffeebauern: mindestens 15% Aufpreis, langfristige Abnahmeverträge, Mindestabnahme zur Existenzsicherung. Die Käufer bekommen beste Arabica-Hochlandqualität, volles Aroma, Kaffee ergiebig im Verbrauch und ohne Pestizide angebaut. "Gerecht gehandelter Spitzenkaffee aus dem Hochland von Guatemala"
Ein solcher Kaffee läuft aber nicht unter „faire trade“, weil das Siegel sehr teuer und der Genossenschaft Kosten aufbürden würde, die stattdessen in die Bildung und die Weiterentwicklung der Genossenschaft gesteckt wird. Denn im Dachverband FEDECOCAGUA sind 148 lokale Kaffeebauern-Genossenschaften im guatemaltekischen Hochland organisiert, denen rund 23.000 Kleinbauernfamilien angehören. Eine große Erfolgsgeschichte. Doch wie können auch sie profitieren, wenn die Steuer für fairen Kaffee ausgesetzt wird? Tim Szent-Ivanyi berichtet in der Frankfurter Rundschau:
„Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hat eine neue Regierungskoalition aufgefordert, fair gehandelten Kaffee von der Kaffeesteuer zu befreien und so den Verkauf anzukurbeln. „Die neue Regierung muss endlich handeln und die Kaffeesteuer für fairen Kaffee aussetzen. Das hatte Olaf Scholz als Bürgermeister von Hamburg selbst gefordert und als Finanzminister nicht umgesetzt“, sagte Müller dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
„Für die Verbraucher würde fairer Kaffee dann in etwa so günstig wie herkömmlicher Kaffee“, so der Minister. „Das wäre eine wirksame Maßnahme gegen Kinderarbeit, denn die Eltern auf den Kaffeeplantagen bekämen endlich anständige Einkommen für ihre harte Arbeit“, fügte er hinzu.
Die meisten Bäuerinnen und Bauern in den Kaffeeplantagen lebten in Armut und hungerten, sagte Müller. Fairer Kaffee könne das ändern, doch dessen Anteil stagniere seit Jahren. Gerade einmal sechs Prozent sei fair gehandelt, beklagte er. Deutschland sei außerdem eines der wenigen Länder, die überhaupt eine Kaffeesteuer erhöben. „Der Preisdruck bei den Einzelhändlern wird so noch stärker an die Bauern weitergegeben“, kritisierte der CSU-Politiker.
Nur 25 Cent je Päckchen
Müller sagte, Deutschland sei größter Exporteur von Kaffee in der Welt. Der Rohkaffee werde hierzulande geröstet und komme dann für vier bis sechs Euro pro Päckchen in die Läden. „Für die Kaffeebohnen erhalten die Bauern aber gerade einmal 25 Cent. Ich habe das selbst auf den Plantagen in Ostafrika gesehen“, so der Minister, der nicht wieder für den Bundestag kandidiert hat und im Januar seinen neuen Posten als Chef der UN-Organisation für industrielle Entwicklung antritt.
Die Kaffeesteuer beträgt 2,19 Euro pro Kilo. Würde die Kaffeesteuer für fairen Kaffee abgeschafft, könnte nach Angaben des Entwicklungsministeriums ein 500-Gramm-Päckchen fair gehandelter Kaffee, das derzeit etwa sieben Euro kostet, für 1,10 Euro weniger angeboten werden.
„Bund, Länder und Kommunen sollten bis dahin selbst vorangehen: In jedem Rathaus, in jeder Amtsstube, in jeder Kantine sollte nur noch fairer Kaffee beschafft und getrunken werden“, forderte der scheidende Minister“.
Es wäre an der Zeit, dass jeder Kaffee, der fair, sozial und ökologisch verträglich im Sinne von 'gerecht handeln' produziert und gehandelt wird, von der Kaffeesteuer befreit wird. "Gerecht gehandelter Spitzenkaffee aus dem Hochland von Guatemala"
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07.09.2021 20:48
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Skandal: Mordaufruf gegen grüne Wähler und Politiker von sächsicher Behörde geduldet
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Skandal der sächsischen Behörden beim Umgang mit Mordaufruf
Sachsens Behörden tolerieren Plakate mit Mordaufruf, meldet Spiegel Online heute:
>>Die rechtsextreme Partei »Der III. Weg« hetzen in mehreren Städten gegen Grüne. In Bayern wurden die Plakate entfernt, in Sachsen blieben sie laut einem Medienbericht hängen. Die Rechtfertigung der Behörden ist kurios. Es ist eine Provokation, ganz typisch für Rechtsextremisten: Man ruft zu Gewalt auf, bleibt aber ausreichend im Ungefähren, um hinterher sagen zu können, das sei doch alles ganz anders gemeint gewesen. Diese Masche reicht offenbar, um in Sachsen einen Mordaufruf plakatieren zu dürfen.
»Hängt die Grünen« und »Wählt Deutsch« steht auf Plakaten, welche die rechtsextreme Kleinpartei »Der III. Weg« nach einem Bericht des »Tagesspiegel« beispielsweise in Zwickau, Plauen, Auerbach und Werdau aufgehängt hat. Aufgetaucht seien die Plakate erstmals am Sonntag und seien beispielsweise in Zwickau genau vor der Parteizentrale der Grünen platziert worden.
Dass sie dort vorerst bleiben dürfen, begründeten sächsischen Behörden damit, dass ja nicht klar sei, welcher Grüne genau getötet werden solle. Man wisse nicht, »wer konkret angesprochen wird«, sagte ein Sprecher der Zwickauer Staatsanwaltschaft dem »Tagesspiegel«. Sowohl Politiker wie auch Wähler der Partei könnten gemeint sein. Zudem sei keine konkrete Bedrohungslage ausgemacht worden. Allerdings sei es möglich, dass die Stadt in den kommenden Tagen eine Verbotsverfügung für das Plakat erlasse.
Die örtlichen Grünen reagierten laut dem Bericht schockiert. Der Bundestagskandidat Wolfgang Wetzel sprach demnach von »einer Attacke auf Demokratie und Anständigkeit«, Kreissprecher Thomas Doyé sagte, man erwarte, dass die Plakate umgehend entfernt werden.
Anders scheint die Polizei in München mit dem Plakat umzugehen: Ein bei Twitter gepostetes Foto zeigt die Beamten offenbar beim Abhängen der Kampagne.<<
"Meldung aus Spiegel Online"
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19.08.2021 12:22
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Brutalität in religiöser Verkleidung – organisierte Unfairness und Frauenfeindlichkeit
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Mit der Afghanistan-Expertin Friederike Stahlmann sprach Bascha Mika heute für die Frankfurter Rundschau über zerstörte Perspektiven für Mädchen und Frauen, Pragmatismus im Land und die alten patriarchalen Strukturen. Sie zeichnet ein Bild für die Lage von Frauen und Mädchen, das uns beschämen muss, nachdem Deutschland zusammen mit Alliierten 20 Jahre Verantwortung für das Land übernommen und nun abrupt die Menschen im Stich gelassen hat – und nicht nur das: die meisten der mit deutschen Kräften vertrauensvoll kooperierenden Menschen in Afghanistan haben sich durch ihre Arbeit und Mitarbeit sowie die Teilübernahme westlicher Werte und Praktiken in höchste Gefahr gebracht. Was sich Deutschland mit dem abrupten Abzug der Bundeswehr geleitet hat, ist ein beispielloser Fall internationaler Unfairness und Brutalität, die nicht dadurch gemildert wird, dass die USA schlechtbeispielgebend vorangegangen sind.
Frau Stahlmann, Sie haben lange in Afghanistan gelebt. Wie geht es Ihnen, wenn Sie jetzt die Bilder aus Kabul sehen?
Das ist im höchsten Maße verstörend. Die Menschen in Afghanistan zeichnete immer eine fast absurd anmutende Zukunftshoffnung aus. Daran haben sie festgehalten, selbst wenn diese Hoffnung unrealistisch war und man dafür einen unglaublichen hohen Preis zahlen musste. Immer wieder habe ich gehört: Es wird sich schon ein Weg finden! Und jetzt zu erleben, dass diese Hoffnung zerstört wird, dass diese Menschen es nicht mehr schaffen, überhaupt Hoffnung aufzubringen – das ist vernichtend.
Was hören Sie von den Menschen, mit denen Sie Kontakt haben?
Vor allem sehr verzweifelte Hilferufe. Bitten, ob ich irgendetwas tun kann, um sie außer Landes zu bringen, um ihnen einen letzten Flug zu verschaffen, um sie und ihre Familien zu schützen. Das sind Strohhalme, an die sich die Menschen noch klammern, und ich muss ihnen dann diese letzte Hoffnung zerstören. Denn ich sehe keinen politischen Willen, ihnen zu helfen. Während das erste Evakuierungsflugzeug von Kabul aus mit sieben Passagieren gestartet ist, war der ganze Flughafen voll mit Verzweifelten, hinter denen die Taliban stehen. Da zuzusehen, ist nicht zu ertragen.
Welche Menschen bitten Sie um Hilfe?
Sie kommen aus sehr unterschiedlichen Bereichen, vielen bin ich bei meinen Feldforschungen begegnet. Es sind einfache Köche, genauso wie Aktivist:innen. Menschen, die daran glaubten, dass es trotz dieser korrupten Regierung, trotz des alltäglichen Machtmissbrauchs im Land, trotz der Macht der Taliban eine friedliche Zukunft und vielleicht sogar ein selbstbestimmtes Leben geben kann. Dafür haben sich viele von ihnen wissentlich Verfolgungen ausgesetzt, mussten immer wieder die Wohnungen wechseln und sind dennoch im Land geblieben, statt sich bei einer Konferenz im Ausland abzusetzen und Asyl zu beantragen.
Wie schätzen Sie die Lage für afghanische Mädchen und Frauen ein?
(Seufzt) Auch bisher war die Möglichkeit eines selbstgewählten Lebens für sie schon unglaublich eingeschränkt. Der große Unterschied jetzt: Die Chance darauf ist völlig zunichte gemacht. Selbst wenn irgendwo noch eine Schule stehen bleiben sollte, wird es keine ernstzunehmende gesellschaftliche Teilhabe für Frauen mehr geben, egal zu welchem Preis. Für Teilhabe zu kämpfen war bisher schon lebensbedrohlich, viele Frauen sind umgebracht worden – und nicht etwa nur von den Taliban. Es gibt sehr viele unglaublich mutige afghanische Frauen, doch jetzt haben sie keine Perspektive mehr, dass ihr Kampf etwas bringen könnte. Das ist ein Unterschied ums Ganze.
Was passiert mit Frauen, die die Taliban als Aktivistinnen identifizieren...
...das ist für sie lebensgefährlich...
...obwohl die Taliban großmütig reden und Kreide gefressen haben?
Sie haben zwar Kreide gefressen – aber was werden sie tun? In Herat zum Beispiel ist es Ärztinnen verboten, aus dem Haus zu gehen. Wo sollen denn Mädchen und Frauen jetzt hin, wenn sie krank sind? Dennoch funktionieren die PR und die öffentliche Darstellung der Taliban großartig. Es gab die Ansage, dass es keine Racheakte geben und niemand bedroht werden wird. Aber in Kabul gehen sie von Tür zu Tür. Manche Menschen werden mitgenommen, manche werden verprügelt und bei manchen wird nur dokumentiert, wo sie gearbeitet und was sie Verdächtiges im Haus haben. Und wenn die Taliban behaupten, dass sie die Rechte der Frauen respektieren – wer definiert denn, welche Rechte das sind?
Warum geben sich die Islamisten verbal überhaupt so milde?
Weil sie die Anerkennung und Gelder der internationalen Gemeinschaft wollen. Aber man muss unterscheiden: Es gibt die Taliban, die in Doha Verhandlungen führen, ihre Söhne und Töchter auf Eliteunis schicken, für die Public Relations zuständig sind und wissen, was international gehört werden möchte. Und es gibt die Taliban vor Ort, die dort die Regeln machen und entscheiden, was angeblich der Scharia entspricht – auch wenn das mit der klassischen Scharia gar nichts zu tun hat.
Sie begründen ihre Gewaltherrschaft nicht mehr mit islamistischer Ideologie?
Doch, aber im Vergleich zur ersten Taliban-Herrschaft geht es inzwischen oft mehr um politische Loyalität als um die Einhaltung ihrer Regeln. Diese Regeln und ihre gewaltsame Durchsetzung gibt es immer noch, aber politische Loyalität stand in den letzten Jahren viel stärker im Vordergrund. Ein konservativer religiöser Geistlicher war nicht davor geschützt, als politischer Gegner umgebracht zu werden, weil er die falschen Leute kannte. Warum sollte sich an dieser Haltung jetzt etwas ändern? Im ersten Halbjahr 2021 waren vierzehn Prozent aller Kriegsopfer gezielte Tötungen. Vierzehn Prozent! Und das sind nur die dokumentierten, also die prominenten Fälle.
Es gibt Berichte, dass die Taliban bei ihrem Vormarsch junge Frauen verschleppt und mit ihren Kämpfern zwangsverheiratet hätten.
Ja, Flüchtlinge aus unterschiedlichen Landesteilen haben erzählt, dass Mädchen als Kriegsbeute genommen wurden. Zwangsverheiratungen an Taliban-Kämpfer gab es auch schon die letzten Jahre. Ich mache mir besonders Sorgen um lokale Gemeinschaften oder Familien, die von den Taliban als feindlich eingestuft werden. Aber einen grundsätzlichen Freibrief durch die Führung gibt es meines Wissens nicht und er würde mich wundern. Denn gegenüber den lokalen Gemeinschaften ist das eine unglaubliche Provokation und könnte Widerstand mobilisieren. Die Taliban wollen ja nicht, dass die Leute sich wehren oder weglaufen. Es gibt auch Hinweise, dass vor einigen Wochen als Teil der Kriegspropaganda gezielt Gerüchte gestreut wurden, um Widerstand gegen die Taliban zu mobilisieren.
Während des Vormarsches der Taliban erzählte eine afghanische Frau dem britischen „Guardian“, wie sehr sich Männer auf offener Straße gefreut hätten, dass die Rechte von Frauen endlich wieder beschnitten würden.
Die alten Strukturen sind ja nicht einfach verschwunden. Die Warlords und auch Mitglieder der Regierung waren teilweise nicht weniger islamistisch als die Taliban. Politikerinnen, Frauen, die Frauenhäuser aufgebaut oder sich öffentlich positioniert haben, wurden von Regierungsangehörigen als Ungläubige beschimpft und quasi zum Abschuss freigegeben. Es gibt genug patriarchale Kräfte im Land, und die sind jetzt wahrscheinlich in einem ähnlichen Siegesrausch wie die Taliban selber.
Den Frauen haben die letzten zwanzig Jahre also nichts gebracht?
So darf man das nicht sehen. Man sollte die Spielräume, die sich manche Mädchen und Frauen in den letzten zwanzig Jahren erkämpft und die sie genutzt haben haben auf keinen Fall klein reden. Das war nicht nichts, das war wertvoll! Für sie hatte es eine unglaubliche Bedeutung, dafür haben sie viel riskiert ... Nur ist es jetzt verloren.
Auch, weil die internationalen Akteure die frauenfeindlichen Warlords unterstützten.
Die Politik der internationalen Seite war auf kurzfristige militärische Gewinne ausgerichtet. Man hätte Verantwortung für die Sicherheit der Bevölkerung übernehmen müssen, aber dazu gab’s keine Bereitschaft. Stattdessen sollten Warlords und lokale Milizen gegen die Taliban kämpfen. Statt Entwaffnung gab es also Bewaffnung, auch von bekannten Kriegsverbrechern, die sich um niemandes Rechte gekümmert haben, geschweige denn um Frauen.
Zahlen die Menschen in Afghanistan jetzt den Preis für diese gemeingefährliche Strategie?
Den zahlen sie schon lange. Die Unterstützung der Warlords wurde erkauft, indem man Machtmissbrauch, Bereicherung und Korruption duldete. Das hat natürlich auch die Legitimität der Regierung untergraben, in der viele der Warlords saßen. Die Machthaber im Land bewegten sich jenseits eines rechtsstaatlich kontrollierbaren Bereichs. All das hat sehr vieles zunichte gemacht, was es an zivilen Bemühungen um eine freiheitliche Gesellschaft gegeben hat.
Gab es überhaupt so etwas wie eine Zivilgesellschaft, die diesen Namen verdient?
Sehr viele Menschen haben sich unglaublich engagiert. Man muss da auch die Eltern einrechnen, die ihre Kinder weiter in Schulen geschickt haben, obwohl sie wussten, dass Schulen angegriffen werden und der Weg dahin lebensgefährlich ist. Was für eine Entscheidung! Ich weiß nicht, ob ich die als Mutter so treffen würde.
Aber die Warlords konnten wohl kaum an einer neuen Ordnung interessiert sein.
Nicht an einer rechtsstaatlichen! Wenn sie auf der einen Seite einen bewaffneten, unkontrollierbaren Warlord haben und auf der anderen einen gut ausgebildeten Richter – was soll der denn gegen die Verbrechen des Warlords oder dessen Sohn tun? Wie soll der Richter oder Polizist den Rechtsstaat durchsetzen? Im Zweifelsfall sind auch die Polizisten Anhänger des Warlords, weil sie um ihre Sicherheit fürchten. Diese Arrangements haben die internationalen Akteure in der Praxis unterstützt. Deshalb war das Gerede über den Aufbau einer neuen Gesellschaft ein gutes Stück verlogen.
Polizisten und Soldaten scheinen daran auch nie geglaubt zu haben. Deutsche Militärs sind ob deren Kampfmoral ja völlig fassungslos...
... ohne Brot und Nachschub ist es wohl auch kaum möglich zu kämpfen. Viele haben es ja über Jahre mit unglaublichem Einsatz und großen Opfern getan. Will man, dass diese Männer als Märtyrer sterben und ihre Familien ohne Schutz vor den Taliban zurückbleiben? Wie groß wünscht man sich denn die Zerstörung der Städte, der Schulen, der Krankenhäuser? Wie viele Tote und Verletzte hätte man denn gern bei einem Häuserkampf? In einer Situation, in der es keine Chance gibt zu siegen...
...und alle mit Sicherheit umgebracht werden.
Überleben in Afghanistan brauchte immer ein immenses Maß an Pragmatismus. Ich habe erlebt, dass Väter ihre Söhne auf alle Kriegsparteien aufgeteilt haben, in der Hoffnung, dass einer bei den Siegern dabei ist und die Familie schützen kann. Die meisten Menschen hatten kaum einen realen Spielraum. Und will man ihnen den Wunsch nach Überleben tatsächlich absprechen?
Dass nichts gut ist in Afghanistan weiß die Bundesregierung seit vielen Jahren. Warum wurde einfach immer so weitergemacht?
Ich vermute es gab mehrere Gründe, die Realität nicht anerkennen zu wollen. Zunächst hätte man dafür das eingeführte Narrativ – „Wir machen da Frieden und Wiederaufbau“ – zerstören müssen. Und wollte man nicht noch bis letzte Woche Abschiebungen durchführen? Auch das wäre dann schwer zu erklären gewesen. Diese Leugnung und Realitätsverweigerung hat sich bei der Gefährdung von Mitarbeitern und Partnern vor Ort fortgesetzt. Das Drama auf dem Kabuler Flughafen ist eine der Folgen.
Bei den Ortskräften geht es meist um die Unterstützer:innen der Bundeswehr. Doch auch andere Bundesunternehmen wie die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit hatte an die tausend Ortskräfte?
Ja, es sind sehr, sehr viele und alle sind in akuter Gefahr. Aber ich habe keine genauen Zahlen. Ich weiß auch nicht, was es für meine eigenen Mitarbeiter bedeutet, die meine Forschungen unterstützt haben. Ich bin ja keine Organisation. Haben diese Menschen eine Chance, herauszukommen?
Johann Wadephuhl, Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Verteidigungsausschuss, stellte am Dienstag ungerührt fest: „Viele Ortskräfte können nicht mehr gerettet werden.“
Das ist schon seit vielen Wochen klar. Man wäre bereits vor Jahren in der moralischen Verantwortung gewesen, die Menschen herauszuholen, die sagen, dass sie sich der Lebensgefahr nicht mehr aussetzen können. Aber es gab die Doktrin, man könne in den Großstädten sicher sein. Das war schon lange nicht mehr der Fall. Alle Betroffenen wussten: Meine Familie und ich sind in Lebensgefahr. Nur wann es sie trifft war bisher nicht klar. Die Taliban hatten ja Zeit. Jetzt weiß man, dass es soweit ist. Sie können ja ungehindert und in aller Ruhe in Häuser eindringen.
Wo sehen Sie Hoffnung für die Menschen in Afghanistan?
(Seufzt) Ich habe den Eindruck, man hat das Land und die Menschen dort aufgegeben. Das lässt mich verzweifeln. Die Frage ist nur noch, ob man jetzt die Realität anerkennt.
Frederike Stahlmann ist seit 20 Jahren als Wissenschaftlerin auf Afghanistan spezialisiert und derzeit assoziierte Forscherin am Institut für Sozialanthropologie der Universität Bern. Sie ist als Sachverständige in vergangenen Jahren für Gerichte tätig gewesen. Interview: Bascha Mika
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11.08.2021 10:08
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Extreme Unfairness gegen Bündnis 90/Die Grünen - Dreckkampagne für die AFD
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Eine Recherche des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) bringt es an den Tag: Eine "AfD-nahe Firma startet Schmutzkampagne gegen die Grünen. Eine Negativkampagne rückt die Grünen mit Falschbehauptungen in die Nähe Chinas und kommunistischer Diktaturen. Auf Großplakaten in deutschen Städten wird der Partei vorgeworfen, sie stehe für eine „Ökodiktatur”.
Dahinter steckt ein AfD-nahes Unternehmen, das nicht zum ersten Mal mit zweifelhafter Werbung auffällt. Ein AfD-nahes Unternehmen hat vor der Bundestagswahl eine groß angelegte Schmutzkampagne gegen die Grünen gestartet. Auf Plakatflächen in angeblich mehr als 50 deutschen Großstädten und im Internet wird die Partei aufs Härteste angegriffen.
Auf grünem Hintergrund werden auf den Großplakaten Slogans wie „Totalitär“, „Heimatfeindlich“ oder „Ökodiktatur“ verwendet. Dazu sind in Anlehnung an das Parteilogo der Grünen verwelkte Sonnenblumen zu sehen – und der Kampagnentitel „#GrünerMist“.
Auf der zugehörigen Website wird der Klimawandel geleugnet und Klimaschutz zur „Wohlstandsvernichtung aus Größenwahn“ erklärt. Auch offenkundige Unwahrheiten über die Partei werden von der Kampagne verbreitet: In einem Video rückt der rechte Aktivist Hagen Grell die Grünen in die Nähe Chinas und kommunistischer Diktatoren wie Stalin und Pol Pot.
Falschbehauptung ohne jegliche Grundlage
Die Grünen wollten in Anlehnung an das chinesische Sozialkreditsystem ein „Klimapunkte-System“ einführen, behauptet er. Wer zu viel gereist sei oder zu viele Kinder habe, dürfe nach den angeblichen Plänen der Grünen nicht mehr reisen oder ein eigenes Auto besitzen – eine Falschbehauptung ohne jegliche Grundlage. Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Parteivorsitzende und Kanzlerkandidatin, enthüllt ein Großflächenplakat der Grünen. Damit setzten die Grünen den Startschuss für die bundesweite Plakatierung für die Bundestagswahl 2021.
Die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth wird auf der Kampagnenseite als „Antideutsche Multikulti- und Türkei-Schwärmerin“ verunglimpft, Cem Özdemir als „Karriere-Migrant der ersten Stunde“ bezeichnet. Auch auf Facebook hat die Kampagne Werbeanzeigen geschaltet. Dahinter steckt die in Hamburg registrierte Conservare Communication GmbH, die auch das AfD-nahe Onlinemagazin „Deutschland-Kurier“ herausgibt, für das fast 30 Abgeordnete und Mitarbeitende der AfD als Autorinnen und Autoren tätig sind. Der Geschäftsführer und alleinige Gesellschafter des Unternehmens, David Bendels, ist auch Vorsitzender des „Vereins zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten“. Bis 2018 gab dieser Verein den „Deutschland-Kurier“ heraus, im Vorfeld mehrerer Landtagswahlen und der Bundestagswahl in den Jahren 2016 und 2017 unterstützte er die AfD im Wahlkampf. So warb er in Gratiszeitungen mit dem Titel „Extrablatt“ für die Partei und buchte Plakatflächen, auf denen zur Wahl der AfD aufgerufen wurde.
Der Verein arbeitete damals mit dem Schweizer Werbeunternehmen Goal AG zusammen, das sonst insbesondere für die rechtspopulistische SVP tätig ist. Eine Wahlkampfunterstützung der Schweizer Firma für den AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen im baden-württembergischen Landtagswahlkampf 2016 wertete die Bundestagsverwaltung als illegale Parteispende. Die Partei musste fast 270.000 Euro Strafe zahlen.
Auch die Unterstützungsaktivitäten für die AfD durch Bendels’ Verein gerieten in den Verdacht der verdeckten Parteienfinanzierung. Die Nichtregierungsorganisation Lobby Control schätzte, dass diese indirekte Wahlwerbung für die AfD mehr als 6 Millionen Euro gekostet hat. Auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) erklärte Bendels, die Goal AG habe mit der aktuellen Kampagne nichts zu tun, auch sei sie nicht mit der AfD abgestimmt. In einer Pressemitteilung der Kampagne heißt es, Internetauftritt und Großplakate würden „aus Spenden von Mittelständlern und engagierten Bürgern finanziert“.
#GrünerMist steht seit Monaten in Artikeln des „Deutschland-Kuriers“
Wie viel Geld die Kampagne kostet, wie viele Spenderinnen und Spender es gibt und ob Spenden aus dem Ausland angenommen wurden, wollte Bendels nicht beantworten. Auch ob Conservare Communications – immerhin ein Wirtschaftsunternehmen und kein gemeinnütziger Verein – die Spenden selbst eingeworben hat, ließ er offen.
Mindestens durch den „Deutschland-Kurier“, dessen Chefredakteur Bendels ist, ist die Conservare Communication GmbH jedoch eng mit der AfD verbandelt. Eine ganze Reihe an Europa-, Bundestags- und Landtagsabgeordneten schreibt als Gastautorinnen und -autoren für das Onlinemagazin oder veröffentlicht da Videobeiträge. Der Kampagnen-Hashtag #GrünerMist wird dort schon seit Monaten in Artikeln verwendet, die die Grünen angreifen.
Grüne wollen nun parteiintern für eigene Plakatspenden werben
Laut Transparenzangaben des US-Netzwerks wird die Facebook-Seite des „Deutschland-Kuriers“ auch heute noch mehrheitlich von Personen in der Schweiz verwaltet. Seit April 2019 hat Bendels’ Firma allein für Facebook-Werbung mehr als 38.000 Euro ausgegeben.
Der Außenwerbekonzern Ströer, dessen Werbeflächen die Kampagne mit ihren Großplakaten nutzt, verwies auf RND-Anfrage auf sein Informationspapier zum Umgang mit Wahlwerbung: „Ströer prüft, ob der Inhalt eines Plakats sittenwidrige oder rechtlich relevante Inhalte enthält“, heißt es da. Das Unternehmen könne „jedoch keine Werbung ablehnen, die nicht gegen Gesetze oder freiwillige Selbstbeschränkungen verstößt“.
Der politische Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, sagte dem RND, die Kampagne sei ein weiteres Beispiel dafür, wie groß die Angst der Rechten vor den Grünen sei. „Davon lassen wir uns nicht irritieren, sondern kämpfen weiter intensiv für klimagerechten Wohlstand“, so Kellner. Die Partei will den Anlass nutzen, parteiintern für Plakatspenden zu werben, „um dieser verleumderischen Kampagne noch mehr Grün auf der Straße entgegenzusetzen“."
Felix Husemann für Redaktionsnetzwerk Deutschland, 11.8.2021
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04.08.2021 08:23
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Reichtumspflege kontra sozial-ökologischer Klimawandelbegleitung
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Der Chefökonom der Gewerkschaft Verdi, Dierk Hirschel, zeigt klar und deutlich, was die verkündeten Absichten von CDU/CSU sind. Sie würden die soziale Entwicklung um Jahrzehnte zurückwerfen und deutlich notwendige Schritte im Klimawandel und zugunsten der sozialen, ökologischen und demokratischen Entwicklung kosten statt ermöglichen. Er schreibt heute in der Frankfurter Rundschau: Im September stimmen die Wählerinnen und Wähler über die zukünftige Finanz- und Steuerpolitik ab. Armin Laschet und Markus Söder wollen die Wirtschaft entfesseln.
Dafür wollen sie Steuern senken und Bürokratie abbauen. Die Union verspricht in ihrem Wahlprogramm 50 Milliarden Euro schwere Steuersenkungen. Die größten Steuergeschenke sollen Spitzenverdiener und Unternehmen erhalten. So soll der Unternehmenssteuersatz auf 25 Prozent gesenkt werden.
Nach Berechnungen des DIW führt dies zu jährlichen Steuerausfällen in Höhe von etwa 17 Milliarden Euro. Der Großteil dieser Steuerersparnis – nämlich zwölf Milliarden Euro – geht an das reichste ein Prozent. Die Abschaffung des Solidaritätszuschlages für Reiche kostet weitere zehn Milliarden Euro, wovon sechs Milliarden Euro in die Kassen des reichsten ein Prozent fließen. Die geplanten Entlastungen bei der Einkommenssteuer verursachen weitere Einnahmeverluste in Höhe von 21 Milliarden Euro. Mehr als 13 Milliarden davon erhält das reichste Zehntel.
Wenn Unternehmer und Topverdiener mehr Netto vom Brutto bekommen, investieren und arbeiten sie angeblich mehr. Das so erzeugte Wachstum schafft dann Jobs und lässt die Steuerquellen sprudeln. Nach neoliberaler Lesart finanzieren sich auf diesem Weg die Steuersenkungen selbst. Diese Voodoo-Ökonomie hat in der Praxis noch nie funktioniert.
Steuersenkungen sind kein Wachstumsmittel. Firmen investieren nicht, wenn Steuersätze purzeln, sondern wenn ihre Güter und Dienstleistungen ausreichend nachgefragt werden. Folglich reißen Steuersenkungen nur Löcher in die öffentlichen Haushalte. Vor dem Hintergrund von Schuldenbremsen und schwarzer Null drohen dann Investitions- und Sozialkürzungen. Steuersenkungen hungern nur den Sozialstaat aus.
Laschets und Söders geplante Steuergeschenke würden also zu Lasten zukünftiger Investitionen und Sozialausgaben gehen. Milliardenschwere Steuerausfälle sorgen dafür, dass für Klimaschutz, Bildung, Gesundheit, öffentlichen Verkehr und Kultur zukünftig kein Geld mehr da ist. Ein Jahrzehnt der Investitionen würde es mit dieser neoliberalen Steuerpolitik nicht geben.
Nach der Bundestagswahl will die Union die Taschen der Superreichen mit Milliarden füllen. Diese konservative Reichtumspflege bezahlen Millionen abhängig Beschäftigte und ihre Kinder“. Und auch der mögliche Fortschritt in der Ökologie und Klimawandel-Anpassung (Stichwort: Flut- und Dürrevorsorge, Schutz der Biotope, Ausbau ökoverträglicherer Mobilität usw.).
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12.07.2021 12:29
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Unternehmenssteuer: Fairer und gerechter
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„Die Mehrheit der internationalen Gemeinschaft ist willens, die Steuerflucht von großen Konzernen zu beenden. Das ist eine gute Nachricht“, schreibt Andreas Schwarzkopf in der Frankfurter Rundschau am 12.7.2021. Und weiter:
„Die geplante Mindeststeuer für große Unternehmen ist ein Fortschritt, und zwar trotz der noch zu klärenden Details wie etwa den genauen Start. Am Ende wird nicht entscheidend sein, ob die globale Steuerreform bereits im Herbst oder erst im Frühjahr unter Dach und Fach ist und dann von 2023 an gilt.
Wichtiger ist, dass die überwiegende Mehrheit der internationalen Gemeinschaft mit den ökonomischen Schwergewichten von G7 und G20 willens ist, die Steuerflucht von großen Konzernen zu beenden. Die Umverteilung von Milliarden von Euro jährlich wird es vielen Staaten ermöglichen, mehr in Bildung und sozialen Ausgleich zu investieren. Dieser Schritt trägt also dazu bei, das weltweite Steuersystem ein wenig fairer und gerechter zu machen. All das macht es verschmerzbar, dass die ursprünglich anvisierte Mindeststeuer von 21 Prozent diesmal verfehlt wurde.
In den kommenden Wochen und Monaten wird es darauf ankommen, weitere Hürden aus dem Weg zu räumen. Dabei sollte es keine weiteren Ausnahmen für Wirtschaftszweige geben, wie sie bereits für die Finanzbranche ausgehandelt sind. Außerdem sollten Deutschland und die anderen EU-Staaten alles tun, um die Verweigerer Ungarn, Irland und Estland noch umzustimmen“.
Insofern: ein entscheidender Anfang ist gemacht. Jetzt kommt es auf die konsequente Umsetzung an. Und darum, sofort die von Steueranwälten und Finanzjongleure gefundenen Lücken und Nischen zu finden, die bei den Gesetzestexten und Umsetzungen entstehen. Sie sind dann sofort zu schließen und ein hoher Standard der globalen Mindeststeuer ist nachzuhalten.
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05.07.2021 06:02
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»Wir haben keine echte Demokratie mehr«
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Das sagt das Mitglied des Bundestages, Marco Bülow, im Spiegel-Interview. Er sitzt für >Die Partei< im Bundestag. Er sagt: Das parlamentarische System ist gefährlich verkrustet, Abgeordnete handeln nicht mehr frei nach ihrem Gewissen. Wie will er das ändern? Dazu das Spiegel-Interview:
>>SPIEGEL: Herr Bülow, Sie prangern als Bundestagsabgeordneter seit Jahren fehlende Transparenz in der parlamentarischen Arbeit an. Um mal mit dem Positiven anzufangen: Gibt es aus Ihrer Sicht etwas, was gut läuft im Bundestag?
Marco Bülow: Dass es überhaupt einen Bundestag gibt, ist ja nicht so selbstverständlich, wie viele das vielleicht denken. Es ist ein großes Geschenk, eine Demokratie zu haben, dass es freie Wahlen gibt, dass sich in einem Parlament Fraktionen zusammensetzen und dann – eigentlich – in einen politischen Wettstreit treten können. Ich bin froh und dankbar, dass wir in einem föderalen und parlamentarischen System leben.
Bülow: Was ich kritisiere, ist die heutige Ausprägung unseres parlamentarischen Systems. Dieses System entfernt sich von dem, was im Grundgesetz angedacht war. Und das Parlament entfernt sich von unserer Gesellschaft.
SPIEGEL: Was hat sich denn konkret verschlechtert seit Ihrem Einzug in den Bundestag vor fast 20 Jahren?
Bülow: Der Lobbyismus, speziell der Profitlobbyismus, hat überhandgenommen. Die Macht konzentriert sich auf einige wenige Akteure. Wir erleben einen enormen Machtverlust der Fraktionen gegenüber der Regierung. Böse formuliert: Eigentlich bräuchte es nur einen oder eine Fraktionsvorsitzende, der Rest der Plätze im Bundestag könnte mit Beamten besetzt werden.
SPIEGEL: Weil sie meist geschlossen im Block abstimmen?
Bülow: Die Regierungsfraktionen nicken ab, was kommt. Und die Gesetze kommen fast alle von der Regierung. Oppositionsanträge werden ohnehin nie übernommen – dabei müsste es meinem demokratischen Verständnis nach viel mehr Austausch zwischen Regierung und Opposition geben, viel mehr Zusammenarbeit und Abstimmungen über Fraktionsgrenzen hinweg. Alle Artikel zu Republik 21
Bis zur Bundestagswahl nehmen wir uns nacheinander große Fragen aus Politik und Gesellschaft vor – und laden zum Diskutieren und Mitmachen ein. Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Frage: Wie wird Deutschland gerechter?
SPIEGEL: Aber das gibt es doch auch.
Bülow: Viel zu selten kommt das vor – das letzte Mal bei der Ehe für alle. Da aber auch nur, weil die Kanzlerin die Abstimmung zur Gewissensfrage gemacht hat. Was ja schon nahezu pervers ist: dass die Kanzlerin entscheidet, was eine Gewissensfrage ist, und nicht der Abgeordnete.
SPIEGEL: Nun findet ja auch in den Fraktionen vor einer Abstimmung ein Meinungsbildungsprozess statt, an dem der einzelne Abgeordnete beteiligt ist. Die Fraktionsdisziplin sichert auch die Arbeitsfähigkeit des Parlaments.
Bülow: Es muss eine Solidarität geben, aber beidseitig und ohne Zwang. Denn derzeit ist es so: Wer sich dem Fraktionszwang widersetzt, wer allein versucht, andere Mehrheiten zu suchen, wird abgestraft – ist schnell der Außenseiter. Wegen des Zwangs auch innerhalb der Koalition und weil ja das öffentliche Bild der Geschlossenheit gewahrt werden soll, werden am Ende höchstens Nuancen an der Regierungsvorlage geändert. »Wer sich dem Fraktionszwang widersetzt, ist schnell der Außenseiter.«
SPIEGEL: Sie sind 2018 aus der SPD-Fraktion ausgetreten. Haben Sie dadurch nicht den Einfluss eingebüßt, den es braucht, um Veränderungen anzustoßen?
Bülow: Nein. In der SPD-Fraktion habe ich zunehmend gegen Windmühlen gekämpft. Ich bin sogar der Überzeugung, dass ich heute mehr Gestaltungsspielraum habe als früher. Ich habe alle Wege, die ein Abgeordneter beschreiten kann, versucht. Ich war Sprecher für Umweltpolitik, habe eigene Anträge eingebracht und versucht, Mehrheiten zu organisieren. Ich habe vor 14 Jahren auf einem Parteitag zusammen mit meinem SPD-Kollegen Frank Schwabe einen Mehrheitsbeschluss erreicht, dass sich die Partei für ein Tempolimit einsetzt. Seitdem ist das Tempolimit nicht ein einziges Mal von der SPD in Koalitionsverhandlungen hineingetragen worden. Mit anderen Worten: Was ein Parteitag beschließt, interessiert überhaupt nicht.
SPIEGEL: Und in einer Satirepartei, die selbst nicht sicher ist, ob politische Mandate ihrem Wesen widersprechen, und deren öffentliche Wahrnehmung vor allem von einem Mann, Martin Sonneborn, geprägt wird, fühlen Sie sich besser aufgehoben?
Bülow: Ja. Es ist ehrlicher und offener. Hier findet eine größere Vielfalt ihren Platz und es läuft nicht stromlinienförmig und so strukturkonservativ ab wie bei den anderen Parteien. Natürlich ist es auch spannend und nicht vorhersehbar, was passiert. Satire ist nur eine Facette, die wir brauchen, aber gegenüber der teilweise absurden und inszenierten Politik ist sie fast schon seriös. Empfohlener redaktioneller Inhalt
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SPIEGEL: Der damalige Grünenabgeordnete Gerhard Schick und Sie haben 2013 einen Transparenzkodex entworfen, dem sich nur 40 der 709 Abgeordneten im aktuellen Bundestag angeschlossen haben. Warum haben Sie nicht mehr von denen erreicht?
Bülow: Wir haben damals völlig unterschätzt, wie schwer es ist, so etwas fraktionsübergreifend zu machen. Ich habe 2019, damals noch als Parteiloser, mit der Aktion »re:claim the house« die Klimabewegung in den Bundestag geholt und dazu alle Fraktionen eingeladen. Ich habe gesagt: Ihr könnt da hinkommen und diskutieren, ohne dass ich das parteimäßig für mich ausschlachten kann. Das hat am Anfang sogar funktioniert, die Abgeordneten sind dann aber relativ schnell wieder weggeblieben.
SPIEGEL: Ihre Erklärung?
Bülow: Alles ist der Parteitaktik unterworfen. Eine Partei lässt die Finger von so etwas, wenn sie sich den Erfolg nicht auf die eigene Fahne schreiben kann. Höchstens einzelne Abgeordnete halten sich manchmal nicht daran. Wenn die dann aber sagen: »Ich will mit der Klimabewegung reden«, heißt es aus ihrer Fraktion: »Tu das, aber nicht parteiübergreifend«. Dabei war es für die Klimabewegung ja gerade spannend, fraktionsübergreifend zu reden. Aber das politische System ist zu verkrustet, um so etwas zuzulassen.
SPIEGEL: In Ihrem neuen Buch »Lobbyland« fordern Sie, dieses System zu sprengen. Wie stellen Sie sich das vor?
Bülow: Als Erstes gehört der Fraktionszwang abgeschafft. Jeder Abgeordnete bricht praktisch in jeder Sitzungswoche das Grundgesetz, weil er eben nicht wie dort vorgeschrieben seinem Gewissen, sondern dem Fraktionsvorsitzenden oder der Regierung folgt. Natürlich ist immer schwer zu fassen, wo die Gewissensfreiheit anfängt und wo sie aufhört. Aber das Problem ist so offensichtlich, Abgeordnete sagen ja oft genug frei heraus, dass sie so oder so abgestimmt haben, weil das im Koalitionsvertrag steht. Die Verfassung sieht das aber so nicht vor. Außerdem brauchen wir als dritte Säule neben Regierung und Bundestag eine Mischung aus direkter Demokratie und Bürgerräten, die ich aber mit dem Parlament verweben möchte. »Alles ist der Parteitaktik unterworfen.«
SPIEGEL: Was heißt das?
Bülow: Bürgerräte sollten nicht nur Empfehlungen abgeben, die mal wieder kaum jemanden interessieren werden. Sie sollten Vorgaben entwickeln, die dann in den Parlamenten abgestimmt werden müssen. Dies erlaubt der Bevölkerung eine direkte Einflussnahme außerhalb der Wahlen. Ich finde es unglaublich wichtig, dass die Menschen wieder denken: Ich kann mitbestimmen. Als die Volksparteien früher – ich kenne das aus meinem Wahlkreis Dortmund gut – noch viel mehr Mitglieder hatten und aktiv am Leben in den Kommunen teilgenommen haben, hat das zum Teil noch funktioniert. Inzwischen haben die Parteien in Deutschland aber mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder verloren. Und die, die noch da sind, sind zu zwei Dritteln über 60.
SPIEGEL: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie sich für eine echte Demokratie einsetzen wollen. Behaupten Sie ernsthaft, dass wir in Deutschland keine echte Demokratie mehr haben?
Bülow: Ganz genau: Wir haben keine echte Demokratie mehr. Verstehen Sie mich nicht falsch: Man kann Deutschland nicht mit Ungarn oder anderen, autoritär regierten Ländern vergleichen. Aber eine echte Demokratie bedeutet für mich, dass Abgeordnete transparent arbeiten, dass sie nach ihrem Gewissen handeln und dass die Bevölkerung der wirkliche Souverän ist, sozusagen der Chef der Abgeordneten. Bei uns konzentriert sich alles auf Wahlen, die Parteien sind aber nicht mehr verwurzelt in der Gesellschaft. Wir haben genug Gegner, die die Demokratie angreifen. Sie muss verteidigt, aber auch immer wieder neu ausgefochten und weiterentwickelt werden.
SPIEGEL: Aus »Lobbyland« soll auch eine Initiative entstehen: Soll das so etwas werden wie die Bürgerbewegung Finanzwende, die ihr früherer Kollege Schick gegründet hat?
Bülow: Schöne Idee, aber so weit sind wir noch nicht. Mal sehen, was daraus wird.<<
Spiegel-Interview von Okan Bellikli vom 04.07.2021
Marco Bülow, Jahrgang 1971, ist 2018 nach 26 Jahren aus der SPD ausgetreten. Seit 2020 ist der fraktionslose Abgeordnete Mitglied der Satirepartei Die PARTEI und kandidiert im September erneut für den Bundestag. Der gebürtige Dortmunder hat seinen Wahlkreis seit seinem Einzug ins Parlament vor 19 Jahren immer direkt gewonnen. Von 2005 bis 2009 war er umweltpolitischer Sprecher und von 2009 bis 2013 stellvertretender energiepolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.
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25.06.2021 10:36
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Fairness im Wahlkampf angemahnt und notwendig
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Eine Verpflichtung aller wahlkämpfenden Parteien zu Fairness im Bundestagswahlkampf hat der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland während des ersten digitalen Johannisempfang der EKD angemahnt.
Die Algorhytmen der Sozialen Netzwerke spülten immer öfter Hassbotschaften nach vorn, sagte Heinrich Bedford-Strohm am Mittwochabend. "Bei allen parteipolitischen Auseinandersetzungen immer wieder die Sachebene ins Zentrum zu rücken und die eigenen Positionierungen offen zu halten für einen ergebnisoffenen Diskurs, sollte deswegen das Anliegen aller politisch Agierenden sein."
Generell sprach sich der bayerische Landesbischof für eine verantwortliche Gestaltung der Digitalisierung aus. Derzeit erlebe man ein "Fehlen von ethischen und gesetzlichen Regeln, die Orientierung für den verantwortlichen Umgang mit den neuen Technologien geben", sagte Bedford-Strohm.
Die Digitalisierung habe mit einer unfassbaren Geschwindigkeit das Leben der Menschen und die Kommunikationskultur verändert. "Deswegen ist es so wichtig, dass wir eine öffentliche Diskussion um die Ethik der Digitalisierung führen, die uns helfen kann, diese Anomie zu überwinden."
KNA)
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03.05.2021 09:03
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Rückschläge für Demokratie und Grundrechte - Fairnessmangel der Politik
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Im Schatten der Pandemie stecken Grundrechte und Demokratie folgenschwere Rückschläge ein. Schreibt die FR-Redakteurin Ursula Rüssmann heute in ihrem Leitartikel „Fataler Reformstau“ in der Frankfurter Rundschau. Sie macht deutlich, wie vollmundige Versprechen seitens der Politik besonders nach akuten Vorfällen von Diskriminierung und das politische Handeln überhaupt nicht zusammenpassen. So tragen die politischen Instanzen entgegen ihren Behauptungen dazu bei, die Zivilgesellschaft auszuhungern, zu schwächen und in der Anfeindung stehen zu lassen. Für den Zusammenhalt unternehmen die politisch Verantwortlichen zu wenig bis nichts. Rüssmann schreibt: >>Es war Anfang April eher eine Randnotiz in den Medien: Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) hatte ihre telefonische Beratung wegen Überlastung eingestellt, schon seit Wochen. Denn die Zahl derer, die wegen Benachteiligung Hilfe suchen, hatte sich 2020, auch durch Corona, verdoppelt. Mehr Berater:innen aber bekam die Behörde nicht. Vernachlässigung von Hilfestrukturen für Diskriminierungsopfer, und niemand schaut hin?
Der Fall ist symptomatisch für die grundrechtlichen und demokratiepolitischen Rückschläge, die das Land gerade erleidet. Im Schatten der Pandemiebekämpfung baut sich riesiger Reformstau auf, werden Defizite vergessen, die längst behoben sein sollten.
Dafür gibt es viele Beispiele, aber zunächst zur ADS, die Menschen helfen soll, wenn sie wegen ihrer Herkunft, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Neigung benachteiligt werden. Bei der Institution liegt auch strukturell viel im Argen. Europarat und EU-Kommission fordern schon länger, die Unabhängigkeit der nationalen Beratungsstellen müsse gestärkt werden, aber davon ist Deutschland Lichtjahre entfernt.
Neulich kamen die Probleme bei einer Anhörung im Bundestags-Familienausschuss auf den Tisch: Leitung seit 2017 (!) unbesetzt; krasse Unterfinanzierung. Schweden gibt 1,10 Euro pro Kopf für seine nationale Gleichbehandlungsstelle aus, Deutschland nur sechs Cent. Es fehlt an einem Verbandsklagerecht; die Klagefristen sind zu kurz. Und: Die ADS kann zu wenig bewegen, weil sie – anders als etwa der Bundes-Datenschutzbeauftragte – keine unabhängige Behörde ist, sondern Teil des Familienministeriums.
Dabei wäre eine Gleichbehandlungsstelle mit Schlagkraft dringend nötig, um auch institutionelle Diskriminierungen abzubauen. Das sieht man etwa beim Kampf gegen „Racial Profiling“, also gegen gezielte Polizeikontrollen von Menschen anderer Hautfarbe. Die vom Innenministerium angekündigte Polizeistudie spart das Reizthema bekanntlich aus, weil Minister Horst Seehofer es nicht will. Bei den Planungen zur Studie hat das Ministerium die ADS nicht mal konsultiert. Stimmen, die das anprangern, finden pandemiebedingt kaum Gehör.
Der Kampf gegen Rassismus stockt auch an anderer Stelle, die Einsichten, die auf den rechten Terror von Hanau und Halle folgten, scheinen fast wieder vergessen. So ist es ein dramatischer Rückschlag, dass die Union vor einigen Wochen das Wehrhafte-Demokratie-Gesetz im Kabinett blockierte.
Das Gesetz gehört zu den Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Rassismus, zu denen sich die Konservativen nach Hanau durchgerungen hatten. Es wird von zivilgesellschaftlichen Organisationen seit Jahren herbeigesehnt, damit ihre Basisarbeit gegen rechts und die Opferberatung endlich abgesichert sind und sie nicht mehr am Tropf befristeter Projektmittel hängen.
Wird es nun verwässert und verschleppt, ist der Schaden kaum zu überschauen. Auch wenn das Kabinett jetzt Mai für den Beschluss anvisiert: Viel hängt davon ab, ob die Union ihren populistischen Plan einer „Extremismusklausel“ durchsetzt, nach der alle Geförderte ein Bekenntnis zur freiheitlichen Grundordnung ablegen sollen. Das stellt die Initiativen gegen rechts unter Generalverdacht, und es würde zum Einfallstor für die Ausgrenzung linker Projekte. Die Chancen schwinden, dass das Gesetz vor der Wahl kommt. Für die Angehörigen der Opfer rechten Terrors ist das ein weiterer Schlag ins Gesicht. Auf die traurige Liste gehört übrigens auch die Reform des Gemeinnützigkeitsrechts vom Winter. Zwar gehen jetzt auch Klimaschutz und einiges andere als gemeinnützige Vereinszwecke durch, aber das Parlament hat sich geweigert, auch politisches Engagement für gemeinnützige Ziele abzusichern. Für Dorfverschönerung kann man künftig steuerbegünstigt spenden, aber nicht für eine Bürgerinitiative, die sich in die Wohnungsbauplanung einmischt. Damit agieren viele Organisationen weiter am Rand der Existenzbedrohung, ihre Kräfte werden (siehe Attac) teils jahrelang gebunden durch Konflikte mit Finanzbehörden.
Es gäbe weitere Beispiele. Allen gemeinsam ist: Stillstand und Rückschritt treffen uns alle, nicht nur ein paar Aktivist:innen und Gruppen. Die Reformverweigerung lähmt eben die, die für sozialen Ausgleich, Chancengleichheit, Minderheitenrechte eintreten. Diejenigen also, die täglich für die Demokratie arbeiten.
Ihnen kommt eine wichtige Rolle zu – erst recht nach der Pandemie, angesichts der sich schon abzeichnenden gesellschaftlichen und ökonomischen Spaltungen und Verteilungskämpfe. Ohne eine starke und hörbare Zivilgesellschaft wird der angeknackste innere Zusammenhalt in diesem Land nur schwer zu erhalten sein“.
Es mangelt der Spitzenpolitik an hartnäckigem, zugesagtem und wirksamem Einsatz für gesellschaftliche Fairness.
"Wie steht es um Ihre Fairness-Kompetenz?"
"Fataler Reformstau"
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03.04.2021 08:13
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Gesetz gegen Hass und Hetze in Kraft - Bestimmungen im Einzelnen
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Heute tritt das Gesetz gegen Hass und Hetze in Kraft. Es enthält
1. Erweiterungen und Verschärfungen des Strafgesetzbuchs
- Bedrohung (§ 241 StGB): Bislang war nach § 241 StGB nur die Bedrohung mit einem Verbrechen – wie die Morddrohung – strafbar. Jetzt sind auch Drohungen mit Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen Sachen von bedeutendem Wert (wie die Drohung, ein Auto anzuzünden), die sich gegen die Betroffenen oder ihnen nahestehende Personen richten, mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe strafbar. Wird die Tat im Internet oder auf andere Weise öffentlich begangen, drohen bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe. Der Strafrahmen für die Bedrohung mit einem Verbrechen wurde auf ebenfalls bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe angehoben, wenn diese nicht öffentlich erfolgt. Bei einer öffentlichen Drohung mit einem Verbrechen können bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe verhängt werden. Das gilt etwa für Mord- und Vergewaltigungsdrohungen im Internet.
- Beleidigung (§ 185 StGB): Öffentliche Beleidigungen sind laut und aggressiv. Für Betroffene können sie enorm belastend wirken. Wer öffentlich im Netz Menschen beleidigt, kann jetzt mit bis zu zwei statt mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bestraft werden.
- Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens (§ 188 StGB): Der besondere Schutz des § 188 StGB vor Verleumdungen und übler Nachrede gilt jetzt ausdrücklich auf allen politischen Ebenen, also auch für Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker. Zudem wurde der Straftatbestand auch auf den Schutz vor Beleidigungen ausgedehnt.
- Belohnung und Billigung von Straftaten (§ 140 StGB): Ab jetzt ist auch die Billigung noch nicht begangener schwerer Taten erfasst, wenn diese geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Dies richtet sich gegen Versuche, ein Klima der Angst zu schaffen. Das öffentliche Befürworten der Äußerung, jemand gehöre „an die Wand gestellt“ ist ein Beispiel für die nun bestehende Strafbarkeit.
- Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten (§ 126 StGB): Hier ist nun neben den bereits erfassten Straftaten auch die Androhung einer gefährlichen Körperverletzung und von schweren Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung umfasst.
- Antisemitische Tatmotive werden nun ausdrücklich als strafschärfende Beweggründe genannt (§ 46 Abs. 2 StGB).
- Schutz von Notdiensten (§ 115 StGB): Mancherorts ist es Alltag, dass Rettungskräfte und medizinisches Personal attackiert werden. Rettungskräfte im Einsatz sind bereits 2017 strafrechtlich besser vor Attacken geschützt worden. Dieser Schutz wurde nun auf Personal in ärztlichen Notdiensten und in Notaufnahmen ausgedehnt.
2. Pflicht sozialer Netzwerke zur Meldung von Hasspostings an das Bundeskriminalamt
Soziale Netzwerke werden strafbare Postings künftig nicht mehr nur löschen, sondern in bestimmten schweren Fällen auch dem Bundeskriminalamt (BKA) melden müssen, damit die strafrechtliche Verfolgung ermöglicht wird. Diese Meldepflicht wird ab dem 1. Februar 2022 gelten, um dem BKA, den Staatsanwaltschaften und den Netzwerkanbietern ausreichend Vorbereitungszeit zu geben. Um Täter und Täterinnen schnell identifizieren zu können, müssen soziale Netzwerke dem BKA dann neben dem Hassposting auch die IP-Adresse und Port-Nummer, die dem Nutzerprofil zuletzt zugeteilt war, mitteilen. Die Meldepflicht wird folgende Straftaten umfassen:
- Verbreiten von Propagandamitteln und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§§ 86, 86a StGB)
- Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§§ 89a, 91 StGB) sowie Bildung und Unterstützung krimineller und terroristischer Vereinigungen (§§ 129 bis 129b StGB)
- Volksverhetzungen und Gewaltdarstellungen (§§ 130, 131 StGB) sowie Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten (§ 126 StGB)
- Belohnung und Billigung von Straftaten (§ 140 StGB)
- Bedrohungen mit Verbrechen gegen das Leben, die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit oder die persönliche Freiheit (§ 241 StGB)
- Verbreitung kinderpornografischer Aufnahmen (§ 184b StGB)
Beleidigungen, üble Nachrede und Verleumdung sind nicht von der Meldepflicht umfasst, da die Abgrenzung zu von der Meinungsfreiheit umfassten Aussagen hier im Einzelfall schwierig sein kann. Soziale Netzwerke müssen allerdings künftig Nutzerinnen und Nutzer darüber informieren, wie und wo sie Strafanzeige und erforderlichenfalls Strafantrag stellen können.
3. Erleichterte Auskunftssperren im Melderecht
Ab jetzt können von Bedrohungen, Beleidigungen und unbefugten Nachstellungen Betroffene leichter eine Auskunftssperre im Melderegister eintragen lassen. So sind sie davor geschützt, dass ihre Adressen weitergegeben werden. Dazu wurde § 51 des Bundesmeldegesetzes geändert. Die Meldebehörden müssen künftig berücksichtigen, ob die betroffene Person einem Personenkreis angehört, der sich aufgrund beruflicher oder ehrenamtlicher Tätigkeiten in verstärktem Maße Anfeindungen oder Angriffen ausgesetzt sieht. Bei einer melderechtlichen Auskunftssperre wird (wie bisher) bei Kandidatinnen und Kandidaten auf Wahllisten nicht mehr die Wohnanschrift angegeben.
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15.03.2021 12:31
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Holz aus Namibia in Hamburg verfeuern - wie irrwitzig ist das denn?
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ROBIN WOOD-Aktivist*innen demonstrieren vor dem Heizkraftwerk Tiefstack in Hamburg gegen dessen Umrüstung von Kohle- auf Holzverbrennung
ROBIN WOOD-Aktivist*innen haben heute mit Bannern und Rauch vor dem Heizkraftwerk Tiefstack in Hamburg protestiert. Der Grund: Die Hamburger Umweltbehörde prüft zurzeit, im Kraftwerk Tiefstack – statt Kohle – Holz aus Namibia zu verheizen. Das Projekt ist international eines der ersten Vorhaben, für das in industriellem Maßstab Holz aus Afrika zur Energiegewinnung in eine EU-Land geliefert werden soll. Aus Sicht von ROBIN WOOD und rund 40 weiteren umwelt- und Entwicklungsgruppen wäre dies eine krasse Fehlentscheidung, die dem Ziel einer klimafreundlichen, sozial gerechten Energieversorgung zuwider liefe.
Die Welt steckt mitten in der Klimakrise. Auch Hamburg muss seinen CO2-Ausstoß drastisch senken. Da will es sich die Stadt zunutze machen, dass die Bundesregierung im Zuge des Kohleausstiegs die Energiegewinnung aus Biomasse als vermeintlich erneuerbare Energie fördert. Hamburg stünde dadurch auf dem Papier bei seiner Klimabilanz besser da, obwohl das industrielle Verfeuern von Holz Klima und Artenvielfalt massiv schadet. In Namibia hingegen würden die Treibhausgasemissionen negativ zu Buche schlagen. Sie entstünden etwa durch eine Nutzung der abgeholzten Flächen für die Rinderhaltung, bei der Produktion von Pellets bzw. Holzhackschnitzeln sowie beim Transport des Holzes.
„Wenn wir für warme Wohnzimmer hier in Hamburg die Ökosysteme Namibias verheizen, ist das klimaschädlich, gefährdet die Artenvielfalt und ist unfair. Hamburg stellt das Projekt als Hilfe für Namibia dar. Dabei sollen mal wieder Ressourcen des Globalen Südens ausgebeutet werden, um den unersättlichen Rohstoffhunger von reichen Industrieländern im Norden zu stillen. Hat Hamburg nichts aus seiner grausamen Kolonialgeschichte gelernt?“, fragt Ute Bertrand von ROBIN WOOD.
ROBIN WOOD hat mit vielen anderen Akteur*innen in Hamburg den Volksentscheid für den Rückkauf der Energienetze erstritten. Seitdem ist die Stadt verpflichtet, für eine sozial gerechte, klimaverträgliche und demokratisch kontrollierte Energieversorgung aus erneuerbaren Energien zu sorgen. Das Verfeuern von Holz aus Namibia widerspricht diesem Ziel.
ROBIN WOOD fordert den Hamburger Umweltsenator auf, die Energiewende entschlossen voranzutreiben und der Umrüstung des Kraftwerks Tiefstack auf Holzverbrennung jetzt eine klare Absage zu erteilen. Das hätte auch Signalwirkung für ähnliche Projekte in anderen Städten.
"Robin Wood mit weiterführenden Informationen"
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04.03.2021 09:31
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Wie der Staat öffentliche Gelder in die zerstörerische Tierwirtschaft leitet
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Subventionen für Tierfabriken und Futteranbau, Sozial- und Beratungsleistungen für Tierhalter*innen oder reduzierte Mehrwertsteuer auf Fleisch, Milch und Eier: Der Staat unterstützt die Tierwirtschaft und den Absatz tierbasierter Produkte auf vielfältige Weise.
Die neue Studie von >>gemeinsam-gegen-die-tierindustrie<< fasst zum ersten Mal zahlreiche Fördermaßnahmen zusammen. Die intransparente Datenlage lässt nur bei einem Teil der Posten eine Quantifizierung zu. Aber schon dabei kommen wir auf über 13 Milliarden Euro im Jahr. Diese gigantische Summe aus öffentlichem Geld fließt maßgeblich in Tierfabriken, die die Klimakrise anheizen, Menschen ausbeuten, enormes Tierleid verursachen und unser aller Gesundheit gefährden. Hinzu kommen viele weitere Fördermaßnahmen, für die wir keine Beträge schätzen können, die wir aber in der Studie beschreiben.
Im Bewertungsteil finden sich die fatalen Auswirkungen der Tierindustrie im Hinblick auf Menschen, Tiere, Gesundheit, Umwelt und Klima dar und liefern vor diesem Hintergrund eine Kritik an der aktuellen Förderungspolitik.
Davon ausgehend fordert >>gemeinsam-gegen-die-tierindustrie<< den Ausstieg aus der Tierindustrie und damit eine umfassende Transformation von Landwirtschaft und Ernährung.
"Zur Studie 'Milliarden für die Tierindustrie' - als Lang- und Kurzfassung einzusehen"
"Was die Organisation 'gemeinsam gegen die tierindustrie' will
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10.12.2020 10:53
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Wie der Klimawandel zu mehr Hunger führt - weil die reichen Länder unfair agieren
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Der Klimawandel verschärft den weltweiten Hunger. Der jüngste Bericht des Un-Wissen-schaftsrat zum Klimawandel warnt davor, dass die Auswirkungen des Klimawandels weltweit die Ernährungssicherheit weiter untergraben, bestehende Armutsfallen zementieren und neue schaffen werden.
Die Nothilfe- und Entwicklungsorganisationen Oxfam greift das auf:
Auf der einen Seite wirken schleichende Prozesse wie steigende Temperaturen, verstärkte Trockenheit und abnehmende Regenmengen. Sie verringern die Ernteer-träge, erschweren insgesamt die Land-wirtschaft und machen sie in manchen Regionen sogar unmöglich, etwa weil geeignete Flächen verloren gehen (z.B. durch Austrocknung oder Erosion). Auf der anderen Seite ist vermehrt mit Extremwet-terereignissen wie sintflutartigen Regenfällen, Überschwemmungen und Stürmen zu rechnen, die Felder und Ernten komplett vernichten, den Viehbestand dezimieren oder Fischerboote und andere Produktionsmittel zerstören. Auch der steigende Meeresspiegel zwingt schon heute immer wieder Menschen zur Aufgabe von Anbauflächen in Küstennähe. Indirekt wird die Ernährungssicherheit zusätzlich beeinträchtigt, weil sinkende Erträge die lokalen und globalen Preise steigen lassen und dies Menschen mit geringem Einkom-men in existenzielle nöte bringt.
Mehr dazu mit weiteren Aspekten und wichtigen Hinweisen für eine zukunftsfähigere Politik finden Sie auf
"Mehr zum Zusammenhang von Klimaschwandel, Klimaschutz, Hunger, soziale Ungleichheit und soziale Sicherung" In der linken Spalte dort ein mit Grafiken belegter Report als PDF zum Runterladen.
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01.12.2020 07:52
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CDU/CSU verschleppt den Rechtsschutz für Whistleblower - Verfassungsklage droht
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Die EU will Whistleblower besser schützen, doch die Bundesregierung zögert. Nun droht der Bürgerrechtler Malte Spitz mit Verfassungsklagen. Heinrich Wefing von der ZEIT interviewte Malte Spitz, den Generalssekretär der NGO „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ und Mitglied im Parteirat der Grünen:
DIE ZEIT: Whistleblower berichten aus ihrem Unternehmen oder einer Behörde über Skandale – und helfen so bei der Aufdeckung von Straftaten. Werden diese Informanten in Deutschland ausreichend geschützt?
Malte Spitz: Absolut nicht. Whistleblower müssen regelmäßig mit Strafverfolgung rechnen oder mit massiven Konsequenzen am Arbeitsplatz – mit Versetzung, Mobbing oder fristloser Kündigung. Manchen droht das berufliche Aus. Und der Gesetzgeber lässt die Whistleblower im Stich: Immer muss der einzelne Informant sich gegen mögliche Konsequenzen verteidigen. Mangels einer Beweislastumkehr, wie es sie zum Beispiel im Antidiskriminierungsrecht gibt, können Arbeitgeber Whistleblower leicht mit vorgeschobenen Gründen loswerden. Das schreckt viele potenzielle Whistleblower ab. Und es verhindert, dass Fehlverhalten öffentlich wird. Dabei sind staatliche Stellen und die Öffentlichkeit darauf angewiesen, dass Menschen auch im Alltag mithelfen, Missstände aufzudecken.
ZEIT: Der berühmteste Whistleblower der Welt ist wohl Edward Snowden, der ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiter, der den NSA-Skandal aufgedeckt hat. Jemand wie er müsste in Deutschland mit Strafverfolgung rechnen?
Spitz: Ja, das wäre auch bei uns eine riskante Aktion. Im Prinzip muss ein Geheimdienstmitarbeiter, der einen vermeintlichen Skandal sieht, sich erst mal an seinen Vorgesetzten wenden, in letzter Instanz an den zuständigen Minister, bei einem BND-Mitarbeiter wäre das der Kanzleramtschef. Und erst wenn da gar nichts passiert, könnte er an die Öffentlichkeit gehen, müsste aber damit rechnen, wegen Geheimnisverrats angeklagt zu werden. Aber das gilt nicht nur für Menschen wie Snowden. Auch im Alltag gibt es in Deutschland Whistleblower. Zuletzt zum Beispiel eine Küchenhilfe, die ein Video aus der Kantine des Fleischfabrikanten Tönnies geleakt hat, das zeigte, dass dort Hygiene-Abstände nicht eingehalten wurden.
ZEIT: Nun hat die EU allerdings im vergangenen Jahr den Schutz von Whistleblowern verbessert.
Spitz: Das stimmt, und das ist ein Schritt in die richtige Richtung, es gibt besseren Schutz vor Kündigung oder anderen Repressionen.
ZEIT: Umgekehrt könnte man sagen, dass dadurch zum Denunziantentum eingeladen wird.
Spitz: Das ist in der Richtlinie klar geregelt: Wer leichtfertig unwahre Anschuldigungen meldet, der ist vom Schutz ausgenommen. Aber die EU-Richtlinie muss jetzt erst mal in deutsches Recht umgesetzt werden, und da ist die Bundesregierung viel zu zögerlich. Aktuell würgt die Bundesregierung Zivilcourage ab, statt sie zu fördern.
ZEIT: Inwiefern?
Spitz: Die EU kann nur solche Whistleblower schützen, die Verstöße gegen europäisches Recht aufdecken helfen. Also zum Beispiel den Missbrauch von EU-Subventionen. Diese Richtlinie muss die Bundesregierung umsetzen, dazu ist sie verpflichtet. Aber bei dieser Minimalvariante wollen es dann auch Teile der Bundesregierung belassen. Whistleblower, die Verstöße gegen deutsches Recht anprangern, blieben dann weiter ungeschützt. Das ist aus unserer Sicht völlig absurd: Häufig kann ein Beamter oder eine Angestellte eines Unternehmens ja gar nicht abschätzen, ob mit europäischem Geld oder mit Bundesgeld Subventionsbetrug begangen wird. Das müsste er oder sie erst genau prüfen, ehe er oder sie einen Verstoß an staatliche Behörden, zum Beispiel die Staatsanwaltschaft, meldet. Das ist völlig lebensfremd, und außerdem halten wir es für eine Ungleichbehandlung, die gegen das Grundgesetz verstößt. Ich würde mir auf Grundlage der europäischen Richtlinie ein allgemeines Schutzgesetz für Whistleblower wünschen.
ZEIT: Was hindert die Bundesregierung daran, aus Ihrer Sicht?
Spitz: Die große Koalition ist da einfach zerstritten, die SPD will mehr Schutz, die Union ist dagegen: Das Justizministerium hat Anfang 2020 für ein weitreichendes Gesetz plädiert, das Haus von Wirtschaftsminister Peter Altmaier widersprach. Setzen sich CDU/CSU durch, könnte das Kabinett deshalb demnächst eine aus unserer Sicht verfassungswidrige Minimalumsetzung beschließen. Es wäre aber auch ein Problem für die betroffenen Unternehmen, denn die müssten mal strenges EU-Whistleblower-Recht anwenden, mal nationales Recht, ein irrer Aufwand.
ZEIT: Wenn es so kommt, würden Sie vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe klagen?
Spitz: Ich hoffe, dass die Bundesregierung doch noch einen echten, umfassenden Whistleblower-Schutz etabliert. Wenn nicht, würde die "Gesellschaft für Freiheitsrechte" gemeinsam mit betroffenen Whistleblowern relativ zügig versuchen, Klagen vorzubereiten. Da rechnen wir uns gute Chancen aus. Es würde aber vermutlich Jahre dauern, und in dieser Zeit bliebe es bei der schwer erträglichen Rechtsunsicherheit für Whistleblower.
26. November 2020, DIE ZEIT Nr. 49/2020
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18.11.2020 12:10
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Kein Export von verbotenen Pestiziden - keine Unfairness beim Pestizideinsatz
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„Was für Europäer zu giftig ist, darf auch nicht in andere Länder verkauft werden. Das Geschäft belastet Mensch und Umwelt“. So Uwe Kekeritz in der Frankfurter Rundschau am 15.11.2020. Und weiterhin schreibt er:
„Der globale Handel mit Pestiziden ist ein Milliardengeschäft. Dabei hat der Einsatz der Ackergifte verheerende Folgen. Weltweit kommt es jährlich zu über 40 Millionen Pestizidvergiftungen, von denen bis zu 40 000 tödlich enden. Neben akuten Vergiftungserscheinungen gibt es eine Vielzahl von langfristigen Schäden wie ein erhöhtes Auftreten von Krebs, chronischen Krankheiten, schweren Nierenerkrankungen oder Fehlbildungen im Mutterleib. Hinzu kommen fatale Auswirkungen auf Artenvielfalt und Umwelt, wie etwa das Bienensterben oder die Belastung von Wasser und Böden.
Aus diesem Grund ist eine Reihe von Produkten und Wirkstoffen in der Europäischen Union (EU) verboten oder nicht zugelassen. Dennoch dürfen diese Pestizide von europäischen Unternehmen weiterhin in andere Länder exportiert werden. So gehen etwa 60 Prozent dieser hochgiftigen Stoffe in Entwicklungs- und Schwellenländer. Dabei gehören deutsche Unternehmen wie Bayer und BASF zu den größten Exporteuren.
Es gibt weder eine wissenschaftliche noch eine moralische Rechtfertigung für diesen Doppelstandard. Es ist schlicht verantwortungslos, Produkte, die bei uns als zu gefährlich für Mensch und Umwelt eingestuft werden, in andere Länder zu exportieren, nur weil sie schwächere Umweltgesetze und weniger Arbeitsschutz haben. Wenn etwas für uns zu giftig ist, ist es das im globalen Süden auch. Da gibt es nichts zu diskutieren. Hinzu kommt, dass diese Pestizide als Rückstände auf Obst und Gemüse teilweise auch wieder zu uns zurückkommen.
Das Gute ist: Es verändert sich etwas. Die Zivilgesellschaft macht schon seit Jahren auf diese Missstände aufmerksam. In den letzten Monaten sind etliche Studien mit neuen Erkenntnissen zum Ausmaß und den Auswirkungen dieser Exporte erschienen. Aktuell läuft in Deutschland eine Kampagne, die durch ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen getragen wird.
ndere Länder sind weiter als Deutschland, und auch auf EU-Ebene gibt es Fortschritte. Frankreich hat schon seit zwei Jahren den Export solcher Pestizide gesetzlich verboten. In der Schweiz gilt von 2021 an ein Exportverbot für fünf besonders gefährliche Wirkstoffe. Das dort ansässige Unternehmen Syngenta ist Weltmarktführer für chemische Pflanzenschutzmittel. Die im Oktober veröffentlichte EU-Chemikalienstrategie bekennt sich zu einem Produktions- und Exportstopp verbotener Pestizide und will dass dieser EU-weit umgesetzt wird.
Als Grünen-Bundestagsfraktion haben wir mit der Linken-Fraktion nun einen Antrag eingebracht, in dem wir ein Exportverbot für in der Europäischen Union verbotene oder nicht zugelassene Pestizide fordern. Die gesetzliche Grundlage dafür existiert in Deutschland bereits.
Das Pflanzenschutzgesetz sieht vor, dass das Landwirtschaftsministerium zur Abwehr von Gefahren für die Gesundheit von Menschen und Umwelt die Ausfuhr von bestimmten Pestiziden in Staaten außerhalb der EU untersagen kann. Die Bundesregierung müsste also nicht einmal ein neues Gesetz erlassen, sondern nur die bestehenden anwenden. Das zeigt, dass es nicht um juristische Probleme geht, sondern um mangelnden politischen Willen.
Zudem muss der Umgang mit Pestiziden auf internationaler Ebene besser reguliert werden. Es gibt bereits internationale Leitlinien und Abkommen, die aber häufig nicht verbindlich sind oder nur eine geringe Anzahl von gefährlichen Inhaltstoffen betreffen.Diese Abkommen müssen gestärkt und ausgeweitet werden. Dafür ist es wichtig, dass Deutschland und die anderen EU-Staaten mit gutem Beispiel vorangehen, um internationale Verhandlungen glaubwürdig voranbringen zu können.
Um den weltweiten Pestizideinsatz zu verringern, müssen wir an ökologisch und sozial sinnvollen Alternativen arbeiten. Dazu zählt die agrarökologische Forschung, die Züchtung und der freie Tausch von geeignetem Saatgut statt patentierter und häufig genmanipulierter Sorten, aber auch ein gerechteres Welthandelssystem, das die regionale Produktion und Vermarktung fördert und die Abhängigkeit kleiner Produzenten vom Weltmarkt verringert. Erfolgreiche Beispiele gibt es schon viele, man muss ihnen nur mehr Gehör verschaffen und sie verstärkt fördern. Sowohl in der Landwirtschaft als auch in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ist hier noch viel Luft nach oben.
Uwe Kekeritz ist Sprecher für Entwicklungspolitik der Grünen-Bundestagsfraktion und stellvertretender Vorsitzender im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Bundestags.
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07.08.2020 08:16
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Lobbycontrol kritisiert Einstellung des Prüfverfahrens gegen Philipp Amthor
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Wegen seines Engagements für das US-Unternehmen Augustus Intelligence war der CDU-Politiker Philipp Amthor in die Kritik geraten. Der Bundestag hat nun das Prüfverfahren gegen ihn eingestellt. Die Organisation Lobbycontrol findet: Die Regelungen, die Interessenkonflikte von Abgeordneten ausschließen sollen, sind zu schwach.
Der Bundestag sieht beim Engagement des CDU-Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor für ein New Yorker Start-up keine Rechtsverstöße. “Die erfolgte Prüfung auf Verstöße gegen die Verhaltensregeln ist abgeschlossen, auf Grundlage der geltenden Bestimmungen haben sich keine Hinweise auf Rechtsverstöße ergeben”, sagte eine Sprecherin dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Amthor sagte am Donnerstag auf Nachfrage der Nachrichtenagentur dpa: “Meine beendeten Nebentätigkeiten habe ich einschließlich aller Reisen mit der Bundestagsverwaltung als zuständiger Stelle erörtert. Sie hat den Sachverhalt umfangreich geprüft und mir im Ergebnis mitgeteilt, dass sich auf der Grundlage der geltenden Bestimmungen keine Rechtsverstöße ergeben haben. Das Prüfverfahren wurde eingestellt.”
Amthor war wegen seiner Nebentätigkeit und Lobbyarbeit für das US-amerikanische IT-Unternehmen Augustus Intelligence in die Kritik geraten. Er habe die Zusammenarbeit inzwischen beendet. Seine Kandidatur für den CDU-Vorsitz in Mecklenburg-Vorpommern zog er zurück.
Berliner Staatsanwaltschaft sah keinen Anfangsverdacht der Bestechlichkeit
Der 27-jährige CDU-Politiker erklärte nun: "Jenseits des Juristischen gilt aber auch: Nicht alles, was rechtlich möglich ist, ist auch politisch klug. Dass mir das nicht früher bewusster war, bedauere ich sehr." Auch die Berliner Staatsanwaltschaft sah in dem Engagement keinen Anfangsverdacht einer Bestechlichkeit oder Bestechung. Es lägen keine Erkenntnisse darüber vor, dass Amthor verbotene Zuwendungen erhalten habe, hieß es im Juli in einer Mitteilung. Amthor habe lediglich seinen Kontakt zum Bundeswirtschaftsministerium genutzt mit dem Ziel der Unterstützung des Unternehmens.
LobbyControl fordert strengere Transparenzregeln
Die Organisation LobbyControl sieht den Fall jedoch noch nicht als erledigt an. Sie fordert strengere Transparenzregeln im Bundestag. “Der Fall Amthor zeigt klar, dass die Regeln des Bundestags nicht ausreichen, um mit Interessekonflikten von Abgeordneten ordentlich umzugehen”, sagte LobbyControl-Sprecher Timo Lange dem RND. “Private Tätigkeiten, die auch der Gewinnmaximierung dienen können, und Abgeordnetenrolle werden nicht klar genug getrennt. Die Regeln sind schwammig und haben Lücken. Das Parlament sollte dies schärfer regulieren.”
Es müsse vom Bundestag klar gestellt werden, “dass das Abgeordnetenmandat nicht genutzt werden darf, um wirtschaftliche Vorteile zu erlangen”, sagte Lange weiter. “Nebentätigkeiten oder andere Verbindungen, die im Umgang mit politischen Entscheidungen Befangenheit auslösen können, müssen sichtbarer gemacht werden. Auch Aktienoptionen müssen offengelegt werden.”
Auch im Fall Amthor blieben noch viele Fragen offen. “Es wurden zwar rechtlich keine Verstöße festgestellt. Philipp Amthors Verhalten bleibt aber dennoch fragwürdig”, sagte Lange. “Um Zweifel zu zerstreuen, sollte er unter anderem öffentlich darlegen, von welchem Zeitpunkt an er mit Augustus Intelligence über Aktienoptionen und einen Direktorenposten gesprochen hat. Sollte Amthor seine Tätigkeit bei einer Anwaltsfirma wiederaufnehmen, sollte er über die Art seiner Mandate dort Auskunft geben.”
Von RND/vat/dpa
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16.07.2020 09:33
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Schritte auf dem Weg zu fairem Internet: Europäischer Gerichtshof kippt umstrittenes "Privacy Shield"
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Firmen übertragen Nutzerdaten in die USA. Ohne Rückfrage bei den Nutzern, ohne Einverständniserklärung. Dürfen Firmen wie Facebook das - Nutzerdaten in die USA übertragen? Diese Frage beschäftigte den Europäischen Gerichtshof. Denn das entspricht weder der EU-Datenschutzgrundverordnung noch einem fairen, transparenten Umgang mit Nutzerdaten. Diese Daten sind ja zugleich Waren, mit denen viel Geld erwirtschaftet werden. Nun wurde ein wichtiger transatlantischer Datenpakt für ungültig erklärt. Spiegel Online schreibt dazu heute:
"Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Datenschutzvereinbarung "Privacy Shield" gekippt, die die USA und die EU getroffen haben. Der "Privacy Shield" legt Standards für den Umgang mit europäischen Informationen in den USA fest.
Das Verfahren war aus einem Rechtsstreit des österreichischen Juristen und Aktivisten Max Schrems mit Facebook entstanden.
Das grundsätzliche Ende von Datentransfers in die USA bedeutet das EuGH-Urteil bei Weitem nicht. Unternehmen können Nutzerdaten von EU-Bürgern weiter auf Basis sogenannter Standardvertragsklauseln in die USA und andere Staaten übertragen, entschieden die Luxemburger Richter am Donnerstag. Zugleich wurde aber auch betont, dass Datenschutzbehörden verpflichtet seien, Übermittlungen von Daten auszusetzen oder zu verbieten, wenn sie der Auffassung sind, dass die Standardvertragsklauseln im Empfängerland praktisch nicht eingehalten werden oder nicht eingehalten werden können. Es geht um die Macht der US-Geheimdienste
Das Urteil geht aus einem jahrelangen Rechtsstreit um den Umgang mit personenbezogenen Daten hervor. Max Schrems hatte bei der irischen Datenschutzbehörde ursprünglich beanstandet, dass Facebook Irland seine Daten an den Mutterkonzern in den USA weiterleitet, obwohl diese Daten dort nicht angemessen gegen US-Überwachungsprogramme gesichert seien. Er begründet das damit, dass Facebook in den USA dazu verpflichtet sei, US-Behörden wie der NSA und dem FBI Zugang zu den Daten zu gewähren - ohne dass Betroffene dagegen vorgehen können. Der irische High Court rief angesichts jenes Streits schließlich den EuGH an und wollte wissen, ob die angewandten Regeln mit dem europäischen Datenschutzniveau vereinbar sind.
Die Luxemburger Richter erklärten den "Privacy Shield" nun für ungültig. Mit Blick auf die Zugriffsmöglichkeiten der US-Behörden seien die Anforderungen an den Datenschutz nicht gewährleistet. Zudem sei der Rechtsschutz für Betroffene unzureichend.
Die sogenannten Standardvertragsklauseln sollen im Kern Garantien dafür bieten, dass die Daten von EU-Bürgern auch bei einer Übermittlung aus der EU ins Ausland angemessen geschützt sind. Der "Privacy Shield" ist ein weiterer Kanal, der für den Datentransfer in die USA zur Verfügung steht.
Schrems gibt sich zufrieden
Max Schrems sagte am Donnerstagvormittag, er sei "sehr froh" über die Entscheidung des Gerichtshofs. Sie sei ein absoluter Rückschlag für Facebook und die irische Datenschutzbehörde. Es sei klar, dass die USA ihre Überwachungsgesetze ernsthaft ändern müssten, wenn US-Unternehmen weiterhin eine Rolle auf dem EU-Markt spielen wollten.
Durch eine Klage von Schrems war 2015 bereits das transnationale Safe-Harbor-Abkommen zwischen den USA und der EU für ungültig erklärt worden. Der "Privacy Shield" war als Nachfolgeregelung für das Safe-Harbor-Abkommen ausgehandelt worden und war von Anfang an umstritten. Facebook beruft sich bei der Übertragung der Daten von Europa in die USA nicht auf den "Privacy Shield", sondern auf die Standardvertragsklauseln".
Der Spiegel am 16.07.2020 mit den Agenturen mbö/dpa/AFP
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07.07.2020 08:31
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110 Bischöfe fordern Lieferkettengesetz gegen Ausbeutung
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Katholische Bischöfe aus aller Welt haben an die Regierungen appelliert, Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards zu verpflichten. "Wir erwarten auch von der deutschen Bundesregierung, dass sie in dieser Legislaturperiode das im Koalitionsvertrag vorgesehene Lieferkettengesetz verabschiedet", erklärte am Montag Freiburgs Erzbischof Stephan Burger, der die Kommission für Entwicklungsfragen der deutschen Bischofskonferenz leitet. Burger hat eine entsprechende Erklärung von mehr als 110 katholischen Bischöfen aus 31 Ländern unterschrieben, so die Erzdiözese.
Ziel eines Lieferkettengesetzes ist vor allem, ausbeuterische Arbeitsbedingungen bei Zulieferern im Ausland zu verhindern. "Wenn Unternehmen zur Verschmutzung von Böden, Luft und Grundwasser, zu Menschenrechtsverletzungen oder Kinderarbeit beitragen, müssen sie dafür zur Verantwortung gezogen werden. Betroffenen muss der Zugang zu wirksamen Rechtsmitteln erleichtert werden", fügte Erzbischof Burger hinzu.
Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer von Misereor (Aachen), erinnerte Unternehmen an ihre Verantwortung gegenüber Textilarbeiterinnen in Bangladesch, Kakaopflückern in Westafrika oder indigenen Gemeinschaften in Brasilien. Die Corona-Krise habe gezeigt, wie verwundbar gerade die Beschäftigten am Beginn internationaler Lieferketten seien.
Die Bischöfe aus Afrika, Lateinamerika, Asien und Europa heben in der Erklärung hervor, dass die Achtung von Menschenrechten und Umweltschutz nicht länger dem freiwilligen Ermessen von Privatunternehmen überlassen bleiben dürfe. Deshalb unterstützen sie die angekündigte EU-Initiative für verbindliche menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten.
epd lbw/cez jup
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30.04.2020 11:13
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Tag der Arbeit: Whistleblower von Bundesregierung im Stich gelassen
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Am Tag der Arbeit fordern das Whistleblower-Netzwerk und Transparency Deutschland, mit denen wir kooperieren, Hinweisgeber am Arbeitsplatz besser zu schützen
Whistleblower-Netzwerk und die Antikorruptionsorganisation Transparency Deutschland fordern das umfassende Gesetz zum Hinweisgeberschutz auf Basis der vorliegenden Richtlinie der Europäischen Union (EU 2019/1937). Die neue Gesetzgebung sollte zwingend auch rein deutsche Rechtsbereiche berücksichtigen, um in Zukunft alle Hinweisgeber gleichermaßen sinnvoll schützen zu können.
Bei der Aufdeckung von Korruptionsfällen und anderen Straftaten sind Hinweisgeber unverzichtbar. Doch wer in Deutschland im Arbeitskontext Straftaten, Fehlverhalten und Missstände meldet, ist Repressalien durch den Arbeitgeber fast schutzlos ausgeliefert.
„Auch der Tag der Arbeit steht in diesem Jahr im Eindruck der Corona-Krise. Gerade mit Blick auf bereitgestellte Staatshilfen und den Handlungsdruck auf das Gesundheitswesen und die medizinische Forschung braucht es engagierte Bürgerinnen und Bürger, die Missbrauch und Fehlverhalten ans Licht bringen", so Louisa Schloussen, Leiterin der Arbeitsgruppe Hinweisgeber von Transparency Deutschland.
Annegret Falter, Vorsitzende von Whistleblower-Netzwerk: „Wenn Beschäftigte im Zusammenhang der Corona-Pandemie auf Rechtsverstöße oder Missstände hinweisen, erwarten wir von Behörden und der Rechtsprechung schon jetzt eine richtlinienkonforme Auslegung bestehender Vorschriften.“
Die deutsche Bundesregierung muss bis Oktober 2021 die EU-Richtlinie zum Whistleblowerschutz in nationales Recht umsetzen. Damit wird eine Harmonisierung des Hinweisgeberschutzes in den EU-Mitgliedstaaten angestrebt. Whistleblower-Netzwerk und Transparency Deutschland erwarten Verbesserungen, die über EU-Recht hinaus das Schutzniveau für Hinweisgeber im Beschäftigungsverhältnis erhöhen.
Die Richtlinie schützt nur Personen, die Verstöße gegen bestimmtes EU-Recht melden. Ob ein konkreter Fall EU- oder nationales Recht betrifft, ist schon für Juristinnen und Juristen häufig schwer zu bestimmen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist eine solche Rechtsunsicherheit nicht zumutbar. Ohne eine Ausweitung des Anwendungsbereichs auf Verstöße gegen nationales Recht müsste ein Hinweisgeber selbst wissen und entscheiden können, ob seine Meldung im konkreten Fall zulässig und er oder sie damit geschützt ist. Eine solche Regelung würde den Sinn der Richtlinie in ihr Gegenteil verkehren und Nachteile für alle Beteiligten mit sich bringen. Dem Vernehmen nach hat das Bundeswirtschaftsministerium jedoch in einem Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums umfangreiche Änderungen geltend gemacht, um eine Ausweitung auf nationales Recht zu verhindern.
„In Deutschland sind Hinweisgeber bisher nur in wenigen Bereichen gesetzlich geschützt, etwa, wenn sie Straftaten im Finanzbereich aufdecken. Die EU-Richtlinie setzt die notwendigen Impulse, um die Bundesregierung zum Handeln zu bewegen und endlich alle Hinweisgeber am Arbeitsplatz besser zu schützen“, so Hartmut Bäumer, Vorsitzender von Transparency Deutschland.
"Das Positionspapier"
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08.04.2020 10:13
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Geschäfte ohne oder mit Gewissen?
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Einer der größten Textilstandorte der Welt liegt im indischen Bundesstaat Tamil Nadu. Rund 2,2 Millionen Menschen arbeiten dort. Darunter 300.000 Mädchen und junge Frauen, die vor allem in Baumwollspinnereien wie Sklavinnen schuften, heißt es im neunen terre des hommes-Magazin.
"Kann ein Lieferkettengesetz helfen, die Situation der Arbeiterinnen zu verbessern? Dazu diskutierte terre des hommes mit Bundestagsabgeordneten, Vertretern der Wirtschaft und der Initiative für ein Lieferkettengesetz bei einem parlamentarischen Abend in Berlin.
Exzessive Überstunden, erbärmlicher Lohn, unzumutbare Unterkünfte, Schikanen und sexuelle Belästigung durch die Vorgesetzten – all das gehört zum Alltag der Textilarbeiterinnen in Indien. 40.000 Mädchen hat terre des hommes bisher aus dieser Sklaverei befreit. Sie gehen wieder zur Schule oder machen eine Ausbildung. Außerdem hat terre des hommes mit der indischen Partnerorganisation Care-T einen Verhaltenskodex entwickelt für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen der Mädchen.
In Deutschland sollen Unternehmen mit dem Lieferkettengesetz dazu verpflichtet werden, Schäden an Mensch und Umwelt zu vermeiden. Beim parlamentarischen Abend betonte Cornelia Heydenreich von der Initiative Lieferkettengesetz: »Ein Lieferkettengesetz hätte vorbeugende Wirkung, denn Unternehmen müssen im Vorfeld menschenrechtliche Risiken analysieren und wirksame Maßnahmen ergreifen, um Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung zu vermeiden. Bei Verstößen muss ein Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden können.«
Bundestagsabgeordnete Katharina Dröge von Bündnis 90/Die Grünen ergänzte, dass immer mehr Unternehmen in einem Lieferkettengesetz auch eine Chance sehen: »Dann sind alle in der Pflicht, nicht nur die, die sich bereits jetzt engagieren.« Auch Dr. Johannes Merck von der Otto Group sieht in einer gesetzlich für alle verbindlichen Regelung eine vernünftige Option.
terre des hommes-Botschafterin Margot Käßmann, die erst vor einigen Monaten das Projekt von terre des hommes in Tamil Nadu besucht hatte, machte deutlich, wie wichtig es sei, die indischen Frauen zu stärken und sie dabei zu unterstützen, ihre Rechte gegenüber den Fabrikbesitzern durchzusetzen.
Einig waren sich alle Beteiligten darüber, dass ein Boykott, solche Textilien zu kaufen, keine Lösung für die Arbeiterinnen wäre. P. E. Reji, terre des hommes-Mitarbeiter in Indien, fasste zusammen: »Wir brauchen endlich faire Arbeitsbedingungen.«
Die Initiative Lieferkette … ist ein Zusammenschluss zahlreicher Organisationen, die dafür eintreten, dass Unternehmen Menschenrechte achten und Umweltzerstörung vermeiden. Freiwillig kommen Unternehmen ihrer Verantwortung nicht ausreichend nach. Deshalb sollen Unternehmen, die Schäden an Mensch und Umwelt in ihren Lieferketten verursachen oder in Kauf nehmen, dafür haften. Skrupellose Geschäftspraktiken dürfen sich nicht länger lohnen. Geschädigte müssen auch vor deutschen Gerichten ihre Rechte einklagen können. terre des hommes unterstützt diese Initiative".
Aus: tdh-Magazin 1-2020, S. 18f "zum Magazin von terre des hommes
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06.04.2020 10:00
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Meldestelle gegen Hetze im Internet
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Im Kampf gegen Hetze und Hass im Internet setzt die hessische Landesregierung noch mehr auf die Unterstützung aus der Bevölkerung. Die erste staatliche Meldestelle hat in Hessen seine Arbeit aufgenommen, bei der sich jede und jeder mit Texten oder Fotos aus dem Netz an Experten zur Prüfung wenden kann.
Per Onlineformular, E-Mail oder über eine Telefon-Hotline können sich die Bürger nun unter www.hessengegenhetze.de
"Direkt zum Meldeformular bei Hass und Hetze im Internet"
bei Vorkommnissen melden. Ministerpräsident Volker Bouffier betonte, eine breite gesellschaftliche Unterstützung sei nötig. Nach seiner Erkenntnis sei es das erste Mal in Deutschland, dass ein solches Meldeportal eingerichtet wurde: "Das ist keine Eintagsfliege, sondern soll eine Dauereinrichtung sein."
Der stellvertretende Regierungschef Tarek Al-Wazir (Grüne) sagte, Hessen sei ein sicheres Land. In Teilen der Gesellschaft sei aber eine Verrohung erkennbar. "Wir haben eine Senkung der Hemmschwelle. Was offline gilt, gilt aber auch online", sagte Al-Wazir zu strafbaren Äußerungen im Netz. Deshalb sei diese zentrale Meldestelle eingerichtet worden.
Mehr als 80 Ermittlungsverfahren bereits eingeleitet
Die Landesregierung hatte im Herbst ein Aktionsprogramm zur Ächtung von Online-Hetze vorgestellt. Es war in Folge des Mordes am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) aufgestellt worden. Vor und nach der Tat hatten Nutzer im Internet - mutmaßlich aus dem rechten Spektrum - gegen das Opfer gehetzt. Teil des Aktionsplans ist neben dem Meldesystem ein Bündnis aus Vereinen, Institutionen und Justiz gegen Hetze im Netz.
Seit dem Start Anfang November gingen rund 6.200 Hinweise bei der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) ein, wie Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) am Donnerstag sagte. Etwa 40 Prozent der geprüften Meldungen würden als strafrechtlich relevant eingeschätzt. 79 Ermittlungsverfahren seien daraufhin eingeleitet worden. Es reiche nicht, diese Inhalte nur zu löschen, betonte die Ministerin. Es müsse auch zu einer strafrechtlichen Verfolgung kommen. Mit dieser bundesweit einmaligen Kooperation solle erreicht werden, dass Meinungsfreiheit im Netz wieder mehr Platz finde.
"Direkt zum Meldeformular bei Hass und Hetze im Internet"
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25.02.2020 11:40
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Lieferkettengesetz für mehr Fairness jetzt
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Barbara Küppers, Kinderrechtsexpertin von Terre des Hommes, setzt sich für eine EU weite Regelung der Lieferketten ein. Den Verbrauchern allein kann es nicht weiter überlassen bleiben, ob faire und soziale Standards Beachtung finden. Hier ist der Staat gefragt. Aber er lässt sich sehr viel Zeit und wird durch Lobbyisten in Parteien und Ministerien kräftig aufgehalten und irritiert. Küppers schreibt:
„Für die Verwirklichung von Menschenrechten und Umweltschutz sind nationale Regierungen zuständig. Sie sind gehalten, gesetzliche Mindestlöhne festzulegen, von denen die Menschen leben können. Sie müssen in ihrem Land Kinder vor Ausbeutung schützen und Umweltauflagen durchsetzen.
Verantwortlich sind allerdings auch die, die ausnutzen, dass grundlegende Arbeitsrechte und Umweltstandards in einem Land nicht eingehalten werden, und damit profitable Geschäfte machen. Dass Unternehmen verantwortlich handeln, ist Grundlage sozialer Marktwirtschaft und festgelegt in den Leitlinien der OECD und der Vereinten Nationen.
Ob Firmen sich daranhalten, liegt aber noch immer viel zu sehr in ihrem eigenen Ermessen. Bisher sind es Menschenrechtsorganisationen, Umweltschützer oder Journalisten, die Missstände aufdecken und Verantwortliche benennen. Bisher müssen schreckliche Unglücke geschehen, bevor sich Branchen bewegen, wie etwa der Einsturz der Näherei Rana Plaza in Bangladesch.
Bürgerinnen und Bürger hierzulande reagieren seit Jahren: Sie ermöglichen mit ihrer Kaufentscheidung fairen Handel und Sozialsiegel gegen Kinderarbeit. Auch einige namhafte Unternehmen wie Adidas und Otto, C&A und Tchibo haben Standards und Verfahren für Menschenrechte und Umweltschutz entwickelt, ebenso Biobetriebe wie Hess Natur und familiengeführte Mittelständler wie Vaude. Internationale Rankings bestätigen, dass ihre Maßnahmen wirken.
Zu viele Unternehmen ducken sich weg oder geben ihrem Geschäft nur einen grünen Anstrich. Terre des Hommes fordert als Teil der Initiative Lieferkettengesetz, eines Zusammenschlusses von Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, kirchlichen Verbänden und Gewerkschaften, einen fairen und starken rechtlichen Rahmen. Während Arbeitgeberverbände, so BDA-Präsident Ingo Kramer, Unternehmer „bereits mit einem Bein im Gefängnis“ sehen, fordern Tchibo, Otto, der Discounter Lidl und die Bekleidungskette Kik einen rechtlichen Rahmen und gleiches Recht für alle.
Ein Lieferkettengesetz würde Firmen verpflichten, sorgfältig zu prüfen, ob es bei der Herstellung ihrer Produkte Risiken für Mensch und Natur gibt: Wird Baumwolle in Sklavenarbeit gesponnen, wie etwa in Tamil Nadu, einem der größten Textilstandorte der Welt? Werden unter Naturschutz stehende Wälder abgeholzt für Palmölplantagen, wie in Guatemala und Indonesien? Werden Arbeiterinnen erschossen, die sich für Arbeitsschutz und bessere Löhne engagieren, wie in Südafrika oder Kambodscha? Schürfen Kinder Mineralien, wie etwa in Indien und Madagaskar?
Alle international tätigen großen Unternehmen und auch solche mittlerer Größe in riskanten Branchen wie Textilien, Bergbau oder Chemie müssten zunächst die eigene Lieferkette von der Rohstoffgewinnung bis zum Endprodukt genau überprüfen. In der Realität ist solche Transparenz eine Herausforderung, denn bei vielen Produkten sind Dutzende oder sogar Hunderte Zulieferer in vielen Ländern beteiligt. Dass Transparenz machbar ist, zeigen einige Unternehmen schon heute. Ein Lieferkettengesetz würde Firmen verpflichten, Risiken mit angemessenen eigenen Aktivitäten auszuschließen. Was „angemessen“ ist, hängt nicht nur davon ab, wie schwer ein Verstoß gegen die Arbeitsrechte oder den Umweltschutz ist, sondern auch von der Größe und Einkaufsmacht. Man wird reden müssen bevor Verträge geschlossen werden: mit Menschenrechts- und Umweltorganisationen vor Ort, mit Gewerkschaften und mit den betroffenen Menschen, die viel zu oft keine Lobby haben.
Natürlich wird es darauf ankommen, wie ambitioniert das Gesetz formuliert wird. Es wird darauf ankommen, wie die Stelle ausgestattet ist, die Unternehmensberichte prüft. Die politische Auseinandersetzung im Kabinett und im Bundestag wird sich um die Frage drehen, was genau eine „angemessene Gegenmaßnahme“ ist.
Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen werden mit Wirtschaftsverbänden um Millimeter ringen. Dabei scheint es eine Koalition der Vernünftigen zu geben: Unternehmen, die verantwortlich handeln wollen. Das Bündnis für ein Lieferkettengesetz, das Augenmaß bewahrt, damit das Gesetz in der komplexen Realität funktionieren kann. Und schließlich die von SPD und CSU geführten Arbeits- oder Entwicklungshilfeministerien, die in diesen Tagen Eckpunkte für ein Sorgfaltspflichtengesetz vorlegen werden. Es muss gelingen. Denn die, die unter unwürdigen Bedingungen für den Weltmarkt schuften, brauchen dringend bessere Arbeitsbedingungen. Und ja: Eine europaweite Regelung wäre noch besser. Dafür könnte sich die Bundesregierung einsetzen, wenn sie im Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt“.
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13.02.2020 10:59
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Wenn der Job krank macht: Wird die Anerkennung von Berufskrankheiten fairer?
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Arbeitnehmer in Deutschland im europäischen Vergleich eher schlecht da. Das Bundesarbeitsministerium von Hubertus Heil (SPD) hat jetzt einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Anerkennung und Entschädigung von Berufskrankheiten neu regeln soll. Journalist Christian Burmeister schreibt dazu in der Frankfurter Rundschau:
"Doch vielen geht dieser nicht weit genug. Ob die Pflegerin mit Bandscheibenvorfall, der Dachdecker mit Knieproblemen oder die Friseurin mit Hautkrankheiten aufgrund von ständigem Chemikalienkontakt: Jedes Jahr zeigen laut dem Dachverband der Berufsgenossenschaften etwa 75 000 Menschen eine berufsbedingte Erkrankung an. Aber nur gut ein Viertel der Fälle wird anerkannt und entsprechend entschädigt. Rund 2500 Menschen sterben jährlich sogar an den Folgen einer Berufskrankheit – fast so viele wie im Straßenverkehr.
In Deutschland werden von den Unfallversicherungen pro hunderttausend Erwerbstätigen nur 85-mal Berufskrankheiten anerkannt. In Italien liegt die Quote bei 86, in Dänemark bei 149, in Spanien bei 192 und in Frankreich sogar bei 426. Das berichtet das Portal Buzzfeed unter Berufung auf französische Studien. Allerdings: Eine Anerkennung hat in den verschiedenen Ländern auch verschiedene finanzielle und arbeitsrechtliche Folgen.
Das neue Gesetz von Heil sieht nun mehrere Maßnahmen vor: So soll der Sachverständigenrat personell und finanziell aufgestockt werden. Dieser entscheidet über die Aufnahme von Berufskrankheiten in den Katalog der Versicherer, arbeitet nach Ansicht von Experten aber viel zu langsam. Das Gesetz sieht auch eine Abschaffung des sogenannten Unterlassungszwangs vor. Dieser schloss bisher für neun Krankheiten (zum Beispiel Rückenschmerzen) Entschädigungen aus, wenn Arbeitnehmer trotz ihrer Krankheit weiterhin berufstätig waren. „Das soll die Voraussetzungen schaffen, damit erkrankte Arbeitnehmer die Arbeit reduzieren oder beenden können, bevor womöglich eine endgültige Arbeitsunfähigkeit festgestellt wird“, sagt Beate Müller-Gemmeke, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Der Politikerin geht das Gesetz aber nicht weit genug. Dabei weiß sie sich mit der Linkspartei und den 16 Bundesländern einig. Sie alle fordern von Heil zum einen eine Härtefallregelung. Müller-Gemmeke: „Manche Berufskrankheiten sind extrem selten und nicht als solche anerkannt. Auch hierfür braucht es zumindest eine Grundlage, damit diesen Menschen geholfen werden kann.“ Außerdem fordern die Länder eine „Beweislasterleichterung“.
Hintergrund: Arbeitnehmer haben es bisher oft schwer, die nötigen Belege für den Grund ihrer arbeitsbedingten Erkrankung zu beschaffen – beispielsweise wenn ein Arbeitgeber seiner Dokumentationspflicht beim Umgang mit Schadstoffen nicht nachgekommen ist oder schon seit Jahren nicht mehr existiert. „In solchen Fällen sollten auch Plausiblitätsnachweise genügen“, fordert Müller-Gemmeke.
Der Bundesrat will am Freitag einen entsprechenden Änderungsantrag für das Gesetz beschließen und anschließend mit der Bundesregierung über entsprechende Nachbesserungen verhandeln. Ausgang offen".
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20.12.2019 09:59
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Juristinnen bemängeln die mangelhafte Umsetzung der UN-Frauenrechtskonvention in Deutschland
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Wie sähe das Land aus, wenn tatsächlich Geschlechtergerechtigkeit herrschte? Impulse für die Vorstellungskraft hat die 40. Geburtstagsfeier für das UN-Frauenrechtsabkommen am Mittwochabend in Berlin gesetzt. In der Frankfurter Rundschau berichtet darüber Kirsten Achtelik über die krasse Unfairness in der Geschlechter-Gleichbehandlung:
"Zu der Veranstaltung hatten der Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien von Ulrike Lembke und die Kommission Europa- und Völkerrecht des Deutschen Juristinnenbundes (djb) in den prestigeträchtigen Senatssaal der Humboldt-Universität geladen. Der Tenor des Abends: Die Konvention ist gut und wichtig, besser wäre es allerdings, wenn sie auch konsequent angewendet würde und zwar auf allen Ebenen: von der Politik, den Behörden und auch von Gerichten.
Die Frauenrechtskonvention ist bekannter unter ihrem englischen Kürzel CEDAW, die Abkürzung steht für „Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women“. Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau wurde am 18. Dezember 1979 von der UN-Generalversammlung verabschiedet und trat am 9. August 1985 für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft.
Kritische Fragen an Berlin
Die Konvention hält fest, dass Frauen die gleichen Menschenrechte wie Männer haben und die ratifizierenden Staaten verpflichtet sind, diese auch durchzusetzen. Unzureichender Schutz vor häuslicher Gewalt, Gender-Pay-Gap, ungleiche Verteilung der Sorgearbeit, Ehegattensplitting, der Paragraf 218, Operationen an intergeschlechtlichen Kleinkindern – all das dürfte es nicht geben, wenn die Konvention in Deutschland wirklich umgesetzt würde. Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen ist nicht nur rechtlich, sondern auch faktisch sicherzustellen, dabei soll die Konvention als Instrument dienen. Eine dafür entscheidende Formulierung ist die Verpflichtung der Staaten zu „wirksamen Maßnahmen“ gegen die diskriminierenden Missstände. Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, hielt in ihrer Rede unter dem Titel „Die UN-Frauenrechtskonvention – Motor für Geschlechtergerechtigkeit in Deutschland“ fest, dass es eben nicht reiche, irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen. Wenn freiwillige Selbstverpflichtungen offensichtlich unzureichend seien, müssten halt Quoten her. Die Quotendebatte in Deutschland kranke seit den 1980er Jahren daran, dass CEDAW nicht ernst genommen werde.
Rudolf betonte, dass Diskriminierung ein Machtmittel sei. Diese abzubauen werde also nicht von allen in gleicher Weise begrüßt: „Mittelmäßige Männer ahnen: Geschlechtergleichheit bedroht ihre Privilegien. Kluge Menschen wissen: Geschlechtergleichheit nutzt allen. Denn sie überwindet geschlechtsspezifische Verhaltenserwartungen und führt damit zu mehr Freiheit für alle Menschen.“ Eine diskriminierende Absicht sei nicht erforderlich, weil die Konvention sich gegen jedes Handeln und Unterlassen richtet, das sich benachteiligend auf Frauen auswirke. Rudolf kritisierte, dass dies auch in der Anwendung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, noch „allzu oft verkannt“ werde: „Es geht nicht darum, Böses zu sanktionieren. Sondern es geht darum, Frauen gleiche Teilhabe in allen Lebensbereichen zu gewähren.“
Die Moderatorin des Abends, Ulrike Lembke, stellte fest, im Grundsatz sei CEDAW „Revolution durch Recht“. Ihre vollständige Umsetzung bedeute eine „ganz andere Gesellschaft, die wir uns vielleicht heute noch nicht vorstellen können“. 189 Staaten haben das Übereinkommen mittlerweile ratifiziert. Die Umsetzung begleitet ein Ausschuss, dem die Staaten alle vier Jahre Berichte zum Abbau von noch problematischen Ungleichheiten vorlegen müssen.
Auf der CEDAW-Jubiläumsfeier des Frauenministeriums, die bereits am 27. November stattgefunden hatte, sagte Ministerin Franziska Giffey (SPD), man sei noch lange nicht am Ziel. Sie kündigte an, weiter Druck machen zu wollen. Der jüngste Zwischenbericht der Bundesregierung liest sich allerdings etwas anders: Die Regierung verweist darauf, dass beispielsweise die deutsche Regelung zur geschlechtsspezifischen Verfolgung für die Betroffenen besser sei als das EU-Recht; sie sieht hier also keinen Handlungsbedarf. Bei der Bekämpfung von Kinderarmut sieht sie sich auf einem guten Weg. Und die Kritik des UN-Ausschusses an den restriktiven Vorgaben des Abtreibungsparagrafen 218 weist sie rundheraus zurück.
Der vollständige Bericht Deutschlands soll bis März 2020 fertig sein. Im ersten Halbjahr 2020 wird Berlin eine neue Liste mit kritischen Fragen erhalten, die die Grundlage für den neunten Staatenbericht werden sollen. Dem aktuellen Global Gender Gap Report des World Economic Forums (WEF) zufolge belegt Deutschland im internationalen Gleichberechtigungs-Vergleich den zehnten Platz – hinter Ländern wie Ruanda oder Spanien. Für das schlechte Abschneiden sind unter anderem der Gender-Pay-Gap (68. Platz) und die fehlende Machtbeteiligung in der Wirtschaft (89. Platz) verantwortlich".
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01.07.2019 11:25
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Im Zweifel für Diskriminierung und Unfairness
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In Polen entscheiden immer mehr Gerichte im Sinne der nationalpopulistischen Regierungspartei PiS, berichtet für die taz Gabriele Lesser aus Warschau. Und sie kommentiert:
„Das „gute Gewissen“ spielt in Polen eine zunehmend politische Rolle, seit die nationalpopulistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) an der Macht ist. Katholisch kommt das „gute Gewissen“ daher, PiS-freundlich und Frauen-, Ausländer- und LGBT-feindlich.
Seit vergangener Woche diskutiert halb Polen, wer sich auf ein „gutes Gewissen“ berufen darf. Nur Katholiken oder auch Andersgläubige? Nur Männer oder auch Frauen? Schwule und Lesben aber nicht oder doch? Zbigniew Ziobro, Generalstaatsanwalt und Justizminister in einer Person, begrüßte ausdrücklich das Urteil des Verfassungsgerichts, mit dem einem Drucker das Recht zugestanden wurde, ein LGBT-Veranstaltungsplakat nicht herstellen zu müssen. Kurz darauf ordnete Ziobro ein Ermittlungsverfahren gegen das schwedische Möbelhaus Ikea an, das einem polnischen Mitarbeiter angeblich rechtswidrig „aufgrund seines Glaubens“ gekündigt habe. Dieser hatte gegen eine LGBT-Toleranz-Aktion protestiert – mit Bibelzitaten, denen zufolge Homosexuelle sich einer „Blutschuld“ schuldig machten und des Todes sterben müssten.
Zwar kennt in Polen jedes Kind den Aphorismus des polnischen Juden Stanilsaw Jerzy Lec: „Sein Gewissen war rein. Er benutzte es nie.“ Doch die universelle Bedeutung geht verloren. Ein „reines Gewissen“ im Sinne von „unbenutzt“ wird mehr und mehr Andersgläubigen zugeschrieben, auch Frauen, die vergewaltigt wurden und die „Pille danach“ fordern. Oder Schwulen und Lesben, die nicht dem katholischen Ideal einer Mann-Frau-Kind-Familie entsprechen. Ein „gutes Gewissen“ hingegen schreiben sich PiS-Anhänger und bigotte Katholiken in Polen gern selbst zu. In den Genuss dieses selbstgerechten „Ich gehöre zu den Guten“-Gefühls kamen bislang vor allem Ärzte. Apotheker und Kirchenmänner. Während sich Pädophile unter den Klerikern darauf verlassen konnten, von Bischöfen in immer neue Gemeinden versetzt zu werden, wo sie weitere Kinder sexuell missbrauchen konnten, können es Gynäkologen wie Apotheker mit Berufung auf ihr „gutes Gewissen“ ablehnen, Verhütungsmittel zu verschreiben oder zu verkaufen.
Seit einiger Zeit aber landet das „polnische Gewissen“ immer öfter vor Gericht. PiS-loyale Richter sorgen dafür, wie jetzt im Verfassungsgericht, dass das Urteil im Sinne der PiS ausfällt. Angeblich sei das Diskriminierungsverbot, auf das sich die erste und zweite Instanz wie auch später das oberste Gericht beriefen, „nicht verfassungskonform“. Zbigniew Ziobro freute sich am Mittwoch unverhohlen darüber, dass seine „Argumente vom Verfassungsgericht geteilt“ würden. „Die Freiheit kommt allen zu. Niemand soll unter dem Vorwand der Toleranz den Staatsapparat einschalten, um die anderen zur Vergewaltigung ihrer Gewissens-, Glaubens- oder Wirtschaftsfreiheit zu zwingen.“ Triumphierend setzte Ziobro hinzu: „Endlich leben wir in einem freien Land!“
Jaroslaw Jagura von der Warschauer Helsinki-Stiftung für Menschenrechte wies darauf hin, dass zahlreiche Diskriminierungsprozesse neu aufgerollt werden könnten und die Diskriminierten – Rollstuhlfahrer, Blinde mit Blindenhund, Mütter mit Kinderwagen, Schwule und Lesben – den Kürzeren ziehen könnten. Miroslaw Makuchowski von der Kampagne gegen Homophobie fragt: „Wir erinnern uns an die Zeiten, als in den Läden Schilder mit der Aufschrift hingen ‚Juden – Zutritt verboten‘. Müssen wir uns an Schilder gewöhnen wie ‚Homosexuelle bedienen wir nicht‘ oder ‚Rollstuhlfahrer – ungern gesehen‘?“.“
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04.06.2019 18:20
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Finanzlobby in der EU destruktiv - was tun
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Infolge der Finanzkrise von 2007 kam es in der Europäischen Union bedauerlicherweise nicht – im Gegensatz zu den USA – zu einer umfassenden Nachregulierung des Finanzsektors. Dies ist auch dem großen Einfluss von Finanzlobbyisten in Brüssel geschuldet. Corporate Europe Observatory hatte diesen Einfluss 2014 in einer ausführlichen Studie dokumentiert. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Macht der Finanzlobby in Brüssel trotz Finanzkrise ungebrochen ist. So arbeiten zur Zeit circa 1700 Finanzlobbyisten in Brüssel, also etwa viermal mehr als es für diesen Politikbereich zuständige EU-Beamte gibt.
Um den Einfluss der Finanzlobby zurückzudrängen, fordert die Initiative
- die Interaktionen von Finanzlobbyisten mit Parlamentariern und Entscheidungsträgern einzuschränken; - grundlegende Transparenz aller Lobbytreffen herzustellen; - dass neben der Finanzlobby auch andere Perspektiven gehört werden und diese auf europäischer Ebene gestärkt werden; - die Mitgliedschaft in exklusiven Clubs und Vereinigungen, die die Finanzindustrie mit Entscheidungsträgern zusammenbringt, abzulehnen. Damit ist etwa die Mitgliedschaft von Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), in der Finanzlobbygrouppe G30 gemeint; - sowie strengere Regeln bei Interessenkonflikten und Seitenwechseln von Beamten und Politikern aller EU-Institutionen.
Der übermäßige Einfluss von Konzernlobbyisten betrifft nicht nur Fragen der Finanzmarktregulierung. Auch insgesamt zeigt ein Blick auf den Lobbyeinfluss in Brüssel, dass insbesondere Konzerne zu viel Macht in der EU haben.
"Der Aufruf für strengere Regeln für Finanzmarkt und Lobbyismus in der EU - zum Unterschreiben"
"Zum EU-Lobbyreport von Lobbycontrol"
"Der Fairness-Initiativpreis für Lobbycontrol"
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29.04.2019 11:45
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Warum Julia Klöckner eine klare Lebensmittel-Ampel verhindert
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Es ist offensichtlich, dass die Ministerin Klöckner die Interessen der Agrar- und Lebensmittelindustrie gegen die Verbraucher und eine fairere Lebensmittel-Kennzeichnung vertritt.
Warum will Julia Klöckner eine Nährwertkennzeichnung erst im Sommer vorstellen? Und warum wird die komplizierter und damit uneffektiver als eine, die es schon gibt? Nicolai Kwasniewski schreibt dazu im Spiegel: "Ein einfaches Ampelsystem wird es wohl nicht sein - eine positive Bewertung des sogenannten Nutri-Scores ließ die Ministerin zurückhalten.
Wie können Verbraucher im Supermarkt erkennen, welche Lebensmittel gut für sie sind? Und was heißt überhaupt "gut"? Eine simple Kennzeichnung in den Ampelfarben Rot, Gelb und Grün will die Mehrheit der Hersteller unbedingt verhindern. In Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) hat die Industrie für dieses Ziel offenbar eine Unterstützerin gefunden: Sie hält eine Studie zurück, die den zunehmend populären Nutri-Score offenbar positiv bewertet.
Das geht aus einer internen E-Mail aus dem Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung (BMEL) hervor, die die Verbraucherorganisation Foodwatch veröffentlicht hat. In einem internen Vermerk heißt es, die Ministerin habe "ausdrücklich darum gebeten" im Zusammenhang mit der Studie "größte Vertraulichkeit sicherzustellen". Geht es wirklich nur darum, "vorzeitige Festlegungen" zu vermeiden oder soll hier ein Label schlechtgemacht werden, weil es der Industrie nicht passt?
Über die Frage, wie der Gehalt an Fett, Salz, Zucker und gesättigten Fettsäuren bei verarbeiteten Lebensmitteln gekennzeichnet werden soll, wird seit mehr als zehn Jahren gestritten, zum Teil auch erbittert gekämpft. Die Vorgaben werden in Brüssel gemacht, vor gut zehn Jahren verhinderte die Lebensmittellobby eine Kennzeichnung in den Ampelfarben - ein großer Erfolg für die Industrie.
Seither verpflichtet eine EU-Verordnung die Hersteller vorgefertigter Produkte lediglich dazu, auf der Packung den Gehalt an Energie, Fett, gesättigten Fettsäuren, Kohlenhydraten, Zucker, Eiweiß und Salz anzugeben. Das sind jene Tabellen auf der Packungsrückseite, die nur wenige Verbraucher lesen und noch weniger vollständig verstehen.
Verbraucherschützer fordern deshalb, dass auf der Vorderseite der Verpackung gezeigt werden soll, wie viel Fett, Zucker und Salz das Lebensmittel enthält - und zwar in Rot, Gelb und Grün, für viel, mittel und wenig. Ihr Argument: So greifen Verbraucher eher zur "grünen" Version und ernährten sich langfristig ausgewogener. Die meisten Hersteller lehnen das als Bevormundung ab, nennen die Farbgebung willkürlich und argumentieren beispielsweise damit, dass auch gesundes Vollkornbrot einen roten Punkt für den Salzgehalt bekäme.
Laut EU-Recht ist eine zusätzliche Nährwertkennzeichnung auf der Packungsvorderseite ausdrücklich erlaubt. Einige Mitgliedstaaten haben deshalb eine freiwillige Kennzeichnung eingeführt. Derzeit sieht es so aus, als ob sich das französische Nutri-Score-Modell durchsetzt - nach Frankreich führen es auch Belgien, Spanien, Portugal und Luxemburg ein. (Lesen Sie hier mehr zum Nutri-Score) Unternehmen wie Danone, Iglo, Bofrost und ein paar kleinere Produzenten zeichnen ihre Produkte auch in Deutschland damit aus, auch wenn ein Verein gerade gerichtlich dagegen vorgeht.
Die Industrie will das Nutri-Score-System verhindern
Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, bis zum Sommer eine Nährwertkennzeichnung zu erarbeiten und einzuführen. Im vergangenen Jahr beauftragte Julia Klöckner das Max Rubner-Institut (MRI) mit einer wissenschaftlichen Bewertung der in Europa verwendeten Modelle. Im Herbst war dieser Bericht offenbar bereits fertig, und das MRI kam zu dem Schluss, dass die Nutri-Score-Ampel "grundsätzlich vorteilhaft für eine "Front of Pack"-Nährwertkennzeichnung ist". So steht es in der internen Ministeriums-E-Mail, die Foodwatch durch einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz bekommen hat und die dem SPIEGEL vorliegt.
Warum Klöckner um "größte Vertraulichkeit" bat, ist unklar - in der E-Mail heißt es, das MRI habe die Modelle "lediglich wissenschaftlich bewertet", es bedürfe noch "der Abstimmung mit anderen Referaten". Sicher ist, dass ihr Ministerium den MRI-Bericht erst sechs Monate später, im April 2019 veröffentlichte, offenbar in einer überarbeiteten Fassung. Foodwatch-Campaignerin Luise Molling bezeichnet es als inakzeptabel, dass die ursprüngliche Studie nicht veröffentlicht werden soll: "Politik auf der Basis von Wissenschaft und Fakten, wie von Frau Klöckner immer wieder betont, braucht keine Geheimhaltung von wissenschaftlichen Studien." Klöckner hat immer wieder darauf hingewiesen, dass sie ein eigenes Modell entwickeln möchte, und zwar in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und Verbrauchern. Zwar favorisieren auch die meisten Verbraucherorganisationen das Nutri-Score-System nach französischem Vorbild. Die Wirtschaft will die Ampel aber weiterhin vermeiden.
Auch um den Nutri-Score zu umgehen, stellte der Branchenverband Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) deshalb ein weiteres Modell vor, dass weniger eindeutig und weniger farbig ist. Vielleicht wollte Klöckner genau darauf warten - der BLL stellte sein Modell genau an jenem Tag vor, an dem die Ministerin den überarbeiteten MRI-Bericht veröffentlichte.“
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23.04.2019 11:31
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Wird ab Mai die Menschenrechtsverpflichtung der Unternehmen geprüft?
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Wirkt der Nationale Aktionsplatz (NAP) für Menschenrechte in Unternehmen? Oder ist er nur Schall und Rauch für die Show? Inwieweit kommen in Deutschland ansässige Unternehmen in ihren weltweiten Liefer- und Wertschöpfungsketten ihrer im NAP verankerten Sorgfaltspflicht nach?
Diese zentrale Frage leitet das NAP-Monitoring - im Mai 2019 startet die erste große Erhebungsphase. Zunächst 1.800 Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten werden in einer repräsentativen Stichprobe ausgewählt und in einem persönlichen Anschreiben eingeladen, an der Befragung teilzunehmen. Sie können den NAP-Prozess in Deutschland damit aktiv mitgestalten.
Darum geht es: Die Sorgfaltspflicht der Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte ist ausführlich im Nationalen Aktionsplan beschrieben. Sie setzt sich aus fünf Kernelementen zusammen: - einer Grundsatzerklärung der Unternehmen, die Menschenrechte zu achten, - Verfahren, die dazu dienen, tatsächliche und potenzielle nachteilige Auswirkungen auf die Menschenrechte zu ermitteln, - Maßnahmen, die potenzielle negative Auswirkungen verhindern sollen sowie weitere Maßnahmen, die geeignet sind, die Wirksamkeit dieser Maßnahmen zu überprüfen, - der Berichterstattung und - Beschwerdemechanismen.
Beachten deutsche Unternehmen im Ausland die Menschenrechte? Eine Überprüfung sollte das klären. Doch das Kanzleramt interveniert bei der Umsetzung des Nationalen Aktionsplans.
Zum Hintergrund ein Bericht von Tobias Schwab (von der Frankfurter Rundschau): „Billigtextilien aus Bangladesch, seltene Erze aus dem Kongo für die Elektronikindustrie, Kakao von Plantagen in der Elfenbeinküste – immer wieder sehen sich deutsche Unternehmen mit Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten konfrontiert. Mit dem 2016 beschlossenen Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) verpflichtete die Bundesregierung Firmen deshalb zu mehr Verantwortung für die Arbeitsbedingungen bei ihren Geschäftspartnern im Ausland – zunächst auf freiwilliger Basis. Im jüngsten Koalitionsvertrag vereinbarten Union und SPD allerdings, „national gesetzlich tätig zu werden“, sollten die Unternehmen ihre menschenrechtliche Sorgfaltspflicht nicht wahrnehmen.
Überprüft werden soll das Engagement der Firmen mittels einer umfangreichen Befragung. Dieses Monitoring sorgt nun für Zündstoff, ein handfester Koalitionskrach droht.
Kanzleramt und Wirtschaftsministerium greifen ein
Aus dem vertraulichen Entwurf für das Monitoring, den die Unternehmensberatung Ernst & Young (EY) im Auftrag des federführenden Außenministeriums erarbeitet hat, geht hervor, dass Bundeskanzleramt und Bundeswirtschaftsministerium massiv intervenieren.
Umstritten ist vor allem die Methodik des Monitorings - die letztlich darüber entscheidet, wie viele Firmen die Anforderungen erreichen. Denn der NAP setzt eine Schwelle: Demnach müssen bis 2020 mindestens die Hälfte aller in Deutschland ansässigen Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten die „wesentlichen Elemente menschenrechtlicher Sorgfalt in ihre Unternehmensprozesse“ integriert haben. Andernfalls droht ein Gesetz - das Kanzleramt und Wirtschaftsressort offenbar unbedingt vermeiden wollen.
Darauf deuten jedenfalls die Änderungen im EY-Bericht hin, der der Frankfurter Rundschau vorliegt. So wollen das Kanzleramt und das Ministerium von Peter Altmaier (CDU) etwa, dass Firmen, die den Fragebogen nicht ausfüllen, als „Nicht-Responder“ registriert werden und damit aus der Bewertung herausfallen. Darüber hinaus soll die Kategorie „Grenzfälle“ geschaffen werden - für Unternehmen, die nach einer „Gesamtwürdigung“ dann doch noch zu den „Erfüllern“ gerechnet werden können. Deren Zahl wollen Kanzleramt und Altmaier offenbar auch steigern, indem Unternehmen, anders als bislang vorgesehen, Schwächen in einem Bereich durch ihre Performance auf einem anderen Feld kompensieren können.
„Germanwatch“ kritisiert Kanzleramt Bei den zivilgesellschaftlichen Akteuren kommt das gar nicht gut an. „Es ist ein Unding, dass das Kanzleramt auf den letzten Drücker die Methodik des Monitorings weiter verwässern will“, kritisiert Cornelia Heydenreich, Expertin für Unternehmensverantwortung bei Germanwatch. Damit würde das Ergebnis schöngerechnet. Und die Wahrscheinlichkeit steige, „dass mehr als die Hälfte der Unternehmen das Monitoring besteht“.
Auch Armin Paasch von der katholischen Hilfsorganisation Misereor hält die Intervention für ein durchsichtiges Manöver, „um eine gesetzliche Regelung zu vermeiden“. Das Monitoring solle den Anschein erwecken, „dass viele Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten wahrnehmen, auch wenn sie gar nichts tun“.
Bundeskanzleramt und Wirtschaftsministerium teilten auf Anfrage der Frankfurter Rundschau beinahe gleichlautend mit: Da die Beratungen zum Bericht von EY innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen seien, könnten „zu diesem Zeitpunkt keine weiteren detaillierten Auskünfte“ gegeben werden. Entschieden werde in einem interministeriellen Ausschuss (IMA) - und zwar im Konsens.
Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung: „Zeitalter der Freiwilligkeit hat ein Ende“
Nach Übereinstimmung sieht es im Moment aber gar nicht aus. Dem Vernehmen nach lehnen die ebenfalls im IMA vertretenen und SPD-geführten Ressorts Arbeit und Soziales, Umwelt sowie Justiz die Änderungen ab. Offiziell betonte eine Sprecherin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf Anfrage, der Koalitionsvertrag sehe vor, „dass sich die Bundesregierung für eine konsequente Umsetzung des Nationalen Aktionsplans für Wirtschaft und Menschenrechte einsetzt“. Und: „Sollte sich 2020 herausstellen, dass die Freiwilligkeit nicht ausreicht, wird die Bundesregierung gemäß Koalitionsvertrag gesetzlich tätig.“ Bärbel Kofler, die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, ist da schon viel weiter. „Wir brauchen gesetzliche Regelungen, das Zeitalter der Freiwilligkeit hat ein Ende“, sagte die SPD-Bundestagsabgeordnete der Frankfurter Rundschau. „Wenn 100 Prozent der deutschen Unternehmen ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht gerecht würden, dann bräuchten wir kein Gesetz. Ansonsten besteht eine Schutzlücke, die wir dringend schließen müssen.“
Das sieht man offenbar auch im Bundesentwicklungsministerium von Gerd Müller (CSU) so. Wie jüngst bekannt wurde, liegt dort bereits der Entwurf für ein „Nachhaltiges Wertschöpfungskettengesetz“ auf dem Tisch. Das würde Unternehmen bei ihren Auslandsgeschäften umfassende Risikoabschätzungen vorschreiben und verlangen, Menschenrechtsverletzungen präventiv vorzubeugen.
Genug Zündstoff also für die große Koalition. Für diesen Mittwoch ist nun ein Krisentreffen des interministeriellen Ausschusses anberaumt, in dem das Bundeskanzleramt offiziell nur Beobachterstatus hat, aber doch sehr rührig mitwirkt“ (3.4.2019).
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18.03.2019 11:39
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Fairness für Whistleblower?
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Wer Rechtsverstöße in Unternehmen oder Organisationen offenlegt, lebt gefährlich. Whistleblower riskieren, strafrechtlich verfolgt oder entlassen zu werden. Jetzt hat die EU eine Richtlinie zum Schutz vorgestellt.
Illegaler Handel mit Facebook-Daten, manipulierte Abgaswerte bei Diesel-Autos, Geldwäsche und Steuerhinterziehung rund um die Panama Papers: Viele Skandale, die in den vergangenen Jahren große Schlagzeilen und zahlreiche Gerichtsverfahren mit sich brachten, wären möglicherweise unentdeckt geblieben, wenn nicht Insider brisante Informationen öffentlich gemacht hätten. Dafür zahlen Hinweisgeber häufig einen hohen Preis, so EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans.
Neue Richtlinie: drei Richtungen
Zum besseren Schutz von Whistleblowern sieht eine neue Richtlinie der EU-Kommission drei Kanäle vor: Zunächst sollen Hinweisgeber intern die Möglichkeit haben, Rechtsverstöße anzuprangern. Dafür müssen Unternehmen und Behörden vertrauenswürdige Kommunikationswege schaffen - zum Beispiel in Form von Ombudsleuten. Die Regeln betreffen alle Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern oder einem Jahresumsatz von zehn Millionen Euro. Wenn das Unternehmen auf Beschwerden nicht reagiert, sollen Whistleblower sich an staatliche Kontrollbehörden und Bürgerbeauftragte wenden. Im letzten Schritt sei der Gang an die Öffentlichkeit, über Journalisten und Medien legitim, so Timmermans.
Beweislast beim Unternehmen
In diesen Fällen sollen die Hinweisgeber nicht ihre Entlassung fürchten müssen oder andere Formen der Vergeltung. Kommt es doch dazu, muss das Unternehmen beweisen, dass etwa eine Versetzung oder Gehaltseinbußen nichts mit der Veröffentlichung zu tun haben. Nicht nur für Angestellte Dieser Schutz soll nicht nur Angestellten gewährt werden, sondern auch Auftragnehmern, Zulieferern, Praktikanten oder Bewerbern, erklärt Justizkomissarin Vera Jourova. Ein Whistleblower sei der Richtlinie zufolge jeder, der interne Informationen über EU-Rechtsverstöße offenlegt, die der Gesellschaft ernsthaft schaden. Die neue Richtlinie ist zunächst ein Vorschlag der EU-Kommission. Das Europäische Parlament fordert die neuen Regeln bereits seit langem. Schließlich müssen noch die Staats- und Regierungschefs zustimmen, bevor die Mitgliedstaaten den Schutz der Whistleblower in nationales Recht umsetzen müssen. Soweit Samuel Jackisch, ARD-Studio Brüssel
Was ist vorgesehen?
Klare Mechanismen und Pflichten für Arbeitgeber Alle Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten oder einem Jahresumsatz von mehr als 10 Mio. EUR müssen ein internes Verfahren für den Umgang mit Meldungen von Hinweisgebern einführen. Auch alle Landes- und Regionalverwaltungen und Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern werden von der neuen Richtlinie erfasst. Die erforderlichen Schutzmechanismen sollen Folgendes umfassen: • klare Meldekanäle innerhalb und außerhalb der Organisation, um die Vertraulichkeit zu wahren; • ein dreigliedriges Meldesystem bestehend aus: • internen Meldekanälen; • Meldungen an die zuständigen Behörden – wenn interne Kanäle nicht funktionieren oder nach vernünftigem Ermessen nicht funktionieren können (z. B. wenn die Nutzung interner Kanäle die Wirksamkeit von Untersuchungsmaßnahmen der zuständigen Behörden gefährden könnte); • Meldungen in der Öffentlichkeit/den Medien – wenn nach der Meldung über andere Kanäle keine geeigneten Maßnahmen ergriffen werden oder wenn eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses oder die Gefahr eines irreparablen Schadens besteht. • Rückmeldepflichten für Behörden und Unternehmen‚ die innerhalb von drei Monaten auf Meldungen von Missständen reagieren und sie weiterverfolgen müssen. • Vermeidung von Vergeltungsmaßnahmen und wirksamer Schutz: Jegliche Vergeltungsmaßnahmen sind untersagt und sollen geahndet werden. Wenn ein Hinweisgeber Vergeltungsmaßnahmen erleidet, soll er Zugang zu kostenloser Beratung und angemessenen Abhilfemaßnahmen erhalten (z. B. Maßnahmen gegen Belästigung am Arbeitsplatz oder zur Vermeidung einer Entlassung). Die Beweislast wird in solchen Fällen umgekehrt, sodass die von der Meldung betroffene Person oder Organisation nachweisen muss, dass sie keine Vergeltungsmaßnahmen gegen den Hinweisgeber ergreift. Hinweisgeber werden auch in Gerichtsverfahren geschützt, etwa indem sie von der Haftung für offengelegte Informationen befreit werden. Wirksame Sicherungsmaßnahmen Mit dem Vorschlag werden verantwortungsvolle Hinweisgeber geschützt, die tatsächlich im öffentlichen Interesse handeln wollen. Daher enthält der Vorschlag auch Sicherungsmaßnahmen, durch die in böser oder missbräuchlicher Absicht getätigte Meldungen unterbunden und Rufschädigungen vermieden werden sollen. Für die von der Meldung eines Hinweisgebers betroffenen Personen gilt die Unschuldsvermutung, und sie haben das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, ein faires Verfahren und Verteidigung.
"Aus dem ARD-Studio in Brüssel"
"Verlautbarung der EU-Kommission"
"Was ist Whistleblowing und was kann man tun? Die Hinweise der Fairness-Stiftung"
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13.02.2019 11:50
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Entwicklungsminister droht deutschen Firmen
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Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) droht deutschen Firmen mit empfindlichen Strafen in Deutschland, wenn sie ihre Lieferanten aus Entwicklungsländern nicht zu fairen Arbeitsbedingungen und dem Einhalten von Umweltstandards zwingen. So berichtet das Handelsblatt. "Sein Ministerium bereitet einen entsprechendes „Nachhaltige Wertschöpfungskettengesetz“ vor.
„Das Entwicklungsministerium will sicherstellen, dass Unternehmen ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht in globalen Lieferketten nachkommen“, sagte eine Ministeriumssprecherin auf Nachfrage. Ein erster Gesetzentwurf liegt dem Handelsblatt vor. Er droht Unternehmen mit Bußgeldern bis zu fünf Millionen Euro, mit Freiheitsstrafen und dem Ausschluss von öffentlichen Aufträgen in Deutschland, wenn sie bei ihren Lieferanten im Ausland. Menschenrechte nicht durchsetzen. Die Berliner „Tageszeitung“ berichtete zuerst über das Thema.
Müller will die Ziele des „Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte“ durchsetzen. Bisher setzt er dabei auf Freiwilligkeit. Es gibt das „Textilbündnis“, an dem sich die Hälfte der Textilindustrie beteiligt. Auch mit Kakaoproduzenten will das Entwicklungsministerium freiwillig Fairtrade-Bedingungen durchsetzen. Im Dezember drohten allerdings fünf Bundesminister, darunter auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Außenminister Heiko Maas (SPD) der Wirtschaft mit einem Gesetz, sollte es bis 2020 keine Fortschritte geben. „Sollte sich 2020 herausstellen, dass die Freiwilligkeit nicht ausreicht, wird die Bundesregierung gemäß Koalitionsvertrag gesetzlich tätig“, sagte die Ministeriumssprecherin. Damit dies dann sofort geschehen könne, gebe es „vorbereitende Arbeiten“ für das Gesetz, in dem Sorgfaltspflichten der Firmen definiert und ein Compliance-Beauftragter vorgeschrieben werden sollen. Betroffen wären vor allem die Textilindustrie und die Lebensmittelindustrie.
Während Entwicklungsorganisationen das Vorhaben loben, reagierte die FDP empört auf den Plan, minutiös ausgearbeitete Regeln für einzelne Branchen festzuschreiben. „Ein frommer Wunsch, der nicht funktionieren kann“, sagte der FDP-Abgeordnete Christoph Hoffmann. „Handel findet global statt; seine Schwerpunktmärkte liegen längst nicht mehr in Deutschland oder Europa“, sagte er. Es sei daher grundfalsch, ein Sonderrecht nur für deutsche Firmen zu schaffen.
Schlechte Politik statt Dürre – die tatsächlichen Gründe von Hungersnot
Hoffmann fürchtet, dass Müller ein Eigentor schießt: „Die kostenintensive Bürokratie wird das zarte Pflänzchen des Handels mit Entwicklungsstaaten zertrampeln und das Engagement der deutschen Mittelständler angesichts angedrohter Strafen auf Null zurückfahren“, erwartet er. Der Verband Textil + Mode etwa reagierte bereits enttäuscht auf die Drohung mit einem Gesetz: Das untergrabe die Bemühungen der Industrie im Textilbündnis. Eine komplette Kontrolle der Lieferketten durch Firmen im Ausland sei gar nicht möglich.
Hoffmann warf Müller vor, zu wenig Druck auf Regierungen mittels Entwicklungsgeldern auszuüben. „Die Despotenhilfe muss aufhören“, verlangte er. Es gelte, auf europäischer Ebene einen multilateralen Ansatz für Sanktionen zu schaffen, um gute Regierungsführung und Menschenrechte durchzusetzen, verlangte Hoffmann".
"Handelsblatt zu Müllers Drohung"
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21.12.2018 14:18
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UN sieht soziale Situation in Deutschland kritisch
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Die Vereinten Nationen sehen in Deutschland die Menschenrechte der Schwächsten unserer Gesellschaft verletzt. Explizit benannt werden Alte, Alleinerziehende und Arme. „Beschämend“ finden das die Sozialverbände.
Der UN-Sozialrat wirft Deutschland starke Mängel bei der Umsetzung der sogenannten sozialen Menschenrechte vor. Ein Beispiel: Zahllose ältere Menschen lebten „unter entwürdigenden Bedingungen“, unter anderem in bestimmten Pflegeheimen.
Nachzulesen ist dies im neuen Staatenbericht des Gremiums, aus dem vorab unter anderem die „Neue Osnabrücker Zeitung“ zitiert. Wie schon im Report vor fünf Jahren wird die Deutsche Regierung angemahnt, „unverzüglich“ mehr Geld für die Ausbildung von Pflegern bereitzustellen sowie Pflegeheime „häufiger und gründlicher“ zu kontrollieren.
Doch nicht nur die Lage vieler alter Menschen sei prekär, sondern auch die von Kindern und Niedriglöhnern, heißt es weiter. Laut dem Dokument des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte lebten in Deutschland 2,55 Millionen Kinder (knapp 20 Prozent) in Armut, der Großteil von ihnen bei nur einem Elternteil.
Das Gremium beklagt insbesondere mangelnde Informationen und bürokratische Hürden, die verhinderten, dass Eltern die ihnen zustehenden Leistungen in Anspruch nehmen. Überdies bezweifelten die Experten, dass die Leistungen vom Kindergeld über Kinderzuschlag bis zum Teilnahmepaket ausreichten, „um den grundlegenden Bedarf zu decken“.
Der Sozialrat befürchte zudem, „dass die Höhe der Grundsicherung nicht ausreicht, um den Empfängern und ihren Familien einen ausreichenden Lebensstandard zu ermöglichen“. Gefordert werde eine Anhebung der Grundsicherung sowie ein Stopp von Leistungskürzungen bei Pflichtverletzungen von Hartz-IV-Empfängern.
„Das Existenzminimum muss erhalten bleiben“, zitiert die Zeitung aus dem Report. Besorgt seien die Autoren auch darüber, dass 1,2 Millionen Beschäftigte trotz Jobs auf Sozialleistungen angewiesen seien. Sie forderten einen höheren Mindestlohn.
Auch zur Flüchtlingspolitik der Bundesregierung macht der Ausschuss einige Anmerkungen. Unter anderem empfiehlt er, sicherzustellen, dass subsidiär Schutzberechtigte ihre Familie nachholen können, „auch durch Aufhebung der Begrenzung von 1000 Personen je Monat“. Zudem solle der Prozess des Familiennachzugs verbessert werden, etwa durch gestraffte Verfahren und den Abbau „praktischer und administrativer Hürden“.
Das Bundesarbeitsministerium antwortete auf die Vorwürfe und eine entsprechende Anfrage der Linke-Politikerin Sabine Zimmermann. Der Ausschuss habe in seinen Bemerkungen „keine Menschenrechtsverletzungen“ festgestellt, sondern gebe nur Empfehlungen zur Umsetzung des internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ab. Diese nehme die Bundesregierung „sehr ernst“. Im Januar sei ein erstes Treffen im Arbeitsministerium mit zivilgesellschaftlichen Gruppen geplant, um sich über die Umsetzung auszutauschen.
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10.09.2018 11:51
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Höchste Zeit für faire Steuern auf Digital-Weltkonzerne
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Warum zahlen globale Digitalunternehmen so wenig Steuern wie kein anderes Unternehmen und schon gar nicht wie viele Bürger?
Sven Giegold, Abgeordneter von Bündnis 90 / Die Grünen im EU-Parlament, erklärt, warum wir eine Digitalsteuer brauchen: „Digitalunternehmen wie Google und Apple zahlen in der EU durchschnittlich nur 9,5 Prozent Steuern auf ihre Gewinne. Andere international tätige Unternehmen dagegen 23,2 Prozent. Deshalb hat der französische Präsident Emmanuel Macron eine Digitalsteuer vorgeschlagen. Angela Merkel versprach Macron deutsche Unterstützung für eine EU-Einigung zur Digitalbesteuerung in der EU bis Ende des Jahres.
Doch nun ist ein Papier aus dem Leitungsstab des Bundesfinanzministeriums aufgetaucht. Es lehnt die Einführung der Digitalsteuer ab. Die „Dämonisierung der großen Digitalunternehmen“ sei „nicht zielführend“, berichten Medien aus dem vertraulichen Papier. Die Befürworter der Digitalsteuer wollen Google und Co. nicht dämonisieren, sondern zu einem fairen Steuerbeitrag verpflichten.
Die Wertschöpfung der großen digitalen Konzerne ist meist immateriell und deshalb einem Land nicht so eindeutig zuzuordnen wie der Umsatz des lokal verwurzelten Einzelhandels. Multinationale Digitalkonzerne können ihre Gewinne deshalb dorthin buchen, wo die niedrigsten Steuern anfallen. Deshalb brauchen wir diese Steuer: Mit einer am Umsatz orientierten Digitalsteuer sollte ein Teil der enormen Gewinne den europäischen Bürgern zugutekommen. Der unfaire Wettbewerb zwischen lokalem Einzelhandel und globalem Digitalhandel muss beendet werden.
Mit seinem Vorstoß düpiert Finanzminister Olaf Scholz den französischen Präsidenten, der die Digitalsteuer zu seiner Priorität gemacht hat, und Sozialdemokraten in ganz Europa. Scholz hatte in den letzten Monaten bereits die Finanztransaktionssteuer zu einer Börsenumsatzsteuer reduziert und die länderbezogene Steuertransparenz von Großunternehmen abgelehnt. Das Dementi von Olaf Scholz’ Sprecher zur „Bild“-Meldung ist unglaubwürdig. Das interne Papier, das auffordert, die Digitalsteuer zu „verhindern“, trägt Scholz‘ Unterschrift.
Mir scheint: In der Steuerpolitik ist dem Finanzminister das Gerechtigkeitsgefühl abhandengekommen. Scholz muss den Kampf gegen Steuerdumping und Finanzkriminalität endlich zu einer Priorität machen. Für eine Einigung bis Ende des Jahres braucht es jetzt unmissverständliche Unterstützung der Bundesregierung für die EU-Digitalsteuer. Die Digitalisierung darf nicht jenseits des Gemeinwohls stattfinden“. Offenbar steht Deutschland mal wieder wie bei Autoabgasoberwerten und bei der Finanztransaktionssteuer auf der Bremse. Oft sieht sich die deutsche Politik gern als Avantgarde Europa. Bei diesen Themen ist Deutschland das Bremserhäuschen, das die Fairness in Europa erschwert.
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13.08.2018 18:25
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Textilbündnis: Das Ende der Freiwilligkeit
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Das Textilbündnis soll Textilarbeiterinnen in Billiglohnländern mehr Sicherheit bringen - bislang mit mäßigem Erfolg. Alle Vereinbarungen waren freiwillig. Das soll sich nun ändern. Vermeldet das ARD-Hautstadtstudio wie folgt:
"Fünf Paar Socken für drei Euro, ein T-Shirt für 2,50 Euro. An solchen Kampfpreisen hat sich nichts geändert seit dem Einsturz der Rana Plaza Textilfabrik in Bangladesch im April 2013. Die Bilder des Unglücks mit mehr als 1100 toten Arbeiterinnen gingen um die Welt. Die Textilbranche musste sich mehr denn je Fragen zu ihrer Verantwortung für solche Produktionsbedingungen gefallen lassen.
Textilbündnis wird verbindlicher: Deutschlands Bundesentwicklungsminister Gerd Müller initiierte daraufhin 2014 das sogenannte Textilbündnis. Die Idee: Die Textilbranche hierzulande sollte gemeinsam mit Gewerkschaften und NGOs Standards entwickeln, um die Arbeitsbedingungen in den Zulieferbetrieben in Bangladesch, Indien oder China zu verbessern.
Konkret heißt das im Textilbündnis: Produzenten sollen ihre Zulieferer systematisch erfassen. Für diese sollen dann bestimmte Sozialstandards gelten. Zudem gibt es Regeln für den Einsatz von Chemikalien. Und: Der Anteil von nachhaltigen Naturfasern und Biobaumwolle soll schrittweise wachsen.
Bisher galt das Prinzip der Freiwilligkeit, die Unternehmen konnten sich selbst Ziele setzen. Aber nun wird das Textilbündnis verbindlicher. Es gibt verpflichtende Ziele, zudem müssen die Unternehmen sogenannte Roadmaps veröffentlichen, wie sie die Vorgaben erreichen wollen. Seit heute sind die ersten 60 Roadmaps einsehbar.
Beispiel Otto Group: Sie will für selbstbeschaffte Textilien bis 2020 ausschließlich nachhaltig produzierte Baumwolle verwenden. Zudem sollen Zulieferer dazu gebracht werden, bestimmte Chemikalien nicht mehr einzusetzen. Beispiel Tchibo: Das Unternehmen unterstützt unter anderem ein Projekt, das gegen Zwangs- und Kinderarbeit vorgeht. Zudem soll die eingesetzte Menge an Chemiefasern erfasst werden.
Das klingt kleinteilig und ist es auch. Aber je verbindlicher, desto ernster wird die Arbeit des Textilbündnisses. Seit Anfang des Jahres haben rund 20 kleinere Firmen das Textilbündnis wieder verlassen - sei es, weil sie keine konkreten Zusagen geben wollen oder weil ihnen die Erstellung der Roadmaps zu aufwändig ist. Viele große der Branche sind aber nach wie vor dabei - etwa C&A, H&M oder KiK.
Nicht beteiligt ist aber Zalando. Das Unternehmen verweist auf Anfrage auf einen eigenen Verhaltenskodex und Beteiligung an einem internationalen Bündnis. Kaufhof betont ebenfalls, eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie zu verfolgen.
Textilbündnis steht für knapp 50 Prozent der Branche: Insgesamt steht das Textilbündnis für knapp 50 Prozent der Branche gemessen am Gesamtumsatz hierzulande. Erklärtes Ziel des Entwicklungsministeriums ist es, 75 Prozent der Branche zu erfassen. Die Austritte der letzten Monate sind dahingehend ein Rückschlag. Die Spreu trenne sich nun vom Weizen, sagt Jürgen Janssen, der Leiter des Textilbündnisses. Aus Sicht von Maria Flachsbarth, der Staatssekretärin im Entwicklungsministerium ist das Glas halb voll und nicht halb leer: "In vier Jahren haben wir viel erreicht."
Kritischer äußern sich viele der am Bündnis beteiligten Organisationen: Kathrin Krause von der Verbraucherzentrale Bundesverband fordert gesetzliche Vorgaben statt freiwilliger Zusagen. Deren Einhaltung sei bisher kaum zu überprüfen. Und: Wenn sich nur die Hälfte der Branche beteilige, hätten die anderen Firmen praktisch einen Freifahrtschein.
Christiane Schnura von der Kampagne "Saubere Kleidung" betont, dass sich für Näherinnen in Bangladesch kaum etwas spürbar verbessert habe. In Sachen Sozialstandards und existenzsichernde Löhne gäbe es kaum Fortschritte, sagt Katharina Edinger von der Organisation "Femnet". Gewerkschaften vor Ort würden an ihrer Arbeit gehindert.
Auch der DGB beteiligt sich am Textilbündnis. "Wir probieren das aus und werden sehen, wie weit wir kommen", sagt Frank Zach, der zuständige Referatsleiter. Deutschland sei ein wichtiger Absatzmarkt, der Druck machen könne. "Besser wäre es aber, europaweit Mindeststandards zu entwickeln - etwa zusammen mit den Niederlanden und Frankreich." Vor allem internationaler Druck habe nach dem Einsturz der Rana Plaza-Fabrik dafür gesorgt, dass der Gebäude- und Brandschutz in Bangladesch heute deutlich höher seien.
Einig sind sich alle Beteiligten: Das Textilbündnis werde nur in sehr kleinen Schritten Verbesserungen bringen. Von Kampfpreisen müssen sich die Händler noch lange nicht verabschieden".
Wenn das Textilbündnis endlich verbindlicher wird, kommt auch die Fairness - wenigstens ein wenig - in der Textilbranche voran.
"ARD zum Textilbündnis 2018"
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07.05.2018 13:33
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Die Ausbeutung von Mensch und Umwelt durch Unternehmen stoppen
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So geht der Weltladentag am 12. Mai mit der Kampagne „Mensch. Macht. Handel. Fair.“ in die nächste Runde. Nach dem Motto „neue Bundesregierung, neue Chance“ fordern das Forum Fairer Handel und der Weltladen-Dachverband nachdrücklich die Mitglieder des Bundestages auf, Menschen- und Arbeitsrechte weltweit verbindlich zu schützen. Diese Forderung untermauern die Weltläden mit einer bundesweiten Unterschriftensammlung für eine gesetzliche Unternehmensverantwortung. "Video - Stimmen zur Kampagne" Bis zum Welttag für menschenwürdige Arbeitsbedingungen am 7. Oktober zählt jede Unterschrift!
„Menschenrechtsverletzungen stellen im globalen Wirtschaftssystem keine Ausnahme dar. Oft speisen sich Unternehmensgewinne systematisch aus menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen und niedrigen Umweltstandards“, kritisiert Andrea Fütterer, Vorstandsvorsitzende des Forum Fairer Handel. Der fünfte Jahrestag der Katastrophe von Rana Plaza am 24. April erinnerte jüngst schmerzhaft an diese Ungerechtigkeit. Wenn Unternehmen im Ausland die Rechte von Arbeiter*innen verletzen, die lokale Bevölkerung von ihrem Land vertreiben oder Schäden für Umwelt und Gesundheit verursachen, bleibt dies für sie häufig ohne rechtliche Folgen. Betroffene finden weder vor Ort in ihrer Heimat noch in den Herkunftsländern der Unternehmen Rechtsschutz und Wiedergutmachung.
„Die deutsche Politik hat in den letzten Jahren viele Möglichkeiten verpasst, die Ausbeutung von Mensch und Umwelt bei der Herstellung unserer Alltagsprodukte zu stoppen und verbindliche menschenrechtliche Vorgaben für Unternehmen zu beschließen“, erklärt Anna Hirt, Kampagnenreferentin beim Weltladen-Dachverband. Auch deutsche Unternehmen sind immer wieder an Menschenrechtsverletzungen im Ausland beteiligt oder profitieren finanziell davon. Dabei hat sich Deutschland dazu verpflichtet, weltweit für sozial- und umweltverträgliche Produktionsweisen zu sorgen. „Das ist ein eklatanter Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit“, betont Fütterer.
Vor diesem Hintergrund sammeln die Weltläden in ganz Deutschland ab dem 12. Mai – dem Weltladentag, der zugleich World Fair Trade Day ist – Unterschriften für eine gesetzliche menschenrechtliche Sorgfaltspflicht für Unternehmen. Diese werden am 7. Oktober, anlässlich des Welttags für menschenwürdige Arbeitsbedingungen, an die Bundestagsabgeordneten in den jeweiligen Wahlkreisen übermittelt. Die Aktion knüpft auch an die Kampagne „Visionen des Fairen Handels zur Bundestagswahl 2017“ an. In deren Rahmen haben 65 Weltläden Kontakt zu etwa 160 Kandidat*innen aufgenommen. Davon wurden 80 Personen im Herbst in den Bundestag gewählt. Genau diese Abgeordneten spricht die Kampagne „Mensch. Macht. Handel. Fair“ in diesem Jahr erneut an. „Die große Mehrheit dieser Parlamentarier*innen sagte zu, sich für die politischen Forderungen des Fairen Handels in ihrer Zeit im Bundestag einzusetzen. Wir nehmen sie nun beim Wort und fordern die Umsetzung ein!“, so Anna Hirt vom Weltladen-Dachverband zur Zielsetzung der Kampagne.
"Zu Anliegen und Hintergrund der Kampagne"
"Finden Sie den Weltladen für Ihre Unterschrift hier"
"Zum Magazin Weltladen - fair einkaufen"
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19.04.2018 18:30
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"Wo Bio draufsteht, muss Bio drin sein" - neue EU-Regeln
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Der Hunger auf Öko-Lebensmittel wächst. Aber ist Bio auch wirklich immer Bio? Gegen den Etikettenschwindel hat die EU neue Regeln gebilligt: Zukünftig gibt es strengere Kontrollen bei Produktion und Import.
Mit neuen Regeln für den Öko-Landbau will die EU künftig Etikettenschwindel bei Bio-Lebensmitteln weiter eindämmen. Das EU-Parlament billigte mit großer Mehrheit eine entsprechende neue Verordnung. Sie sieht strengere Kontrollen vor, die künftig neben der Produktion auch die Lieferkette abdecken sollen. Bei importierten Bio-Lebensmitteln aus Drittländern sollen die EU-Regeln strikter eingehalten werden. Auch müssen Bio-Landwirte darauf achten, dass ihre Produkte nicht mit Pestiziden oder anderen Chemikalien verunreinigt werden.
Regeln sollen 2021 in Kraft treten Vertreter des EU-Parlaments und der Mitgliedstaaten hatten sich bereits im Juni 2017 nach jahrelangem Streit auf die Neuordnung geeinigt. Formal muss nun noch der Rat der Mitgliedsländer zustimmen, bevor die Regeln 2021 in Kraft treten sollen. "Wo Bio draufsteht, muss Bio drin sein", sagte der Grünen-Abgeordnete Martin Häusling, der über die neue Verordnung mitverhandelt hatte. Das neue Gesetz mache Bio-Siegel zu einer echten Marke für Qualität und schaffe Vertrauen bei Kunden, Bio-Landwirten und den Bio-Lebensmittelherstellern.
Mehr Hunger auf Bio-Produkte
Die Produktion von Öko-Lebensmitteln ist in der Europäischen Union in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Deutschland ist unter den Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Verbrauch. Im Jahr 2013 gab jeder Deutsche durchschnittlich 93 Euro für Bio-Nahrung aus. Ökologische Landwirtschaft findet sich bisher jedoch nur auf etwa sieben Prozent der Weiden und Felder der EU.
Der steigende Hunger auf Öko-Produkte wird durch mehr Importe gestillt. Für diese Einfuhren sollen mit dem neuen Gesetz künftig strengere Regeln gelten. Auch Bio-Produkte aus dem außereuropäischen Ausland sollen eins zu eins den EU-Standards entsprechen. Lebensmittel, die davon abweichen, sollen nach Inkrafttreten der Verordnung nur noch fünf Jahre lang importiert werden dürfen. Ausnahmen kann es geben, falls Versorgungsengpässe drohen. Gefahr durch Pestizide des Nachbarn
Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft lobt die neue Verordnung als ein Fundament, aus dem ein gutes Bio-Recht werden könne. Zentrale Regeln müssten allerdings noch ausgearbeitet werden, erklärte Geschäftsführer Peter Röhrig. Kritisch sieht er die Tatsache, dass Landwirte künftig ihr Bio-Label verlieren können, wenn ihre Produkte mit Chemikalien verunreinigt sind.
Ökobauern dürften nicht für die Pestizidanwendungen ihrer Nachbarn haften, betont Röhrig. Die sozialdemokratische Europaabgeordnete Maria Noichl sieht durch diese Kontaminationsregel gar die Gefahr, dass der Bio-Sektor in die "Nische zurückgedrängt" werden könnte. Die Herstellung ökologischer Lebensmittel sei "unter einer Käseglocke nicht möglich", sagt Noichl. Mit den neuen Regeln müssten Bauern für die Pestizide gerade stehen, die auf dem konventionellen Nachbarhof eingesetzt würden.
"Das schreibt die ARD Tagesschau dazu"
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10.04.2018 15:03
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Deutschland rechnet sich seine Entwicklungszusammenarbeit fair
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Dürftiges Engagement in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und miese Tricks beim Schön- und Fairrechnen der Leistungen. Das nennt man 'Ver-Rechnung' statt Fair-Rechnung. Deutschland steht entwicklungspolitisch schlecht da. Es ist im Blick auf Entwicklungszusammenarbeit schlicht unfair. Südwind schreibt: „Der Entwicklungsausschuss der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat gestern die aktuellen Zahlen zur öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (ODA) bekannt gegeben. Ganz im Gegensatz zu Ländern wie Schweden, Luxemburg, Norwegen, Dänemark oder Großbritannien ist Deutschland dem international vereinbarten Ziel, 0,7 % des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, mal wieder nicht nachgekommen. Das SÜDWIND-Institut kritisiert das fehlende Engagement und fordert die neue Bundesregierung auf, Worten Taten folgen zu lassen und endlich einen angemessenen Beitrag zur Förderung nachhaltiger Entwicklung zu leisten. Im Jahr 2017 wurden insgesamt 146,6 Mrd. US-Dollar für die Entwicklungszusammenarbeit ausgegeben. Nach Jahren eines leichten Anstiegs gingen damit zum ersten Mal seit 2012 die gesamten ODA-Leistungen wieder zurück (0,6 %). Zurückzuführen ist dies auf die mittlerweile sinkenden Kosten für die Flüchtlingspolitik, die paradoxerweise als Beitrag zur internationalen Entwicklungszusammenarbeit angerechnet werden.
So konnte die Bundesrepublik im Jahr 2016 das 0,7 %-Ziel auch nur aufgrund der hohen Ausgaben in der Flüchtlingspolitik erreichen, „ein schlechtes Zeugnis für ein Land wie Deutschland, das Jahr für Jahr neue steigende Exporteinnahmen meldet“, sagt Dr. Pedro Morazán, Entwicklungsexperte bei SÜDWIND und Delegierter des Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (VENRO) beim europäischen Dachverband CONCORD. Morazán ergänzt: „Derzeit stammen mehr als 20 % der von Deutschland gezahlten Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit aus dem Bereich der Flüchtlingspolitik. Das sind Gelder, die den Entwicklungsländern damit nicht mehr zur Verfügung stehen. Es werden zwei Politikfelder gegeneinander ausgespielt, die eigentlich aufeinander aufbauen sollten - ein Armutszeugnis für ein wirtschaftlich expandierendes Land wie Deutschland!“
Ein weiteres Problem ist, dass immer mehr Gelder der Entwicklungszusammenarbeit in Form von Krediten vergeben werden. „Einige OECD-Länder wickeln mehr als 25 % ihrer Entwicklungszusammenarbeit als Kredite und nicht als Zuschüsse ab“, meint Irene Knoke, Entwicklungsexpertin bei SÜDWIND. „Schon heute hat sich die Verschuldung vieler Länder wieder deutlich verschlimmert. Wenn dann auch noch immer mehr Kredite in der Entwicklungszusammenarbeit vergeben werden, wird das nicht zur Entspannung der Situation beitragen.“
Die Zahlentricks zur Verschönerung der ODA-Zahlen sind keine gute Visitenkarte für die internationale Konferenz für Entwicklungsfinanzierung, die Ende des Monats in New York stattfindet. Dort sollen Regierungen aller Welt und internationale Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit gemeinsam über die Fortschritte bei der Finanzierung der Agenda 2030 diskutieren. SÜDWIND ruft die Bundesregierung dazu auf, im Vorfeld der Konferenz ein starkes Signal zu setzen. „Ohne eine erhebliche reale Steigerung der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit ist eine Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele der Agenda 2030 in den verbleibenden zwölf Jahren nicht denkbar“, fasst Pedro Morazán zusammen. „Diese Mittel müssen aber klar und erkennbar auch dorthin fließen, wo sie zur Umsetzung der Agenda 2030 in den Ländern des Globalen Südens beitragen.“ Ob sich die Bundesregierung zu einer fairen Entwicklungszusammenarbeit durchringen kann?
"Südwind-Institut zur 0,7-Prozent - Trickserei"
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13.03.2018 14:00
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Wem ist klar, was drin ist?
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„Bei den zahllosen Angeboten unserer globalisierten und digitalisierten Welt den Überblick zu behalten, Rechte zu kennen und durchzusetzen, ist für Verbraucher eine immer größere Herausforderung. Die Politik muss klare Regeln schaffen, damit sich die Verbraucher in allen Alltagsbereichen sicher fühlen. Die Bundesregierung hat in der letzten Wahlperiode diese Verantwortung nicht ernst genommen und Verbraucher alleingelassen“, schreiben Renate Künast und Tabea Rößner in ihrem Gastbeitrag für die Frankfurter Rundschau am 12.2.2018. Sie haben Recht. Fairness im Markt und für die Verbraucher sieht anders aus als was Politik und Konzerne bewerkstelligen.
Die Autorinnen nennen das „Beispiel Supermarkt: Die Einführung eines Tierwohllabels sollte das große Aushängeschild von Minister Schmidt werden. Das allerdings gibt es immer noch nicht. Stattdessen führen Supermärkte eigene Kennzeichnungssysteme ein. Das Ergebnis: Die unterschiedlichen Labels sind kaum zu durchschauen und nicht vergleichbar – kein Mehrwert also für die Verbraucher.
Dasselbe Dilemma bei der Nährwertkennzeichnung: Jahrelang haben Minister der Union eine einheitliche Nährwertampel als Bevormundung abgestempelt und blockiert. Mittlerweile setzen sich die großen Lebensmittelkonzerne selbst für eine Ampelkennzeichnung ein.
Das aber ist eine Mogelpackung, denn sie fordern eine portionsbezogene Bewertung. Damit können Hersteller mit kleinen Portionsgrößen rote Kennzeichnungen ganz einfach umgehen. Die Folge: Ungesunde Lebensmittel sind weiterhin nicht auf den ersten Blick erkennbar, unrealistische Portionsgrößen und keinerlei Vergleichbarkeit der Produkte.
Die Freiwilligkeitsgläubigkeit der letzten Bundesregierung hat nicht den Verbrauchern, sondern vor allem den Unternehmen genutzt. Sie hat mit Runden Tischen und Branchengesprächen auf Eigenverantwortung und Selbstregulierung der Wirtschaft gesetzt, etwa mit dem Bündnis für nachhaltige Kleidung oder der Umsetzung der internationalen Leitprinzipien für Menschenrechte. Dabei konnte sich die Wirtschaft mit eigenen Kampagnen profilieren, den Verbrauchern wurde mit Unmengen von Labels und fehlender Transparenz die Verantwortung für gesellschaftlich gewollte Entwicklungen zugewiesen.
Viele Verbraucher wollen Tierschutz, Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Menschenrechte voranbringen. Damit sie ihre Kaufentscheidung im Sinne nachhaltiger und fairer Arbeits- und Produktionsweise auch treffen können, muss Verbraucherpolitik ihnen Transparenz und Wahlfreiheit ermöglichen. Transparenz entsteht aber nicht automatisch durch möglichst viele Herstellerinformationen, sondern erfordert – je komplexer die Produkte und unsere Warenwelt sind – einheitliche Regeln und Gestaltung. Diesem politischen Gestaltungsauftrag hat sich die Bundesregierung verweigert.
Das muss sich ändern. Das gilt auch für die digitale Verbraucherwelt. Algorithmen bestimmen, wer wie viel zahlt, welche Werbung angezeigt wird und welche Kreditbedingungen gelten. Je nach Wohnort und Endgerät können Produkte unterschiedlich teuer sein. Hier sind klare Regeln gegen Diskriminierung und für Transparenz nötig.
Ebenso beim Datenschutz: Persönliche Informationen sind heute Handelsware. Verbraucherpolitik muss dafür sorgen, dass europäische Grundsätze wie voreingestellter Datenschutz auch umgesetzt werden. Beispielsweise indem Standards und Gütezeichen geschaffen und zur Voraussetzung gemacht werden. Damit das neue Smart-TV eben nicht permanent personenbezogene Daten wie die IP-Adresse erfasst und weitergibt, ohne dass die Verbraucher es wissen.
Wo die Politik zu eng mit der Wirtschaft agiert und Leerstellen lässt, sind Verbraucher die Verlierer. Das zeigt der Dieselskandal sehr deutlich. Die Bundesregierung hat weggeschaut, als die Autohersteller ihre eigenen Regeln zur Abgaskontrolle aufgestellt und Dieselbesitzer beim Schadstoffausstoß ihrer Autos betrogen haben.
Nun müssen die Autobesitzer Fahrverbote befürchten. Dabei sind nicht sie, sondern die Hersteller Verursacher des Schadens. Daher muss die Bundesregierung diese in die Pflicht nehmen, für den Schaden aufzukommen. Sie muss Nachrüstungen auf Kosten der Autoindustrie durchsetzen und die Gruppenklage endlich einführen, damit Verbraucher in Zukunft gemeinsam gegen Unternehmen klagen können.
John F. Kennedy hat vor mehr als 55 Jahren vier grundlegende Verbraucherrechte formuliert: Das Recht auf Sicherheit, das Recht auf Information, das Recht auf Wahlfreiheit und das Recht, gehört zu werden. In dieser globalisierten Welt ist genau das wichtiger denn je: das Recht, zu wissen, wer es produziert hat und was drin ist“.
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22.01.2018 10:04
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Menschenrechte 2018: Kampf gegen Rechtspopulismus kann gelingen
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Der autoritäre Populismus kann in die Schranken gewiesen werden, wenn führende Politiker bereit sind, sich für die Menschenrechte einzusetzen, so Human Rights Watch im heute veröffentlichten World Report 2018. Der Bericht gibt einen Überblick über die Menschenrechtslage im vergangenen Jahr. Gemeinsam mit einer engagierten Öffentlichkeit und durchsetzungsfähigen multilateralen Akteuren haben führende Politiker bewiesen, dass der Aufstieg menschenrechtsfeindlicher Regierungen nicht unvermeidbar ist.
Der 643-seitige World Report, der in diesem Jahr zum 28. Mal erscheint, fasst die Menschenrechtslage in mehr als 90 Ländern weltweit zusammen. "World-Report 2018"
In der Einleitung schreibt der Executive Director von Human Rights Watch, Kenneth Roth, dass sich der immer weiter ausbreitende Populismus aufhalten lässt, wenn Entscheidungsträger Widerstand leisten und sich gegen die Dämonisierung von Minderheiten, die Infragestellung der Menschenrechte und die Angriffe auf demokratische Institutionen zur Wehr setzen. Wenn etablierte Politiker jedoch vor der Botschaft des Hasses und der Ausgrenzung kapitulieren, können Populisten Erfolg haben.
„Das zurückliegende Jahr hat deutlich gemacht, wie wichtig es ist, Widerstand zu leisten, wenn Demagogen die Menschenrechte bedrohen“, so Roth. „Im kommenden Jahr feiern wir den 70. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Um die darin verankerten Prinzipien zu würdigen, müssen wir sie gegen all jene verteidigen, die sich politische Vorteile verschaffen wollen, indem sie Randgruppen ihrer Rechte berauben.“
Demagogen benutzen die wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen infolge der Globalisierung und des technologischen Fortschritts, die Angst vor kulturellen Veränderungen durch die gestiegene Mobilität und die Bedrohung durch Terroranschläge, um Fremdenhass und Islamfeindlichkeit zu schüren. Sie attackieren die Werte der Toleranz, des Respekts und der Einbindung verschiedenster gesellschaftlicher Gruppen, die den Kern der Menschenrechte bilden. Die Verfechter des autoritären Populismus versuchen, ihre eigennützige Interpretation des Mehrheitswillens an die Stelle der Demokratie zu setzen, in der die Befugnisse der gewählten Regierung durch Bürgerrechte und das Rechtsstaatsprinzip eingeschränkt sind.
Frankreich war das deutlichste Beispiel für den erfolgreichen Widerstand gegen Fremdenfeindlichkeit und Populismus. In Österreich und den Niederlanden versuchten Spitzenpolitiker hingegen, mit den Populisten Schritt zu halten, indem sie sich deren fremden-, migranten- und islamfeindliche Positionen zu eigen machten. Damit trugen sie eine rechtswidrige, populistische Politik in die Mitte der Gesellschaft. Emmanuel Macron wählte einen anderen Ansatz: Er bekannte sich zu demokratischen Prinzipien und trat dem Wahlkampf des Front National, der von Hass gegen Muslime und Migranten geprägt war, entschlossen entgegen. Macron steht nun vor der Herausforderung, in seiner Regierungsarbeit denjenigen Prinzipien treu zu bleiben, die er selbst propagiert hat. Seine ersten Monate im Amt zeichnen ein durchwachsenes Bild, sowohl international wie im Innern. Insbesondere Macrons Antiterrorpolitik und die Zurückhaltung während seines China-Besuchs geben Anlass zur Sorge.
In den USA betrieb Donald Trump nach seinem Wahlsieg eine Politik, die sich gegen Einwanderer richtete, ethnische Konflikte schürte und den Drogenkrieg wieder aufleben ließ. Daraufhin bekräftigten Akteure verschiedenster Lager ihre Unterstützung für die Menschenrechte und es regte sich breiter Widerstand gegen Trumps Vorhaben, insbesondere durch Massenorganisationen, Bürgerrechtsgruppen, Journalisten, Anwälte, Richter und sogar einige Parteikollegen Trumps.
In Ostmitteleuropa stießen populistische Regierungen ebenfalls auf Gegenwehr. In Polen führten die Versuche der Regierung, den Rechtsstaat und die Unabhängigkeit der Justiz zu schwächen, zu Massenprotesten und heftiger Kritik von Seiten der EU und des Europarats. In Ungarn wurde der Plan der Regierung, die Central European University zu schließen, vorerst vereitelt, nachdem die EU mit rechtlichen Schritten gedroht hatte und das Vorhaben international verurteilt wurde. Die Universität ist eine Bastion des unabhängigen Denkens und steht in Opposition zu der von Premierminister Viktor Orbán propagierten „illiberalen Demokratie“.
In Venezuela kam es zu Protesten gegen Präsident Nicholás Maduro, der die Demokratie und Wirtschaft des Landes zu zerstören drohte. Viele lateinamerikanische Staaten legten ihre übliche Zurückhaltung ab, wenn es darum geht, Kritik an Nachbarstaaten zu üben, und erhöhten den Druck für Menschenrechtsreformen in Venezuela.
Der Women‘s March in den USA entwickelte sich zu einem globalen Phänomen und brachte Millionen Menschen für die Frauenrechte auf die Straße. Bereits vor der Entstehung der #MeToo-Bewegung hatte Kanada die Geschlechtergleichheit ins Zentrum seiner Entwicklungshilfe gestellt. Frankreich kündigte neue Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt und sexuelle Belästigung an. Tunesien, Jordanien und der Libanon schafften Gesetze ab, die es Vergewaltigern ermöglicht hatten, durch Heirat ihres Opfers einer Bestrafung zu entgehen. Die Regierungen Belgiens, der Niederlande und der skandinavischen Staaten machten sich für die Einrichtung eines internationalen Fonds stark, der die erwarteten Einschnitte in den US-Hilfsprogrammen für reproduktive Medizin kompensieren soll. Schweden verschrieb sich einer feministischen Außenpolitik.
Wo der Widerstand im Innern unterdrückt wurde und es an internationalem Interesse fehlte, konnten Populisten und andere menschenrechtsfeindliche Kräfte erstarken. So demontierte Präsident Recep Tayyip Erdogan das demokratische System der Türkei, während die EU in erster Linie versuchte, sich Erdogans Unterstützung bei der Bekämpfung der Migration nach Europa zu sichern. In Ägypten unterdrückte Präsident Abdel Fatah al-Sisi öffentliche Kritik, ohne nennenswerte Einmischung der USA oder der EU. Letztere akzeptierten Sisis Behauptung, er sorge für Stabilität. In China ging Präsident Xi Jinping hart gegen unabhängige Stimmen vor, während ausländische Regierung aus Angst, lukrative Verträge aufs Spiel zu setzen, schwiegen.
Zudem besteht die Gefahr, dass sich potentielle Verfechter der Menschenrechte immer weiter zurückziehen, insbesondere die USA, Großbritannien, das mit dem Brexit beschäftigt ist, und andere europäische Staaten, die mit dem wachsenden Einfluss fremdenfeindlicher Populisten zu kämpfen haben. Ihr Zögern hat ein Vakuum hinterlassen, in dem Massengräuel oft ungehindert voranschreiten können, etwa in Syrien, Burma, im Jemen und im Südsudan.
Einige kleinere und mittelgroße Staaten haben diese Lücke jedoch teilweise gefüllt. Während die westlichen Mächte die von Saudi-Arabien geführte Koalition im Jemen unterstützten, die dort Luftangriffe auf Zivilisten durchführte und durch eine Blockade von Hilfslieferungen Cholera und Unterernährung begünstigte, stellten sich die Niederlande an die Spitze der Initiative für eine UN-Untersuchung. Mit Unterstützung Kanadas, Belgiens, Irlands und Luxemburgs zwangen sie Saudi-Arabien schließlich, eine Untersuchungskommission zuzulassen. Diese wird die Konfliktparteien unter Druck setzen, das Völkerrecht zu achten. Die Niederlande verhängten zudem ein Waffenembargo gegen Saudi-Arabien, und Norwegen untersagte Waffenexporte in die Vereinigten Arabischen Emirate.
Da Russland im UN-Sicherheit die Strafverfolgung von Verbrechen in Syrien blockierte, gelang es Liechtenstein im Dezember 2016, ein breites Bündnis für eine Resolution in der UN-Vollversammlung zu schmi ieden. Diese stimmte schließlich mit 105 zu 15 Stimmen für die Einrichtung eines Mechanismus zur Beweissicherung und zum Aufbau von Fallakten für spätere Anklagen. Dies war ein wichtiges Bekenntnis zur Strafverfolgung der Kriegsverbrechen in Syrien.
„Die zentrale Lehre des vergangenen Jahres ist, dass sich die Menschenrechte erfolgreich gegen die Angriffe der Populisten verteidigen lassen“, so Roth. „Dafür ist eine prinzipientreue Verteidigung nötig, keine Kapitulation. Wir sollten nicht resignieren, sondern zum Handeln aufrufen.“
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08.12.2017 13:49
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Fairness auch in China gefragt?
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Der staatliche Auslandsrundfunk der Volksrepublik China (Cri) meldet Interesse an Fairness im Rechtssystem seitens der Bevölkerung, der Richter, Staatsanwälte und Anwälte sowie der Unternehmen und der kommunistischen Partei. Inwieweit der Sachverhalt zutrifft, lässt sich nicht objektiv überprüfen. Gleichwohl ist es äußerst bemerkenswert, dass Fairness als Wertorientierung überhaupt und im juristischen Kontext aktuell vorkommt. Beim Chri heißt es dazu:
>>Das juristische System in China wird momentan reformiert. Die Reform soll den Bedarf der Bevölkerung an juristischer Gerechtigkeit und das Sicherheitsgefühl der Chinesen verbessern.
Das geförderte „Verantwortungssystem der Justiz" gehört zu den Arbeitsschwerpunkten der genannten Reform. Zurzeit sind 85 Prozent der Mitarbeiter der Gerichte und Staatsanwaltschaften mit Fallbearbeitungen beschäftigt. 98 Prozent der Fälle werden von Richtern und Staatsanwälten behandelt.
Chen Junsheng, Vizedirektor des Büros für juristische Reformen beim Justizministerium, sagte:
„Wir treiben das Verantwortungssystem der Justiz voran. Ziel ist es, das Professionalisierung- und Standardisierungsniveau der Richter und Staatsanwälte zu erhöhen, um ungerechte Einmischung zu verhindern. Da die Zahl der Richter und Staatsanwälte gesunken ist, werden zuständige Beamte mit entsprechenden Fachkenntnissen für die Fallbehandlung eingesetzt. Seit der Umsetzung dieses Systems ist die Petitionsrate der Betroffenen deutlich gesunken. Die Bevölkerung ist sehr zufrieden mit den Urteilen."
Trotz großer Unterschiede zu Justizsystemen in Europa und den USA entspricht das chinesische Justizsystem den Gegebenheiten des chinesischen Staats. Chen Junsheng fügte hinzu, im neuen Zeitalter habe die chinesische Bevölkerung höhere Ansprüche an Demokratie, Rechtsverwaltung, Fairness, Gerechtigkeit und Sicherheit. Die Reform des juristischen Systems diene dazu, diese höheren Ansprüche der Bevölkerung zu befriedigen.
„Der Widerspruch zwischen dem Bedarf der Bevölkerung an juristischer Fairness und der ungenügenden juristischen Kompetenz und den geringen Ressourcen ist noch sehr groß. So muss unser geltendes Justizsystem reformiert werden. Es soll ein juristisches System etabliert werden, das dem Bedarf an juristischer Gerechtigkeit, der juristischen Gesetzmäßigkeit und den Erwartungen der Bevölkerung entspricht."
Die neue Reformrunde wurde 2013 in Gang gesetzt. Bis Oktober 2017 hat die zentrale Leitungsgruppe für umfassende Reformen insgesamt 38 Sitzungen einberufen. 48 betreffende Dokumente, die überprüft und angenommen wurden, werden nach und nach umgesetzt.
Mittlerweile gibt es in China bereits mehr als 26.000 Rechtsanwaltsbüros mit etwa 330.000 Rechtsanwälten. Allerdings deckt das die Nachfrage der Bevölkerung nicht. Eine wichtige Aufgabe des Justizministeriums ist daher, rasch ein öffentliches Service-System aufzubauen. Zurzeit werden Onlineportale, Telefon-Hotlines und Servicebüros in den Städten und Dörfern aufgebaut. Dazu sagte Chen Junsheng:
„Die Bevölkerung hat einen steigenden Bedarf an juristischen Dienstleistungen. Sie will korrekte, bequeme und schnelle juristische Hilfe. Wir müssen der Bevölkerung durch unsere Dienstleistungen ein größeres Sicherheitsgefühl bei der juristischen Fairness und Gerechtigkeit geben. Alle Staatsbürger müssen schnell auf derartige Dienstleistungen zugreifen können. Bis 2020 sollen sämtliche gesetzlichen Service-Systeme zu einem wissenschaftlichen, vollständigen und koordinierten System aufgebaut werden."<<
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29.09.2017 11:30
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Multimillionär verlangt mehr Fairness im Steuersystem zu seinen Lasten
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Ein Multimillionär packt aus und greift das deutsche Steuersystem massiv an. Da würde man normalerweise denken: er will weniger Steuern zahlen und findet das Steuersystem ihm gegenüber unfair. Doch das Gegenteil ist der Fall. Wie am 20. September 2017 um 22:45 Uhr ein Interview im Stern TV mit ihm beweist. Stern TV schreibe dazu: „Man kann Josef Rick getrost als superreich bezeichnen. Der Unternehmer aus Ratingen ist Multimillionär. Dass er vom Staat kaum belangt wird, sei ihm unklar, so der 61-Jährige. Ginge es nach ihm, würde er wesentlich mehr Steuern zahlen, Geringverdiener dafür gar keine.
"Ja!", sagt Josef Rick. "Wo kann man schon 95 Prozent seines Einkommens steuerfrei vereinnahmen?" Unternehmer, wie er, und andere Reiche zahlten hierzulande kaum Steuern - ganz legal. "Meine These ist: Einkommensmillionäre können ihren Steuersatz in Deutschland weitgehend selbst bestimmen", so Josef Rick, der jährlich mehr als eine Million Euro verdient und mindestens 30 Millionen auf der hohen Kante hat. Er gilt damit als "Superreicher".
Für stern TV hat Josef Rick seine Bücher einen Spalt geöffnet und erklärt, mit welchen völlig legalen Geschäften er auf seine geringen Steuersätze kommt. Als Geschäftsführer und Anteilseigner der Schäper + Rick GmbH baut, verwaltet und vermietet er Immobilien – vom Einfamilienhaus bis zum Hotel. Zu der Holding gehören zahlreiche Tochterfirmen, die je nach Bedarf gegründet, geschlossen oder mit Gewinn wieder verkauft werden. "Wenn ein Unternehmen ein anderes Unternehmen veräußert, ist der Gewinn daraus zu 95 Prozent steuerfrei." Darüber hinaus ermögliche es die vermögensverwaltende GmbH beispielsweise, auf Einkünfte aus weiteren Immobilienbesitzen und Vermietungen nur eine Körperschaftssteuer abzuführen. Nicht aber eine Gewerbesteuer, die andere Unternehmer wie Bäcker, Klempner oder Kaffeehäuser hingegen abführen müssten. Alle diese Möglichkeiten bedeuten für Josef Rick unterm Strich persönlich: "Ich bezahle in den letzten Jahren in Summe etwa 30 Prozent Steuern. Aber ich habe kein gutes Gefühl dabei. Es kann doch nicht sein, dass diejenigen, die ihr Einkommen - quasi leistungslos - aus Vermögen beziehen, sich den Vorgaben des Staates entziehen können."
Obwohl der 61-Jährige von diesem Privileg der Wohlhabenden profitiert, kritisiert er das deutsche Steuersystem. Die von der SPD geforderte Erhöhung des Spitzensteuersatzes gehe seiner Meinung nach an der Wirklichkeit vorbei. Rick glaubt, dass die Wohlhabenden bei einer besser durchdachten Besteuerung sogar das gesamte Steueraufkommen Deutschlands schultern könnten: "Man könnte die berühmte Krankenschwester, den Busfahrer, Feuerwehrleute, Paketdienstfahrer und Polizisten – also alle die, die durch Sozialbeiträge und Steuern erheblich belastet werden – weitgehend ganz von der Einkommenssteuer befreien. Indem man ein faires Besteuerungssystem für die Wohlhabenden entwickeln würde – mit vernünftigen Steuersätzen und einer breiten Bemessungsgrundlage. Das wäre mein Standpunkt: eine Frage der Ausgewogenheit und der Fairness."
So könnte sich der Steuersatz für Einkommensmillionäre wie ihn auf bis zu 45 Prozent belaufen, findet Rick. Voraussetzung sei, dass erst einmal alle Einnahmen und Einkommen zur Besteuerung erfasst werden müssten, steuerfreie oder minimal belastete Einkommen dürfe es für Wohlhabende wie ihn nicht mehr geben. Auch das Umsatzsteuer-Karussell großer Unternehmen koste den Staat Steuereinnahmen in Millionenhöhe. "Man kann das beeinflussen. Und ich finde, es ist allerhöchste Zeit, dass wir das tun. Denn die Leistungsträger, die unsere Gesellschaft zusammenhalten, die müssen entlastet werden, damit Leistung noch Spaß macht und damit man von dem, was man erarbeitet hat, einen halbwegs fairen Anteil für sein Privatleben übrig hat."
Eine Frage der Ausgewogenheit und der Fairness. Da hat die eventuell neue Koalition aus CDU/CSU, FDP und Grüne zu tun, ein solches Steuersystem hinzubekommen. Es würde ihr zur Ehre gereichen und einen klaren Kontrapunkt setzen zu Donald Trumps Steuerreform- und Steuersenkungsprogramm für die Reichen in den USA. Ein faires, transparentes und einfaches Steuersystem propagiert die FDP schon seit Jahrzehnten. Darauf können sich CDU/CSU und Grüne mit ihnen sicher einigen. Wenn man zugrunde legt, was Multimillionäre Rick dazu sagt.
"Multimillionäre will mehr Steuern zahlen - Interview im Stern TV"
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03.01.2017 14:09
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Fairness bei Klimazielen oft Fehlanzeige
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Nicht fair genug sind die Klimaziele, die die Länder für das Paris-Abkommen hinterlegt haben. So urteilt eine Studie der University of Melbourne, die im Fachjournal Nature Climate Change erschienen ist. Nur bei gut einem Dutzend Staaten können die nationalen Klimapläne als vollauf fair bezeichnet werden, zeigt der Vergleich.
Das Klimaretter-Info schreibt: „Das Forscherteam legte fünf Kriterien zugrunde, um Fairness zu definieren. Dazu gehört beispielsweise die historische Verantwortung – betrachtet werden die kumulierten Emissionen. Fair ist demnach, wenn Länder, die in der Vergangenheit viel emittiert haben, in der Zukunft mehr reduzieren. Weitere Fairnesskriterien sind das Ziel gleicher Pro-Kopf-Emissionen für alle Menschen oder auch eine Lastenverteilung, die der Wirtschaftskraft der Länder entspricht.
Die Ergebnisse ihres Vergleichs haben die Forscher in zwei Karten aufbereitet: eine Karte "Grafik für 2- und 1,5-Grad Ziel" bezieht sich auf das Zwei-Grad-Ziel, die andere auf das 1,5-Grad-Limit. In beiden Fällen erfüllt nur ein gutes Dutzend der Länder alle fünf Kriterien – fast ausschließlich afrikanische Entwicklungsländer. Bezogen auf das 1,5-Grad-Ziel ist die klimapolitische Verantwortung besonders unfair verteilt.
Einige Länder erfüllen bei keinem Szenario auch nur ein einziges Kriterium. Dazu gehören China, Russland, Saudi-Arabien und die Türkei, aber auch Argentinien und Chile. Indien und die USA kommen beim Zwei-Grad-Szenario immerhin auf zwei Übereinstimmungen. Deutschland erreicht in beiden Szenarien nur eine Übereinstimmung“. Wird das in Paris beschlossene 1,5-Grad-Limit zum Maßstab genommen (wählen Sie den entsprechenden Reiter“, bleibt sehr viel weiß auf der Karte.
Für faire Klimapolitik ist noch extrem Luft nach oben.
"Zur Klimaretter-Info"
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10.11.2016 11:56
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Was Trump versprach, wird Unfairness fördern
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"Donald Trump versprach im Wahlkampf gewaltige Investitionen, Millionen neuer Jobs, eine knallharte Einwanderungspolitik", schreibt Spiegel Online. Und geht davon aus: "An diesen Aussagen werden ihn seine Wähler messen:
Gesundheitspolitik
Donald Trump will die Gesundheitsreform Barack Obamas schnellstmöglich kippen. Er setzt auf privaten Schutz, um den Wettbewerb unter den Anbietern zu fördern. Er sagte dazu am 29. Februar 2016 bei einer Wahlkampfveranstaltung in Bentonsville, Arkansas:
"Wir werden das Grauen, das als Obamas Gesundheitsreform bekannt ist, widerrufen und ersetzen. Es ist ein Grauen."
Jobs | Steuern | Außenhandel
Donald Trump hat getreu seinem Motto "Make America Great Again" versprochen, massiv Arbeitsplätze zu schaffen und das Wirtschaftswachstum in den USA deutlich zu steigern. Neue Jobs sollen etwa durch Investitionen in die Infrastruktur entstehen. Trump verkündete am Tag seiner Wahl, am 9. November 2016, in New York:
"Wir haben einen großartigen Wirtschaftsplan. Wir werden unser Wachstum verdoppeln und die stärkste Wirtschaft auf der ganzen Welt haben."
und weiter:
"Wir werden bei diesem Wiederaufbau Arbeitsplätze für Millionen von Menschen schaffen."
Im dritten Quartal 2016 wuchs das Bruttoinlandsprodukt der USA auf das Jahr hochgerechnet um 2,9 Prozent. Die Arbeitslosenquote in den USA liegt im langfristigen Vergleich niedrig, im September 2016 lag sie bei 5,0 Prozent; im Mai lag sie mit 4,7 Prozent auf dem tiefsten Stand seit 2007.
Trump trat im Wahlkampf für drastische Steuersenkungen ein - für die Bürger aller Einkommensklassen und Unternehmen. Er sprach von der größten "Steuerrevolution" seit der Reform von Präsident Ronald Reagan in den 80er Jahren.
Die Einkommensteuer soll bei 33 Prozent für Großverdiener gedeckelt werden, Niedrigverdiener sollen über die Nutzung von Freibeträgen zum Teil keine Einkommensteuer zahlen.
"Mehr als 19 Billionen US-Dollar Schulden sind eine vernichtende Bürde für junge Amerikaner. Mit unseren Steuerplänen werden die Steuern für alle gesenkt."
Die Unternehmenssteuern will er von 35 auf 15 Prozent senken, um die Konzerne im internationalen Wettbewerb in eine bessere Position zu bringen. Zudem will Trump verhindern, dass Betriebe aus den USA ihre Produkte künftig im Ausland herstellen lassen. Per Presseerklärung verkündete er am 24. Mai 2016 zu diesem Thema:
"Wenn sie dass tun, wird ihnen verständlich gemacht, dass das Konsequenzen haben wird."
Er versprach auch:
"Amerikanische Autos werden über die Straßen fahren, amerikanische Flugzeuge werden die Städte verbinden, amerikanische Schiffe werden über die Meere patrouillieren, amerikanischer Stahl wird überall im Land neue Wolkenkratzer aufragen lassen."
Donald Trump stellte im Wahlkampf auch internationale Handelsabkommen in Frage:
"Ich werde (das transpazifische Handelsabkommen) TPP nicht unterzeichnen, und ich werde unseren NAFTA-Partnern sagen, dass wir umgehend über die Bedingungen des Abkommens verhandeln müssen, um bessere Konditionen für unsere Arbeiter auszuhandeln."
Einwanderung | Abschiebung | Mauerbau
Trump hat vor der Wahl immer wieder angekündigt, eine rund 3000 Kilometer lange, unüberwindbare Mauer an der Grenze zwischen den USA und Mexiko errichten zu wollen. So sagte er etwa auf einer Pressekonferenz in New York am 16. Juni 2015:
"Ich werde eine großartige Mauer bauen, und niemand baut bessere Mauern als ich, glauben Sie mir. Und ich werde sie sehr kostengünstig bauen. Ich werde eine großartige, großartige Mauer an unserer südlichen Grenze bauen, und ich werde Mexiko dazu bringen, den Mauerbau zu bezahlen."
Trump hat in der Vergangenheit auch immer wieder für die Abschiebung illegaler Arbeitskräfte plädiert. In einer Fernsehdebatte der Republikaner sagte er am 25. Februar 2016:
"Wir haben mindestens 11 Millionen Menschen im Land, die illegal eingereist sind. Sie werden gehen müssen. Sie werden zurückkommen. Einige - die besten - werden ein Verfahren durchlaufen und zurückkommen. Es mag kein ziemlich schnelles Verfahren sein, aber ich denke, das ist sehr fair und gut so."
Flüchtlinge, die im Zuge der Syrienkrise in die USA einreisten, sind in den USA des Donald Trump nicht erwünscht, sagte er ABC-News am 22. November 2015:
"Ich setze alle Menschen, die im Rahmen dieser Massenintegration aus Syrien hierherkommen, darüber in Kenntnis: Wenn ich [die Wahlen] gewinne, gehen sie zurück."
Kampf gegen Terror und IS | Ausgrenzung
Donald Trump hat vor der Wahl immer wieder über einen Plan zur Bekämpfung des IS gesprochen, Details nennt er jedoch nicht. In einem Wahlwerbespot vom 18.November 2015 sagt er:
"Ich werde den IS schnell und entschieden in die Hölle bomben."
Auch zur Frage, wie mit Terrorverdächtigen umzugehen sei, und wie er zu Folter steht, hat sich Trump in der Debatte der republikanischen Präsidentschaftskandidaten am 6. Februar 2016 explizit geäußert. Er sagte:
"Im Mittleren Osten gibt es Menschen, die Christen die Köpfe abhacken. Es gibt Dinge, die wir niemals zuvor gesehen haben. Seit dem Mittelalter hat man nicht mehr gesehen, was nun passiert. Ich werde Waterboarding wieder einführen. Und ich werde verdammt viel schlimmere Dinge als Waterboarding einführen."
Grundsätzlich sprach sich Trump vor der Wahl dafür aus, dass sich die USA in internationale Konflikte weniger einmischen sollten. Ausnahme: der Kampf gegen den IS und eine Ausweitung des Militäreinsatzes in Syrien und im Irak.
Generell setzte Trump vor der Wahl diverse Male Muslime mit Terrorverdächtigen gleich. So ließ er etwa in einer Presseerklärung vom 7. Dezember 2015 verkünden:
"Donald J. Trump ruft zu einem totalen und vollständigen Einreiseverbot für Muslime in die Vereinigten Staaten von Amerika auf - bis unsere Abgeordneten herausgefunden haben, was vor sich geht. [...] Bis wir in der Lage sind, das Problem und die gefährliche Bedrohung, die es darstellt, genau auszumachen und zu verstehen, darf unser Land nicht Opfer fürchterlicher Angriffe von Menschen werden, die nur an den Dschihad glauben."
Klimaschutz | Energiepolitik
Wie steht der nächste US-Präsident zum Thema Klimaschutz? Trump hat vor der Wahl angekündigt, das Pariser Klimaabkommen aufzukündigen. Er sei "kein großer Fan" der Vereinbarung.
"Ich werde sehr, sehr genau darauf schauen und mindestens werde ich diese Abmachungen neu verhandeln, mindestens... Diese Vereinbarungen sind einseitig und schlecht für die USA."
Immer wieder hat Trump den Klimawandel in Frage gestellt. So schrieb er auf Twitter am 6. November 2012:
"Der Begriff Klimawandel wurde von den und für die Chinesen erfunden, damit die US-amerikanische Produktion nicht mehr wettbewerbsfähig ist."
und am 29. April 2014:
"Es schneit in Texas und Louisiana, rekordbrechende Kälte im ganzen Land und darüber hinaus. Der Klimawandel ist ein teurer Schwindel!"
In Sachen Energiepolitik setzt Trump auf Kernenergie und Fossile Energien. In seinem Buch "Great Again", 2015, heißt es etwa:
"Erneuerbare Energien [...] sind wirklich nicht mehr als ein teurer Weg, damit sich Baumumarmer gut in ihrer Haut fühlen."
In einem Interview erklärte er am 15. März 2011 auf Fox-News:
"Ich bin sehr für Atomenergie, sehr stark für Atomenergie. [...] Wir brauchen Atomenergie und wir brauchen viel davon ganz schnell."
Zur Zukunft der Kohleindustrie sagt er in einer Wahlkampfrede in Valdosta, Georgia, am 29. Februar 2016: "Wir werden die Kohlewirtschaft wieder zu 100 % zurückbringen.""
Kranken und Behinderten wird es nicht besser, sondern schlechter gehen. Umwelt und Klima werden noch mehr leiden. Die Zukunftsprobleme werden sich vergrößern. Schuldenberge werden sich auftürmen. Die Ungleichheit in der Gesellschaft wird drastisch zunehmen. Die Spannungen in der Welt werden steigen. Der Rechtspopulismus wird nicht abnehmen, sondern sich aufblähen. Und Sexismus, Rassismus, unfaire Schicken und Lügen werden weiter salonfähig. Das lässt für Wahlkämpfe in Europa und für die Bundestagswahl in Deutschland nächstes Jahr Schlimmes befürchten. Die Verrohung bekommt einen Namen: Die Trump-Ära. Möge es nicht so kommen.
Um so wichtiger ist es, dass jede und jeder in seiner Reichweite und nach eigener Möglichkeit gegen Unfairness, Rassismus und Sexismus spricht und handelt. Für Verständigung, Fairness, Gerechtigkeit, Achtung von Menschen, Tieren und Pflanzen eintritt. Jetzt erst recht.
"Spiegel Online: Was Trump will"
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12.08.2016 14:41
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Bundesregierung unterstützt indirekt Raubbau an Regenwald und Klima
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Die Bundesregierung will nicht gegen den Import von klimaschädlichem Palmöl vorgehen. Obwohl ihr die klima- und naturschädliche Produktion von Palmöl bekannt ist. Zudem hat sich die Beimischung von Palmöl in Biosprit zwischen 2010 und 2014 versiebenfacht: von 456 000 auf 3,2 Millionen Tonnen. Also keinen Biosprit mehr kaufen: man weiß nicht, woher es kommt. Und in der Verletzung von Sozialstandards sieht die CDU/CSU/SPD-Koalitionsregierung überhaupt keinen Grund für handelsbeschränkende Maßnahmen. In der Frankfurter Rundschau schreibt die Expertin Kathrin Hartmann – Autorin des Buches „Aus kontrolliertem Raubbau“ – dazu:
„Vor einem Jahr brannten in Indonesien die Wälder, bis November zerstörten die Feuer 1,8 Million Hektar Torfböden und Regenwälder. 500 000 Menschen litten an Atemwegskrankheiten, 20 starben. Lokale Nichtregierungsorganisationen wie Save our Borneo und Perkumpulan Hijau in Sumatra forsten noch immer Wald auf und schütten Entwässerungsgräben zu, um das verbrannte Land vor Palmölplantagen zu retten. Trotz Anbau-Moratorium der Regierung wachsen auf vielen zerstörten Flächen Ölpalmen.
Seit die EU vorgeschrieben hat, dass der Anteil nachwachsender Rohstoffe am Verkehr bis 2020 zehn Prozent betragen soll, wird Palmöl in wachsenden Mengen für Agrarsprit importiert. Laut einer Studie von Naturschutzbund Deutschland und der NGO Trade & Environment hat sich die Beimischung von Palmöl in Biosprit zwischen 2010 und 2014 versiebenfacht: von 456 000 auf 3,2 Millionen Tonnen. Mehr als die Hälfte des importierten Palmöls wird zur angeblich emissionsfreien Gewinnung von Energie verwendet.
Bei der Verbrennung von Pflanzenkraftstoffen gelange nur so viel CO2 in die Luft, wie die Pflanze vorher aufgenommen habe, heißt es. Bezieht man aber den Klimaschaden in Anbauländern ein, der durch die Zerstörung von Wäldern und Torfböden entsteht, produziert Biodiesel aus Pflanzenöl 80 Prozent mehr Emissionen als fossiler Diesel. Palmölbasierter Kraftstoff ist sogar drei Mal so klimaschädlich. Vor allem, wenn man die indirekten Landnutzungsänderungen einrechnet: Sie entstehen, wenn Nahrungsanbau durch Palmölplantagen verdrängt wird und auf Wälder oder Torfböden ausweicht. Das belegt die 2013 von der EU in Auftrag gegebene Globiom-Studie.
Dennoch sieht die Bundesregierung keinen Anlass, die Biosprit-Politik zu ändern, obwohl ihr die klimaschädlichen Auswirkungen bekannt sind. Die EU-Kommission solle die Nutzung von Palmöl „weiter beobachten“ und „prüfen, ob eine Anrechnung von Biokraftstoffen aus Palm- und Sojaöl auf künftige EU-Ziele weiterhin mit den europäischen Zielen im Bereich des Klimaschutzes vereinbar ist“, heißt es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage zur „Umsetzung verbindlicher Umwelt- und Sozialstandards in der internationalen Palmölproduktion“, die Uwe Kekeritz, Harald Ebner und Bärbel Höhn von den Grünen an die Bundesregierung stellten. Ein Importverbot für Palmöl, das keine sozialen und ökologischen Mindeststandards erfüllt, wie es die Antragsteller fordern, werde nicht in Erwägung gezogen, heißt es weiter. Die Verletzung von Sozialstandards sei nach den Regeln der Welthandelsorganisation kein Grund für handelsbeschränkende Maßnahmen. Auch sieht die Regierung keinen Anlass, sich für verbindliche Umwelt- und Sozialstandards bei importiertem Palmöl einzusetzen. Sie setzt stattdessen auf den „Dialog“ mit den Regierungen palmölerzeugender Länder und die Selbstverpflichtung von Unternehmen, sich freiwillig an Sozial- und Umweltstandards zu halten.
Antragsteller Kekeritz nennt die „Nachhaltigkeitsrhetorik der Bundesregierung“ deshalb „zunehmend doppelbödig“. Freiwillige Selbstverpflichtungen haben bislang zu keiner Verbesserung im Palmölanbau geführt. Eines der größten Zertifizierungssysteme, das die EU anerkannt, ist der Runde Tisch für nachhaltiges Palmöl. Zu seinen zertifizierten Mitgliedern gehören große Konzerne wie Wilmar International oder Bumitama Agri, denen seit Jahren illegale Abholzung, Zerstörung von Schutzgebieten, Landraub und Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Nichtregierungsorganisationen haben während der Waldbrände 2015 mehr als zwei Dutzend Feuerherde auf Flächen von RSPO-Mitgliedern entdeckt.
Das Freihandelsabkommen zwischen EU und Indonesien, das seit Juli verhandelt wird, könne die Probleme weiter verschärfen, warnt Kekeritz: „Billiges Palmöl könnte noch billiger werden, der Absatz in Europa würde weiter steigen, verbindliche Umwelt- und Sozialstandards rücken derweil in weite Ferne.““ Doppelbödige Nachhaltigskeitsrhetorik trifft es sehr genau.
Krasser Unfairness will die Regierung nicht Einhalt gebieten, dafür unterstützt sie exemplarisch krasse Unfairness in Bezug auf Umwelt, Klima, Einwohner in Indonesien und Mitarbeiter. In 50 Jahren versteht dann niemand, warum Indonesier nach Europa flüchten, weil ihre natürliche Umwelt zerstört, das Land an Konzerne verteilt ist und die Monokultur das Leben unmöglich macht. Der militante Islam macht sich das schon zunutze und versucht, den bislang zivilen Islam der indonesischen Mehrheitsreligion zu einer Waffe zu machen.
Beispiele für problematische Palmöl-Nutzung durch Firmen:
"Unilever und die Palmölproduktion"
"Nestlé und der Regenwald"
"dm unbedarft im Umgang mit Herkunft, Produktion und Einsatz von Palmöl"
Kathrin Hartmann zur Lage an der Palmöl-Front "Beitrag in der Frankfurter Rundschau"
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08.04.2016 12:08
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Fairness-Mechanismus: Ob er hilft - wozu er hilft?
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Einen „Fairness-Mechanismus“ für Flüchtlinge will die EU-Kommission etablieren. Durch einen Fünf-Punkte-Plan will die EU-Kommission das Asylsystem EU-weit vereinheitlichen. So soll das sogenannten Dublin-Verfahren weiterentwickelt werden. Außerdem soll das EU-Asylbüro Easo die Verteilung überwachen.
Die EU-Kommission reagiert auf die Flüchtlingskrise mit einem Plan zu einem vereinheitlichten Asylsystem. Ohne direkte Auseinandersetzung mit dem Widerstand aus etlichen Mitgliedsländern will die Brüsseler Behörde die Rechte der Asylsuchenden EU-weit stärker harmonisieren und ihre Verteilung über die einzelnen Staaten gerechter regeln.
Europa müsse legale und sichere Wege für Menschen in die EU aufbauen, unabhängig davon, ob sie zum Schutz oder auf der Suche nach Arbeit kämen, sagte Innenkommissar Dimitris Avramopoulos. Auf die konkrete Ausgestaltung verzichtet die EU-Kommission erst einmal, um dem Plan eine Chance zu geben und nicht gleich wieder im Klein-Klein unterzugehen. Stattdessen hat sie zwei "Optionen" vorgelegt.
Der „Fairness-Mechanismus“ bedeutet: Nach den jetzigen Regeln müssen Flüchtlinge in dem EU-Land einen Asylantrag stellen, in dem sie zuerst den Boden der EU betreten haben. Dadurch sind Italien und Griechenland, mitunter auch Spanien, für den Großteil der Bootsflüchtlinge zuständig.
Die zweite Option der EU-Kommission gibt einen Verteilungsschlüssel vor. Ziel ist es, dass Menschen nicht mehr die oft lebensbedrohliche Reise mit Hilfe von Schleppern antreten. Dem widersetzen sich aber bislang eine Reihe von EU-Staaten - darunter osteuropäische Länder oder Frankreich.
Stärken könnte die EU-Kommission zudem die Rolle des ihr unterstellten EU-Asylbüros Easo. So könne das Büro überwachen, ob die Mitgliedsländer die Regeln bei der Überprüfung und Verteilung von Asylsuchenden einhalten und Maßnahmen vorlegen, um mögliche Defizite abzustellen. Auch sollten die Verfahrensregeln so angepasst werden, dass sich Asylsuchende nicht ein Land aussuchen können, in dem sie besonders leicht Bleiberecht und Unterstützung erhalten. Die Kommission mahnte zudem erneut einen stärkeren Datenaustausch an.
Vor allem Griechenland ist von der Flüchtlingskrise betroffen. Dort kamen 2015 mehr als eine Million Flüchtlinge an, die allerdings zum großen Teil weiter Richtung wohlhabenderer EU-Länder wie Deutschland, Österreich oder Schweden zogen.
Außerdem erwägt die EU-Kommission zur Verhinderung von Sekundärbewegungen innerhalb der EU Maßnahmen zusätzlich vorzuschlagen. Insbesondere könnten bestimmte Anrechte an die Registrierung, die Abnahme von Fingerabdrücken und den Verbleib im zugewiesenen EU-Land gebunden werden.
Ob der Plan und die Vorschläge der EU erfolgreich sind, ist fraglich, da der Widerstand einiger EU-Staaten sehr stark und grundsätzlich ist. Der Begriff „Fairness-Mechanismus“ ist etwas unglücklich gewählt, da er die der EU-Bürokratie zugeschriebene Kälte transportiert, die mit Mechanik einhergeht. „Fairness-Reglement“ wäre analog zum Reglement im Sport besser gewesen, wo es darum geht, Gemeinsamkeiten und zugleich Wettbewerb bis hin zur Gegnerschaft zu organisieren, ohne die zusammen kein Sport möglich ist. So wie keine EU ohne Fairness. Ob die EU zu einer solchen Fairness findet, die sie sich in ihrem Grundwertekatalog selbst zuschreibt und der sie sich verpflichtet hat, muss sich erweisen. Der Umgang mit den Flüchtlingen in der gesamten EU ist der humane Prüfstein dafür, der eine Balance einschließt zwischen den Flüchtenden, Ankommenden und den bisherigen Einwohnern der Länder. Fairness heißt auch: Ausgleich von Interessen bei Rücksichtnahme auf die Bedürftigen auf beiden Seiten.
"Der Vorschlag und Plan der EU-Kommission zum Fairness-Mechanismus"
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01.04.2016 11:55
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Fairness der Chancen
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Wenn es um die „Fairness der Chancen“ geht, brauchen wir einen Befähigungsstaat, schreibt Nils Heisterhagen im Debatten-Magazin „The European“. Der Politikwissenschaftler und Volkswirt meint: „Wir haben zu lange keine Debatte mehr über den Staat geführt. Staatsgegnerschaft beherrscht immer noch den Mainstream. Zeit mit einer neuen Idee die Debatte zu erneuern.
Ein Befähigungsstaat ist ein Staat, der sich verpflichtet sieht, alle seine Bürger in den Stand zu setzen, ihr Leben selbstbestimmt führen zu können und auf dem Arbeitsmarkt bestehen zu können. Der Befähigungsstaat hat ein instrumentelles und ein ideelles und ideales Ziel:
Sein instrumentelles Ziel ist die Befähigung aller Mitbürger ungeachtet ihrer Herkunft zu einer Arbeitskraft, die einen Platz auf dem Arbeitsmarkt finden kann. Ziel dieses Befähigungsstaates ist es, dass kein Jugendlicher mehr die Schule ohne Abschluss verlässt und dass jeder Jugendliche eine Ausbildung erhält. Weiterhin ist es das Ziel dieses Befähigungsstaates, dass die Arbeitsmarktpolitik auf Weiterbildung und Qualifizierung ausgerichtet wird und nicht auf die schnelle Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt – mithin geht es darum das Fördern beim „Fördern und Fordern“ der bisherigen Arbeitsmarktpolitik endlich umfassend, systematisch und ambitioniert ernst zu nehmen.
Ideelles und ideales Ziel des Befähigungsstaates ist vor allem die Fairness der Chancen. Wir brauchen einen Befähigungsstaat, weil jedes Kind vergleichbare Bildungschancen haben soll – egal wo es herkommt. Reichtum darf nicht darüber entscheiden, ob Bildungserfolg stattfindet oder nicht. Ziel des Befähigungsstaates ist die Annäherung an eine vergleichbare substanzielle Freiheit. Der Befähigungsstaat basiert auf einem linken Freiheitsbegriff. Ein linker Freiheitsbegriff – so wie ihn etwa der Philosoph Amartya Sen mit seiner Idee der substanziellen Freiheit vorschlägt – hat ein positives Verständnis vom Staat. Freiheit durch den Staat, auch diese gibt es. Freiheit für alle gibt es nur mit einer Politik, die den Staat als Instrument der Steigerung der individuellen Freiheiten ansieht. Eine Politik gegen den Staat – die sich nur auf Deregulierung und steuerpolitische Privilegien versteift – hingegen sorgt nur für eine substanzielle Freiheit für Wenige. Diese substanzielle Freiheit hat zwar die doppelte sozialstaatliche Dimension der Verwirklichung von sozialer Sicherheit – im Sinne der Freiheit von ökonomischer Not – und die Fairness der Chancen. Aber die Alimentierung des Staates bei Arbeitslosigkeit ist eben nur ein Teil. Der wesentlich wichtigere Teil jenes für die substanzielle Freiheit sorgenden und vorsorgenden Staates, ist die Fairness der Chancen. Und diese Fairness der Chancen wird zunächst und zumeist im Bildungssystem entschieden. Deswegen ist der Befähigungsstaat Beförderer der Freiheit und entscheidendes Instrument zur Verwirklichung des Ideals vergleichbarer substanzieller Freiheit“.
"Vollständiger Essay von Nils Heisterhagen"
"Fähigkeiten schaffen - das Konzept von Martha Nussbaum"
"Der Katalog der menschlichen Grundfähigkeiten"
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04.12.2015 11:15
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Bundesminister für mehr Fairness bei Lebensmitteln
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Mit dem gestrigen Lebensmittelgipfel will Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt offensiven Druck machen, damit es zu mehr Wertschöpfung, mehr Wettbewerbsfähigkeit und mehr Fairness in der gesamten Kette für die Produktion und den Handel von Lebensmitteln kommt.
Denn - so der Minister - „niedrige Erzeugerpreise und starke Preisschwankungen bedrohen die Existenz vieler landwirtschaftlicher Betriebe in Deutschland. Mein Ziel ist die Erhaltung einer vielfältigen Landwirtschaft. Auch bäuerliche Familienbetriebe müssen eine Zukunft haben. Die Landwirtschaft ist im Ernährungsbereich die Basis einer funktionierenden Wertschöpfungskette und zugleich wirtschaftliches Rückgrat der ländlichen Räume.
Alle Beteiligten der Wertschöpfungskette tragen Verantwortung. Erzeuger, Verarbeiter, Handel und Verbraucher hängen zusammen und voneinander ab. Ziel muss es sein, die Risiken volatiler Märkte besser abzusichern. Ich erwarte von allen Beteiligten, dass der ruinöse Preiskampf mit Grundnahrungsmitteln ein Ende hat. Hier tragen der Lebensmitteleinzelhandel aber auch wir Verbraucher eine besondere Verantwortung.
Der Lebensmittelgipfel ist Baustein einer ganzen Offensive hin zu mehr Wertschöpfung, mehr Wettbewerbsfähigkeit und mehr Fairness in der gesamten Kette. Großes Potential für mehr Wertschöpfung liegt in der Herstellung von Qualitätsprodukten, die noch besser die Erwartungen der Verbraucher erfüllen. (…) Ich begrüße die von der Wirtschaft entwickelte nationale Dialogplattform: Sie sollte als wichtiges Instrument für mehr Fairness in der Kette genutzt werden.
Wichtig ist mir auch die Wertschätzung unserer Lebensmittel. Unsere guten Lebensmittel sind ihren Preis wert und dürfen nicht zu Billigpreisen verschleudert oder in der Abfalltonne entsorgt werden. Das Bewusstsein für den Wert unserer Lebensmittel will ich bei den Verbrauchern wie bei den beteiligten Unternehmen und Landwirten gleichermaßen steigern.“
Doch sind Wettbewerbsfähigkeit und faire Lebensmittel nicht in einem Grundkonflikt miteinander? Ja, heftig! Denn wo wie in Deutschland der Preis sowohl im Handel wie in der Produktion als auch bei den Verbrauchern das wichtigste Entscheidungskriterium ist, kann es keine fair produzierten und gehandelten Lebensmittel in der Breite geben. Der gegenseitige Verdrängungs- und Unterbieterwettbewerb ist selbst unfair und bewirkt unfaire Folgen: in der Landwirtschaft und beim Konsum.
Fair wären staatliche, ambitioniertere Kriterien für eine sozial-, öko- und wettbewerbspolitisch zukunftssichernde Landwirtschafts- und Verbraucherpraxis, die nicht unter dem Einfluss von Handels- und Verbandsriesen verwässert sind. Und vergleichbar dem Bio-Siegel dafür eine Basis definieren, die nicht zu unterschreiten ist. Hinzu kommt die Absenkung der Mehrwertsteuer für einen Korb von Grundnahrungsmitteln.
"Fairness-Check der Lebensmittelmärkte"
"FoodWatch zu Lebensmitteltäuschungen"
"BM Schmidt beim Lebensmittelgipfel"
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24.08.2015 12:26
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Lässt Schäuble Firmen an Kassen betrügen?
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Steuerbetrug an breiter Front: Deutsche Unternehmen sollen den Staat jährlich um rund 10 Milliarden Euro Steuern betrügen. Und das geht mittels kleiner Softwareprogramme, die die Registrier- und Warenkassen in den Geschäften manipulieren. Die Berliner Zeitung schreibt heute: „Sie heißen Eraser, Fixer, Styler oder Sneaker: Kleine Computerprogramme, mit denen sich Registrierkassen manipulieren lassen. Nach Überzeugung der Länder und des Bundesrechnungshofs werden die geheimen Schummelprogramme täglich an Hunderttausenden Kassen eingesetzt, um Umsätze zu drücken und damit Steuern zu hinterziehen“. Die bis zu zehn Milliarden Euro jährlich, die dem Fiskus durch derartige Betrügereien verloren gehen sollen „ entsprechen fast den gesamten Einnahmen aus der Kfz-Steuer. Durch neue technische Systeme wollen die Länder die Manipulationen so schnell wie möglich erschweren. Doch sie sehen sich durch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ausgebremst“.
Aufgedeckt hatte den Steuerskandal die ARD-Sendung PlusMinus schon im letzten | |