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21.09.2022 07:17
Wer wen und wann diskriminiert - wie Diskriminierung zu stoppen ist  

Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Ferda Ataman, spricht im Interview mit Markus Decker für die Frankfurter Rundschau heute über die versteckten Formen der Benachteiligung, nötige Reformen und Vorurteile.

Frau Ataman, es gibt viele Arten der Diskriminierung. Was ist denn verboten und was nicht?

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, einer Behinderung, der Religion oder Weltanschauung, wegen des Alters, der sexuellen Identität sowie aus rassistischen und antisemitischen Gründen. Doch das Gesetz muss reformiert werden. Es hat große Lücken. Zum Beispiel wird rassistische Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt durch Schlupflöcher im Gesetz legal. Oder: Viele Eltern erfahren Diskriminierung. Wir haben eine Studie dazu gemacht. Darin gaben 40 Prozent der Eltern an, dass sie am Arbeitsplatz diskriminiert werden, zum Beispiel, weil sie früher nach Hause müssen, um ihr Kind zu betreuen. Diese Form der Diskriminierung fällt nicht unter das Gesetz, gleiches gilt, wenn Arbeitnehmer Angehörige pflegen.

Das ist sicher nicht alles, oder?

Diskriminierung aufgrund des sozialen Status liegt mir sehr am Herzen. Wir haben immer wieder Fälle dazu, zum Beispiel, dass jemand eine Wohnung nicht bekommt, weil er oder sie staatliche Leistungen bezieht. Auch dieses Thema gehört ins Gesetz.

Sind manche Diskriminierungen nicht nachvollziehbar – etwa, wenn ein Arbeitgeber ein Interesse hat, junge Angestellte zu halten und ältere nicht?

Finden Sie? Arbeitnehmer:innen mit 50 Jahren haben in der Regel doch noch eine Arbeitsperspektive von 20 Jahren vor sich und sind sehr erfahren. Meist hat die Diskriminierung mit gesellschaftlichen Ressentiments und Vorurteilen zu tun. Die wirken bei Rassismus, bei Sexismus, und sie wirken ebenso beim Alter. Bis heute hält sich das Bild hartnäckig, dass Leute, die auf die 60 zugehen, fast schon in der Rente sind. Aber das ist längst nicht mehr so. Sie sind oft mittendrin im Leben oder wären es gerne, wenn man sie denn ließe. Das Thema will ich stärker angehen. Wir verhandeln das Thema Diskriminierung noch zu sehr als Minderheitenthema.

Wie meinen Sie das?

Das Gefühl, benachteiligt zu sein, kennen die meisten Menschen in Deutschland, das zeigt eine aktuelle Umfrage der Bertelsmann Stiftung. Wenn man sich die eben erwähnten Diskriminierungsgründe anschaut, hat das auch einen Sinn. Diskriminierung betrifft Frauen, Menschen mit Behinderung, Menschen aus Einwandererfamilien, queere Menschen besonders oft. Das allein sind schon mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Hinzu kommen junge Menschen und ältere, die aufgrund ihres Alters benachteiligt werden können. Zwischen diesen Lebensphasen kann man Diskriminierung erfahren, weil man Kinder bekommt, Eltern pflegt oder chronisch krank wird. Jeder kann im Laufe seines Lebens in eine Diskriminierungssituation geraten. Antidiskriminierungspolitik ist für alle da.

Und wie steht es um die Menschen aus Ostdeutschland?

Faktisch gibt es Benachteiligungen wegen der ostdeutschen Herkunft. Wir wissen, dass Ostdeutsche im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung deutlich seltener in Führungspositionen kommen. Auch sie stoßen also an die sogenannte gläserne Decke. Zudem verdienen sie oft weniger und sind einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt. Allerdings gibt es auch in der „alten“ Bundesrepublik Regionen, die stark unter einer hohen Arbeitslosigkeit und dem Strukturwandel leiden, wie das Ruhrgebiet. Deshalb sollten wir aus meiner Sicht eher über den sozialen Status als Diskriminierungsmerkmal nachdenken, statt einzelne Regionen ins Gesetz zu schreiben.

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