Blog nach Monat: August 2020

26.08.2020 06:32
Trauen Sie keinen Produktempfehlungen - sie sind häufig eine Täuschung
Glauben Sie nur Produktempfehlungen, die Sie selbst geschrieben und veröffentlicht haben. Oder von Personen, die Sie persönlich kennen und auf deren Urteil Sie vertrauen. Denn die Produktkommentare, die Sie im Internet lesen und keiner Ihnen bekannten Person zuordnen können (auch um mal nachzufragen), sind vermutlich überwiegend gefälscht bzw. gekauft. Für 270 Dollar gibt es 3200 Twitter-Follower. 2100 Youtube-Abonnenten für 810 Dollar. „Verifizierte“ Amazon-Bewertungen zum Stückpreis von 29 Dollar. Vier nette Ebay-Kundeneinträge für 70 Dollar. 14 App-Store-Bewertungen für 225 Dollar.

Die Journalistinnen Imre Grimm und Julia Rahtke zeigen das nachweislich in der Frankfurter Rundschau (26.8.20) am Beispiel von Amazon, das durch Käuferempfehlungen sein Geschäft mächtig antreibt und riesigen Umsatz macht. Gerade jetzt, denn:
"Amazon verdient in der Corona-Krise besonders viel. Der Onlinehandel boomt – und mit ihm der Betrug. Wem kann die Kundschaft noch trauen?

Nein, nein, die „12 Meter LED OMERIL 120er USB Lichterkette“ ist nicht irgendeine Lichterkette. Sie ist „wunderschön“, „brillant“, „perfekt“ und „unaufgeregt praktisch“. Kunden schwärmen vom „Super Preis-Leistungs-Verhältnis!“ und sind „absolut begeistert“: „So eine praktische Lichterkette hatte ich noch nie!“ 2552 Kundenrezensionen verzeichnet Amazon für die Kette, 76 Prozent davon mit Höchstwertung: fünf Sterne.
Wie kommt es, dass eine banale Lichterkette eine solche kollektive Ekstase auslöst? Das klärt ein kurzer Test auf der Webseite Reviewmeta.com. Sie hilft dabei, gefälschte Bewertungen in Onlineshops zu entlarven. Ergebnis für die Lichterkette: 76 Prozent aller Kundenrezensionen stehen unter Fälschungsverdacht. Wortgleiche Sätze. Auffällige Benutzerprofile. Fake. Lüge. Menschen glauben Menschen. Dieses Prinzip, tief im humanen Erbgut verankert, hat sich Jeff Bezos 1995 bei der Gründung seines kleinen Onlinebuchhandels Amazon zunutze gemacht. Er erlaubte es seinen Kunden, über ihre Erwerbungen zu urteilen.

Mit seinem Vorstoß hat er vor 25 Jahren den Boden bereitet für ein heute weltumspannendes Bewertungssystem, in dem Hunderte von Millionen Sternchenverteilern Milliarden-Dollar-Ströme lenken, Händlerschicksale steuern und über Wohl und Wehe von Bluetooth-Lautsprechern, Ladekabeln, Ärzten, Staubsaugern, Uber-Fahrern, Airbnb-Unterkünften, Museen und LED-Lichterketten entscheiden. Nichts ist im Marketing so wertvoll wie eine vermeintlich persönliche Empfehlung.
Und wohl noch nie hat die Onlinerezension eine wichtigere Rolle gespielt als in der Corona-Pandemie.

Die Corona-Krise hat Amazon eine Umsatzexplosion beschert. Im zweiten Quartal 2020 lag der Umsatz 40 Prozent über dem Vorjahreswert – bei 88,9 Milliarden Dollar. Das entspricht rund 10 000 Dollar pro Sekunde, Tag und Nacht. Der Gewinn betrug von April bis Juni 5,2 Milliarden Dollar – das ist etwa doppelt so viel wie im Vorjahr. Die Verkaufszahlen waren so gigantisch, dass der Konzern laut „Wall Street Journal“ gar Werbeaktionen wie zum Muttertag strich, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den Bestellungen nicht hinterherkamen. Und das, obwohl Amazon seit Beginn der Pandemie 175 000 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt hat. Bezos verkaufte Anfang August Aktien aus persönlichem Besitz im Wert von drei Milliarden Dollar, um das Geld in andere Firmen zu stecken. Vergleichsweise Peanuts.

Im Corona-Lockdown entfiel das letzte große Plus des stationären Handels vollständig: die Möglichkeit, Qualität und Aussehen der Ware vor Ort zu prüfen und sich persönlich beraten zu lassen. Umso wichtiger ist die Rolle, die Onlineurteile spielen.

Aber die Jagd nach den Sternen hat ein globales System von Betrügern geboren. Das Netz ist voll von Anbietern, die dabei helfen, künstlichen Hype zu erzeugen. Allein Amazon hat nach Schätzungen eine halbe Milliarde Rezensionen gespeichert. Jede fünfte Amazonbewertung aber soll gefälscht sein – mindestens. Eine britische Studie kam im April 2019 zu einem noch spektakuläreren Ergebnis: Bis zu 87 Prozent der untersuchten Bewertungen seien nicht glaubwürdig. Betroffen sind vor allem Kopfhörer, Smartwatches und Fitnesstracker, meist aus chinesischer Produktion. Ein Kopfhörer etwa verzeichnete 439 Fünf-Sterne-Bewertungen an einem einzigen Tag. Keine davon war ein „verifizierter Kauf“, stammte also tatsächlich von einem Kopfhörerkäufer.

Der Zwang, im Netz in bestem Licht zu erscheinen, ist ein gesellschaftlicher Megatrend. Die gefälschte Amazon-Rezension ist im Kern nur eine kommerzielle Spielart des beschönigenden Instagram-Filters. Hinter beidem steckt die Absicht, sich selbst oder seinem Produkt ein besseres Image zu verpassen. Bewertungen sind eine Macht im Netz: Auf Kununu werden Arbeitgeber bewertet, auf Jameda Ärzte, auf bewertet.de regionale Dienstleister, auf Yelp Frisöre, Zahnärzte, Bäcker oder Restaurants. Und überall lockt der Betrug.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jüngst über die Frage entschieden, wer eigentlich haften muss, wenn Kundenbewertungen falsche Informationen über ein Produkt enthalten. Der Verband Sozialer Wettbewerb hatte gegen einen Anbieter von Muskeltapes geklagt. Dieser hatte sich daraufhin verpflichtet, nicht mehr damit zu werben, dass seine Produkte „zur Schmerzbehandlung geeignet“ seien. Auf Amazon aber steht in mehreren Kundenrezensionen, das Kinesiologietape habe Schmerzen gelindert („Die Schmerzen gehen durch das Bekleben weg“). Der Anbieter sollte deshalb eine Vertragsstrafe zahlen. Der BGH aber urteilte: Die Verantwortung für eine irreführende Rezensionen trägt nicht der Händler, sondern der Urheber. Also in diesem Fall der Kunde.

Kundenbewertungen sind ein mächtiges Instrument. Denn die digitale Mundpropaganda wirkt. Bewertungen anderer Kundinnen und Kunden sind nach einer Studie des Branchenverbandes Bitkom das wichtigste Kriterium beim Onlinekauf. 90 Prozent der Käufer würden laut Studien niemals ein Produkt erwerben, das weniger als drei Sterne hat.

Eine Untersuchung der Harvard Business School hat ergeben, dass eine einzige zusätzliche positive Bewertung bei bestimmten Produkten für bis zu neun Prozent mehr Umsatz sorgen kann. Und wem als Verkäufer die persönlichen Empfehlungsschreiben nicht schnell und zahlreich genug eintreffen, der greift selbst nach den Sternchen. Bei Unternehmen wie Five Star Marketing oder App Sally gibt es alles, was digitalen Erfolg simuliert: 3200 Twitter-Follower für 270 Dollar. 2100 Youtube-Abonnenten für 810 Dollar. „Verifizierte“ Amazon-Bewertungen zum Stückpreis von 29 Dollar. Vier nette Ebay-Kundeneinträge für 70 Dollar. 14 App-Store-Bewertungen für 225 Dollar.

„Gekaufte Bewertungen im Onlinehandel sind immer schwieriger zu erkennen“, sagt Philipp Obladen, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz in Köln. Früher habe man sie an den schlecht übersetzten Textfragmenten entlarven können, heute habe sich das perfide Geschäft damit professionalisiert. Dabei bewegen sich Agenturen wie Fivestar im rechtlichen Graubereich – sie geben vor, „authentische Bewertungen“ zu liefern, „objektive Meinungen von echten Menschen“. Juristisch angreifbar aber ist der Käufer von Fake-Bewertungen. Er kann auf Unterlassung verklagt werden. „Dafür muss den Betrug aber erst einmal jemand bemerken“, sagt Obladen.

Wie der Kauf von Rezensionen läuft, zeigt ein Selbstversuch. Der Auftrag an die beiden Reviewanbieter AppSally und Five Star: je eine positive Rezension eines Bananenschneiders für 7,49 Euro bei Amazon. Kosten für eine positive Besprechung: 22,95 Euro bei Fivestar, 30 Euro bei AppSally, zu bezahlen gern per Paypal. Man darf in dem Auftrag seinen eigenen Text vorschlagen: „Dieser Bananenschneider hat mein Leben verändert. Kaufen Sie ihn, er ist sehr gut.“ Per E-Mail kommt wenig später die Bestätigung: Der Auftrag ist eingegangen und wird an einen „geeigneten Reviewer“ weitergeleitet.

18 Tage später ist die erste Bewertung online. Ein Kunde mit dem Namen „Wesa-moss“ hat fünf Sterne für den Bananenschneider vergeben. Nur den Text hat man geändert in: „Ich habe das von internet gekauft und es gefällt mir sehr gut und past gut.“ Drei Tage und ein paar Mailnachfragen später folgt auch das zweite gekaufte Höchstlob. Einfacher geht es kaum.

Auch die Stiftung Warentest hat jüngst mit absichtlich gefälschten Besprechungen das System entlarvt. Und festgestellt: Mittelgute Rezensionen akzeptieren die Agenturen nur selten. Vier oder fünf Sterne sollten es schon sein. Und die meisten Auftragstexte wurden geändert.

Die Sternchenhändler argumentieren, hinter ihren Rezensionen steckten schließlich echte Menschen. Immer wieder bewerten Gerichte die Praxis jedoch als „Schleichwerbung“ oder „irreführende geschäftliche Handlung“. Das Urlaubsportal Holidaycheck etwa, das zum Burda-Konzern gehört, klagte im November 2019 erfolgreich gegen die Agentur Fivestar, die Hoteliers Fälschungen anbietet. Der Konzern hatte ermittelt, dass ein einziger Rezensent innerhalb weniger Stunden 30 Hotels mit „sechs Super-Sonnen“ bewertet hatte.

In der Praxis aber nützt es wenig, dem Drachen den Kopf abzuschlagen, denn es wächst sogleich ein neuer nach. Schon im Oktober 2016 hatte Amazon Händlern verboten, Kunden im Gegenzug für eine Positivbesprechung kostenlos Waren zu überlassen. Das verlagerte die Jagd nach den Sternen nur in den Untergrund.

Bei Facebook finden sich Hunderte Gruppen, in denen fünf bis zehn Dollar pro Review angeboten werden. Mehrere dieser Gruppen – darunter der „Amazon Review Club“ – mit bis zu 50 000 Mitgliedern wurden jüngst geschlossen. Auch das nützte wenig. Denn der Nachweis, dass eine Rezension gefälscht ist, bleibt aufwendig.
„Amazon akzeptiert ausnahmslos nur authentische Bewertungen – wir entfernen gefälschte Rezensionen und gehen gegen alle an dem Missbrauch Beteiligten vor“, teilt ein Sprecher mit.

Mit „leistungsstarken Programmen des maschinellen Lernens und erfahrenen Prüfteams“ analysiere Amazon wöchentlich „mehr als zehn Millionen Rezensionen“.
Die Firma hat ein neues System eingeführt, bei dem Menschen für ein Produkt, das sie tatsächlich gekauft haben, sofort per Mausklick Sterne vergeben können. Die erhoffte authentische Sterneflut soll das Problem der Fake-Rezensionen kaschieren – eine Lösung ist das aber noch nicht.

Allein Amazon investiert pro Jahr angeblich 400 Millionen Dollar in den Kampf gegen Fake-Reviews. „Wir sind zuversichtlich, dass dieses Vorgehen Wirkung zeigt.“ Der Konzern hat dabei vor allem jene Verkäufer im Auge, die Amazon lediglich als Plattform nutzen. Im Februar 2019 hatte die Firma ein Grundsatzurteil am Oberlandesgericht Frankfurt erstritten, wonach gekaufte Bewertungen klar kenntlich gemacht werden müssen. In der Folge sperrte Amazon diverse Händler, die unter Betrugsverdacht standen. Auch das nützte wenig.

Rechtsanwalt Obladen vertritt zwar regelmäßig Onlinehändler – allerdings als Kläger, nicht als Beklagte. Denn auch Fake-Bewertungen echter Menschen sind ein Problem. Klagen wegen falscher Tatsachenbehauptung oder Schmähkritik sind die Regel – und haben meist gute Aussichten auf Erfolg. „Unsachliche Bewertungen zu verfassen, kann teuer werden“, sagt Obladen. Zwischen 500 und 2000 Euro zahlt der Verfasser meist allein an anwaltlichen Kosten. Hinzukommen können hohe Schadensersatzansprüche, wenn der Umsatz des betroffenen Händlers nachweisbar eingebrochen ist.

„Für Menschen, die fair spielen, ist es heutzutage sehr hart, überhaupt irgendetwas auf Amazon zu verkaufen“, sagte Tommy Noonan, Gründer des Testportals MetaReview.com, der „Washington Post“. „Wenn Ihr Produkt im Wettbewerb eine Chance haben soll, müssen Sie betrügen.“ Die Corona-Pandemie hat dieses Prinzip noch einmal beflügelt".

18.08.2020 13:17
Die Gegenseitigkeit von Integration
In einem Gastbeitrag der Frankfurter Rundschau zeigt Peter Neher, Präsident des Deutschen Caritasverbandes, dass wir Vielfalt als Chance begreifen müssen und Integration Gegenseitigkeit voraussetzt:

„Walid ist vor fünf Jahren nach Deutschland geflohen – ohne Deutschkenntnisse. Heute engagiert er sich als Dolmetscher, übersetzt vom Arabischen ins Deutsche. Lorin hat mittlerweile ihr Abitur gemacht und Ammar macht eine Ausbildung in der Gastronomie.
Der Satz „Wir schaffen das“ von Kanzlerin Angela Merkel steht wie kein anderer für die Herausforderungen und Chancen des Jahres 2015 – aber auch für die Versäumnisse. Hunderttausende Schutzsuchende sind damals nach Deutschland geflüchtet. Seither ist viel passiert.

Die deutsche Gesellschaft ist ein Stück vielfältiger geworden, die staatlichen Strukturen und Sozialsysteme haben gut funktioniert und viele Beispiele zeigen, wie gut die Integration – aller Kritik zum Trotz – bisher funktioniert hat. Nicht vergessen aber dürfen wir auch den Höhenflug einer populistischen Partei, welche die Ängste von Menschen für sich zu nutzen wusste.

Die grundsätzlich positive Einschätzung hat nichts mit der rosaroten Brille zu tun, die uns als „Gutmenschen“ zugeschrieben wird, sondern speist sich aus den Erfahrungen der vielen Einrichtungen, Dienste, Beratungsstellen, ehrenamtlichen Helferkreise der Caritas, die tagtäglich mit der Realität, ihren Herausforderungen und Glücksmomenten konfrontiert sind. Dies ist nur wenigen bewusst.

Die Hochschule Macromedia in Hamburg hat kürzlich die Berichterstattung der Fernsehnachrichten, TV-Boulevardmagazine und überregionalen Tageszeitungen im Jahr 2019 zum Thema eingewanderte und geflüchtete Menschen ausgewertet.
Sie fand heraus, dass Erfolge dort kaum eine Rolle spielen. Risiken – zum Beispiel Rechtsverstöße, Kosten, Angst vor Überfremdung – werden doppelt so häufig thematisiert wie die Chancen der Integration. Geflüchtete Menschen selbst kommen in den Beiträgen kaum zu Wort.
Chancen sind aus dem Blick geraten. Prägend scheinen hingegen Ängste geworden zu sein, Sicherheitsbedenken oder das Gefühl, selbst vergessen zu werden.
Geschichten wie die von Walid, Lorin und Ammar gehen unter. Obwohl in den vergangenen Monaten weitere Geschichten des Zusammenwachsens dazugekommen sind; zum Beispiel von Geflüchteten, die in Gelsenkirchen Mund-Nase-Masken für Einrichtungen der Altenhilfe genäht und Einkäufe für Risikopatienten getätigt haben.

Die Anstrengungen, die hinter jedem einzelnen dieser Schicksale liegen, sind enorm. Zahlreiche damals geflüchtete Menschen hatten nie eine Schule besucht, konnten nicht lesen und schreiben. Jetzt tun sie das in einer Fremdsprache. Viele von ihnen sind traumatisiert, müssen schreckliche Erfahrungen verarbeiten und sich gleichzeitig ein neues Leben in einem fremden Land aufbauen. Umso beeindruckender ist die Bilanz. Ist es dann vielleicht so, dass „sie“ es dank unglaublicher Anstrengungen geschafft haben, und nicht „wir“? Keinesfalls. Wer Integration so wahrnimmt, dass Menschen in eine bestehende Gesellschaft eingegliedert werden, missversteht den Prozess.
Integration setzt Gegenseitigkeit voraus.

Wir, die schon immer oder lange hier leben, müssen dafür Vielfalt als eine Chance begreifen, auch wenn das dann und wann ziemlich herausfordernd sein kann. Anders gesagt: Die Geschichte einer motivierten jungen Frau aus Syrien wird nur dann zur Erfolgsgeschichte, wenn sie sich auf unsere (Arbeits-)Welt einlässt und ein Arbeitgeber sie als Auszubildende verpflichtet - trotz Kopftuch.
Diese Bereitschaft, sich auf andere einzulassen, war und ist in Deutschland da. Wir vergessen das oft, weil die populistischen Stimmen, die das Gegenteil behaupten, überproportional laut sind. Viele, die sich haupt- oder ehrenamtlich für geflüchtete Menschen einsetzen, kennen es, als weltfremde Gutmenschen verunglimpft zu werden. Diese Stimmen vergiften unser Zusammenleben.

Wir haben vieles geschafft. Ist deswegen alles gut? Nein. Das würde bedeuten, dass all das, was 2015 begonnen hat, bereits ein Ende gefunden hat. Nach wie vor fängt für viele das Leben in Deutschland erst an. Immer noch ist die Zukunft für viele Menschen ungewiss, weil sie auf eine Entscheidung der Behörden warten oder auf Familienmitglieder, die noch auf der Flucht sind. Zudem bestehen die Fluchtursachen immer noch. Tausende Menschen harren in Flüchtlingslagern aus, etwa auf den griechischen Inseln, oder riskieren ihr Leben, um nach Europa zu gelangen, und würden doch liebend gerne in ihrer Heimat bleiben.

Eine europäische Migrationspolitik, die diesen Namen verdient, ist auch nach fünf Jahren nicht in Sicht. Wir können alle so oft wir wollen eine „europäische Lösung“ beschwören. Ich denke nicht, dass es sie auf absehbare Zeit geben wird. Das ist bitter – umso bitterer, wenn man sieht, welche Erfolge erzielt wurden. Ohne rosarote Brille“.

FR 18.8.2020, S. 10

07.08.2020 08:16
Lobbycontrol kritisiert Einstellung des Prüfverfahrens gegen Philipp Amthor
Wegen seines Engagements für das US-Unternehmen Augustus Intelligence war der CDU-Politiker Philipp Amthor in die Kritik geraten. Der Bundestag hat nun das Prüfverfahren gegen ihn eingestellt. Die Organisation Lobbycontrol findet: Die Regelungen, die Interessenkonflikte von Abgeordneten ausschließen sollen, sind zu schwach.

Der Bundestag sieht beim Engagement des CDU-Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor für ein New Yorker Start-up keine Rechtsverstöße. “Die erfolgte Prüfung auf Verstöße gegen die Verhaltensregeln ist abgeschlossen, auf Grundlage der geltenden Bestimmungen haben sich keine Hinweise auf Rechtsverstöße ergeben”, sagte eine Sprecherin dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Amthor sagte am Donnerstag auf Nachfrage der Nachrichtenagentur dpa: “Meine beendeten Nebentätigkeiten habe ich einschließlich aller Reisen mit der Bundestagsverwaltung als zuständiger Stelle erörtert. Sie hat den Sachverhalt umfangreich geprüft und mir im Ergebnis mitgeteilt, dass sich auf der Grundlage der geltenden Bestimmungen keine Rechtsverstöße ergeben haben. Das Prüfverfahren wurde eingestellt.”

Amthor war wegen seiner Nebentätigkeit und Lobbyarbeit für das US-amerikanische IT-Unternehmen Augustus Intelligence in die Kritik geraten. Er habe die Zusammenarbeit inzwischen beendet. Seine Kandidatur für den CDU-Vorsitz in Mecklenburg-Vorpommern zog er zurück.

Berliner Staatsanwaltschaft sah keinen Anfangsverdacht der Bestechlichkeit

Der 27-jährige CDU-Politiker erklärte nun: "Jenseits des Juristischen gilt aber auch: Nicht alles, was rechtlich möglich ist, ist auch politisch klug. Dass mir das nicht früher bewusster war, bedauere ich sehr." Auch die Berliner Staatsanwaltschaft sah in dem Engagement keinen Anfangsverdacht einer Bestechlichkeit oder Bestechung. Es lägen keine Erkenntnisse darüber vor, dass Amthor verbotene Zuwendungen erhalten habe, hieß es im Juli in einer Mitteilung. Amthor habe lediglich seinen Kontakt zum Bundeswirtschaftsministerium genutzt mit dem Ziel der Unterstützung des Unternehmens.

LobbyControl fordert strengere Transparenzregeln

Die Organisation LobbyControl sieht den Fall jedoch noch nicht als erledigt an. Sie fordert strengere Transparenzregeln im Bundestag. “Der Fall Amthor zeigt klar, dass die Regeln des Bundestags nicht ausreichen, um mit Interessekonflikten von Abgeordneten ordentlich umzugehen”, sagte LobbyControl-Sprecher Timo Lange dem RND. “Private Tätigkeiten, die auch der Gewinnmaximierung dienen können, und Abgeordnetenrolle werden nicht klar genug getrennt. Die Regeln sind schwammig und haben Lücken. Das Parlament sollte dies schärfer regulieren.”

Es müsse vom Bundestag klar gestellt werden, “dass das Abgeordnetenmandat nicht genutzt werden darf, um wirtschaftliche Vorteile zu erlangen”, sagte Lange weiter. “Nebentätigkeiten oder andere Verbindungen, die im Umgang mit politischen Entscheidungen Befangenheit auslösen können, müssen sichtbarer gemacht werden. Auch Aktienoptionen müssen offengelegt werden.”

Auch im Fall Amthor blieben noch viele Fragen offen. “Es wurden zwar rechtlich keine Verstöße festgestellt. Philipp Amthors Verhalten bleibt aber dennoch fragwürdig”, sagte Lange. “Um Zweifel zu zerstreuen, sollte er unter anderem öffentlich darlegen, von welchem Zeitpunkt an er mit Augustus Intelligence über Aktienoptionen und einen Direktorenposten gesprochen hat. Sollte Amthor seine Tätigkeit bei einer Anwaltsfirma wiederaufnehmen, sollte er über die Art seiner Mandate dort Auskunft geben.”

Von RND/vat/dpa

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