Blog nach Monat: März 2020

28.03.2020 14:47
Krasse Unfairness in der Corona-Krise durch Unternehmen
Spiegel Online meldet sich zum Vorgehen von Adidas, H&M, Deichmann und C&A kritisch zu Wort, eigene Belastungen auf Vermieter und Steuerzahler abzuwälzen, obwohl es den Firmen gut geht und gewaltige Rücklagen vorhanden sind:

"Für ihre Corona-Krisenpolitik erntet die Große Koalition aktuell viel Lob. Und tatsächlich ist die lange bräsig vor sich hin mäandernde Regierung von einer Gestaltungswut erfasst, die ihresgleichen sucht.

Das Anti-Corona-Gesetz ist durchdrungen vom guten Willen, Wirtschaft und Verbrauchern in einer außergewöhnlichen Phase beizuspringen. Und es ergänzt das ebenso einzigartige Hilfsprogramm der Regierung, die über ihre Förderbank KfW Unternehmen mit Krediten in unbegrenzter Höhe hilft.

Aber die Kollateralschäden dieser Politik werden bereits sichtbar, etwa am Beispiel Adidas. Der Sportartikelausrüster aus Herzogenaurach ist ein deutsches Vorzeigeunternehmen, untrennbar mit den sportlichen Erfolgen dieses Landes in der Nachkriegsgeschichte verwoben. Es hat einen Vorstandschef, Kasper Rorsted, der so erfolgreich, gutaussehend und nahbar daherkommt, wie es seine Kollegen in den anderen Dax-Konzernen wohl niemals hinkriegen werden.

Jetzt hat Rorsted angekündigt, „dass Adidas, wie viele andere Unternehmen auch, vorsorglich Mietzahlungen temporär aussetzt, wo unsere Läden geschlossen sind. Wir sind dazu mit den betreffenden Vermietern in engem Austausch. Das genaue Vorgehen hängt auch von der Rechtslage im jeweiligen Land ab.“

Wie viel Miete der Konzern damit spart, sagt der Konzern nicht. Das Aussetzen der Mietzahlungen gilt vorerst für April. Das muss aber nicht so bleiben, denn: "Wir werden (...) die Lage natürlich weiterhin aufmerksam beobachten und sofern erforderlich weitere Anpassungen vornehmen – und uns darüber hinaus an lokale behördliche Vorgaben halten, die zum Teil ja die Schließung von Einzelhandelsgeschäften vorsehen", wie Adidas weiter auf Anfrage mitteilt.

Adidas hätte viele Möglichkeiten, Geld zu sparen

Dieses Vorgehen, dem sich inzwischen andere Großfilialisten wie H&M und C&A angeschlossen haben, ist verwerflich und gefährlich. Verwerflich, weil Adidas geschäftlich vor Kraft strotzt und sich die Mietzahlungen trotz geschlossener Filialen leisten können müsste – auch wenn die Franken an sündteuren Edeladressen wie New Yorks 5th Avenue oder Hongkongs Causeway Bay zu Hause sind.

Per Ende 2019 setzte das Unternehmen 23,6 Milliarden Euro um, verdiente 2 Milliarden Euro und hielt satte 873?Millionen Euro Cash in der Kasse. Die Aktionäre sollen 3,85?Euro Dividende pro Aktie erhalten, 15 Prozent mehr als im Vorjahr und 38,9 Prozent des Gewinns. Und noch am 7. Januar und erneut am 11. März – also schon im Corona-Zeitalter - kündigte Adidas an, 2020 erneut Aktien im Wert von bis zu einer Milliarde Euro zurückzukaufen. Das muss man sich leisten können.

Adidas hätte also die Möglichkeit, seinen Vermietern trotz geschlossener Filialen weiterhin Mieten zu zahlen – man müsste nur auf die Cash-Reserven zurückgreifen, die Dividende kürzen oder den Aktienrückkauf aussetzen. Jeden Aktionär, der sich darüber beschwert, könnte der drahtige Rorsted mit einem verbalen Handkantenschlag niederstrecken. Das Corona-Argument macht‘s möglich.

Falls es Adidas tatsächlich so dreckig gehen sollte, dass die gestundeten Mietzahlungen dringend gebraucht werden, um Löhne und Pensionen zu zahlen – dann könnte sich der Konzern bei der KfW für einen Überbrückungskredit bewerben.

Davon ist freilich nicht auszugehen. Stattdessen entschließt sich sein Konzern, die Kosten der Pandemie an seine Vermieter weiterzureichen und diese womöglich ihrerseits in Not zu bringen. Damit setzt Adidas genau jene Krisenkette in Gang, die durch die staatlichen Hilfen eigentlich verhindert oder unterbrochen werden sollte. Und das Unternehmen kann sich dabei auch noch auf die Bundesregierung berufen.

Der Preis für derartige Aktionen wird für alle Beteiligten enorm sein. Und für Adidas nicht einmal wirtschaftlich sinnvoll: Schließlich muss der Konzern die Mieten wohl ja zu einem späteren Zeitpunkt nachzahlen. Aber wer weiß, welche finanzwirtschaftlichen Volten die Coronakrise noch macht.

Vielleicht ist aber auch alles ganz anders. Vielleicht legt Adidas' Kassenwart die eingesparten Mieten ja so clever am Kapitalmarkt an – etwa in eigene Aktien –, dass die Rendite daraus höher ist als die Zinsen, die der Konzern begleichen muss, wenn er die April-Miete mit Verzug nachzahlt.

Das ist fraglos eine zynische Vermutung. Aber auch nicht weniger zynisch als das, was Adidas angekündigt hat".

Diese Firmen offenbaren eine krass unfaire Haltung und Vorgehensweisen in der Corona-Krise. Schwere Vergehen an der Fairness an einer Gesellschaft, die ihnen Aufstieg und große Einkommen bis hin zur Kapitalansammlung ermöglicht hat.

"Die Mietverweigerung als Missbrauch staatlicher Unterstützung"


17.03.2020 13:51
7 Gedanken in der Welt-Krise

1. Gesellschaften und Erde waren schon immer verletzlich. Doch nun führt die über Jahrtausende angehäufte Mängel- und Eingriffsliste zu einer Summe, die selbst die Menschheit kaum noch schultern kann. Wer das bisher nicht wusste oder fühlte, war gut im Verdrängen, aber nicht in Umkehr und Veränderung. Der Klimawandel ist im Vergleich zur explosiven Corona-Pandemie eine langsame ‚Auszahlung‘ der angesammelten Schadpraxis des Menschen so wie der langsame Hautkrebs bei zu lange, über Jahre angesammelten Sonnenschäden.

2. Mein Grundvertrauen in eine verlässliche Realität ist (noch) nicht dahin. Wir fallen alle in Gottes Hand. Dazu muss man überhaupt erstmal fallen. Bislang trifft es nur sehr wenige, aber viel, viel mehr sind von Hunger, Durst, Elend, Krieg, Ebola, Malaria und Gruppe betroffen. Ist uns aber nicht so nah oder gut verdrängt. Die Realität war nie anders, nur der Realitätsglaube.

3. Katastrophisches Denken ist eher eine psychologische Sichtweise und sucht sich dann die Gründe bzw. konstruiert sich die Gründe dafür wie es Dystonien tun. Das Ende der Welt hat noch Zeit.

4. Wenn nur Ökonomie und Konkurrenz die Menschheit und die Gesellschaften zusammenhält – was ja in sich schon ein Widerspruch ist, dann gibt es nichts zu wundern, wenn im Krisenfall diese beiden Treiber nicht mehr tragen. Pushfaktoren sind keine Stabilisatoren.

5. Nach der Corona-Pandemie wird es sein wie vorher. Echte Lerneffekte der Gesellschaften sind sehr selten; selbst nach der Pest nicht, kaum nach Tschernobyl und Fukushima, nur wenige Jahrzehnte nach dem 2. Weltkrieg – wie wir heute an Nationalismen leicht erkennen. Menschheit lernt nicht, nur einzelne Menschen lernen und können sich ändern. Nicht nur die westliche Lebensweise ist in Frage gestellt, auch die chinesische, die indische, die iranische, die … usw.

6. Die Zeiten, in denen neoliberale Meinungsführer den Staat im Badewannenabfluss zum Verschwinden bringen wollten, sind endgültig vorbei. Das ist gut so. Allerdings auf der Kehrseite: Die Staaten finden zu keinem wirklichen Miteinander; das Gegeneinander geht leichter und wird von Wählern meistens belohnt. Bei Autokraten und Diktatoren belohnt oft der Rohstoffhandel (Russland, Saudi Arabien usw.).

7. Über die wirklichen Folgen der jetzigen Situation kann man nur spekulieren. Bringt aber nicht wirklich weiter. Was unterm Strich steht, können wir vielleicht in einem Jahr analysieren und bewerten. Bis dahin bleibt Hoffnung: nicht, dass alles wieder so wird wie vorher und immer, sondern dass aus Konkurrenz mehr Kooperation und aus Ökonomie mehr Ökologie wird.

"Unser gesamtes Wirtschaftsleben ist eine fragiles Konstrukt", sagte Angela Merkel am 11. März 2020

12.03.2020 10:55
“Unser gesamtes Wirtschaftsleben ist ein fragiles Konstrukt.”
sagt Angela Merkel, Bundeskanzlerin,am 11.3.2020

07.03.2020 10:08
Rohstoffe fairer nutzen: Jeder kann beitragen
Eine Expertenrunde diskutierte in Frankfurt am Main über Wege zu nachhaltigeren Smartphones. Ein Bericht von Joachim Wille (FR):

„Deutsche Schubladen sind eine Rohstoffquelle, nur: Kaum einer nutzt sie. Dort liegen nach Expertenschätzung über 120 Millionen alte Handys, die nicht mehr genutzt werden. Pro Haushalt sind es im Schnitt es drei bis fünf Geräte. Wertvolle Metalle und Mineralien finden sich darin, darunter 2,9 Tonnen Gold, 1100 Tonnen Kupfer sowie Stoffe wie Coltan, Kobalt und Palladium. Recycling oder Rückgabe an den Hersteller, so wie in anderen Ländern üblich, etwa Großbritannien oder den Niederlanden – meist Fehlanzeige. „Wir Deutsche haben ein mangelndes Ressourcenbewusstsein“, urteilt Cornelia Szyszkowitz, Nachhaltigkeitsmanagerin bei der Deutschen Telekom.

Das Bewusstsein zu schärfen war Ziel der neuesten Ausgabe des „Forum Entwicklung“, einer Diskussionsserie, die Frankfurter Rundschau, hr-info und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Entwicklung (GIZ) veranstalten. „Smartphone ohne Schattenseiten?“ lautete der Titel des Abends, der passenderweise im Frankfurter Museum für Kommunikation stattfand. Die Zahlen, die das Problem umreißen: Rund 24 Millionen Smartphones werden in Deutschland pro Jahr verkauft, und 60 Prozent der Nutzer tauschen es nach nur einem Jahr bereits wieder gegen ein neues, moderneres Modell aus. In jedem Gerät stecken rund 60 Mineralien, von denen eine ganze Reihe „Konfliktmineralien“ sind, Rohstoffe, die aus Ländern wie der Demokratischen Republik Kongo stammen und dort oft unter menschenunwürdigen Bedingungen abgebaut werden.

Auch einen großen Netzbetreiber wie die Telekom treibt das Thema um. Szyszkowitz hat in dem Unternehmen ein Handy-Rücknahmeprogramm aufgebaut und durchgesetzt, dass inzwischen auch generalüberholte Geräte („refurbished“) angeboten werden sowie das „Fairphone“, das als nachhaltige Alternative zur Apple, Samsung und Co. gilt. Als anzustrebende Ziele nannte sie: Langlebigkeit, Reparaturfreundlichkeit, Recyclingfähigkeit. Doch sie räumte ein: „Das ist noch weit weg vom Mainstream.“
Unter welch verheerenden Bedingungen die Rohstoffe vielfach gewonnen werden, machte in der Diskussion die Koordinatorin des Ökumenischen Netzwerks Zentralafrika, Gesine Ames, deutlich. Beispiel Kongo, wo Coltan und Co. zum großen Teil aus Kleinminen stammen: „Es gibt keinen geregelter Arbeitstag für die Minenarbeiter, eine hohe Unfallgefahr, und oft werden Kinder eingesetzt.“ Hier herrsche immer noch „Alarmstufe rot“. Trotzdem sei ein Boykott von Rohstoffen aus dem Kongo, die ein Fünftel zur Wirtschaftleistung des Landes beitragen, der falsche Weg. Dann breche für viele die Lebensgrundlage weg. „Nötig ist eine gerechte Rohstoffpolitik“, sagte Ames – ein Job für die Staaten, in denen Smartphones produziert werden. Eine Chance biete hier das in Deutschland debattierte Lieferkettengesetz.

GIZ-Experte Stefan Bauchowitz betonte: Ein Rückzug aus Ländern wie dem Kongo ist unsinnig. So seien allein im Süden des Landes bis zu 200 000 Menschen auf die Einkünfte aus dem Bergbau angewiesen. Ziel der GIZ-Arbeit vor Ort ist es daher, Hilfestellung zur Umsetzung internationaler Standards zu Menschen- und Arbeitsrechten sowie Umweltschutz zu geben. Die Entwicklungsorganisation schult lokale Bergbau-Kooperativen, zum Beispiel in Sicherheitsfragen, unterstützt die Erarbeitung einer nationalen Strategie gegen Kinderarbeit im Bergbausektor, begleitet die Zertifizierung von Minen, damit sichergestellt ist, dass es dort keine schweren Menschenrechtsverstöße und in ihrem Umfeld keine bewaffneten Gruppen gibt, die sich mit dem Rohstoffverkauf finanzieren. Handy-Materialien von dort sind zumindest „fairer“ als andere.
Nur zertifizierte Rohstoffe zu nutzen, reicht natürlich nicht.

Dass Hersteller tatsächlich viel mehr tun können, machte in der Diskussion Carsten Waldeck deutlich, der Co-Geschäftsführer und Mitgründer des alternativen Smartphone-Herstellers „Shift“ aus dem nordhessischen Falkenberg. Das per Crowdfunding finanzierte Familienunternehmen entwickelt, baut und verkauft modular designte Geräte. Deren Kennzeichen: langlebig, leicht reparierbar, Bauteile wie Akku, Display und Kamera vom Nutzer austauschbar, viele Jahre lang Software-Aktualisierung garantiert. Die Arbeiter, die die Smartphones in China produzieren, bekämen „faire Löhne“ und hätten bessere Arbeitsbedingungen als vielerorts in Deutschland. Das Credo der Firma laut Waldeck: „So viel Gutes tun, wie wir können, und keinen Schaden anrichten.“
Das Unternehmen aus dem „Silicon Valley in hessisch Sibirien“ (Moderator Tobias Schwab) hat 2019 laut Waldeck bereits 50 000 „Shiftphones“ verkauft, noch wenig im Vergleich zu den Großen im Geschäft, aber doch wegweisend. Chinesische Hersteller hätten bereits Entwicklungen von Shift kopiert. Das sei auch gewollt, sagte Waldeck, „unsere Technik ist frei verfügbar, wir haben keine Patente beantragt“.

Ein wenig hat die Veranstaltung in Frankfurt übrigens dazu beigetragen, dass die Rohstoffquelle Schublade genutzt wurde. Teilnehmer konnten alte Handys mitbringen, die nun recycelt werden. Es kamen immerhin rund 100 Geräte zusammen“.

Quelle: Frankfurter Rundschau 7. März 2020, S. 17

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