Blog nach Monat: August 2015

24.08.2015 12:26
Lässt Schäuble Firmen an Kassen betrügen?
Steuerbetrug an breiter Front: Deutsche Unternehmen sollen den Staat jährlich um rund 10 Milliarden Euro Steuern betrügen. Und das geht mittels kleiner Softwareprogramme, die die Registrier- und Warenkassen in den Geschäften manipulieren. Die Berliner Zeitung schreibt heute: „Sie heißen Eraser, Fixer, Styler oder Sneaker: Kleine Computerprogramme, mit denen sich Registrierkassen manipulieren lassen. Nach Überzeugung der Länder und des Bundesrechnungshofs werden die geheimen Schummelprogramme täglich an Hunderttausenden Kassen eingesetzt, um Umsätze zu drücken und damit Steuern zu hinterziehen“. Die bis zu zehn Milliarden Euro jährlich, die dem Fiskus durch derartige Betrügereien verloren gehen sollen „ entsprechen fast den gesamten Einnahmen aus der Kfz-Steuer. Durch neue technische Systeme wollen die Länder die Manipulationen so schnell wie möglich erschweren. Doch sie sehen sich durch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ausgebremst“.

Aufgedeckt hatte den Steuerskandal die ARD-Sendung PlusMinus schon im letzten Jahr. Aber es geschah nichts. Timot Szent-Ivanyi schreibt nun in der Berliner Zeitung dazu: „Die Prüfer des Bundesrechnungshofes schauten in Abgründe, als sie sich der Problematik manipulierter Kassen annahmen: In einem Bericht an das Finanzministerium schildern sie den Fall eines aufgeflogenen Inhabers eines Eiscafés, der durch die Manipulation seiner Kassen fast zwei Millionen Euro an Steuern hinterzogen hatte. Der Geschäftsmann gab an, die nötige Software habe ihm der Verkäufer des Kassensystems gleich als Zubehör auf einem USB-Stick mitgeliefert, inklusive Bedienungsanleitung und Einweisung. Auch Betriebsprüfer aus Nordrhein-Westfalen, die inkognito Fachmessen besuchten, erhielten von vielen Herstellern bereitwillig Auskunft über die besten Tricks.

Als Klassiker gilt die Nutzung der in praktisch allen Kassen vorgesehenen „Trainingseinstellung“. Dadurch lassen sich echte Umsätze einfach löschen, denn kaum ein Kunde wird merken, dass auf dem Bon ein entsprechender Hinweis aufgedruckt ist. Üblich ist auch, mobile Geräte der Kellner nicht mit der zentralen Kasse zu verbinden. Illegale Software, die sich versteckt auf den Kassen befindet („Phantomware“) sorgt dafür, dass Umsätze gar nicht aufgezeichnet oder später gelöscht werden können. Komfortable Programme erlauben es, auf Knopfdruck alle Barumsätze um einen bestimmten Betrag oder Prozentsatz zu reduzieren. Einige Programme sind sogar so clever gestaltet, dass sie teure Positionen durch billige Waren ersetzen. Das hat gegenüber dem Löschen einzelner Umsätze den Vorteil, dass verräterische Lücken bei der Nummerierung der Rechnungen vermieden werden. Betriebsprüfer haben so fast keine Chance.

Nordrhein-Westfalens Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD), der das Thema seit Monaten energisch vorantreibt, geht von einem Missbrauch in großem Stil aus. Bei seiner Schätzung der Steuerausfälle im Umfang zwischen fünf und zehn Milliarden Euro beruft er sich auf seriöse Studien aus anderen Industriestaaten. Auch der Bundesrechnungshof geht von diesen Beträgen aus. „Die Gleichmäßigkeit der Besteuerung bargeldintensiver Betriebe ist nicht mehr sichergestellt“, so das Urteil der Rechnungsprüfer.

Dabei gibt es längst eine technische Lösung. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PtB) hat ein System entwickelt, mit dem derartige Manipulationen auffliegen würden. Das System mit der Abkürzung Insika basiert auf einer digitalen Signatur, also einer manipulationssicheren elektronischen Unterschrift. Diese wird durch eine Smartcard erzeugt, dauerhaft mit den Buchungsdaten verbunden und auf die Belege gedruckt. Rechnungen ohne oder mit ungültiger Signatur belegen so eine Manipulation. In Hamburg hat das System seine Praxistauglichkeit schon bewiesen. Dort sind rund zwei Drittel der Taxen mit Insika ausgestattet, der Umsatz der Taxen ist seitdem auf wundersame Weise deutlich gestiegen. Auch Walter-Borjans und der Rechnungshof favorisieren das System.

Das Bundesfinanzministerium hält diese Lösung aber für ungeeignet und verweist unter anderem auf „unverhältnismäßig hohe Bürokratiekosten“. Die Umstellung würde 1,4 Millionen Unternehmen mit rund drei Millionen Kassen betreffen und einmalig mindestens 1,6 Milliarden Euro kosten, wird argumentiert. Außerdem sei das System gar nicht sicher – beides Argumente, die Walter-Borjans entschieden zurückweist. Schäuble lehnt es ohnehin ab, die Unternehmen auf ein einziges System festzulegen. In diesem Punkt sind ihm die Länder-Finanzminister schon entgegen gekommen: Sie haben im Juni zwar grundsätzlich beschlossen, dass künftig Manipulationssperren verpflichtend eingeführt werden sollen. Das konkrete System wird aber nicht vorgeschrieben.

Nach diesem Etappensieg versichert das Bundesfinanzministerium, bis zum Herbst eine nationale Lösung anzustreben. Doch Walter-Borjans wirft Schäubles Beamten falsches Spiel vor: „Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass einige im Bundesfinanzministerium die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen gegen die Manipulation von Registrierkassen verhindern oder zumindest immer weiter verzögern wollen“, sagte er dieser Zeitung. Ständig würden neue Probleme vorgetragen. „Und sobald ein Argument nicht mehr haltbar ist, präsentiert das Ministerium neue Bedenken.“

Tatsächlich lässt Schäubles Haus auch nach dem erreichen Kompromiss keine Möglichkeit aus, die Vorstöße der Länder zu diskreditieren. So schrieb etwa Finanz-Staatssekretär Michael Meister (CDU) Ende Juli an den Bundestags-Finanzausschuss, die Schätzungen der Steuerausfälle auf bis zu zehn Milliarden Euro „entbehrten jeder Grundlage“.

Für Walter-Borjans ist damit vor allem eines klar: „Dass die Schätzungen nun auch noch unqualifiziert vom Bundesfinanzministerium bestritten werden, ist ein weiterer Beleg für die unsägliche Verzögerungstaktik.“

Kein Kassenbeleg im Restaurant? Da liegt der Verdacht auf Schwarzgeld-Wirtschaft nahe. Doch auch dort, wo es richtige Ladenkassen gibt, ist dies möglich - durch eine Manipulation der Geräte. Der Bundesrechnungshof schätzt den Schaden auf zehn Milliarden Euro.

Der Bundesrechnungshof schätzt, dass in Deutschland jährlich bis zu 10 Milliarden Euro Steuern hinterzogen werden bei Bargeldgeschäften durch manipulierte Ladenkassen. Dies geht aus einer Mitteilung an das Bundesfinanzministerium hervor, die dem ARD-Magazin Kontraste vorliegt. Wörtlich heißt es dort: "Die Steuerausfälle bei bargeldintensiven Unternehmen haben ein erhebliches Ausmaß erreicht. Selbst bei einer Eisdiele stellte ein Finanzamt Steuerhinterziehungen von 1,9 Millionen Euro fest."

Der Bundesrechnungshof hatte bereits seit 2003 auf Manipulationen an Kassensystemen und die daraus folgende Steuerhinterziehung hingewiesen. Die Behörde empfahl deshalb, manipulationssichere elektronische Ladenkassen-Systeme in Bereichen wie Gastronomie und Handel einzuführen. Es könne jedoch nicht festgestellt werden, "dass sich die Besteuerung bargeldintensiver Unternehmen verbessert" habe.

Eigentlich sollten die manipulationssicheren Kassen bereits 2008 eingeführt werden. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde vom Kabinett seinerzeit jedoch vertagt. Das Bundeswirtschaftsministerium hatte in der Vergangenheit die Einführung manipulationssicherer Kassensysteme gefördert. Unter dem Namen INSIKA (Integrierte Sicherheitslösung für messwertverarbeitende Kassensysteme) liegt ein marktreifes System vor.

Bundesfinanzminister Schäuble blockierte jedoch bislang die Einführung in Deutschland. In einem Schreiben vom 2. Juni, das Kontraste vorliegt, spricht er sich gegen eine Verpflichtung von Unternehmen für INSIKA aus und fordert zugleich eine "Harmonisierung der Anforderungen" auf EU-Ebene.

Die Finanzminister der Länder stellten auf ihrer Konferenz am 25. Juni fest, dass "wegen der sich immer schneller ausbreitenden Möglichkeiten der systematischen Steuerhinterziehung bei Bargeldschäften" dringender Handlungsbedarf bestehe und die Einführung sicherer Kassensysteme erforderlich sei“.

Seltsam: Wenn es um die Verfolgung kleiner Nachlässigkeiten, Fehler oder Schwindelversuche bei HartzIV-Empfänger geht, ist kein bürokratischer Aufwand zu groß, um es zu ahnden. Aber bei 10 Milliarden Euro hinterzogenen Steuern durch Unternehmen an der Barkasse sieht das Finanzministerium einen unangemessenen Aufwand dabei, diese Schwarzgeschäfte abzustellen und zu verfolgen. Und Eile hat es schon mal gar nicht. Ist das deutsche Finanzwesen unfair, krass unfair? Indizien sprechen dafür, nicht nur bei diesem Problem.

"Berliner Zeitung zum Kassen- und Steuerskandal"

"PlusMinus mit Bericht und Video noch bis 15.10.2015 abrufbar"


19.08.2015 16:54
Rücksichtnahme ist Fairness
Juli Zeh, Juristin und Schriftstellerin, die mehrfach mit Literaturpreisen ausgezeichnet und auch mit ihrem kritischen, gesellschaftlich-politisches Engagement öffentlich bekannt wurde, sagte im Interview mit dem ZeitMagazin der Zeit:
Ich "habe begriffen, dass die Grundlage aller Freiheit Rücksichtnahme ist".

Das ist der Kern von Fairness, wie ihn die Fairness-Stiftung versteht. Und wie es die Bevölkerung in der repräsentativen Umfrage mit Infratest dimap für die Fairness-Stiftung herausgestellt hat und wie es im Fairness-Barometer herausgearbeitet und präsentiert wurde.

"Was Fairness ausmacht"

"Juli Zeh im ZeitMagazin 30 vom 12.8.2015

03.08.2015 13:55
Die EU als Verächter der Menschenrechte
„Die EU will ebenso wie die USA ein verbindliches Abkommen über menschenrechtliche Verpflichtungen von Unternehmen verhindern“ schreibt Ute Hausmann, die Entwicklungspolitologin und Geschäftsführerin der deutschen Sektion der Menschenrechtsorganisation Fian (FoodFirst Informations- und Aktions-Netzwerk) in der Frankfurter Rundschau. „Anfang Juli tagte in Genf eine Arbeitsgruppe des UN Menschenrechtsrats. Ihr Ziel: ein verbindliches Abkommen über menschenrechtliche Verpflichtungen von Unternehmen. Ihr größter Gegner: die Europäische Union.
Bereits im Juni 2014 beschloss der UN Menschenrechtsrat, einen neuen Anlauf zu nehmen und Verhandlungen über ein verbindliches Abkommen zu menschenrechtlichen Verpflichtungen von Unternehmen aufzunehmen. Frühere Initiativen, die es bereits seit den 1970er Jahren gab, waren gescheitert oder wurden auf freiwillige Initiativen umgelenkt. Gleichzeitig ist der Zugang zu Recht für viele Opfer von Menschenrechtsverletzungen schwieriger geworden, da transnational agierende Unternehmen hoch komplizierte Strukturen aufbauen und sich so der Gerichtsbarkeit entziehen können.
Es erscheint deshalb logisch, dass Staaten sich darauf verständigen, wie sie in solchen Fällen kooperieren werden, um Abhilfe zu schaffen und Straflosigkeit zu verhindern. Verbindlichkeit ist dabei zentral, denn nur sie schafft für alle Beteiligten Sicherheit und Vorhersehbarkeit – für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen, für die Unternehmen und für verantwortliche staatliche Institutionen.
Der Genfer Prozess macht deutlich, dass die Europäische Union – ebenso wie die USA – genau diese Verbindlichkeit nicht möchte. So stimmten Länder wie Deutschland im Juni 2014 gegen die Aufnahme von Verhandlungen. An der ersten Sitzung vor drei Wochen nahm Deutschland nicht teil und ein Vertreter der EU setzte am ersten Tag alles daran, die Arbeitsgruppe lahmzulegen. Als dies nicht gelang, verweigerte sich die EU dem weiteren Dialog. Dabei wurde in den folgenden Tagen über genau die Fragen debattiert, zu denen die EU kritische Anmerkungen hat: Was soll das Abkommen abdecken? Nur internationale Kooperation oder auch nationale Gesetzesinitiativen? Soll es nur transnationale Unternehmen oder auch nationale Unternehmen haftbar machen?
Das Verhalten der EU und der Bundesregierung legt nahe, dass es ihnen nicht um konstruktiven Dialog und Inhalte geht, sondern dass sie Wirtschaftsinteressen über Menschenrechte stellen. Angesichts der brutalen Realität von Ausbeutung und Unterdrückung weltweit ein wahres Armutszeugnis“.
Man kann es auch brutale Unfairness nennen. Unfairness-Praxis in großem, globalem Stil. Leider werden damit extrem schlechte Maßstäbe gesetzt, die die Unternehmen darin bestärken, Menschenrechte entweder unbeachtet zu lassen oder deren Beachtung vorzugaukeln.

"Wirtschaft und Politik gegen Menschenrechte"

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