28.02.2025 09:31
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Stellungnahme des Bundesverbands Deutscher Stiftungen zur Anfrage des CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur politischen Neutralität staatlichen geförderter Organisationen
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Am 24. Februar 2025 – einen Tag nach der Bundestagswahl – hat die CDU/CSU-Fraktion eine insgesamt 551 Einzelfragen umfassende Kleine Anfrage (BT-Drs. 20/15035) an die geschäftsführende Bundesregierung gerichtet, in der sie detailliert um Auskunft und Bewertungen zur Arbeit von 17 zivilgesellschaftlichen Organisationen bittet. Ein Großteil der Fragen bezieht sich darauf, ob diese Organisationen als Empfängerinnen staatlicher Fördermittel parteipolitisch tätig geworden seien.
Dieser parlamentarische Vorgang ist für uns und für unsere Mitglieder, die sich als wesentlicher Teil der demokratischen Zivilgesellschaft verstehen und einige der aufgeführten Organisationen fördernd unterstützen, Anlass zu Besorgnis. Wir möchten heute daher erneut unsere Haltung gegenüber dem kommenden Deutschen Bundestag und einer zukünftigen Bundesregierung bekräftigen, die wir bereits in unserem Positionspapier zur Bundestagswahl 2025 und einem gemeinsam mit anderen Dachverbänden verfassten Statement „Keine Demokratie ohne starke Zivilgesellschaft!“ formuliert haben:
1. Sichere Entfaltungsmöglichkeiten für selbstorganisiertes, bisweilen auch unbequemes zivilgesellschaftliches Engagement, dessen Ziele nicht zwangsläufig im Einklang mit den Parteien und anderen politischen Interessen liegen, sind essenziell für unsere Demokratie. Wir setzen uns in diesem Sinne weiterhin mit Nachdruck für die politische Meinungs- und Handlungsfreiheit gemeinnütziger Organisationen im Rahmen ihrer Zweckverfolgung ein.
2. Aus gutem Grund ist es gemeinnützigen Organisationen – so das gegenwärtige Rechtsverständnis in der Bundesrepublik Deutschland – gestattet, sich zur Verwirklichung ihrer Satzungszwecke politisch zu betätigen und dies auch in Ausnahmefällen außerhalb ihrer Zwecke zu tun. Der Grundsatz parteipolitischer Neutralität ist dabei zwar zu wahren. Er darf aber nicht als Gebot sachpolitscher Zurückhaltung missverstanden werden.
3. Der historisch gewachsene Wert dieses Rechtsrahmens für eine pluralistische, die politische Willensbildung mitgestaltende Zivilgesellschaft ist grundsätzlich zu würdigen. Die aktuellen Entwicklungen in den USA oder die Lage in Ungarn führen drastisch vor Augen, wie die Entpolitisierung der Zivilgesellschaft mit einer Entkernung des demokratischen Rechtsstaates einhergeht. Die Rechtsstaatsberichte der EU-Kommission betonen die Bedeutung einer politischen Zivilgesellschaft für die europäische Rechtsstaatsarchitektur und kritisieren folgerichtig seit langem die diesbezüglichen Vorbehalte in Deutschland. www.stiftungen.org
4. Als Interessenvertretung des deutschen Stiftungssektors und Mitglied im Trägerkreis des Bündnisses für Gemeinnützigkeit bekräftigen wir unser Dialogangebot an die sich neu konstituierende CDU/CSU-Bundestagsfraktion und die zukünftige Bundesregierung, um in einen differenzierten, der Bedeutung und Rolle der Zivilgesellschaft in ihrer ganzen Breite angemessenen Austausch zu treten. Selbstverständlich sind wir dabei im Sinne unserer „Grundsätze guter Stiftungspraxis“ weiterhin offen, uns auch (selbst-)kritisch mit Fragen der Governance und Transparenz in der Arbeit von Stiftungen und gemeinnützigen Institutionen auseinanderzusetzen.
Nach dem Ende eines polarisierenden Wahlkampfs appellieren wir an alle demokratischen Parteien, zu einem sachorientierten, respektvollen Umgang mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zurückzukehren, auch wenn deren Stimme mitunter unbequem sein mag. Nur in einem Schulterschluss können wir die drängenden Zukunftsaufgaben unseres Landes meistern.
Das freiwillige Engagement von fast 30 Millionen Bürgerinnen und Bürgern ist dafür unverzichtbar.
Über den Bundesverband Der Bundesverband Deutscher Stiftungen vertritt die Interessen der deutschen Stiftungen gegenüber Politik und Gesellschaft. Mit mehr als 4.300 Mitgliedern ist er der größte und älteste Stiftungsverband in Europa. Über Stiftungsverwaltungen sind ihm rund 9.800 Stiftungen mitgliedschaftlich verbunden. Der Bundesverband setzt sich für optimale Rahmenbedingungen für das Stiften und für das Wirken von Stiftungen ein und unterstützt seine Mitglieder sowie Stifterinnen und Stifter insbesondere durch Beratung und Vernetzung in ihrer Arbeit.
Die Fairness-Stiftung ist Mitglied des Bundesverbandes Deutschen Stiftungen.
Den ganzen detaillierten Fragebogen sehen Sie hier mit Antworten von Correctiv "Der CDU/CSU-Fragebogen"
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26.02.2025 08:34
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Ist das neue Wahlrecht fair? Pro und Kontra
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Christine Dankbar – Pro Die Zweitstimme zählt so mehr, verfallene Erststimmen sind verschmerzbar
"Anders sieht es mit den 23 Direktkandidatinnen und -kandidaten aus, die am Sonntag in ihren Wahlkreisen gewonnen haben und doch nicht ins Parlament einziehen, weil ihr Stimmenergebnis einfach zu gering ausfiel. Das ist für jede und jeden Einzelnen von ihnen natürlich bedauerlich, dennoch zeigt das keinesfalls einen Mangel an Demokratie, wie jetzt oft zu lesen ist. Die Union argwöhnt sogar, es sei politisch gewollt, dass ihre Kandidierenden nicht mehr ausreichend berücksichtigt werden.
Es ist aber andersherum. Die CDU – vor allem in Baden-Württemberg – und die CSU in Bayern haben in den vergangenen Jahrzehnten de facto Abgeordnete mit Vorzugsrechten in den Bundestag geschickt. Ihnen reichte über Jahrzehnte ein auch mit mäßigem Ergebnis gewonnenes Direktmandat für den Einzug. Teilweise zogen Abgeordnete – auch von der SPD – ins Parlament ein, die lediglich um die 20 Prozent der Stimmen im Wahlkreis geholt hatten.
Neues Wahlrecht bei der Bundestagswahl: Zweitstimme maßgeblich für Zusammensetzung des Bundestags
Ist es ein Gewinn an Demokratie, dass diese Abgeordneten den absoluten Vorzug vor allen anderen bekommen, so wie es bisher war? Es war zumindest ein Gewinn für die CDU, weshalb der einstige Bundeskanzler Konrad Adenauer die Einführung der Erststimme vorantrieb. In Deutschland aber ist das Ergebnis der Zweitstimmen maßgeblich für die Zusammensetzung des Bundestags, was vom Verfassungsgericht auch so bestätigt wurde. Das gilt nun für alle Abgeordneten. Nicht mehr und nicht weniger".
Pitt von Bebenburg – Kontra Die Reform ist missglückt, alle Wahlkreise müssten vertreten sein
"Darmstadt, eine hessische Großstadt, ist künftig nicht mehr im Deutschen Bundestag vertreten. Wie kann das sein? Diese Lücke und einige andere sind sehenden Auges in Kauf genommen worden. Sie sind die Folge der jüngsten Wahlrechtsänderung. Das Ergebnis der Bundestagswahl zeigt, dass es dabei nicht bleiben sollte.
Wer das Wahlsystem ändert, muss darauf achten, das Gerechtigkeitsgefühl des Wahlvolks nicht zu beeinträchtigen. Das ist mit der jüngsten Reform des Wahlrechts misslungen. Diese Reform hat dazu geführt, dass sage und schreibe 23 Wahlkreise keine direkt gewählten Abgeordneten nach Berlin entsenden, weil Parteifreund:innen in anderen Wahlkreisen mehr Prozent geholt haben. Ist das gerecht, wenn jemand einen besonders umkämpften Wahlkreis gewinnt und dennoch das Nachsehen hat?
Mit diesen Politikerinnen und Politikern hat auch ihre Wählerschaft Pech gehabt. Sie hat diese Personen mit einem Votum ausgestattet, bis zum Schluss mitgezittert, über den Erfolg gejubelt – um dann ernüchtert zu werden. Betroffen sind vor allem Kandidierende der Union, aber auch welche der AfD und eine Sozialdemokratin. Man muss kein Anhänger dieser Personen sein, um Zweifel an dem Wahlsystem anzumelden.
Nicht überall ist das Ergebnis so krass wie in Darmstadt. Andere Wahlkreise, etwa in Frankfurt, werden durchaus in Berlin vertreten. Aber dort ziehen nicht die Kandidaten ein, die im Wahlkreis gewonnen haben, sondern andere, die hinten lagen, aber über die Listen abgesichert waren. Wer soll das verstehen?
Dabei verfolgte die Wahlrechtsreform ein vollkommen richtiges Ziel: Der Bundestag sollte deutlich kleiner werden, um arbeitsfähig zu bleiben und Kosten zu sparen. Das wäre auch möglich gewesen, wenn man sich auf größere Wahlkreise verständigt hätte. Ein Wahlrecht, das Gefühle der Ungerechtigkeit produziert, ist hingegen eine fatale Entwicklung. Gerade in einer Zeit, in der die Demokratie von manchen infrage gestellt wird".
Aus Frankfurter Rundschau vom 26.2.25, S. 5
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18.02.2025 11:10
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Das unfaire Klischee der faulen Generation Z
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Mangelnde Arbeitsbereitschaft ist ein gängiges Klischee über die Generation Z. Eine Auswertung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt zu einem ganz anderen Ergebnis. Die 20- bis 24-Jährigen in Deutschland arbeiten so viel wie lange nicht mehr.
Seit 2015 sei die Erwerbsbeteiligung dieser Altersgruppe um mehr als sechs Prozentpunkte auf rund 76 Prozent überdurchschnittlich gestiegen, zeigt eine Auswertung des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.
Der Grund dafür sei vor allem, dass Studierende zunehmend einem Nebenjob nachgingen.
Im Vergleich: Die Erwerbsbeteiligung der 25- bis 64-Jährigen nahm im gleichen Zeitraum demnach um fast 3 Prozentpunkte auf fast 87 Prozent zu. In den Jahren 1995 bis 2015 war die Erwerbsbeteiligung der 20- bis 24-Jährigen dagegen konstant gesunken.
Die Auswertung widerspricht damit auch dem in den vergangenen Jahren häufig besprochenen Vorurteil der »faulen Generation Z«. »Dieser Befund widerspricht gängigen Klischees zur mangelnden Arbeitsbereitschaft der Generation Z«, schreiben die Autoren. Außerdem wechselten junge Leute heute nicht häufiger den Job als früher. Auch die Entwicklung der gewünschten Arbeitsstunden bei den Jungen unterscheide sich nicht von der Älterer.
Für die Auswertung hatten die Fachleute die Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Daten des Mikrozensus und die Bevölkerungsstatistik des Statistischen Bundesamtes ausgewertet. Zur sogenannten Generation Z zählen die ab 1995 und später Geborenen. 2015 rückte der erste Jahrgang dieser Generation in die Altersgruppe der 20- bis 24-Jährigen vor.
Viele Studierende arbeiten in Teilzeit Die Zahlen zeigen demnach, dass von 2015 bis 2023 sowohl die Vollzeit- als auch die Teilzeitbeschäftigung in dieser Altersgruppe zunahm. Die Teilzeitbeschäftigung stieg aber wesentlich stärker. So erhöhte sich unter Studierenden im Alter von 20 bis 24 Jahren die Erwerbsquote zwischen 2015 und 2023 um gut 19 Prozentpunkte auf 56 Prozent, bei Nichtstudierenden um knapp zwei Prozentpunkte auf fast 86 Prozent.
lhi/dpa
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11.02.2025 09:24
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Sind Elon Musk und Javier Milei Führungsvorbilder?
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Prof. Dr. Dr. Ulrich Hemel, der Ende diesen Monats scheidende Direktor des Weltethos-Institus in Tübingen, schreibt zum Bezug mancher Politiker auf Elon Musk und Javier Milei:
„In manchen Äußerungen werden Elon Musk und Javier Milei als Vorbilder für vernunftgeleitetes wirtschaftliches Handeln dargestellt, auch für Deutschland. Was konkret in einem Land vernünftig und ethisch vertretbar ist, bedarf aber einer genaueren Analyse.
Bei Elon Musk ist der Erfolg als visionärer Unternehmer keineswegs ein Ausweis für politische Klugheit. Die Übertragung von Erfolgsrezepten des Unternehmers Musk auf den Staat springt zu kurz. Denn der Staat muss einen Rahmen vorgeben, der für alle gilt, nicht nur für Einzelne, beispielsweise besonders erfolgreiche Menschen. Der Staat muss sich auch um diejenigen kümmern, die aus ganz unterschiedlichen Gründen weniger leistungsfähig sind: Um Kinder, Arme, Kranke, Alte.
Das immer wieder hochgehaltene Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft verbindet ja nun immer beide Aspekte: Die Suche nach der besten Lösung im wirtschaftlichen Wettbewerb und die Gewährleistung von ethischen und sozialen Mindeststandards.
Wer die soziale und ethische Seite der Marktwirtschaft auslässt, landet bei einseitigen Konzepten, die unmittelbar zum Ausschluss vieler Menschen führen. Die Suche nach dem Gleichgewicht zwischen den richtigen Leistungsanreizen und sozialer Abfederung ist eine Grundaufgabe der Politik. Um den richtigen Weg zu ringen, ist Aufgabe der Demokratie.
Den in politischen Kompromissen gefundenen Weg gut zu kommunizieren, wird immer wichtiger, auch, um gesellschaftlicher Spaltung vorzubeugen. Wer Freiheit sagt, ohne die Wahrnehmung und Achtung weniger privilegierter Personen mitzudenken und klar auszusprechen, der gefährdet den demokratischen Zusammenhalt.
Nicht der Verzicht auf Leistung und auf das Freiheitsversprechen des Staates, sondern das Zusammenspiel von Freiheit und sozialer Verantwortung ist das, was wir heute in Deutschland und weltweit benötigen. Elon Musk und Javier Milei zeichnen sich durch eine zugespitzte Rhetorik aus, die das für unsere Demokratie so wesentliche Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher Produktivität und sozialer Kohäsion vermissen lässt.“
"Das Weltethos-Institut"
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