19.06.2015 11:08
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Amazon brutalisiert den Wettbewerb
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Amazon unterläuft Gehaltsstrukturen in Deutschland. Baut beziehungsweise unterhält Vertriebszentren in Polen und Tschechien für Lieferungen in das westliche Europa, in denen mitunter 3 € Stundenlohn gezahlt werden. Amazon bezahlt in Deutschland Mitarbeiter nach dem Tarif von Speditions- und Lagerunternehmen, weil es billiger für Amazon ist. Und streitet sich seit Jahren mit den Gewerkschaften, weil diese darauf bestehen, dass Amazon nach dem höheren Tarif des Einzelhandels bezahlen soll. Wie es dies in den USA macht, wo der Tarif für Einzelhandel niedriger ist als für die Speditions- und Lagerbranche. Amazon ist Preisbrecher und bedroht kleine Händler. „Heute wird etwa ein Viertel des gesamten deutschen Onlinehandels von Amazon organisiert. Auch kaum ein Verkäufer kommt am US-Konzern vorbei. Der Grund: Amazon fährt eine Niedrigpreisstrategie, ist Preisbrecher für den Verbraucher. Doch was die Kunden freut, ist für Verkäufer bitter. Für sie bleibt kaum noch etwas übrig. „Handel über Amazon ist Cyberkrieg, in dem nur die Großen überleben“, klagen sie. Das schreibt Christian Bock zu seiner ZDF-Dokumentation zu diesem Thema. "2014 hat der US-Konzern in Deutschland einen Umsatz von 11,9 Milliarden Dollar erzielt – 1,5 Milliarden mehr als im Vorjahr. Und praktisch jeder kann über die Amazon-Plattform verkaufen: Anmelden, Ware einstellen, fertig – so verspricht es der US-Konzern. Genial einfach – und genial durchdacht. Und auch Amazon hat viel davon, wenn Händler auf dem so genannten "Marketplace" anbieten: Kundendaten, Gratis-Marktforschung, Zugriff auf Waren aller Art. ZDFzoom-Autor Christian Bock trifft Händler, die sich von Amazon im Stich gelassen fühlen. Etwa, weil der Konzern mit Sperrung droht, wenn der Händler nicht spurt. Oder weil Händler, die ihre Ware allzu billig einstellen, regelmäßig von der Konkurrenz oder sogar von Amazon selbst unterboten werden – Preisroboter, so genannte "Repricer", lassen gerade Anfängern oder kleinen Shops kaum eine Chance“.
Amazon brutalisiert den Wettbewerb und den Konsum. Noch erfreuen sich die Verbraucher an der bequemen Bestell- und Retourenmöglichkeit und den oft günstigen Preisen. Doch wenn die kleinen Händler verschwunden, die Läden in kleinen und mittelgroßen Orten verwaist und die Einkommen der Amazon-Mitarbeiter nicht zum Leben und Konsumieren reichen, dann gibt es ein böses Aufwachen. Denn dann ist mehr als jetzt ein Monopolist entstanden, der Kaufbedingungen und Preise diktieren kann. Das kann niemand wollen.
"ZDF Doku über Amazons brutalen Umgang mit Händlern und Mitarbeitern"
"Amazon im Fairness-Check"
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12.06.2015 12:37
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Wie man seine Fairness unterläuft
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In Entscheidungen, von denen Menschen betroffen sind, fair zu sein, versteht sich fast von selbst. Glauben jedenfalls Viele, vor allem von sich selbst. Fakt ist jedoch, dass wir Menschen sehr inkonsistent in unserem Urteil sind. Und dazu neigen, zu unterschiedlichen Zeiten und Gelegenheit mitunter gegenteilig zu entscheiden. „Wer montags hü sagt, sagt dienstags hott“ schreibt Daniel Rettig in der Wirtschaftswoche über neue Erkenntnisse der Verhaltensökonomie.
„Das zeigt jetzt eine noch unveröffentlichte Studie von Ökonomen um Daniel Chen von der ETH Zürich. Zum einen analysierte er mehr als 106.000 Entscheidungen von 412 amerikanischen Asylrichtern aus den Jahren 1987 bis 2013 – und entdeckte einen bedenklichen Zusammenhang: Die Richter lehnten ein Asylgesuch mit höherer Wahrscheinlichkeit ab, wenn sie dem vorherigen Gesuch stattgegeben hatten – unabhängig vom Einzelfall.
Wann Überzeugungen zu Handlungen führen Ohne einen erkennbaren, individuellen, hohen und relativ sicheren Gewinn, ändert kein Mensch sein gewohntes Verhalten. Dieser Gewinn muss und sollte nicht nur materiell sein. Materielle Belohnungen wirken schnell und sättigen schnell. Sozialer Gewinn (zum Beispiel Anerkennung) wirkt nachhaltiger. Die einzige nicht sättigende Belohnung ist die intrinsische, die man sich selbst gibt. Umsetzung Ins Blaue hinein ändern wir unser Leben nicht gern. Die Umsetzung der Neuerung muss daher klar vorgezeichnet und praktikabel sein. Vorbilder Pioniere können und wollen nur die wenigsten Menschen sein. Die meisten anderen brauchen Vorbilder, denen sie nacheifern können. Und die müssen vor allem glaubwürdig sein. Hindernisse Die erwartbaren Widerstände gegen das neue Leben sollten nicht zu groß sein. Das Festhalten an Gewohntem trägt eine starke Belohnung in sich. Der Anreiz muss doppelt so stark sein, wie die Bremskräfte. Mehr noch: Hatten sie zwei Gesuche in Folge erlaubt, lehnten sie das nächste mit einer 2,1 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit ab. Dieselbe Beobachtung machte Chen bei indischen Sachbearbeitern. Sie lehnten einen Kredit umso eher ab, wenn sie den vorigen gewährt hatten.
Wer heute hü sagt, wählt morgen eher hott. Unfair? Mit Sicherheit. Unerklärlich? Keineswegs. Psychologen bezeichnen dieses Phänomen als Spielerfehlschluss (gambler’s fallacy). Dahinter steckt eine Art Irrglaube an ausgleichende Gerechtigkeit. Nach dem Motto: Wenn die Münze zwei Mal hintereinander „Kopf“ zeigt, ist beim dritten Mal „Zahl“ wahrscheinlicher – obwohl sich die Wahrscheinlichkeit nicht verändert hat“.
Wer also fair, vor allem als Chef oder Chefin, Entscheidungen treffen will, sollte sich seine Vorgehensweise sehr bewusst machen und für faires Verhalten sorgen. Am besten gelingt das, indem man selbst über seine Entscheidungen gewissermaßen ‚Buch führt‘ und so Muster, unbeabsichtigte Gesetzmäßigkeiten und heimliche Regeln erkennt, die einem fairen und fundierten Vorgehen abträglich sind.
"Daniel Rettig Artikel in der Wirtschaftswoche über unfaires Verhalten"
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01.06.2015 12:01
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Nahles unter Beobachtung - packt sie Burnout-Anlässe an?
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Wie soll in Zukunft die Arbeitswelt gestaltet sein? Wie werden wir in Zukunft arbeiten? Diese Fragen hat die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles mit ihrem Grünbuch „Arbeiten 4.0“ nicht nur in den Vordergrund geschoben, sondern auch an die Spitze ihrer Themenpalette gestellt. In einem Interview mit Spiegel Online sagte die SPD-Politikerin: „Vor allem sehe ich meine Verantwortung darin, mich um die Menschen zu kümmern, die noch ohne Internet in die Arbeitswelt gestartet sind und sich nun darin zurechtfinden müssen. Ich will noch in dieser Legislaturperiode entsprechende Gesetze umsetzen“. Sie stellt fest, die Arbeitsunzufriedenheit der Deutschen sei zu hoch, "es gibt zu viele Burn-out-Opfer“. Auch die Grenze zwischen Privatleben und Beruf müsste neu ausbalanciert werden.
Andrea Nahles sagt von sich, es sei nicht ihr Ding, nur heiße Luft zu machen: „Was ich anpacke, meine ich ernst“. Und: „In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Ausfall an Arbeitstagen wegen psychischer Belastung verdoppelt, das Zutrittsalter bei Erwerbsminderung ist von 58 auf 48 Jahre gefallen. Da müssen wir ran! Das ist nicht zuletzt auch im Sinne der Arbeitgeber. Viele glauben ja, mit dem Herunterladen ihrer Lieblingsserie aufs Tablet seien sie in der Zukunft angekommen - aber die Digitalisierung betrifft ganz besonders auch unser Arbeiten. Wir wollen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darauf vorbereiten, welche Veränderungen sie mit der fortschreitenden Digitalisierung im Job erwartet. Vor allem sehe ich meine Verantwortung darin, mich um die Menschen zu kümmern, die noch ohne Internet in die Arbeitswelt gestartet sind und sich nun darin zurechtfinden müssen. Wir wollen die Arbeitgeber dazu animieren, neue Modelle zu ermöglichen. Vom Arbeitnehmer 4.0 wird immer mehr Flexibilität verlangt - das muss die andere Seite dann aber auch erfüllen. Bessere Führung heißt dann beispielsweise: Es muss möglich sein, Führungsaufgaben auch in Teilzeit wahrzunehmen. Wir versuchen das gerade in meinem Ministerium“.
Auf die Frage, ob das in ihrem Ministerium klappt, bekennt Nahles: „Eher nicht so gut, weil es noch eine Menge Hindernisse gibt. Da sind wir dran, ein Selbstläufer ist das jedenfalls nicht. In der Zukunft werden solche Modelle eine immer größere Rolle im Wettbewerb der Arbeitgeber um die besten Arbeitskräfte einnehmen“. Und was die Balance zwischen Berufs- und Arbeitsleben angeht, sagt sie: „Es geht um das richtige Maß, vernünftige Kompromisse - dann profitieren beide Seiten. Natürlich müssen wir auch über das Arbeitszeitgesetz reden, das ist noch an der Arbeitswelt 3.0 ausgerichtet. Mehr Arbeit von zu Hause kann bei dem einen mehr Freiheit bedeuten, bei der anderen nicht. Es muss jeder den passenden Weg finden können. Das meine ich mit Flexibilität. Ich will Arbeitnehmerrechte wahren und mehr Flexibilität schaffen. Das geht. Von starren Prinzipien halte ich nichts. VW ist da auch eher rigoros, BMW nicht, bei Daimler läuft gerade eine Mitarbeiterbefragung zu diesem Thema. Daran sieht man: Die Politik kann hier Leitplanken vorgeben, aber doch nicht über die einzelnen Branchen, Betriebe und Regionen Vorschriften machen. Elf Stunden Arbeitsruhe bei einer Krankenschwester sind weiterhin richtig - aber bei einem Angestellten, der abends seine Kinder ins Bett bringt und anschließend noch mal arbeitet, sieht das wieder anders aus“.
Mit ihrem Grünbuch, ihrer Priorisierung von Arbeiten 4.0 und ihrer Statement zur verbreiteten Arbeitsunzufriedenheit und zunehmenden psychischen Problemen am Arbeitsplatz hat Nahles ein sehr ambitioniertes Arbeitsfeld umrissen, das bei richtiger und schlüssiger Bearbeitung auch ein mehr an Fairness-Qualität in die Unternehmen und die Beziehungen zwischen Arbeitnehmer, Führungskräfte und Arbeitgeber bringen kann. Das Themenfeld ist hochkomplex und daher gar nicht einfach zu beackern. Gleichzeitig weckt Nahles Erwartungen und Hoffnungen auf Fortschritte bei der Qualität der Arbeitswelt und Führungskultur. Daher steht sich nun mit ihrem Wort „Was ich anpacke, meine ich ernst“ für einen ambitionierten Ansatz. Und damit unter Beobachtung.
"Arbeiten 4.0"
"Andrea Nahles im Spiegel-Interview"
"Zu Burnout und Stress - Infos und Checks"
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