Blog nach Kategorie: Unternehmen

23.05.2023 12:44
Spargel und Erdbeeren aus Deutschland - Miese Arbeitsbedingungen bei der Ernte
Lohndumping, Wuchermieten und keine ausreichende Krankenversicherung: Wer Spargel, Erdbeeren und Gemüse auf deutschen Feldern erntet, wird oft ausgebeutet. Mitverantwortlich sind die großen deutschen Supermärkte, die die Bäuer*innen unter Druck setzen, um die Ware möglichst billig beziehen zu können.

Wie sich der Preisdruck der Supermärkte für die Saisonarbeiter*innen auf dem Feld anfühlt, zeigt die neue Oxfam-Studie „‚Das hier ist nicht Europa.‘ Ausbeutung im Spargel-, Erdbeer- und Gemüseanbau in Deutschland“.
Hier werden alle Spielräume ausgenutzt, Menschen um ihren gerechten Lohn zu bringen

Die Ergebnisse der Recherche sind erschreckend. Mit allerlei Tricks versuchen die Höfe, die tatsächlichen Löhne der Saisonarbeiter*innen zu drücken – zum Beispiel durch horrende Lohnabzüge für die Unterkunft. Arbeiter*innen zahlen für einfachste Gemeinschaftsunterkünfte mehr als die Durchschnittsmieten deutscher Großstädte. Für eine Baracke ohne Küche verlangt einer der Betriebe 40 Euro pro Quadratmeter. Die durchschnittliche Kaltmiete in der Münchner Innenstadt liegt bei 23 Euro.

Besonders ein Betrieb in Brandenburg erweist sich als skandalös: Die Unterkünfte gleichen Baracken, in den Zimmern wächst Schimmel. Eine Küche gibt es nicht, gekocht wird auf mobilen Herdplatten. „Das hier ist nicht Europa“, resümiert ein befragter Arbeiter. Supermarktgigant Edeka pries derweil „Unterkünfte mit Hotelcharakter“ an.

Zehn Stunden schwere und monotone körperliche Arbeit sind Alltag

Viele Arbeiter*innen sind mit einer kaum durchschaubaren Kombination aus Stunden- und Akkordlöhnen konfrontiert und berichten von schwer oder gar nicht erreichbaren Zielvorgaben. „Das sind keine Einzelfälle. Beschäftigte klagen regelmäßig über falsche Angaben bei der Arbeitszeiterfassung, wodurch sie mehr arbeiten müssen, als sie bezahlt bekommen”, sagt Benjamin Luig von der Initiative Faire Landarbeit. „Zehn Stunden schwere und monotone körperliche Arbeit sind Alltag in der deutschen Landwirtschaft. Aber Lohndumping und massiver Leistungsdruck dürfen kein Geschäftsmodell sein!“ Mitgliedsorganisationen der Initiative Faire Landarbeit beraten deutschlandweit Saisonarbeiter*innen zu ihren Arbeitsrechten.
Kündigung bei Krankheit

Die Studie belegt auch die unzureichende Versicherung der Arbeiter*innen. Die meisten haben keinen umfassenden Krankenversicherungsschutz oder geben an, gar nicht versichert zu sein. Ein Großteil wird über das Modell der kurzfristigen Beschäftigung angestellt. Für diese Arbeiter*innen schließen Betriebe meist private Gruppen-Krankenversicherungen ab, die ein weit geringeres Leistungsspektrum als gesetzliche Versicherungen bieten. Manche berichteten, dass sie ihre Behandlungskosten selbst bezahlen mussten. Wegen extrem kurzer Kündigungsfristen von bis zu einem Tag kommt es vor, dass Arbeiter*innen noch krank oder verletzt die Heimreise antreten.

Marktmacht ja – Verantwortung nein: Supermärkte drücken Preise ins Bodenlose

In Deutschland teilen die Big Four – Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland mehr als 85% des deutschen Lebensmittel­einzelhandels unter sich auf.

Die Verantwortung für diese unhaltbaren Arbeitsbedingungen liegt nicht nur bei den Betrieben, sondern auch bei den deutschen Supermärkten, die für Spargel, Erdbeeren und Gemüse ruinös niedrige Preise zahlen.

„Die Supermärkte üben einen brutalen Preisdruck aus“, sagt Tim Zahn, Referent für globale Lieferketten, Menschenrechte und Migration bei Oxfam. „Den Preisdruck geben die Betriebe nach unten weiter: an die Arbeiter*innen auf den Feldern. Und er hat weitere Folgen: Viele kleinere landwirtschaftliche Betriebe geben auf. Die Supermärkte stehlen sich hier seit Jahren aus der Verantwortung, sie müssen endlich dazu gebracht werden, angemessene Preise zu zahlen.“

Rechte der Saisonbeschäftigten schützen!

Oxfam Deutschland und die Initiative Faire Landarbeit fordern deshalb, dass der Einkauf unter Produktionskosten verboten wird. Die Bundesregierung muss zudem dafür sorgen, dass Saisonarbeiter*innen grundsätzlich sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden, unter anderem, damit sie vollen gesetzlichen Krankenversicherungsschutz vom ersten Tag an erhalten.

Anders als für frühere Studien hat Oxfam diesmal nicht in Anbaugebieten von Südfrüchten recherchiert, sondern gemeinsam mit dem PECO-Institut direkt vor unserer Haustür. Grundlage der Studie sind eigene Recherchen von Oxfam Deutschland und ein Bericht des PECO-Instituts. Für diesen wurden Arbeiter*innen bei vier Betrieben interviewt, die wir mittels Testkäufen als Lieferanten deutscher Supermärkte identifizieren konnten.

"Die Oxfam-Studie 2023"

04.05.2023 08:13
Die Kreislaufflasche mit Günther Jauch
Der Moderator Günther Jauch bewirbt Einweg-Flaschen als ökologisch. Unter dem Motto: „Die Kreislaufflasche“. Ist das Irreführung? Ja, und damit keine faire Werbekampagne, denn nun gibt es auch heftige Kritik daran und – und eine Gegenkampagne. Die Frankfurter Rundschau dokumentiert das heute (4.5.23) wie folgt:

Immerhin beim Bier ist die Welt noch wie früher, zumindest wenn es um die Flaschen geht: Die Deutschen greifen nach wie vor meist zu Mehrweg. Aber sonst? Beispiel Mineralwasser: 1991 lag die Mehrwegquote noch bei 93 Prozent, heute beträgt sie kaum 43 Prozent. Und Limos gibt es auch immer häufiger in Einwegpullen aus Plastik. Die Bundesregierung will gegensteuern, auch die EU-Kommission.

Aber stimmt das überhaupt: Einweg ist böse, mitverantwortlich für wachsende Müllberge? Darüber ist Streit entbrannt.

Auf der einen Seite steht: der Discounter Lidl mit Fernsehmoderator Günther Jauch. „Es lohnt sich, manchmal etwas genauer hinzusehen“, sagt er in einer Werbekampagne des Discounters für seine Einweg-Plastikflaschen. Das Unternehmen aus Neckarsulm verkauft darin zum Beispiel Wasser der Marke Saskia, nennt sie selbst Kreislaufflasche, behauptet, diese sei eine der ökologischsten Getränkeverpackungen, die es gibt.

Jauch gibt sich skeptisch, investigativ, geht der Frage nach: Wie kann das sein? Antwort: Aus alt werde neu, die Flasche bestehe zu 100 Prozent aus Recyclingmaterial, sei 50 mal leichter als Glas. Und für ihren Transport seien weniger LKW nötig. Schon seit einigen Tagen hängen allerorten dazu Plakate, laufen Spots im Internet, Radio, Fernsehen.

Mehrweg-Allianz kritisiert Jauch und Lidl für Einwegplastik

Auf der anderen Seite: die „Mehrweg-Allianz“. Zu ihr gehören die Deutsche Umwelthilfe, die Stiftung Initiative Mehrweg sowie Verbände des Getränkegroß- und -einzelhandels und der Privatbrauereien. Die Allianz startete Mittwoch eine Gegenkampagne. Es ist ein Gewinnspiel: „Wir verlosen einen Jahresvorrat an Freigetränken im Wert von 800 Euro. Und das 20 Mal. Egal ob Wasser, Limo, Saft oder Bier – Hauptsache in regionalen Mehrweg-Pfandflaschen!“

Die Allianz hält Lidl entgegen: Mehrwegflaschen aus Glas könnten bis zu 50 Mal wieder befüllt werden. Im Gegensatz dazu würden die 16,4 Milliarden Einwegplastikflaschen, die in Deutschland jährlich geleert werden, nur ein Mal benutzt und direkt zu Abfall. Auch Getränkedosen seien ein Problem: 4,5 Milliarden Stück gingen davon jährlich über die Ladentheken und verbrauchten 76 000 Tonnen Metall. Und nun?

Einweg-Plastikflasche von Lidl entspricht nicht den Anforderungen des Umweltbundesamts

Nachfrage bei Gerhard Kotschik, Experte für Verpackungen beim Umweltbundesamt. Er erklärt: „Lidl hat seine Flasche sehr, sehr optimiert, der Rezyklateinsatz ist hoch.“ So schneide die Flasche in der von Lidl beauftragten Ökobilanz gut ab. Aber die Flasche löse die Probleme nicht. Und das Vorgehen bei der Ökobilanz entspreche nicht den Mindestanforderungen des Umweltbundesamtes.

Es sei eben noch lange nicht gang und gäbe, dass jede Flasche so wie in der Lidl-Werbung wieder zu einer Flasche wird. In Deutschland würden bisher nur um die 45 Prozent aller Einwegflaschen aus Rezyklat produziert. Und selbst beim besten Willen werde das Lidl-Modell auch nie auf alle Einwegflaschen übertragbar sein.

Kein echter Kreislauf bei Einweg-Plastikflasche von Lidl

Damit die Lidl-Flasche zu 100 Prozent aus Rezyklat hergestellt werden kann, müsse immer an anderer Stelle neues Plastik eingesetzt werden. Den perfekten Kreislauf gibt es nicht. Das Problem, so Kotschik, erstens: „Verbraucher bringen nie alle Flaschen zurück. Da gehen welche verloren.“ Zweitens: „Im Recyclingprozess gibt es Materialverluste. Es braucht immer mehr als eine alte Flasche, um daraus eine neue zu machen.“ Sollen in Deutschland immer gleich viele Flaschen produziert werden, muss also irgendjemand neues Plastik nutzen. Entscheidend sei, sagt Kotschik, „möglichst wenig Abfall entstehen zu lassen, ihn zu vermeiden, auch um Ressourcen zu schonen. Dafür ist Mehrweg besser geeignet.“

Eigentlich sollen Mehrwegverpackungen bei bepfandeten Getränken laut Gesetz heute schon 70 Prozent ausmachen. Nur halten sich die Handelskonzerne nicht daran. Zur Rechenschaft gezogen werden sie dafür nicht. Lidl bietet gar keine Getränke in Mehrweg an. Konkurrent Aldi übrigens auch nicht.

Kotschiks Tipp für den Einkauf: „Mit Mehrweg-Flaschen, die in der Region abgefüllt werden, so dass lange Transportwege vermieden wurden, sind Sie auf der sicheren Seite.“

"Günthers Jauchs und Lidls Kreislaufflasche"

28.04.2023 09:40
Für Fairness im Job kämpfen - gegen jetzt illegale Leiharbeiterbehandlung
Leiharbeitskräfte verdienen häufig weniger als die Stammbelegschaft. Das regeln Tarifverträge. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs stellt diese Praxis nun infrage. Steffen Herrmann schreibt dazu in der Frankfurter Rundschau am 23.4.23:

„Seit 2011 arbeitet Marvin Hüther bei Volkswagen in Wolfsburg. Anders als seine Kolleginnen und Kollegen war der heute 28-Jährige aber viele Jahre nicht direkt bei VW angestellt. Hüther war Leiharbeiter. Die Folge: Für die gleiche Arbeit verdiente er deutlich weniger. Damals war das der Mindestlohn, acht Euro die Stunde. „Als Leiharbeiter ist man der letzte Mann in der Kette“, erzählt Hüther heute. Er habe sich benachteiligt gefühlt, der Druck sei groß gewesen. „Du kannst jederzeit rausgeworfen werden.“

Wie Hüther geht es rund 781 300 Menschen in Deutschland (Stand April 2022). Als Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter verdienen sie je nach Branche bis zu 40 Prozent weniger als die Stammbelegschaft. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei hervor, die der FR vorliegt.

„Es gibt eine starke Ausgrenzung“, sagt Wolfgang Däubler. Der renommierte Arbeitsrechtler kämpft seit vielen Jahren gegen die Diskriminierung der Leiharbeit. Und das erfolgreich: Im Dezember urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH): Leiharbeitende dürfen zwar schlechter bezahlt werden als die Stammbelegschaft – aber nur wenn sie dafür einen angemessenen Ausgleich bekommen. „Das ist ein großer Erfolg für Leiharbeiter“, sagt Däubler, der die erfolgreiche Klage beim Gang durch die Instanzen begleitet hatte.

Geklagt hatte eine Frau, die Anfang 2017 bei einem Leiharbeitsunternehmen angestellt war. Dieses überließ sie einem Einzelhandelsunternehmen, wo sie für 9,23 Euro pro Stunde arbeitete. Die Stammbelegschaft erhielt dagegen 13,64 Euro brutto. Die Frau klagte und forderte eine zusätzliche Vergütung in Höhe der Differenz. Nach dem Gang durch die Instanzen legte das Bundesarbeitsgericht (BAG) den Fall schließlich dem EuGH vor.

Der EuGH entschied nun, dass Leiharbeiter:innen den gleichen Schutz verdienen wie die Stammbelegschaft. Weichen Tarifverträge wie in Deutschland davon ab, müssen diese Tarifverträge den in der EU-Leiharbeitsrichtlinie vorgesehenen „Gesamtschutz“ der Leiharbeiter:innen einhalten. Das heißt: Wer weniger verdient, hat Anspruch auf Ausgleich, zum Beispiel in Form zusätzlicher Urlaubstage.

„Die bisherige Praxis in Deutschland ist damit nicht mehr legal“, sagt der Jurist Wolfgang Däubler. Seit 2004 sehen die deutschen Gesetze für Leiharbeitende Equal Pay und Equal Treatment vor, gleichen Lohn und gleiche Bedingungen. Doch die Gewerkschaften und die Arbeitgeber nutzen eine gesetzliche Öffnungsklausel, um in Tarifverträgen niedrigere Löhne zu vereinbaren. „Das geht künftig nur noch, wenn die Tarifverträge eine gleichwertige Kompensation vorsehen“, sagt Däubler.

Die Arbeitgeberverbände geben sich betont gelassen: Man werde abwarten, wie das Bundesarbeitsgericht auf die EuGH-Entscheidung reagieren werde, teilt der Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) mit. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), mit dem die Arbeitgeberverbände die Tarifverträge verhandeln, lehnt ein Gespräch mit der FR zu dem Thema ab: Die zuständige Fachkollegin sei im Urlaub.

Die IG Metall lobt die EuGH-Entscheidung zwar als „gut für die Rechte und den Schutz der Leihbeschäftigten“, betont aber auch, dass der Europäische Gerichtshof „zur speziellen gesetzlichen und tariflichen Situation in Deutschland“ keine Stellung genommen habe. „Hier erwarten wir Konkretisierungen des Bundesarbeitsgerichts mit Blick auf Anforderungen an das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und Tarifverträge“, sagt ein Sprecher. Ähnlich ist die Position der Bundesregierung, wie Kerstin Griese, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesarbeitsministerium, im Bundestag sagte.
Wolfgang Däubler kritisiert die abwartende Haltung der Gewerkschaften. „Es gibt einzelne Gewerkschafter, die es ganz gut finden, dass Leiharbeiter schlechter gestellt sind beim Lohn und beim Bestandsschutz. Sie sehen die Leiharbeiter als Polster für wirtschaftlich schlechte Zeiten, weil sie da als erste nach Hause geschickt werden. Solidarität sieht anders aus.“

Die Idee der Leiharbeit – auch Zeitarbeit oder Arbeitnehmerüberlassung genannt – kommt aus den USA. Seit 1972 ist sie hierzulande durch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) geregelt: Arbeitskräfte werden von einem Verleihunternehmen, bei dem sie angestellt sind, einem anderen Unternehmen für eine bestimmte Zeit überlassen.

Mit den Hartz-Gesetzen flexibilisierte die rot-grüne Bundesregierung Anfang der 2000er-Jahre den deutschen Arbeitsmarkt und lockerte auch die Regeln für Leiharbeit. Daraufhin stieg die Zahl der Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter stark an, ihre Löhne lagen meist aber deutlich unter der jeweiligen Stammbelegschaft. „Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gib“, lobte sich Bundeskanzler Gerhard Schröder 2005 in Davos.

Und heute? Heute arbeiten knapp 61 Prozent der Leiharbeitskräfte in Vollzeit für ein Einkommen unterhalb der Niedriglohnschwelle, sie verdienen weniger als 2344 Euro pro Monat. In der Gesamtwirtschaft beziehen dagegen nur knapp 18 Prozent der Beschäftigten einen Niedriglohn. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Susanne Ferschl (Linkspartei) hervor, die der FR vorliegt.

Die Daten zeigen außerdem: Der Anteil ausländischer Leiharbeitskräfte ist deutlich gestiegen, von 26,6 Prozent im Jahr 2016 auf 43 Prozent im Jahr 2022. Ausländische Leiharbeiter:innen verdienen im Schnitt auch 470 Euro pro Monat weniger als deutsche Leiharbeitskräfte.

Für Susanne Ferschl ist nun die Ampel-Koalition gefordert: „Die Bundesregierung muss eine gesetzliche Klarstellung auf den Weg bringen und die Tariföffnungsklausel im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz streichen.“ Theoretisch bedeute das EuGH-Urteil für die einzelnen Beschäftigten zwar eine Verbesserung, sagt die Politikerin der Linkspartei zur FR. Ohne eine gesetzliche Klarstellung werde das aber in der Praxis kaum eine Auswirkung haben, denn jede und jeder Leiharbeitsbeschäftigte müsste individuell auf Gleichbehandlung klagen. Aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis passiere das allerdings so gut wie nie. „Das Nicht-Handeln der Bundesregierung verlängert die europarechtswidrige Ausbeutung der Leiharbeitsbeschäftigten.“

Das Bundesarbeitsgericht soll sein Urteil zur Leiharbeit am 31. Mai fällen. Aber auch dann werden einige Fragen offenbleiben: Wie könnte der Ausgleich aussehen, damit der Gesamtschutz bei niedrigeren Löhnen gewahrt ist? Jurist:innen rätseln auch, welche Folgen der konkrete Vergleich im Einzelfall hat, den der EuGH fordert. Und, vielleicht die wichtigste Frage: Verliert die Leiharbeit durch die Kompensation an Attraktivität für Unternehmen?

Marvin Hüther jedenfalls hat den Absprung geschafft. Seit 2017 arbeitet er festangestellt bei Volkswagen. Unter seine Zeit als Leiharbeiter zieht er ein gemischtes Fazit, trotz Druck, niedrigerem Lohn und Angst vor dem Jobverlust: „Die Leiharbeit ist nicht schlecht für Leute mit wenig Bildung, um in Firmen wie VW hineinzurutschen".“

27.03.2023 11:48
Banken und ihre Lobby finanzieren die Erderwärmung massiv
Schon 2012 zeichnete die Fairness-Stiftung die NGO Finance Watch in Brüssel mit dem "Fairness-Initiativpreis" aus. Nun macht sie auf schwerwiegende Akitivitäten der Banken aufmerksam, die mit ihrer Lobbyarbeit erfolgreich die Decarbonisierung verhindern. Deswegen führt die EU nun keinen Klima-Risikoaufschlag für den Klimaschutz ein. Die taz recherchierte und berichtete durch Christian Jakob und Jonathan Rap am 20.3. auf S. 4 wie folgt:

Kredite für Fossilenergie-Projekte sind eine Gefahr für die Welt. Der Bankenlobby gelang es, überfällige Regulierungen der EU abzuwehren.

Von Ugandas Ölfeldern an den Großen Seen zum tansanischen Hafen Tanga am indischen Ozean soll die East African Crude Oil Pipeline (EACOP) führen. Die Ölfelder liegen teils im ugandischen Murchison-Falls-Nationalpark, nicht weit von dort, wo eine der größten Schimpansen-Gruppen weltweit lebt. Und große Teile der 1.445 Kilometer langen Pipeline führen durch oder vorbei an Natur- und Landschaftsschutzgebieten.

Im Januar wurden am Albertsee die ersten Bäume gerodet. Ugandas Präsident Yoweri Museveni gab nach über zehn Jahren Verhandlungszeit den Startschuss für den Bau durch ein australisch-chinesisches Konsortium. Ab 2025 soll dann Öl fließen, 246.000 Barrel pro Tag, aufgeheizt auf 70 Grad, sonst wäre es zu zäh. Alles in allem werden dadurch bis 2050 rund 380 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente in die Atmosphäre gelangen, schätzt das Climate Accountability Institute. Rund 5 Milliarden Dollar soll der Bau kosten. 2 Milliarden bringen die Regierungen von Uganda, Tansania, der französische Energiekonzern Total und die China National Offshore Oil Corporation selber auf. Den Rest sollen externe Kreditgeber beisteuern.

Die EACOP ist nur eines von hunderten Projekten, mit denen Energiekonzerne die noch verbleibenden globalen Fossilvorkommen ausbeuten wollen. Sagenhafte 857 Milliarden Dollar wollen sie dafür allein bis 2030 ausgeben, so eine Studie der NGOs Global Witness und Oil Change International. Die Summe kommt zu den 4,6 Billionen Dollar hinzu, die internationale Banken nach Zahlen der Banking-on-Climate-Chaos-Studie zwischen dem Abschluss des Pariser Abkommens 2015 und 2021 schon an Krediten für fossile Projekte bereitgestellt haben. Kaum etwas trägt so viel dazu bei, die Ziele des Pariser Abkommens zu verfehlen, wie die Allianz aus Finanz- und fossiler Energiewirtschaft.

„Ermöglicher des Klimawandels“

„Die Banken sind die Ermöglicher des Klimawandels“, sagt Thierry Philipponat. Er war einst Manager bei der Eunext-Börse in Brüssel und der Londoner Future-Börse LIFFE. Heute ist er der Chefökonom der NGO Finance Watch in Brüssel. Dass sich ein womöglich einmaliges Zeitfenster öffnen würde, um

Das Wissen über die Klimakrise ist da, das gesellschaftliche Bewusstsein auch. Was fehlt, sind Konsequenzen: politische Entscheidungen, die die nötigen Veränderungen vorantreiben. Für diese Blockaden gibt es Verantwortliche. Es sind Akteure, die die Interessen klimaschädlicher Industrien vertreten, an diesen weiter verdienen oder die nicht aufgeben wollen, was keinen Bestand haben darf.

In einer vom Weltklimastreik am 3. März 2023 bis zur Klimakonferenz COP 28 in Dubai im Dezember laufenden Serie fragt die taz: Wer sabotiert die Entscheidungen, die das Klima und unsere Lebensgrundlagen retten? Wer blockiert, was nötig ist –und warum? Wer führt uns in die Krise?

An jenem Tag veröffentlichte die EU-Kommission ihr „Arbeitsprogramm“ für das angebrochene Jahr. Im Anhang, unter Punkt 21, findet sich darin ein unscheinbarer Eintrag: „Überprüfung der Rechtsvorschriften über Eigenkapitalanforderungen“ steht dort. Es geht, kurz gesagt, darum, die Lehren aus der Finanzkrise von 2008 in aktuelle Regeln für Banken zu gießen – unter anderem mit Blick auf die Folgen des Klimawandels. Das Schlagwort lautet „Basel III“ – ein internationales Regelwerk, um Bankenpleiten zu verhüten, das die EU in eigenes Recht umsetzen muss.

Nur Fachleute erkannten, welche politischen Möglichkeiten das dröge Reformvorhaben bot. Wie Philipponat. „In Anbetracht der kurzen Zeit, die zur Verfügung steht, ist spätes Handeln leider gleichbedeutend mit Nichtstun.“ Und so handelt Philipponat schnell. Vier Monate bevor die Kommission ihren Gesetzentwurf präsentiert, bringt er ein Papier heraus. Der Name: „Breaking the Climate-Finance-Doom-Loop“.

Sinngemäß soll das so viel heißen wie: „Den Teufelskreis zwischen Klimawandel und Finanzierung stoppen“. Die Annahme: Wenn Banken weiter Geld für klimaschädliche neue Fossilprojekte verleihen, gefährden sie dabei nicht nur das Klima – sondern auch sich selbst. Denn erstens drohen die Fossilprojekte durch die grüne Transformation ökonomisch zu scheitern, die vergebenen Kredite deshalb auszufallen. Zweitens gefährden die durch die Nutzung fossiler Energiequellen angeheizten Extremwetterereignise die Wirtschaft insgesamt. Und drittens drohen den Banken zunehmend Haftungsklagen.

Rot gekleidete Protestierende vor Konzernzentrale

Philipponats Vorschlag lautete: Die sogenannte Risikogewichtung für neue Fossilprojekte soll all das berücksichtigen – und deshalb drastisch angehoben werden. Vereinfacht gesagt: Wer Geld für neue Öl- und Gasfelder verleiht, soll künftig pauschal die gleiche Summe an Eigenkapital vorhalten müssen. Das soll die Bank bei Zahlungsausfall schützen. Bislang sind es teils nur 1,6 Prozent.

Der Energiekonzern Total, der Hauptbetreiber der East African Crude Oil Pipeline, etwa wird von der Ratingagentur Fitch in der zweithöchsten Kategorie AA- und damit auch von der Finanzaufsicht als „sichere Anlage“ eingestuft. Unter der heute geltenden Regelung müsste eine europäische Bank, die Total die 3 Milliarden für die Pipeline leiht, deshalb gerade einmal 48 Millionen Euro an Eigenkapital dafür vorhalten. Philipponats Vorschlag folgend müssten es bei neuen Projekten wie der Ostafrika-Pipeline künftig 3 Milliarden sein. Die Kreditvergabe würde so höchstwahrscheinlich unrentabel werden.

Viele Bemühungen um eine effektive Emissionsbegrenzung, vor allem durch einen höheren CO2-Preis, waren politisch bisher nicht durchsetzbar. Philipponats Vorschlag ist eine Chance, die Weiternutzung fossiler Energien trotzdem effektiv einzudämmen. „Ich war sehr enttäuscht, dass die Kommission sich in ihrem Entwurf nicht mit dem wohl größten Risiko für Finanzinstitute befasst hat“, sagt er – eine verpasste Gelegenheit. „Unsere Empfehlungen sind weit weniger radikal und viel billiger als die Maßnahmen, die als Reaktion auf die Covid-19-Krise ergriffen wurden. Aber sie zielen auf eine weitaus größere Bedrohung ab.“

Harte Maßnahmen waren nicht vorgesehen

Das leuchtete auch Parlamentariern ein. Nachdem Philipponat sein Papier an EU-Institutionen und Fachpolitiker verschickt hatte, brachten immerhin fünf MEPs auf seinen Vorschlägen fußende Änderungsanträge ein. Für die Grünen war das der Finne Ville Niinistö, für die Liberalen die Franzosen Pascal Canfin und Gilles Boyer und für die Sozialdemokraten Aurore Lalucq aus Frankreich und Paul Tang aus den Niederlanden. „Der Kommissionsvorschlag war schwach in Bezug auf den Klimaschutz“, sagt Tang. Denn im Gesetzentwurf der Kommission ist zwar ausführlich von der grünen Transformation die Rede. Harte Maßnahmen gegen das „Klimarisiko“ hatten von der Leyens Beamte aber nicht vorgesehen. Stattdessen sollte die Europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA bis 2027 Vorschläge machen, wie das Klimarisiko für die Banken berechnet werden soll.

Die Verhandlungen im Ausschuss sind schwierig. „Die beiden Liberalen hatten ihre eigene Fraktion nicht hinter sich, die Konservativen und die extreme Rechte waren gegen die Klimarisiko-Aufschläge“, sagt Tang. Am 24. Januar 2023 lehnt der Ausschuss alle Änderungsanträge zu den Klima-Aufschlägen ab. Philipponats Vorschlag ist damit vom Tisch. „Er hatte im Ausschuss keine Chance“, sagt Tang. Der Entwurf geht nun in die sogenannte Trilog-Beratung von Rat, Parlament und Kommission. Dass dabei noch ein fester Klimarisiko-Zuschlag eingebaut wird, glaubt Tang nicht. „Da wird jetzt nichts mehr kommen.“

Die Chance, auf diese Weise zumindest europäische Kredite für klimazerstörende Energieprojekte in aller Welt zu erschweren, ist perdu. „Sehr enttäuschend“ sei das Votum des Ausschusses, sagt Thierry Phi­lip­ponat. „Der Bankensektor tut alles, was er kann, um sich gegen eine Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen zu wehren.“

Die NGO Finanzwende hat untersucht, wie. „Der sogenannte Basel-III-Kompromiss ist das Ergebnis einer jahrelangen, intensiven Lobbykampagne von Banken und ihren Verbänden“, heißt es in einer Stellungnahme der NGO Finanzwende. „Banken und ihre Interessenvertreter gingen bei EU-Parlamentariern und der EU-Kommission ein und aus.“ So hätten sie zentrale Kapitalregeln für Banken verwässern können. „Gut für die Profite der Banken, schlecht für ihre Krisenfestigkeit.“

Zwischen November 2021 und dem Tag der Abstimmung, am 24. Januar 2022, gab es nach Transparenzangaben des EU-Parlaments 190 Treffen der Abgeordneten mit „Interessenvertretern“. Vier dieser Treffen waren mit NGOs: Der deutsche Grüne Rasmus Andresen traf sich einmal mit Fridays for Future, zwei Abgeordnete trafen sich insgesamt dreimal mit Finance Watch. Die übrigen 186 Treffen waren mit Vertretern von Banken, Bankenverbänden und Vermögensverwaltern, vereinzelt auch von Kammern und öffentlichen Körperschaften.

368 Lobbytreffen

Bei den Lobbytreffen mit der EU-Kommission, die den ursprünglichen Entwurf formuliert hatte, sieht es fast genauso aus. Nach Zählung von Finanzwende gab es zum Thema Basel III seit Amtsantritt von Ursula von der Leyen 178 Treffen mit Interessenvertretern – davon ganze zwei mit Vertretern der Zivilgesellschaft, also NGOs. 176-mal hingegen sprachen von der Leyens Kabinett, EU-Kommissare und Generaldirektoren in Sachen Bankenregulierung mit der Finanzindustrie.

Die Treffen an sich sind völlig legal und politisch legitim. Das Missverhältnis, welche Stake­holder, wie es so schön heißt, sich aber in welchem Maß Gehör zu verschaffen vermögen und welche nicht, ist eklatant – und schlägt sich zweifellos in den Beschlüssen nieder.

Vor allem zwei Abgeordnete hatten sich nach taz-Informationen gegen die Klima-Aufschläge starkgemacht: der Ausgburger CSUler Markus Ferber und der österreichische ÖVP-Abgeordnete Othmar Karas.

„Kapital ist der Lebenssaft der europäischen Wirtschaft. Wir müssen sehr genau aufpassen, dass die neuen Eigenkapitalvorschriften für Banken den europäischen Unternehmen nicht die Kreditversorgung abdrehen“, hatte Ferber, ein ehemaliger Siemens-Ingenieur und Vorsitzender der Hans-Seidel-Stiftung, während der Beratungen auf seiner Webseite geschrieben. „Das Bankenaufsichtsrecht ist nicht der richtige Ort für Klimaschutzdebatten.“ Es ist exakt das Argument, das auch die Banken selbst immer wieder vortragen werden.

Schon die zahnlosen Vorschläge der EU-Kommission für eine stärkere Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten hatte Ferber vehement abgelehnt: „Die Bankenaufsicht muss sich allein am Risiko orientieren, andernfalls droht sich eine Finanzkrise wie im Jahr 2008 zu wiederholen – nur diesmal mit grünem Vorzeichen. Der Weg in die nächste Krise ist gepflastert mit guten Vorsätzen“, sagte Ferber 2021.

„Let's talk Finance“

Ein Interview lehnt er ab – und verweist an den für das Thema zuständigen Berichterstatter Karas. Auch der will sich nicht öffentlich äußern. Sein Mitarbeiter verweist darauf, dass die EU-Bankenaufsicht nun bis 2025 Vorschläge für die Behandlung der Klimarisiken machen soll.

Karas hat 14 Jahre in der Bank- und Versicherungswirtschaft gearbeitet, bevor er Vollzeitpolitiker wurde. Heute ist er Vorsitzender des European Parliamentary Financial Services Forum, einer Arbeitsgruppe aus EU-Parlamentariern und Vertretern der EU-Finanzwirtschaft. „Let’s talk Finance“ ist das Motto. Auch Markus Ferber ist hier im Vorstand. „Chair“ der Gruppe ist der Niederländer Wim Mijs, der Manager des Europäischen Bankenverbandes EBF. Und der hat eine tragende Rolle dabei gespielt, die schärferen neuen Bankenregeln zu verhindern.

Gewiss ging es bei den Lobbytreffen auch um andere Aspekte der Regulierung als nur um die Klima-Aufschläge. Doch die zu kippen war den Banken wichtig. Mindestens vier Positionspapiere zur Eigenkapitalrichtlinie brachte der Bankenverband EBF heraus. Unter anderem heißt es darin: „Auch wenn die Banken die EU-Ziele unterstützen und von ihnen erwartet wird, dass sie ihre Strategien daran ausrichten, müssen Geschäftsmodell und Geschäftsstrategie in der Verantwortung der Leitungsgremien der Banken bleiben.“ Soll heißen: An Gas- und Ölverfeuerung weiter mitzuverdienen, ist unser Recht. Weiter schreibt der EBF: Jegliche Kapitalzuschläge, die die EU allein beschließt, würden „die Wettbewerbsfähigkeit sowohl der EU-Industrie als auch des Finanzsektors gegenüber den Volkswirtschaften außerhalb der EU untergraben“.

Beim EBF leitet Gonzalo Gasós die Abteilung für Bankenaufsicht. Gasós nannte strengere Eigenkapitalanforderungen für Banken durch die EU schon 2016 einen „Schuss in den eigenen Fuß“. In öffentlichen Auftritten wandte er sich mehrfach gegen die Risiko-Aufschläge beim Eigenkapital, unter anderem bei einem Podium der Florence School of Finance and Business im Juni 2022. Höhere Eigenkapitalanforderungen für bestehende Fossilkredite würden die Banken zu höheren Rücklagen zwingen. Die Folge sei fehlendes Geld zur „Finanzierung des Übergangs europäischer Unternehmen zu kohlenstoffarmen Produktionsmethoden“, behauptete Gasós dort. Der Übergang würde schließlich rund 500 Milliarden Euro kosten. „Wir brauchen also alle unsere Mittel, um dieses ehrgeizige Projekt zu finanzieren.“
Fossile Kredite „sehr stark mit Risiken behaftet“

Gleichzeitig hält der EBF aber daran fest, dass die Banken weiter günstig Geld für Fossilprojekte verleihen dürfen sollen. Von „Lobby-Mythen“ sprach Finance Watch nach der Veranstaltung. „Viele Argumente sind technisch unsinnig, werden aber so oft wiederholt, dass sie geglaubt werden und als Argumente des öffentlichen Interesses erscheinen“, sagt Thierry Philliponat dazu.

Eine Interviewanfrage lehnt auch Gasós ab. Über eine Sprecherin lässt er ausrichten, dass es nicht Ziel der Bankenaufsicht sei, „eine Klimapolitik festzulegen, und auch nicht der Wunsch, bestimmte Unternehmen unrentabel zu machen“, eine Rolle spielen dürfe. Zudem sei ein erhöhter Risikoaufschlag innerhalb der EU unwirksam, weil dann Banken von außerhalb der EU das Geschäft machen.

Laura Mervelskemper ist bei der GLS Bank in Bochum für „Wirkungstransparenz & Nachhaltigkeit“ zuständig. „Fossile Energien sind sehr stark mit Risiken behaftet, die aktuell wenig eingepreist werden“, sagt sie. Müssten die Risiken angemessen eingepreist werden, würde sich „vieles nicht mehr lohnen.“ Das Risikomanagement auszuweiten sei deshalb richtig. Dass dies nicht geschehe, „könne an einem Lobbying liegen.“ Mervelskemper sagt, dass Beratungen und Lobbyismus natürlich stattfinden dürfen. „Aber die Meinungen, die eingeholt werden, sollten möglichst objektiv, faktenbasiert und auf jeden Fall divers sein und nicht nur die Meinung weniger.“

Viele Positionen der konventionellen Banken deckten sich nicht mit jenen der Wissenschaft zu ökologischen Fragen – sonst gäbe es einen „ganz anderen Blick auf die Risiken, die wissenschaftlich bereits großflächig erfasst wurden und erwartbar sind“, sagt Mervelskemper. Dann würde viel stärker dafür gesorgt werden, dass „diese Risiken auch integriert werden – dazu sprechen wir auch mit anderen Finanzinstitutionen und der Politik.“ Doch noch werde „viel zu viel außerhalb transparenter und geregelter Formate abgesprochen, was nicht dem gesellschaftlichen Zweck dient“. Allzu oft gehe es dabei um finanzielle Interessen zu Lasten von Umwelt und Gesellschaft. „Das darf nicht passieren.“

23.03.2023 06:50
Psychische Belastung steigert Fehlzeiten in Unternehmen
Psychische Belastungen und Burnout führen immer mehr dazu, dass Menschen ihren Jobs zeitweise nicht gewachsen sind. Die Fehlzeiten steigen, zeigt eine aktuelle Studie der Techniker Kasse.

Überforderung wird wohl weiter ansteigen

38,5 Prozent der befragten Geschäftsführenden, Gesundheitsverantwortlichen und Personaler geben an, dass dieses Thema bereits jetzt eine eher große oder große Bedeutung in ihren Unternehmen habe. Das teilt die Techniker Krankenkasse (TK) mit. Die Studie wurde vom Konstanzer Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung im Auftrag der Techniker Krankenkasse erarbeitet.

Auf die Frage, welche Bedeutung Burnout und Co. in drei Jahren haben werden, sagen das sogar rund 70 Prozent.

Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz haben die körperlichen Belastungen in ihrer Dringlichkeit in vielen Branchen überholt. Das betont die Personalvorständin der TK, Karen Walkenhorst.

Herausforderung und Chance in einem

Die zunehmende Herausforderung, der sich "die Arbeitgeber stellen müssen", sei gleichzeitig aber auch "eine Chance, die Gesundheit der Beschäftigten in Arbeitsprozessen und Unternehmenskultur fest zu verankern", erklärt Personalvorständin Walkenhorst weiter.

Diesen Trend würden Auswertungen zu den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der bei der TK versicherten Erwerbspersonen bestätigen. Bereits seit Jahren gehören psychische Erkrankungen demnach zu den drei häufigsten Gründen für eine Krankschreibung.
Kontinuierlicher Anstieg der Krankheitstage

2022 betrug der Anteil am Gesamtkrankenstand rund 17,5 Prozent und lag damit noch vor den Krankheiten des Muskel-Skelettsystems (13,7 Prozent) und nur hinter Erkrankungen des Atmungssystems wie Grippe und Erkältung (25,3 Prozent). Auch seien die durchschnittlichen Krankheitstage je Erwerbsperson aufgrund psychischer Belastungen in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich gestiegen. War jede TK-versicherte Erwerbsperson 2012 noch durchschnittlich 2,46 Tage mit einer psychischen Diagnose krankgeschrieben, so waren es 2022 bereits 3,33 Fehltage.

Der AOK-Report zeigt: Weniger Kranke in sozial geführten Firmen

Unternehmen können den Krankenstand durch eine soziale Unternehmensführung senken. Das geht aus dem neuesten AOK-Fehlzeitenreport 2022 hervor.

Zu den größten Herausforderungen am Arbeitsplatz gehören den Angaben nach die Menge sowie die Komplexität der Aufgaben, die Quantität der zu verarbeitenden Informationen, permanente Veränderungen sowie Ablenkungen und Unterbrechungen. Zwar würden rund 40 Prozent der Unternehmen bereits Angebote zur Stressreduktion und Ressourcenstärkung anbieten, während rund 37 Prozent schon Workshops zum Thema Achtsamkeit und Resilienz umgesetzt hätten.

09.03.2023 10:41
Ist die Vier-Tage-Woche barer Unsinn oder eine sinnvolle Perspektive?
„Die Vier-Tage-Woche ist ein Fake“,sagt der Ökonom Heinz-Josef Bontrup. Gleichwohl übernehmen immer mehr und immer hochleistungsfähige Computer und Roboter immer mehr Arbeit, die heute noch von vielen Menschen getan werden.

Einige Unternehmen testen bereits die Vier-Tage-Woche. Es führt in einigen Bereichen zu zufriedeneren Mitarbeiter*Innen ohne Produktivitätsverlust. Der Ökonom ist nicht überzeugt von dem Konzept. Er fordert im Interview mit der Frankfurter Rundschau eine echte Verkürzung der Arbeitszeit. Ein Interview von Steffen Herrmann vom 8.3.23 S. 15:

„Herr Bontrup, sind Sie ein Fan der Vier-Tage-Woche?

Nein, ich bin kein Fan einer sogenannten Vier-Tage-Woche, die lediglich eine Arbeitsumverteilung impliziert. Sondern ich bin seit Jahrzehnten ein Fan einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Das größte Problem vor dem Hintergrund der bestehenden hohen Arbeitslosigkeit und zusätzlichen Unterbeschäftigung von Millionen Menschen in Deutschland ist allerdings, dass die abhängig Beschäftigten sich nicht hinreichend in den Gewerkschaften organisieren. Deshalb fehlt bislang eine Koalition, die die Macht hat, eine Arbeitszeitverkürzung durchzusetzen.

Frage: Hinter dem Schlagwort der Vier-Tage-Woche verstecken sich verschiedene Modelle. Bei einigen wird der einzelne Arbeitstag dafür länger. In Belgien können Beschäftigte zum Beispiel ihre Wochenarbeitszeit von 40 Stunden an vier Tagen leisten. Andere Modelle reduzieren tatsächlich die Arbeitszeit – statt 40 Stunden an fünf Tagen arbeiten die Beschäftigten dann 30 oder 35 Stunden an vier Tagen. Welches Modell ist sinnvoll, welches nicht?

Sie werfen hier die ganze Bandbreite von diskutieren Arbeitszeitverteilungen pro Woche oder auch pro Monat auf. Das sind aber keine Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohn- und Personalausgleich, wie ich sie seit langem fordere. Die zurzeit in einigen Ländern in Pilotprojekten, auch in einzelnen deutschen Unternehmen, erprobten Vier-Tage-Wochen sind deshalb nur ein Arbeitszeitverkürzungs-Fake. Und ich muss mich mehr als wundern, wenn hier bei einer nur anderen Arbeitszeitverteilung betont wird, dass dies bei vollem Lohnausgleich stattfinden würde. Ja, wie denn wohl sonst? Wäre das nicht der Fall, so käme es zu drastischen Einkommenskürzungen bei den abhängig Beschäftigten. Und übrigens: Nicht eine diskutierte Vier-Tage-Woche will die Arbeitszeit auf eine 30- oder 32-Stunden-Woche reduzieren. Dies würde eine sofortige Produktivitätssteigerung von rund 20 Prozent bedeuten. Das ist ökonomisch völlig unrealistisch.

Sehen Sie denn überhaupt keine Vorteile einer Vier-Tage-Woche?

Nun ja, einige abhängig Beschäftigte sind der Auffassung, es hätte Vorteile für sie, wenn sie statt 5 mal 8 Stunden, also 40 Stunden, jetzt 4 mal 10 Stunden, also auch 40 Stunden in der Woche, nur anders verteilt, arbeiten. Das will ich in Einzelfällen nicht in Abrede stellen. Darum geht es aber nicht. Es geht um die Volkswirtschaft als Ganzes. Und dass aus einer lediglich anderen Verteilung der Arbeit Produktivitätseffekte resultieren, müsste wissenschaftlich erst noch einmal nachgewiesen werden. Meine Prognose fällt hier eher negativ aus.

Bisher läuft die Wirtschaft zu großen Teilen im Rhythmus einer Fünf-Tage-Woche. Von Montag bis Freitag ist zu den üblichen Geschäftszeiten immer jemand im Dienst. Wie müsste man den Umstieg gestalten?

Der Umstieg einer Arbeitsumverteilung wird in den meisten Branchen der Wirtschaft überhaupt nicht gehen, denken sie nur an die vielen Arbeitsprozesse, wo man nicht mal einfach die Arbeit an einem Tag einstellen kann. So nach dem Motto, wir arbeiten jetzt die 40 Stunden in der Woche an vier Tagen ab. Am fünften Tag steht alles leer und wir schließen die Firma ab. Ganz „Schlaue“ argumentieren hier mit Energieeinsparungen, vergessen dabei aber die Nicht-Nutzung von Maschinen und Anlagen. Wer soll den Ausfall denn dann bitteschön am Ende bezahlen? Die Kunden, die durch die Arbeitsumverteilung zusätzlich noch auf eine schlechtere Erreichbarkeit der Firmen stoßen? Das ist alles paradox.

Wie groß sind die Chancen für eine Vier-Tage-Woche in Deutschland? Dafür bräuchte es starke Gewerkschaften oder?

Da die Vier-Tage-Woche als Arbeitsumverteilung ein Fake ist, wird sie sich auch nicht durchsetzen und so auch kein Thema für die Gewerkschaften werden.

In einigen Modellen sinkt mit der Arbeitszeit auch das Gehalt. Das können sich doch nur Besserverdienende leisten.

Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnausgleich, also mit Einkommenskürzungen, sind genauso wie die Arbeitsumverteilung ein Arbeitszeitverkürzungs-Fake, den sich natürlich so gut wie keiner leisten kann. Was aber an diesem Fake besonders fatal ist, ist der ökonomische Tatbestand, dass es damit zu einer noch größeren Umverteilung der Wertschöpfung zu Gunsten der Kapitaleigentümer kommt.

Weniger Arbeit, gleiches Gehalt – warum sollten die Arbeitgeber da mitspielen?

Ganz einfach, weil eine Arbeitszeitverkürzung nicht nur bei vollem Lohnausgleich, sondern auch bei einem vollen Personalausgleich – das ist ganz wichtig – auf Basis einer wertmäßigen Arbeitsproduktivitätserhöhung, für Unternehmer überhaupt keinen Nachteil hat.

Das müssen Sie jetzt aber näher erklären.

Ja, weil auch ihre Gewinne in Höhe der Produktivitätszuwächse steigen. Die Verteilung der Wertschöpfung ist zwischen Kapital und Arbeit neutral. Lohn- und Gewinnquote bleiben konstant, es gibt keine inflatorischen Wirkungen, die Lohnstückkosten verändern sich nicht, und die Arbeitslosigkeit geht zurück. Und wissen Sie was: Dann haben sich die Unternehmer nicht einmal mit einem Cent an der Finanzierung der Arbeitszeitverkürzung beteiligt. Das ist völlig inakzeptabel. Daher muss es zu einer Mitfinanzierung durch ein Absenken der viel zu hohen volkswirtschaftlichen Mehrwertquote kommen, die bei rund 43 Prozent liegt und stark dysfunktionale makroökonomische Effekte impliziert.

Arbeitgeberpräsident Steffen Kampeter fordert „mehr Bock auf Arbeit“ und längere Arbeitszeiten. Hat er mit Blick auf den Personalmangel, den es in einigen Branchen gibt, nicht recht?

Der Unternehmer-Lobbyist Kampeter fordert nicht nur den Unsinn von längeren Arbeitszeiten. Als Wissenschaftler weiß ich das einzuordnen. Und was den sogenannten Personalmangel in einigen Branchen oder, wissenschaftlich sauber formuliert, auf Teilarbeitsmärkten anbelangt, darüber freue ich mich. Als Ökonom lernt man im ersten Semester: Alles was knapp ist, hat einen hohen Preis. Die Löhne werden hier steigen und in Folge Arbeitskräfte anlocken. Gegen diesen marktwirtschaftlichen Mechanismus habe ich nicht einzuwenden".

31.01.2023 10:35
Kaum Konkurrenz im Strom- und Gasmarkt - ein Mangel an Fairness und Vielfalt
Einen Mangel an Wettbewerb beklagt der Netzagenturchef Klaus Müller wegen der geringen Auswahl bei Strom und Gas.

Ein Markt ohne Konkurrenz ist kein wirklicher Markt. Das sieht man sehr gut bei den Tankstellenpreisen und Ölkonzernen. Ohne Auswahl ist die Kundschaft einem monolithischen Block von gleichartigen Anbietern und Preisen ausgesetzt, was wie Planwirtschaft wirkt. Wo es keine Konkurrenz gibt, kann es auch keine Fairness zwischen den Anbietern geben, denn sie ist bei Gleichförmigkeitann überflüssig. Allenfalls die Kundschaft steht einer Anbieterfront gegenüber, die verlautbaren kann: "Friss Vogel oder stirb!". Die Konkurrenz ist abgeschafft und damit auch die Freiheit von Angebot und Nachfrage.

Auch Kooperation ist dann verschwunden anstelle eines Anbieter-Klumpens. Unterschiede müssen künstlich geschaffen und behauptet werden durch Beigaben ("hier erhalten Sie auch einen neuen Besen dazu") oder vermeintliche Imagevorteile ("wir sind nach nachaltiger als die nachhaltigen Firmen").

Weniger Angebote und »bescheidene Erfahrungen« beim Anbieterwechsel: Der Chef der Bundesnetzagentur vermisst im Strom- und Gasmarkt zurzeit »vernünftigen Wettbewerbsdruck«. Ohne den bleibt es teuer, warnt Klaus Müller.

Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hat zu wenig Wettbewerb bei den Strom- und Gaspreisen für Haushaltskunden beklagt. In den Vergleichsportalen sehe er, dass es im Vergleich zu den letzten Jahren deutlich weniger Angebote gebe, sagte Müller bei einer Veranstaltung der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung in Düsseldorf.

»Es gibt Stadtwerke, die sich nur noch auf ihr Versorgungsgebiet konzentrieren, die haben sich aus der bundesweiten Versorgung zurückgezogen«, so Müller weiter. »Es ist wichtig, darüber zu diskutieren, was können wir dafür tun, dass mehr Marktakteure, mehr Energieversorger auch jenseits ihres ureigenen Sprengels bundesweit Angebote machen und ich als Verbraucherin und Verbraucher hier eine Wahlmöglichkeit habe.«

Viele Menschen hätten mit einem Anbieterwechsel in den letzten 18 Monaten eine »bescheidene Erfahrung« gemacht, sagte Müller. Er verwies in diesem Zusammenhang auf zahlreiche Vertragskündigungen durch Energiediscounter.

Müller zufolge stellt sich die Frage: »Wo sind eigentlich die Wettbewerbskräfte oder die Wettbewerbsakteure, die dafür sorgen, dass wir auch irgendwann wieder zu sinkenden Gas- und Strompreisen kommen?« Es gebe in Deutschland keine Behörde mehr, die diese Rolle übernehme. Preisaufsicht und -genehmigung seien aus guten Gründen abgeschafft worden und die Bundesnetzagentur sei nicht erpicht darauf, solch eine Aufgabe zu übernehmen.

»Aber wenn das keine Behörde tut, und gleichzeitig womöglich Verbraucherinnen und Verbraucher in den letzten 18 Monaten gelernt haben, derjenige, der wechselt, ist womöglich die oder der Dumme, dann haben wir eine Situation, dass wir kein vernünftiges Wettbewerbsmodell im Strom- und Gasmarkt zurzeit haben.«, so Müller. Es sei überfällig, zu »diskutieren, wie sorgen wir dafür, dass wir zu einem vernünftigen Wettbewerbsdruck kommen, damit letztendlich irgendwann Preise auch wieder sinken können.«

10.01.2023 12:30
Ein Ende von Kinderarbeit und Abholzung in der Kakao-Lieferkette ist nicht in Sicht
Neuestes Kakao-Barometer zeigt: Unternehmen müssen höhere Preise für Kakao bezahlen

Zu Weihnachten herrlich gute Schokolade genossen? Leider mit Schattenseiten - immer noch. Höhere Preise für Schokoladen- und Kakaoprodukte gehen leider nur zu Gunsten der Händlerfirmen, nicht der bäuerlichen Erzeuger. Hersteller von Kakao- und Schokoladeprodukten müss(t)en ihren Bäuer*innen (eigentlich) höhere Preise für Kakao bezahlen – ansonsten werden sich die sozialen und ökologischen Probleme des Sektors weiter verschärfen. Das zeigt das diesjährige Kakao-Barometer, welches die aktuellen Entwicklungen in der Kakao-Branche zusammenfasst und vom VOICE Network veröffentlicht wurde.

Der Bericht über die Entwicklung der Kakao-Branche macht deutlich: Kakao-Bäuer*innen sind nach wie vor einer Vielzahl an Problemen ausgesetzt, haben jedoch nicht die finanziellen Ressourcen, dagegen anzukämpfen. In den größten Kakao-Anbaugebieten der Welt wie Ghana, Cote d’Ivoire (Elfenbeinküste) und Indonesien leiden die Familien noch immer unter Kinderarbeit, Geschlechterungleichheit, Unterernährung von Kindern, mangelndem Zugang zu Bildung und unzureichender Gesundheits- und sanitärer Versorgung.

Kleinbäuerliche Familien leiden besonders unter Inflation und Preissteigerung

Zusätzlich verstärkt die Inflation und Preissteigerung den Druck auf die Bäuer*innen in Westafrika. „Früher konnte ich mit dem Verkauf von Kakaobohnen die notwendigen Ausgaben für meine Familie finanzieren. Das ist jetzt sehr schwierig geworden. Die Preise für die Produkte liegen weit über meinen bisherigen Einnahmen. Ich habe Kinder, um die ich mich kümmern muss, und ich kämpfe jetzt darum, ihre Schulgebühren zu bezahlen“, sagte Yao Kouame Martia von der Kakao-Kooperative ECAM im Südwesten von Côte d'Ivoire.

Armut führt zu Abholzung statt Klimaschutz

Ebenso werden Belastungen für Kakaobäuer*innen, die durch Umweltfaktoren wie den Klimawandel entstehen, nicht wirksam angegangen. Es gelang bisher weder Politik noch Unternehmen, den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren oder die langfristige Einführung guter landwirtschaftlicher Praktiken zu unterstützen. Stattdessen sehen sich die Bäuer*innen weiterhin gezwungen, den Regenwald abzuholzen, um ihre geringen Erträge zu steigern. (Nationale und internationale) Strategien, die darauf abzielen, die Kakaoproduktion zu steigern und so die Armut der Bäuer*innen zu bekämpfen, lösen diese Probleme langfristig nicht.

Die Nachhaltigkeits-Lüge: Label steigern das Einkommen der Bäuer*innen nicht

Beruhend auf den neuesten Erkenntnissen über Kakaolieferketten zeigt das Barometer, dass Entwicklungszusammenarbeits-Programme zur Produktivitätssteigerung und Diversifizierung langfristig wirkungslos bleiben. Stattdessen müssen echte Anstrengungen unternommen werden, um das Existenzminimum der Bäuer*innen durch höhere Preise zu sichern und ihnen so die finanziellen Möglichkeiten eröffnen, die Umwelt zu schützen. Auch Nachhaltigkeitssiegel wie UTZ/Rainforest und Fair Trade, die heute zwischen einem Drittel und der Hälfte der Kakaoproduktion zertifizieren, reduzieren das Armutsproblem in den meisten Fällen nicht. Stattdessen sind sie meist irreführend: Die Familien von Kakao-Bäuer*innen können in der Regel ihre Grundbedürfnisse nicht decken. Das gilt auch für Bäuer*innen, die für zertifizierte Projekte mit Nachhaltigkeits-Label arbeiten.

Trotz dieser Erkenntnisse betreiben die meisten Kakao-Einkäufer*innen ihr Geschäft immer weiter wie gewohnt. Sie unterstützen zwar Programme der Entwicklungszusammenarbeit, weigern sich jedoch, die Preise anzuheben und so existenzsichernde Löhne zu garantieren. „Produktivitätssteigerungen oder die Vergrößerung der Farmen werden allein nicht ausreichen, um die zahllosen Probleme in der globalen Kakaolieferkette zu lösen“, erklärt Antonie Fountain, Direktorin des VOICE Network. „Ein höherer Preis für Kakao ist unvermeidlich, wenn existenzsichernde Löhne gewährleistet werden sollen.“

Es braucht gesetzliche Verpflichtungen, damit Unternehmen höheren Preise zahlen

Das Barometer kommt zu dem Schluss, dass für ein existenzsicherndes Einkommen der Kakaobäuer*innen Maßnahmen an drei verschiedenen Fronten erforderlich sind: eine verantwortungsvolle Politik öffentlicher Stellen, eine faire Einkaufspraxis des Privatsektors und eine nachhaltige landwirtschaftliche Praxis der Bäuer*innen. In den letzten zwei Jahrzehnten haben sich jedoch fast alle Bemühungen im Kakaosektor auf die Bäuer*innen selbst konzentriert. Die notwendigen Änderungen der Regierungspolitik und der Einkaufspraktiken, die für die Bekämpfung von Nachhaltigkeitsproblemen erforderlich sind, wurden von Politik und Unternehmen aktiv vermieden.

In diesem Zusammenhang sind die jüngsten Bemühungen der EU, Richtlinien zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht, wie die „Corporate Sustainability Due Diligence Directive“ (CSDDD) einzuführen, ein begrüßenswerter erster Schritt zur Schaffung einer transparenteren Lieferkette. Die Richtlinien zielen darauf ab, ökologische und soziale Schäden in globalen Lieferketten, einschließlich der Kakao-Branche, einzudämmen. Sie sind eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Unternehmen für ihre Einkaufspraktiken zur Rechenschaft gezogen werden / verantwortlich gemacht werden. Trotz dieser positiven politischen Entwicklungen drängt die Zeit: Unternehmen müssen schon jetzt handeln. Sie müssen höhere Preise zahlen.

Über das Kakao-Barometer

Das Kakao-Barometer wird alle zwei Jahre mit dem Ziel veröffentlicht, einen aktuellen, fairen und übersichtlichen Überblick über die Nachhaltigkeit im Kakaosektor zu geben. Mit dem Barometer betrachtet das VOICE Network, ein Zusammenschluss von über 20 Organisationen – in Deutschland vertreten durch die NGOs Südwind, INKOTA und Solidaridad – den Sektor als Ganzes, verbindet aber auch zusammengefasste und aufgeschlüsselte Unternehmens- und Länderdaten mit klaren Visualisierungen und einer Kontextualisierung von Herausforderungen, Verpflichtungen und Errungenschaften. Das Barometer wird von einem Konsortium zivilgesellschaftlicher Akteure aus der ganzen Welt veröffentlicht und vom VOICE-Netzwerk betreut.

"Das vollständige Barometer (engl.) und die komplette Liste (engl.) der Empfehlungen für Regierungen, Unternehmen und Bäuer*innen finden Sie hier."

06.12.2022 08:11
Weltweite Studie: Psychische Gewalt und Schikane am Arbeitsplatz stark verbreitet
Beleidigen, bedrohen oder anschreien: Verbale Gewalt am Arbeitsplatz sollten Betroffene offiziell melden, selbst bei kleinsten Vorfällen. Die Ergebnisse einer weltweit angelegten Befragung von drei Organisationen zur Ermittlung des Ausmaßes von Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz sind ernüchternd. So erfuhren mehr als 22 Prozent der Befragten Gewalt oder Schikane am Arbeitsplatz.

Übergriffe und Belästigungen am Arbeitsplatz sind laut einer Studie weltweit stark verbreitet. Mehr als 22 Prozent von fast 75 000 befragten Angestellten und Arbeitnehmern in 121 Ländern hätten 2021 berichtet, mindestens einer Form von Gewalt oder Schikane ausgesetzt gewesen zu sein, hieß es in einem am Montag (Ortszeit) veröffentlichten Bericht der Internationale Arbeitsorganisation, der Stiftung des Risikomanagement-Dienstleisters Lloyds Register und des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Gallup. Es treffe vor allem junge Menschen, Migranten und Frauen.

Laut der Studie sagten ein Drittel der Betroffenen, dass sie mehr als eine Form von Übergriffen am Arbeitsplatz erlebt hätten. 6,3 Prozent gaben an, schon allen drei Formen ausgesetzt gewesen zu sein: also sowohl körperlicher und psychischer als auch sexueller Gewalt und Schikane.

Psychische Gewalt und Mobbing sei die häufigste Form der Übergriffe, von der sowohl Frauen als auch Männer berichtet hätten: 17,9 Prozent der Befragten hätten dies im Laufe ihres Beschäftigungsverhältnisses schon einmal erlebt, hieß es in der Studie. Rund 8,5 Prozent gaben an, körperlicher Gewalt und Belästigung auf der Arbeit ausgesetzt gewesen zu sein - wobei hier eher Männer als Frauen betroffen waren.

Diese Faktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit für Schikane am Arbeitsplatz

Rund 6,3 Prozent der Befragten berichteten von sexueller Gewalt und Belästigung, wobei der Anteil der Frauen höher war. Mehr als 60 Prozent der mutmaßlichen Opfer erklärten, dass sie diese Übergriffe mehrmals erlitten hätten. Die meisten Vorfälle hätten sich innerhalb der vergangenen fünf Jahre zugetragen, hieß es.

Zudem kam heraus, dass bei Menschen, die Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, einer Behinderung, ihrer Nationalität, Ethnie, Hautfarbe oder Religion erlebt hätten, die Wahrscheinlichkeit höher sei, auch Übergriffen oder Schikanen am Arbeitsplatz ausgesetzt zu sein, als bei jenen, die nicht auf diese Weise benachteiligt würden.

Statistiken zu Gewalt und Schikane am Arbeitsplatz sind selten

„Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt ist ein allgegenwärtiges und schädliches Phänomen mit tiefgreifenden und kostspieligen Folgen, die von schweren körperlichen und psychischen Konsequenzen für die Gesundheit sowie Verdienstausfällen und zerstörten Karrierewegen bis hin zu ökonomischen Einbußen für Arbeitsstätten und Gesellschaften reichen“, erklärten die drei an der Studie beteiligten Organisationen in ihrem 56 Seiten starken Bericht.

Statistiken zu Gewalt und Schikane am Arbeitsplatz seien rar. Aus diesem Grund habe sich die bei den UN angesiedelte Internationale Arbeitsorganisation mit der Stiftung von Lloyds Register und Gallup zusammengetan, um „die erste globale explorativ angelegte Studie“ vorzunehmen, um Erfahrungen von Menschen zu erfassen. Die Resultate würden den Weg für weitere Forschung ebnen, hieß es. Letztlich solle eine solidere Faktengrundlage zu einer effektiveren Gesetzgebung, Politik und Praxis führen, die Präventivmaßnahmen fördere, besondere Risikofaktoren und tieferliegende Ursachen angehe und sicherstelle, dass Opfer bei der Bewältigung der inakzeptablen Vorkommnisse nicht allein gelassen würden.

RND/AP

"Welche Unfairness am Arbeitsplatz gibt es und was ist dagegen zu tun?"
"Hilfe bei Unfairness mit dem Mobbingscout"

08.11.2022 10:36
Bürger misstrauen dem Umweltversprechen vieler Unternehmen wegen »Greenwashing«
Was ihr Engagement für die Umwelt betrifft, haben Unternehmen in Deutschland keinen guten Ruf. Laut einer Umfrage betrachtet eine Mehrheit deren Versprechen lediglich als Lippenbekenntnisse. Spiegel Online und Reuters berichten:

"Die Mehrheit der Deutschen glaubt, dass Unternehmen »Greenwashing« betreiben – also ihr Engagement für die Umwelt beschönigen. Dies geht aus Ergebnissen einer Umfrage der Datenplattform Dynata hervor, die der Nachrichtenagentur Reuters am Dienstag vorab vorlagen. Demnach stimmen 67 Prozent der tausend Befragten der Aussage zu, dass Unternehmen zwar sagten, dass sie sich um die Umwelt kümmern, aber ihre Taten hinter den Worten zurückblieben. Nur neun Prozent glauben, dass die Aussage falsch ist.

Die Deutschen achten den Umfrageergebnissen zufolge zugleich beim Einkauf verstärkt auf die Umwelt: »Nicht immer geht es, aber wenn es die Möglichkeit gibt, dann ziehen 57 Prozent der Deutschen es vor, Produkte und Dienstleistungen von Unternehmen zu kaufen, die umweltbewusst sind«, teilte Dynata weiter mit.

Das Thema »Greenwashing« ist verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt: Darunter wird in der Finanzwelt eine irreführende Vermarktung schmutziger Technologien als »grün« oder »nachhaltig« verstanden. Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg hat Deutschlands größte Fondsgesellschaft DWS wegen »irreführender Werbung für angeblich nachhaltige Geldanlagen« verklagt. Die DWS wies die Kritik der Verbraucherzentrale zurück und betonte, das Unternehmen verwende große Sorgfalt auf die Erstellung von Werbematerialien.

ESG-Anlagen (»E« steht für Umweltschutz, »S« für Sozialstandards und »G« für gute Unternehmensführung) sind einer der Megatrends der Finanzbranche. Sowohl bei Großinvestoren als auch bei Privatanlegern gewinnen derartige Investments immer mehr an Bedeutung".

Zum Greenwashing etlicher bekannter Unternehmen und Markenprodukten erfahren Sie hier mehr: https://www.fairness-check.de/

mik/Reuters

24.10.2022 14:39
Krasse Unfairness durch Gesamtmetall-Präsident Dr. Stefan Wolf
Der Gesamtmetall-Präsident predigt Verzicht, macht Party und behandelt seine Mitarbeiter rüde

Er ist einer der wichtigsten Arbeitgeber-Vertreter unseres Landes – Recherchen von RTL und stern bringen Stefan Wolf allerdings in Bedrängnis!

Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall soll nicht nur seine private Haushälterin über Jahre schwarz beschäftigt haben – an der Steuer und den Sozialkassen vorbei. Die Mitarbeiterin arbeitete für Stefan Wolf, der auch Vizepräsident des Arbeitgeber-Verbandes ist, in Vollzeit, fünf Tage die Woche. Das bestätigten dem stern und RTL mehrere Personen aus Wolfs direktem Umfeld. Und es gibt noch mehr Vorwürfe.

Stefan Wolf soll in seinem Autozulieferer Unternehmen ElringKlinger auch Lohndumping betrieben haben, dessen Vorstandsvorsitzender er ist. Die Firma selbst schreibt über sich, sie sei "ein weltweit führender Systempartner der Automobilindustrie für Leichtbaulösungen, Elektromobilität, Dichtungs- und Abschirmtechnik, Werkzeugtechnologie sowie Engineering-Dienstleistungen."
Auch in seinem Unternehmen, dem Autozulieferer ElringKlinger, erheben Mitarbeiter schwere Vorwürfe gegen Wolf. Der Konzern habe an seinem Standort Langenzenn bei Nürnberg gering bezahlte Teilzeitkräfte in niedrigere Tariflohngruppen eingestuft, als es den Mitarbeitern zustand – Lohndumping im Unternehmen des Arbeitgeberpräsidenten Wolf. Der Betriebsrat stimmte dem zu, nach eigenen Aussagen in der Hoffnung, damit Jobs zu sichern.

Auch Bruch des Tarifvertrags? Betriebsrat: „Die haben uns über Jahre belogen, betrogen und verarscht.“

Weiterer Vorwurf: Im Jahr 2020 kündigte das Werk in Langenzenn Kurzarbeit an. Laut IG Metall hielt der Konzern dabei die vorgeschriebene dreiwöchige Ankündigungsfrist zur Kurzarbeit nicht ein und informierte die IG Metall nicht – laut der Gewerkschaft ein klarer Bruch des Tarifvertrags. ElringKlinger bestreitet den Vertragsbruch. Inzwischen kündigte ElringKlinger an, die Produktion in Langenzenn zu schließen, obwohl es profitabel ist. Rund 140 Mitarbeiter werden ihre Jobs verlieren. Betriebsrat Markus Pemsel sagt über Wolf und den Vorstand von ElringKlinger: „Die haben uns über Jahre belogen, betrogen und verarscht.“

Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf fordert von Arbeitnehmern Verzicht

Bei den laufenden Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie fordert Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf von den Arbeitnehmern Verzicht, um ihre Jobs zu sichern. Die Beschäftigten sollen auf Lohnerhöhungen, Weihnachtsgeld, Spätzuschläge und auch auf warme Büros und Wohnungen verzichten, damit Arbeitsplätze gesichert werden können. ElringKlinger-Betriebsrat rät den Verhandlern der IG Metall: „Wenn Wolf verspricht, dass er Arbeitsplätze retten will, dann tut euch einen Gefallen: Glaubt ihm kein Wort.“

Über sein Engagement bei ElringKlinger hinaus ist Dr. Wolf Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Er sitzt außerdem im Aufsichtsrat der Allgaier Werke GmbH, Uhingen. Obendrein ist der Rechtsanwalt noch Vorsitzender des Aufsichtsrats der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW).

Den Rechercheren von Stern und RTL, die die Erkenntnisse zusammentrugen, ließ Dr. Wolf bezüglich seiner privaten Haushälterin ausrichten über seine Anwältin lediglich ausrichten lassen, Fragen zu seinem Privatleben werde er nicht beantworten.
Er ruft seine Mitarbeitenden zu Verzicht auf, soll sich aber selbst nicht so genau an Regeln halten. Bei seiner Firma fühlt man sich derweil "belogen, betrogen und verarscht".

"Glaubt ihm kein Wort"

Bei den laufenden Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie fordert Gesamtmetall-Chef Wolf derweil von den Arbeitnehmern Verzicht, um ihre Jobs zu sichern. Die Beschäftigten sollen auf Lohnerhöhungen, Weihnachtsgeld, Spätzuschläge und auch auf warme Büros und Wohnungen verzichten, damit Arbeitsplätze gesichert werden können. Der ElringKlinger-Betriebsrat rät den Verhandlern der IG Metall: "Wenn Wolf verspricht, dass er Arbeitsplätze retten will, dann tut euch einen Gefallen: Glaubt ihm kein Wort."

(mit Material von Stern, RTL und ntv)

12.10.2022 14:21
dm mogelt mit Bewertungen - Sterne sind irreführend
Wie kommen Windeln, Cremes oder Zahnpasta an? Auch bei dm spielen Bewertungen von Kundinnen und Kunden eine wichtige Rolle. Doch ein einfacher Test zeigt: Das System der Drogeriemarktkette ist leicht zu manipulieren. Darüber berichtet Martin Rücker in der Frankfurter Rundschau am 7.10.22 auf S. 12:

"Nur ein Stern oder gleich fünf? Ein kurzer Text, ein paar Angaben zur Person, ein Klick – schon hat der Internetnutzer, nennen wir ihn Sascha, seine Produktbewertung abgeschickt. Für die Drogeriemarktkette dm sind solche Rückmeldungen offenbar ein wichtiges Instrument. Wer eine Bewertung veröffentlicht, darf bei einer folgenden Verlosung auf Einkaufsgutscheine über 100 Euro hoffen. Und auch in der App des Konzerns sind die Rezensionen von Kund:innen eingebunden: Wer damit in einer Filiale den Barcode eines Produkts scannt, sieht, wie zufrieden andere Kunden damit waren.

Doch stammen die Bewertungen überhaupt von „Kunden“ und „Kundinnen“? Schon das ist ungewiss. „Wir überprüfen nicht, ob die Bewertenden die Produkte tatsächlich gekauft und/oder genutzt haben“, schreibt dm dezent über der Gesamtbewertung eines jeden Artikels.

Drogeriemarktkette „dm“: Überprüfungen sind leicht zu umgehen

Sascha hat die Produkte, die er gerade bewertet, jedenfalls nie in den Fingern gehabt. Mit welchen Mechanismen kontrolliert dm, was echt ist und was Fake? Über die Details gibt das Unternehmen keine Auskunft. Auf Anfrage erklärt Geschäftsführer Sebastian Bayer nur: „Wir überprüfen die eingehenden Bewertungen zu Produkten auf unserer Webseite, ob diese verdächtige Merkmale enthalten. Damit diese Prüfungen nicht wissentlich umgangen werden, legen wir die Inhalte dieser Prüfungen allerdings nicht offen.“ Allzu tiefgründig können sie nicht sein – es bedarf jedenfalls keiner besonders ausgefeilten Tricks, um sie zu umgehen. Sascha gelingt es spielerisch, eine Reihe falscher Produktkritiken einzustellen.

Schickt er eine Bewertung ab, erhält er eine Nachricht an die angegebene E-Mail-Adresse. Darin fordert dm ihn auf, seine Bewertung zu „bestätigen“, in dem er auf einen Link klickt – ein gängiges Verfahren, um die E-Mail-Adresse zu validieren. Nur wer tatsächlich Zugriff auf das Postfach hat, erhält auch die Nachricht und kann seine Bewertung bestätigen.

Kundenbewertungen der Drogeriemarktkette „dm“: Technik mangelhaft

Theoretisch jedenfalls. Doch die Praxis bei dm ist eine andere. Sascha beschließt, erst einmal nicht auf die Nachricht von dm zu reagieren. Eine gute Stunde später erhält er dennoch eine weitere E-Mail, mit der ihn dm informiert, dass seine Bewertung nun veröffentlicht sei. Auch ohne Bestätigung. Die Nachrichten suggerieren damit eine Vertrauenswürdigkeit, die die Technik nicht hergibt.

Sascha schreibt eine neue Bewertung, und dieses Mal gibt er keine E-Mail-Adresse an, auf die er Zugriff hat, sondern eine Fantasieadresse mit der Endung eines verbreiteten E-Mail-Anbieters. Die Bestätigungsnachricht von dm landet also entweder im Nirwana oder bei einer fremden Person, der zufällig das ausgedachte Postfach gehört. Und nun? Rund eine halbe Stunde später ist auch diese Bewertung online.

Wie glaubwürdig die eingegebenen E-Mail-Adressen sind, prüft das System offenbar ebenfalls nicht oder nur oberflächlich. Bewertungen, die unter Angabe einer sogenannten „Wegwerf“-E-Mail-Adresse erstellt werden – eines Postfachs also, das sich nach zehn Minuten selbst zerstört –, gehen ebenfalls problemlos auf die Seite.

Fakes erkennen

Bei Online-Bewertungen ist eine gesunde Skepsis angebracht, wie etwa die Verbraucherzentrale Brandenburg und die Bundesregierung raten. Insbesondere in diesen Fällen:

- Es gibt sehr viele Rezensionen, obwohl das Produkt neu auf dem Markt ist.

- Die Kommentare sind lang und gespickt mit positiven Begriffen aus der Werbung.

- Wenn Konkurrenzprodukte aufdringlich empfohlen werden, gilt Vorsicht.

- Nehmen Sie sich Zeit : Schauen Sie auch nach den Bewertungen des begehrten Produkts auf anderen Portalen.

- Holen Sie sich Rat bei unabhängigen Instituten wie Stiftung Warentest.

Für Kund:innen seien Onlinebewertungen die „wichtigste Informationsquelle“ bei Kaufentscheidungen im Internet, vermeldete der Digitalverband Bitkom vor zwei Jahren auf Basis einer repräsentativen Umfrage. Mehr als jeder Zweite las sie demnach vor dem Onlinekauf. Je jünger, desto häufiger – bei den unter 30-Jährigen waren es sogar zwei Drittel. Und auch die Anbieter haben ein großes Interesse an der Meinung der Massen: Studien zeigen, dass Kundenbewertungen den Verkauf ankurbeln können.

Die Bedeutung dieses Instruments dürfte also eher noch zunehmen. Ein Trend, den Verbraucherschützer mit Skepsis beobachten. Auf Onlinebewertungen sei „kein Verlass“, heißt es beim Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) deutlich. Anfang des Jahres legte der eine Analyse von 141 Kundenbeschwerden im Zusammenhang mit Onlinebewertungen vor. Was dabei auffiel: Webshops lockten mit Gutscheinen für gute Bewertungen, sie löschten negative Rezensionen schneller als positive und in einzelnen Fällen drängten Unternehmen die Kund:innen sogar mit Anwaltsschreiben zur Rücknahme schlechter Kritiken. Sabrina Wagner, Digitalexpertin beim VZBV, warnt daher vor „ernsten Wettbewerbsverzerrungen“.

Irreführende Kundenbewertungen auf Internetseiten

„Besonders kritisch“ sieht sie es, wenn die Abgabe der Bewertung mit einer Gegenleistung verbunden ist. Dann entstehe zwangsläufig der psychologische Effekt „Wer mir etwas Gutes tut, dem will ich auch etwas Gutes tun“, die Bewertungen fielen also besser aus. Für Onlineshops empfiehlt Wagner zudem ein sogenanntes „geschlossenes Bewertungssystem“, in dem nur diejenigen ein Produkt bewerten können, die es zuvor auch dort gekauft haben. Das garantiere zwar keine 100-prozentige Sicherheit, sei aber zumindest „eine wirksame Maßnahme gegen Fake-Bewertungen“.

Dass solche Maßnahmen nötig sind, hängt aus Sicht von Verbraucherschützern auch mit Agenturen zusammen, die spezialisiert als Bewertungsvermittler arbeiten – mal mehr, mal weniger seriös. Produkttester hätten demnach von Fällen berichtet, in denen sie nach eigenen Angaben dazu genötigt wurden, nur positive Rezensionen zu hinterlassen. Teils für Produkte, die sie nie ausprobiert hatten.
„Fake“-Bewertungen sind leicht zu platzieren

Wie häufig solche Fälle sind, wie viele der „Sternchen“ auf beliebten Internetseiten echt sind, dafür fehlen valide Studien. Im vergangenen Jahr taten sich einmal zahlreiche Behörden europaweit zusammen und analysierten Internetseiten auf irreführende Kundenbewertungen hin, von Shops über Buchungsseiten bis zu Preisvergleichen. 223 Seiten testeten sie durch – bei „fast zwei Dritteln“ gab es immerhin „Zweifel an der Zuverlässigkeit der Bewertungen“. Tiefer schürfen konnten sie nicht".

09.09.2022 09:59
Tesla treibt Greenwashing und begeht vielfache Datenschutzverletzungen
Verbraucherzentralen klagen gegen den Elektro-Autobauer. Sie werfen dem Unternehmen Verstöße gegen den Datenschutz und irreführende Umweltwerbung vor, wie die Frankfurter Rundschau berichtet.

In der Eigenwerbung ist Tesla-Chef Elon Musk stets ein Weltverbesserer. Seine Kundschaft lobt er auf der Website des Unternehmens auch für ihr Umweltbewusstsein. Die Fahrer:innen der Elektroautos würden zur Einsparung von 8,4 Millionen Tonnen CO2 beitragen und so den Umstieg auf nachhaltige Energien befördern, erklärt das Unternehmen. Davon sind Käufer:innen der flotten E-Autos vermutlich auch überzeugt. Doch das klimafreundliche Image zeigt inzwischen Risse auf. So flog Tesla im Mai dieses Jahres etwa aus dem S&P Index für die 500 nachhaltigen Börsenunternehmen, was Gründer Musk erzürnte.

Inzwischen sind auch Verbraucherschutzorganisationen in Deutschland skeptisch geworden. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) klagt vor dem Berliner Landgericht sogar gegen das Unternehmen. Ein Vorwurf: Die Ökobilanz Teslas ist bei weitem nicht so toll, wie es in der Werbung dargestellt wird. Greenwashing lautet der Fachbegriff dafür. Der VZBV sieht in umweltbezogenen Aussagen wie „CO2-Emissionen 0 g /km“ oder Teslas Mission, „ein beschleunigter Übergang zu nachhaltiger Energie“, sei eine Irreführung der Kund:innen. Denn solche Aussagen würden eine beträchtliche emotionale Werbekraft haben. Das wäre in Ordnung, wenn die Behauptungen zuträfen.

Doch daran zweifelt der VZBV. „Die Realität sieht anders aus“, erklärt der Verband. Was Tesla-Autos an CO2 einsparen würden, dürften dafür andere Hersteller zusätzlich ausstoßen: „Und Tesla verdient daran.“ Denn das Unternehmen verkauft seine Emissionsrechte an Unternehmen, die mehr CO2 ausstoßen als sie kostenlos dürfen. 1,6 Milliarden Euro hat Tesla damit allein im Jahr 2020 verdient. Darüber informiert der Autobauer lediglich in seinem auf Englisch verfassten Umweltverträglichkeitsbericht. Nun wollen die Verbraucherschützer:innen gerichtlich durchsetzen, dass diese Fakten beim Bestellen eines Fahrzeugs deutlich gemacht werden.

Datenschutzverletzungen am laufenden Band

Darüber hinaus wirft der Verband dem US-Unternehmen einen zweifelhaften Umgang mit den hiesigen Datenschutzbestimmungen vor. Dabei geht es um den „Wächter-Modus“ der Fahrzeuge. Ist diese Funktion aktiviert, fangen im Auto installierte Kameras das Geschehen in der Umgebung des Fahrzeugs ein, also womöglich auch Menschen, die sich im Blickfeld der Kameras befinden. Das ist ohne eine Erlaubnis der Betroffenen nicht gestattet. „In bestimmten Fällen werden die Aufnahmen im Fahrzeug gespeichert“, stellt der VZBV fest. Eine rechtskonforme Nutzung der Funktion sei in Deutschland nicht möglich. Mit der Klage will der Verband erreichen, dass die Kund:innen transparent über den Wächter-Modus und seine Haken informiert werden.


Wann die beiden Fälle verhandelt werden, ist noch offen. Tesla hat laut VZBV angekündigt, die Klage zu erwidern. Das Unternehmen selbst hat sich auf eine Anfrage dazu bislang nicht geäußert. Dagegen begrüßt der zuständige Berliner Datenschutzbeauftragte die Klage. „Der Wächter-Modus kann nach unserer Ansicht in der derzeitigen Form grundsätzlich innerhalb der geltenden Datenschutzbestimmungen nicht rechtmäßig betrieben werden“, erläutert ein Sprecher, „soweit die Fahrzeuge im öffentlichen Raum abgestellt sind und

"Über Tesla in der Frankfurter Rundschau"

18.07.2022 14:14
104 Länder zahlen fairere Löhne als Deutschland
Es wird noch 132 Jahre dauern, bis Frauen und Männer die gleichen Gehälter, Chancen und Rechte haben werden, rechnet das Weltwirtschaftsforum vor. Deutschland schneidet vor allem in einer Kategorie besonders schlecht ab. Dazu schreiben ManagerMagazin und Spiegel-Online am 13.7.22:

Der langjährige Trend zu mehr Gleichberechtigung der Geschlechter ist durch die Pandemie ins Stocken geraten. Covid-19 hat die Gleichstellung der Geschlechter um eine Generation zurückgeworfen. Das ist das bittere Fazit des Weltwirtschaftsforums (WEF). 132 Jahre wird es noch dauern, bis Frauen und Männer weltweit die gleichen Chancen, Gehälter und Rechte haben werden, rechnet das WEF in seinem »Global Gender Gap Report« vor.
Der Bericht wird seit 2006 jährlich veröffentlicht, untersucht wird dafür in 146 Ländern, wie es um die Chancen von Frauen und Männern steht im Hinblick auf Gesundheit, Bildung, ökonomische Teilhabe und politische Mitwirkung. Das Ergebnis: Die Coronapandemie hat Frauen weltweit in traditionelle Rollenmuster zurückgedrängt.

Kochen, putzen, Kinder betreuen – die sogenannte Care-Arbeit wurde auch schon vor Corona hauptsächlich von Frauen erledigt. Während der Pandemie waren weltweit Kindergärten und Schulen geschlossen, die Zusatzbelastung blieb vor allem an den Frauen hängen.

Für beide das Gleiche ist eben nicht gerecht

»Die Fortschritte bei der Überwindung der globalen Geschlechterkluft sind zu langsam, um die während der Pandemie aufgelaufenen Verluste wieder aufzuholen«, heißt es in der Studie. Die Geschlechterparität in der Erwerbsbevölkerung ist nun auf dem niedrigsten Stand, der jemals ermittelt wurde. Die Autoren fürchten deshalb, dass Frauen unter den weltweit steigenden Lebenshaltungskosten besonders leiden werden.

Gezielte Maßnahmen, die Frauen dabei unterstützen, zurück ins Berufsleben zu finden und die Förderung von weiblichen Talenten in Zukunftsbranchen seien nun weltweit gefragt, sagt WEF-Geschäftsführerin Saadia Zahidi: »Andernfalls riskieren wir, die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte dauerhaft zu untergraben.«

Wirtschaftliche Teilhabe in Deutschland auf Stand von 2009

Deutschland schafft es im diesjährigen Ranking auf Platz 10, mit dem besten jemals im Ranking erzielten Wert. Aber: In der Kategorie »Wirtschaftliche Teilhabe und Chancen« büßte Deutschland bei allen Indikatoren Punkte ein und liegt nun wieder auf dem Stand von 2009. Untersucht wird hier zum Beispiel, ob gleiche Arbeit bei Männern und Frauen gleich bezahlt wird – und in diesem Punkt schneidet Deutschland besonders schlecht ab. Im weltweiten Vergleich reicht es nur für Platz 105.

Am besten schneidet Deutschland in der Kategorie »Politische Teilhabe« ab, dort gab es auch die größten Verbesserungen seit 2006. Bewertet wird hier unter anderem der Frauenanteil im Deutschen Bundestag und die Anzahl der Ministerinnen.

In der Kategorie »Bildung« attestieren die Autoren der Bundesrepublik, die Gerechtigkeitslücke zu fast 98 Prozent geschlossen zu haben. Zahlreiche andere Staaten kommen hier allerdings auf noch bessere Werte, sodass Deutschland in diesem Feld nur auf Platz 81 des Rankings landet.

In der Kategorie »Gesundheit und Überleben« wird etwa die Lebenserwartung gewertet. Hier gab es in den letzten Jahren in Deutschland kaum Veränderungen. Zu 97 Prozent besteht hier Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern.
Vorbild Island

Auf Platz eins des weltweiten Rankings steht seit Jahren unangefochten Island, das die Lücke zwischen Männern und Frauen mittlerweile zu mehr als 90 Prozent schließen konnte. Danach folgen Finnland, Norwegen und Neuseeland. Vor Deutschland liegen noch Schweden, Ruanda, Nicaragua, Namibia und Irland.

Regional betrachtet ist Nordamerika Vorreiter. Dort wird es noch 59 Jahre dauern, bis Frauen und Männer nach den WEF-Kategorien wirklich gleichberechtigt sind. Auf Platz zwei folgt Europa mit 60 Jahren bis zur Chancengleichheit. Schlusslicht ist Südasien. Dort wird es noch fast 200 Jahre dauern, bis Frauen zu Männern aufschließen können.

08.07.2022 12:36
Wenig Verantwortung in der Lederwaren- & Schuhbranche
Eine gründliche Unternehmensbefragung bestätigt: Die Lederwaren- und Schuhbranche kennt die Risiken ihrer Lieferkette nicht. Und ignoriert sie. Wissentlich?

Bei der Herstellung von Lederwaren, Handtaschen und Schuhen sind die Arbeiter*innen hohen Risiken ausgesetzt. Oft verdienen sie nur einen Hungerlohn und riskieren ihre Gesundheit durch ungeschützten Kontakt zu gefährlichen Chemikalien. Zudem wird die Umwelt häufig dramatisch geschädigt. Berndt Hinzmann (Referent für „Wirtschaft, Menschenrechte, Lieferkette Textilien und Leder“ bei Inkota, berichtete am 24.6.22:

"INKOTA hat gemeinsam mit Südwind Österreich Unternehmen von Görtz über Wortmann bis Zalando zur Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten befragt. Fünf von zehn Unternehmen verweigerten die Auskunft. Dazu zählt auch Wortmann mit der Marke Tamaris.
Maßnahmen zur Beseitigung von Missständen: unzureichend

Zalando, About You, Otto, Görtz und Legero wissen viel zu wenig über die Risiken und Missstände in der globalen Lieferkette von Lederwaren. Das ist das Ergebnis der Befragung. Die bisher ergriffenen Maßnahmen der Einzel- und Onlinehändler zur Beseitigung von Missständen sind unzureichend. Die Einhaltung der Sorgfaltspflichten, wie sie das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz und auch das geplante EU-Lieferkettengesetz erfordern, ist nicht etabliert und die Nachweise reichen nicht aus.

Unternehmensbefragung: Menschenrechtliche Sorgfaltspflicht in der Praxis

Die Studie verdeutlicht: In der Produktgruppe Lederwaren werden Sorgfaltspflichten noch weniger ernst genommen als bei Bekleidung und Textilien. Dabei ist die Produktion von Lederwaren in Ländern wie Indien, Bangladesch und Pakistan hoch riskant. Die Arbeitsbedingungen sind geprägt von der Missachtung von Arbeitsrechten, einem verantwortungslosen Umgang mit Chemikalien und extrem niedrigen Löhnen.

Unternehmen müssen Verantwortung für Menschenrechte übernehmen

Die Arbeitsbedingungen für Arbeiter*innen in der Leder- und Schuhproduktion müssen sich unbedingt verbessern! Der Schlüssel dazu ist Transparenz. Nur wer die Risiken in seiner Lieferkette kennt, kann wirksame Maßnahmen ergreifen. Sorgfaltspflichten müssen von Unternehmen ambitioniert umgesetzt werden - Gewinne dürfen nicht länger auf Kosten von Menschen und der Umwelt gemacht werden. Es ist höchste Zeit, dass Unternehmen, die Schuh oder Lederwaren verkaufen, ihrer Verantwortung gerecht werden. Die Rechte der Menschen, die für sie arbeiten, müssen respektiert und die Umwelt geschützt werden – und Unternehmen müssen öffentlich darüber berichten, wie sie dies sicherstellen. Die Unternehmensbefragung zeigt: Dieser Verantwortung kommen Unternehmen bisher nicht ausreichend nach!

Tamaris/Wortmann verweigert Auskunft – Wir fragen weiter nach: Fair produziert?

Das Unternehmen Wortmann mit der europaweit bekannten Marke Tamaris hält bisher geheim, unter welchen Umständen die beliebten Markenschuhe produziert werden. Trotz ambitioniert klingender Bekenntnisse zum Thema Nachhaltigkeit, schweigt Tamaris/Wortmann darüber, wie das Unternehmen dafür sorgt, dass Arbeiter*innen zu ihren Rechten kommen. Das muss sich ändern!

Der Branchenriese Tamaris muss öffentlich und transparent berichten, wie die Risiken in der gesamten Lieferkette abgestellt werden. Deshalb starten wir die Aktion „Frag nach: Fair produziert?“ und haken bei Tamaris nach, wo und unter welchen Bedingungen Tamaris‘ Schuhe hergestellt werden.

Die Befragung samt Ergebnis kann hier heruntergeladen werden:
"Bericht zur Lederwaren- und Schuhbranche zu den sozialen und ökologischen Risiken"

23.06.2022 14:07
Coca Cola: Milliardengewinne und Menschenrechtsverletzungen
Aktivistinnen und Aktivisten berichten bei einer Diskussion in Frankfurt über die Verletzung von Menschenrechten bei Coca-Cola und weltweiten Partnerfirmen. Die Gewerkschaftsleute fordern mehr internationale Solidarität für ihren Kampf um menschenwürdige Arbeitsbedingungen.

Claus-Jürgen Göpfert berichtet für die Frankfurter Rundschau am 22.6.22: "Manchmal scheint das Publikum den Atem anzuhalten, so still ist es im Saal. Gebannt hören die Menschen die Berichte von Gewerkschaftern, die in Südostasien um die Rechte von Beschäftigten des Weltkonzerns Coca-Cola kämpfen. In Bangladesch wird der Gewerkschaftsvorsitzende von einem Schlägertrupp aus einem Bus geholt und verprügelt. In Indonesien entlässt das Unternehmen unabhängige Gewerkschafter, auf den Philippinen nimmt die Polizei Streikposten fest und wirft sie ins Gefängnis.

Drei Stunden lang bilanzieren Aktivist:innen im Haus am Dom in Frankfurt am Main den „Fall Coca-Cola“ unter dem Titel „Zero Rights? Menschenrechtsverletzungen und transnationale Unternehmen“. Am Ende ist klar, so Susanne Uhl, Leiterin des Hauptstadtbüros der Gewerkschaft NGG: Es werden „grundlegende Menschenrechte nicht eingehalten“.

Lange haben der DGB, die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die Rosa-Luxemburg-Gesellschaft die ungewöhnliche Konferenz vorbereitet. Der Soziologe Klaus Dörre von der Universität Jena nimmt Zusammenkünfte wie diese als „Zeichen der Hoffnung, dass der Funke des Internationalismus noch immer vorhanden ist, an dem sich große Bewegungen für eine Demokratisierung der Arbeitswelt entzünden können.“
Coca-Cola: Recht auf Tarifvertrag bestritten

Dörre bilanziert die Macht internationaler Konzerne. Nur 147 von ihnen kontrollierten 40 Prozent der globalen Unternehmensnetzwerke. Coca-Cola ergreife die Chance, Extraprofite zu generieren, „indem sie ungestraft Menschenrechte verletzen (…) und Gewerkschafter einschüchtern“. Häufig schmälere die Konkurrenz unter Gewerkschaften deren Durchsetzungsfähigkeit. Gegen die Macht von Konzernen wie Coca-Cola fordert der Wissenschaftler einen „neuen Internationalismus“, dessen Mitglieder sich einig sein müssten.

Während sich die Gewerkschafter aus Südostasien per Videokonferenz zuschalten, berichten Betriebsräte aus Europa auf dem Podium über die Lage in ihren Coca-Cola-Filialen. Die Französin Valerie Top, Mitglied im europäischen Betriebsrat, beklagt eine sehr hohe Arbeitsbelastung, viele Fälle von Burnout und immer mehr Leiharbeit. Enrico Somaglia vom europäischen Gewerkschaftsverband EFFAT verweist auf den langen Kampf im wichtigen Werk im irischen Ballina, wo der Cola-Sirup für ganz Europa entsteht. Dort habe der Konzern das Recht auf einen Tarifvertrag bestritten.

Johan Botella, Chef des Gesamtbetriebsrates in Deutschland, fordert, dass der „Atlanta-Prozess“ wieder aufgenommen wird. 2019 hatte Coca-Cola, nachdem es mit Morden an Aktivist:innen in Kolumbien in Verbindung gebracht worden war, regelmäßig Gewerkschafter:innen zu Gesprächen in die Konzern-Zentrale in Atlanta (USA) eingeladen. „Damals standen sie mit dem Rücken zur Wand.“ Doch diese Praxis wurde abgebrochen, nachdem aufseiten des Konzerns ein wichtiger Manager in Ruhestand gegangen war. (...)".

"Der umfassende Bericht in der FR"

"Die Veranstaltung im Video"

28.04.2022 14:59
Der Klima-Fußabdruck der Modebranche: Da ist Handlungsbedarf!!!
Erstmals untersuchte eine Studie die ökologischen Auswirkungen der deutschen Modebranche. Den Großteil der Emissionen verursachen die Unternehmen im Ausland, berichtete Louis Leible-Hammerer für die Frankfurter Rundschau:

„Die deutsche Modewirtschaft kann sich mit der Slowakei messen lassen, was den Ausstoß von Treibhausgasen angeht. 38 Millionen Tonnen an Emissionen verursachte sie im Jahr 2019 – nur unwesentlich mehr als das ostmitteleuropäische Land mit seinen 42 Millionen Tonnen. Zu diesem Ergebnis kommt das Fashion Council Germany (FCG), eine Interessenvertretung für Mode „designed in Germany“, so das Selbstverständnis der Organisation. In einer groß angelegten Studie mit dem Titel „German Fashion Footprint“ hat das FCG erstmals eine Datenbasis zu den ökologischen Auswirkungen der heimischen Bekleidungsbranche geschaffen. Eine zentrale Erkenntnis konstatiert Geschäftsführer Scott Lipinski: „Handlungsbedarf – mit drei Ausrufezeichen“.

Im vergangenen Jahr hatte das FCG bereits eine Analyse der Chancen und Risiken, Stärken und Schwächen der deutschen Modeindustrie veröffentlicht. „In diesem Zuge haben wir festgestellt, dass es an Transparenz entlang der Wertschöpfungskette fehlt und Daten als Diskussionsgrundlage mangeln“, erläutert Scott Lipinski. Und so entschied man, eine weitere Studie in Auftrag zu geben, dieses Mal über Umweltaspekte.

Modebranche: Der Strombedarf im Referenzjahr ist höher als der der Niederlande

Um Verzerrungen durch die Corona-Pandemie zu vermeiden, fiel die Wahl auf das Bezugsjahr 2019. Fünf Umweltdimensionen beleuchtet die Erhebung: Ausstoß von Treibhausgasen, Energieverbrauch, Luftverschmutzung, Wasserverbrauch und die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen. Dabei betrachtet der Bericht sowohl die Tätigkeit von Modemarken und Einzelhandel in Deutschland als auch deren Einkäufe in der weltweiten Lieferkette und Ware, die für den Verkauf in Deutschland importiert wurde.

Durchgeführt hat die Untersuchung die Analysefirma Oxford Economics, beauftragt vom FCG. Das Beratungsunternehmen Studio MM04 hat den Prozess konzeptionell begleitet, finanziell ermöglicht wurde die Studie von der deutschen Bundesregierung.


Einige Zahlen: 535 000 Terajoule an Energie hat der deutsche Modesektor 2019 verbraucht, 410 000 Tonnen Kohlenstoffmonoxid (CO) ausgestoßen, 25 000 Quadratkilometer Agrarflächen für Rohstoffe beansprucht. Der Strombedarf im Referenzjahr ist damit höher als der der Niederlande (510 000 Terajoule), das global freigesetzte Kohlenstoffmonoxid der deutschen Modewirtschaft macht 13 Prozent sämtlicher CO-Emissionen in Deutschland aus – beträchtliche Werte. Ein weiterer plastischer Vergleich: Das für die Herstellung von Schuhen und Bekleidung in Anspruch genommene Land ist nicht viel kleiner als die gesamte Fläche Belgiens.

Für Anne Neumann, Referentin für Wirtschaft und Menschenrechte, Textil und Leder bei der entwicklungspolitischen Organisation Inkota, ist die Existenz der Studie ein gutes Zeichen: „Es ist schon eine Errungenschaft, dass ein Lobbyverband solch einen Report herausgibt und sich mit dem globalen Wirken seiner Branche auseinandersetzt.“ Auch methodisch sei er durchdacht. Unglücklich ist aus ihrer Sicht jedoch, dass einzig Umweltaspekte systematisch in Augenschein genommen werden. „Soziale Belange und Menschenrechte spielen in dem Bericht kaum eine Rolle, das ist eine vertane Chance.“

Modebranche: Arbeit unter „miserablen Bedingungen“

Genau diese sozialen Belange sind aber entscheidend. Besonders eklatant ist das Bild bei der Treibhausgasbilanz. Blickt man auf die Zahlen, fällt auf, wie ungleich die Emissionen weltweit verteilt sind. Nur knapp acht Millionen Tonnen CO2-äquivalente Emissionen hat die Modebranche in Deutschland verursacht. Über 30 Millionen Tonnen hingegen wurden durch Einkäufe und Offshore-Produktion im Ausland ausgestoßen. Produziert wird also für den deutschen Markt, mit den negativen Auswirkungen – verschmutzter Umwelt, beeinträchtigter Gesundheit und Lebensqualität – haben aber mehrheitlich Menschen zu kämpfen, die in Ländern des Globalen Südens wie China, Bangladesch und Indien leben. „Eine doppelte Ungerechtigkeit“, bezeichnet Anne Neumann von Inkota diese Praxis: „Die Arbeiter:innen sind von oftmals miserablen Arbeitsbedingungen betroffen, und zusätzlich können sie in ihrer prekären Lage auch keine Resilienz gegenüber Schäden aufbauen.“

Die Herstellung nach Deutschland zurückzuverlagern, kann aber nicht die Lösung sein, hängen doch Arbeitsplätze und damit Existenzen an der Produktion im Ausland. Reshoring, so der Fachausdruck, gehe mit einer sozialen Verantwortung einher, betont Scott Lipinski: „Es ist eine Gratwanderung.“ Die Menschenrechtsexpertin Anne Neumann geht noch weiter: „Reshoring ist sehr kritisch zu sehen. Helfen würden würdigere Arbeitsbedingungen vor Ort. Zum Beispiel, indem Gewerkschaften gestärkt werden und Beschwerdesysteme geschaffen werden, die Arbeiter:innen ermächtigen, Verstöße selbst zu melden.“ Auch Lipinski fordert „mehr Fairness in der Herstellung“ – und ist zuversichtlich: „Heute herrscht in der Branche ein anderes Verständnis von Nachhaltigkeit als noch vor zehn Jahren.“

Modebranche: Bald auch eine Studie zu Sozialstandards?

Wie soll es nun weitergehen? Das FCG will die Entwicklung neuer Ideen und Konzepte für mehr Umweltschutz fördern, indem es Gespräche, Konferenzen und Workshops mit allen relevanten Interessengruppen organisiert.

Wenn es nach Scott Lipinski geht, ist der „German Fashion Footprint“ nur der Anfang – eine erste Grundlage, um weitere Statistiken zu erheben und zu überprüfen, wie sich das Umweltverhalten der deutschen Modebranche über Zeit verändert. Und ein Ausgangspunkt, um künftig auch die Einhaltung von Sozialstandards unter die Lupe zu nehmen – das sei jedenfalls das Ziel“.

Erläuterung
Der LOBBYVERBAND: Den Modestandort Deutschland im globalen Wettbewerb stärken – das ist das erklärte Ziel des Fashion Council Germany (FCG). Vor Augen hat es eine „visionäre, technologische & nachhaltige Zukunft“ der Branche.

Die Organisation engagiert sich für deutsches Modedesign als Kultur- und Wirtschaftsgut, fördert junge Designerinnen und Designer aus der Bundesrepublik und leistet Lobbyarbeit in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Kultur. Interdisziplinäre Dialogförderung gehört ebenso zu den Aufgaben des FCG wie Netzwerken.

Annähernd 200 Fashionunternehmen, Einzelhändler und auch Verlagshäuser und Agenturen sind in dem Verein organisiert, darunter kleinere Labels, aber auch große und bekannte Konzerne wie H&M, Otto oder Hubert Burda Media.

12.04.2022 14:23
Edeka nutzt Ferrero-Rückruf für eigene Schokolade – und kassiert Kritik
Denn viele Kunden finden das „geschmacklos“. Der große Rückruf vieler beliebter Ferrero-Produkte sorgt aktuell in Supermärkten für überraschend leere Süßigkeitenregale. Salmonellen-Gefahr in mehreren „Kinder“-Produkten des Süßwarenherstellers Ferrero, die in einem Werk in Arlon in Belgien produziert wurden, sind der Grund dafür.

Auch wenn Kinderriegel und Kinderschokolade vom Ferrero-Rückruf nicht betroffen sind, hat es gerade vor Ostern mit Überraschungseiern und Schokobons einige sehr beliebte Produkte erwischt. Mehr als 20 Artikel hat Ferrero daher unter anderem bei Rewe, Kaufland, Aldi und vielen anderen deutschen Supermärkten zurückgerufen. Auch Edeka und die Edeka-Tochter Netto sind von dem Ferrero-Rückruf betroffen. Trotzdem nutzt die Supermarktkette nun den Ferrero-Rückruf, um Werbung in eigener Sache zu machen. Edeka sorgt damit für einen Social-Media-Hit, muss aber auch Kritik einstecken.
Edeka macht sich über Ferrero lustig – „garantiert ohne Überraschung“

Denn während Überraschungseier, Schokobons und noch einige andere Ferrero-Produkte jetzt aus den Regalen verschwunden sind, wirbt Edeka gleichzeitig für die ähnlichen Produkte ihrer Eigenmarke „Gut & Günstig“. Am Samstag (9. April) postete der Supermarkt auf seiner Facebookseite ein Bild der Schokoladen-Bonbons von „Gut & Günstig“, quasi das Eigenmarken-Pendant zu den „Kinder“-Schokobons von Ferrero.

Über dem Bild steht der Schriftzug: „Garantiert ohne Überraschung“. Damit spielt Edeka gezielt auf die Salmonellen-Gefahr in der aktuellen Charge der Ferrero-Produkte, wie „Kinder Überraschung“ an. „Unsere Schokolade ist bedenkenlos lecker und wunderbar günstig“, heißt es zusätzlich im Posting.
Edeka-Werbung nach Ferrero-Rückruf – Kunden finden das „geschmacklos“

Mit inzwischen mehr als 3500 Likes und über 500 Kommentaren hat das Posting auf jeden Fall für Aufsehen gesorgt. „Genial“, loben mehrere Userinnen und User den Werbe-Coup von Edeka. Durchweg positiv ist das Feedback aber bei weitem nicht. „So etwas kann immer mal passieren! Aber darauf jetzt so einen Werbeslogan setzen, geht gar nicht“, kritisiert eine Userin. Andere Nutzer sehen die Aktion ebenfalls kritisch, nennen die Werbung sogar „geschmacklos“. Ein User schreibt: „Ihr tut ja so, als ob bei euch noch nichts zurückgerufen wurde.“

Auch der Discounter Netto, eine Edeka-Tochter, schlägt in die gleiche Kerbe. Netto nutzt seit Samstag ebenfalls aktiv den Ferrero-Skandal, um Schoko-Produkte der Eigenmarke, speziell für Ostern, zu bewerben. Mit dem Slogan „Ohne böse Überraschung, Kinder!“, wirbt Netto unter anderem für Schoko-Osterhasen und gefüllte Schokoeier.
Ferrero-Rückruf: Viele beliebte „Kinder“-Produkte betroffen

Der Ferrero-Skandal hat in den vergangenen Tagen derweil immer größere Ausmaße angenommen. Inzwischen wurde das betroffene Werk in Belgien geschlossen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Es wurde bekannt, dass der erste Salmonellen-Fund bereits am 15. Dezember 2021 gemacht wurde. Dass Ferrero erst rund vier Monate später an die Öffentlichkeit ging, sorgte für heftige Kritik von Verbraucherzentralen. Der Rückruf von Ferrero-Produkten wurde in den letzten Tagen sogar ausgeweitet. Inzwischen sind mehr als 20 Artikel betroffen.

05.04.2022 15:21
Schlusslicht Edeka - Nichts übrig für Menschenrechte
Ausbeutung ist für die deutschen Lebensmittelhändler nach wie vor ein Geschäftsmodell - zu diesem Ergebnis kommt der Supermarkt-Check 2022 der Entwicklungsorganisation Oxfam. Lidl, Aldi und Rewe haben sich in ihrem Engagement für Menschenrechte zwar verbessert. Bitter aber ist der Befund für Edeka. Die Frankfurter Rundschau berichtet heute darüber:

"Edeka bleibt das Schlusslicht unter den deutschen Handelsketten - jedenfalls in Sachen Menschenrechte. Das zumindest attestiert der Supermarkt-Check 2022 der Entwicklungsorganisation Oxfam dem Lebensmittelhändler, dessen Name Edeka ursprünglich für „Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler“ stand. „Edeka nimmt die Ausbeutung in seiner Lieferkette weiter in Kauf“, lautet das Fazit der aktuellen Oxfam-Studie.

Rewe, Lidl sowie Aldi Nord und Süd hingegen haben in ihrer Menschenrechtspraxis deutliche Fortschritte gemacht, liegen damit nun sogar im internationalen Vergleich mit Unternehmen aus Großbritannien und den Niederlanden auf den vorderen Rängen. Als Oxfam 2018 den ersten Check präsentierte, zählten die deutschen Händler noch zu den Schlusslichtern.

Seither analysiert Oxfam jährlich die Menschenrechtspolitik der Lebensmittelketten, bewertet Transparenz, die Achtung der Rechte der Arbeitnehmer:innen von Lieferanten, die Handelsbeziehungen mit Kleinproduzent:innen und die Geschlechtergerechtigkeit. Basis sind die Nachhaltigkeitsberichte und die Websites der Supermärkte.

Seit dem ersten Check 2018 hat Lidl sich dabei von fünf auf 59 Prozent der möglichen Punkte gesteigert, Aldi legte von ein auf 49 Prozent zu, Rewe schaffte einen Sprung von ein auf 48 Prozent. Die zusätzlichen Punkte erzielten die Handelsketten laut Oxfam vor allem durch Fortschritte bei der Transparenz. So legt Lidl mittlerweile alle Lieferanten für Bananen, Erdbeeren und Tee offen. Aldi, Rewe und Lidl veröffentlichten zudem neue Leitlinien zur Geschlechtergerechtigkeit.

Darüber hinaus engagieren sich die drei Unternehmen in Pilotprojekten für existenzsichernde Löhne. Konkret geht es um den Bananenanbau in Ecuador. Die Supermärkte verpflichten sich dabei, Kosten, die durch höhere Löhne entstehen, selbst zu übernehmen und nicht auf ihre Lieferanten abzuwälzen.

Dennoch gibt es laut Oxfam in der Preispolitik auf breiter Front zu wenig Bewegung. „Die Supermärkte üben weiterhin Preisdruck auf ihre Lieferanten aus und tragen somit zu niedrigen Löhnen in den Lieferketten bei“, so das Urteil der NGO. Dabei hätten die Märkte in der Pandemie Rekordumsätze verbucht. „Geld für eine andere Preispolitik ist genug da, doch am grundsätzlichen Geschäftsmodell der Supermärkte hat sich nichts geändert, es steht weiterhin für Ausbeutung“, sagt Tim Zahn, Oxfam-Experte für Wirtschaft und Menschenrechte.

Am deutlichsten wird das am Beispiel von Edeka, das nur elf Prozent der möglichen Punkte erreicht und sich laut Oxfam weiter hin weigert, ernsthaft Verantwortung für die Lieferkette zu übernehmen. „Für einen ganzen Tag Arbeit erhalten Beschäftigte in Costa Rica bei einem Ananas-Zulieferer von Edeka beispielsweise nur 4,50 Euro – ein Lohn weit unter dem Existenzminimum“, sagt Zahn.

Edeka erklärte auf FR-Anfrage, der Schutz von Arbeits- und Menschenrechten in den Lieferketten habe für das Unternehmen eine „sehr hohe Priorität“. Die von Oxfam erhobenen Vorwürfe weise Edeka entschieden zurück. Vor einer detaillierten Stellungnahme wolle man die Ergebnisse des Checks zunächst aber gründlich prüfen.

Für Oxfam zeigt das Beispiel von Edeka, dass freiwilliges Engagement nicht genüge. Die Bundesregierung müsse deshalb das deutsche Sorgfaltspflichtengesetz ambitioniert umsetzen und dafür sorgen, dass ein künftiges EU-weites Lieferkettengesetz die Lücken in der deutschen Regulierung schließe, fordert die NGO".

"Der Supermarkt-Check 2022"

17.03.2022 12:09
Aus dem Textilbündnis nach 7 Jahren ausgetreten: Die Kampage für Saubere Kleidung
Nach mehr als sieben Jahren der Mitgliedschaft im Bündnis für nachhaltige Textilien (Textilbündnis) hat die Kampagne für Saubere Kleidung Deutschland e.V. (Clean Clothes Campaign Germany) gestern ihren Austritt erklärt. Die ernüchternde Bilanz: Das Bündnis kann keine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den globalen Bekleidungslieferketten nachweisen. Genau mit diesem Versprechen war das Textilbündnis 2014 angetreten. Die Kampagne für Saubere Kleidung sieht daher keine Rechtfertigung mehr, das Bündnis durch ihre Mitgliedschaft weiter zu legitimieren.

Keine Wirkung beim Kernthema existenzsichernder Löhne

Besonders beim Kernthema der Kampagne, den viel zu niedrigen Löhnen, verweigerte sich der Großteil der Mitgliedsunternehmen jeglichem Engagement. Die Kampagne für Saubere Kleidung fordert von den Marken- und Einzelhandelsunternehmen andere Einkaufspraktiken: Sie sollen ihren Lieferanten höhere Preise zahlen, um existenzsichernde Löhne für die Beschäftigten in ihren globalen Lieferketten sicherzustellen. Das Textilbündnis widmet sich seit Jahren diesem Thema – ohne messbare Ergebnisse.

So konnte eine im Bündnis durchgeführte Wirkungsmessung zu diesem Thema keine aussagekräftigen Ergebnisse liefern, da sich nicht genügend Mitgliedsunternehmen beteiligten. Zudem belegen Recherchen der internationalen Clean Clothes Campaign, dass in der COVID-19-Pandemie Arbeiter*innen, die für Mitgliedsunternehmen, wie beispielsweise Adidas, produzieren, Lohnzahlungen vorenthalten wurden und sie ausstehende Abfindungen nicht erhielten (1).

Es fehlt die notwendige Verbindlichkeit im Textilbündnis. An einer Bündnis-Initiative zu Löhnen beteiligten sich nur 13 von 70 Mitgliedsunternehmen. Aldi Nord verließ die Initiative kurz nach dem Start, als sich erste Anforderungen für das Unternehmen ergaben. Dies blieb völlig folgenlos, obwohl Aldi Nord vorher schriftlich eine Vereinbarung eingegangen war. „Löhne, von denen Arbeitende sich und ihre Familien ernähren können, sind ein Menschenrecht, das weltweit gilt. Doch zu viele Mitgliedsunternehmen nutzen jede erdenkliche Ausrede, um sich aus der Verantwortung zu stehlen“, sagt Waltraud Waidelich, Vorstandsmitglied der Kampagne für Saubere Kleidung Deutschland.

Unternehmensverbände bremsen

Obwohl es an Verbindlichkeit mangelt und kaum vorzeigbare Fortschritte erkennbar sind, drängen die beteiligten Unternehmensverbände jetzt darauf, die Anforderungen für eine Mitgliedschaft noch weiter zu verwässern. So fordern sie, den für alle Mitgliedsunternehmen regelmäßig stattfindenden Überprüfungsprozess nur noch freiwillig durchführen zu lassen. Schon jetzt fehlt dem Bündnis die Autorität, diese Mitgliedspflicht bei großen Unternehmen durchzusetzen. „Seit einem Jahr verschleppen mehrere große Unternehmen im Textilbündnis, wie etwa H&M, diesen Prozess und entziehen sich damit selbst ihrer einzigen Verpflichtung“, kritisiert Isabell Ullrich, Koordinatorin der Kampagne für Saubere Kleidung.

„Uns fehlt das Vertrauen in ein Bündnis, bei dem die Unternehmenslobby kontinuierlich bremst, während sich die Lebenssituation der Menschen in den Lieferketten gerade in der Corona-Pandemie nochmal dramatisch verschlechtert hat. So ist kein Fortschritt im Bündnis möglich. Nach nun mehr als sieben Jahren sind wir daher zu dem Schluss gekommen, eine Mitarbeit in dieser Konstellation nicht mehr mittragen zu können“, resümiert Isabell Ullrich. Stattdessen konzentriert sich die Kampagne für Saubere Kleidung nun auf Kampagnenarbeit zu verbindlichen unternehmerischen Sorgfaltspflichten (Lieferkettengesetze), existenzsichernden Löhnen, sozialer Absicherung und Arbeitsrechten der Arbeiter*innen.

Siehe dazu: (1) Bericht der Clean Clothes Campaign-Mitgliedsorganisation Public Eye hierzu: https://www.publiceye.ch/de/themen/mode/109-millionen-dollar-lohndiebstahl-modefirmen-lassen-textilarbeiterinnen-in-der-pandemie-im-stich

16.03.2022 10:38
Kontraproduktives Vorgehen im Umgang mit Demokratie- und Fairness-Feinden
VW-Vorstandschef Herbert Diess erwartet keine ernsten politischen Probleme in China, das Russland im Ukraine-Krieg stützt: „China ist sehr daran interessiert, die Grenzen offenzuhalten.“ Gefragt nach Geschäften mit autoritären Staaten, verwies der VW-Chef auf die vergleichsweise geringe Zahl demokratischer Länder: „Wenn wir uns auf etablierte Demokratien beschränken würden, gäbe es kein existenzfähiges Geschäftsmodell für die Autoindustrie.“

Der letzte Satz macht sehr nachdenklich. Wie verdienen wir unseren Wohlstand? Was richten wir dabei für Schäden an - auch in Bezug auf Demokratie und Demokratieentwicklung? Etablieren wir so diejenigen und dasjenige, was Demokratie und demokratische Staaten zermürbt? Das ist etwa so, wenn für Fairness im Business Engagierte zugleich unfaire Akteure stützen und ermuntern. Gibt's leider tatsächlich auch.

22.02.2022 08:12
Die peinlichen deutschen Unternehmen in Mexiko - Lieferkettengesetz light
Patricia Juan Pineda arbeitet bei der Schlichtungsstelle für Arbeits- und Menschenrechte (Litigio Estrategico en Derechos Humanos Laborales, LEDHL) in Mexiko. Für das gewerkschaftliche Zentrum Cilas (Centro de Investigacion Laboral y Asesoria Sindical, Mexiko-Stadt) reiste sie durch Deutschland. Die Reise erfolgte auf Einladung des Internationalen Gewerkschaftlichen Arbeitskreises Köln (IGAKK e.V.).

Sie antwortet auf Fragen von Steffen Herrmann und Tobias Schwab für die FR. Hier Auszüge. Das ganze Interview unter:
"Weckruf für Lieferketten"


In Mexiko sind viele deutsche Zulieferer und Autobauer aktiv. Welchen Ruf haben die deutschen Unternehmen unter den Arbeiterinnen und Arbeitern?

Sie haben tolle Produkte, aber behandeln ihre Arbeiter schlecht. Die deutschen Arbeitgeber haben ein schlechtes Image.

Schlechter als Unternehmen aus anderen Ländern?

Nicht unbedingt, aber wir wissen schon: Es gibt an Standorten deutscher Unternehmen in Mexiko schlechte Arbeitsbedingungen und schlechte Löhne. Auch die Deutschen setzen auf Schutzgewerkschaften, und wenn man sie dafür öffentlich angreift, sagen sie: Das ist völlig legal, das dürfen wir. Zum Beispiel BMW: In San Luis Potosi hat BMW 2014 einen neuen Standort aufgebaut. Und noch bevor die Halle errichtet war, hatte BMW schon einen Schutzvertrag unterzeichnet. Es gab noch keinen einzigen Arbeiter, aber die Schutzgewerkschaft gab es schon. Dagegen haben wir uns beschwert, aber das hat niemanden interessiert.

Und in der Pandemie: Sind die deutschen Unternehmen ihrer Fürsorgepflicht nachgekommen? Gab es Impfprogramme?

Dort, wo unabhängige Gewerkschaften aktiv sind, haben wir versucht, Impfprogramme auf die Beine zu stellen. Aber in den allermeisten Werken ist die Pandemie einfach durchgerollt. Wer infiziert war, hat einen zweiten Mundschutz bekommen und musste weiterarbeiten.

Auch das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist ein Thema für Sie. Werden die Unternehmen in Mexiko nervös, weil sie sehen, dass neue Anforderungen und Berichtspflichten auf sie zu kommen?

Wir haben uns das Lieferkettengesetz aus gewerkschaftlicher Sicht angeschaut und wir haben einige Schwachstellen gefunden. Zum Beispiel: Die Unternehmen sollen Beschwerdestellen schaffen, aber sie kontrollieren dann auch, was mit den Eingaben geschieht. Uns ist wichtig, dass die Kontrolle nicht alleine den Firmen obliegt, sondern dass Mechanismen geschaffen werden, die es den Gewerkschaften ermöglichen, zu überprüfen, ob die Beschwerden tatsächlich verfolgt werden. Wenn die Unternehmen sich bereiterklären, die Menschenrechte zu respektieren: Warum möchten sie dann die Hand auf dem Beschwerdemechanismus haben? Offensichtlich werden innerhalb vieler Unternehmen mit Standorten in Mexiko und Deutschland Informationen nicht weitergereicht. Deshalb ist ein direkter Draht zwischen den Beschäftigten in Mexiko und Deutschland so wichtig. Das Lieferkettengesetz ist sehr wichtig, aber wenn gewerkschaftliche Mechanismen fehlen, die Druck aufbauen, dann ist es nur ein weiteres schönes Gesetz.

Sie misstrauen Beschwerdemechanismen?

Beschwerden wirft man in der Regel in den Briefkasten des Unternehmens. Da weiß jeder Arbeiter in Mexiko: Wenn ich das mache, riskiere ich meinen Job, meine Gesundheit und die Gesundheit meiner Familie. Das heißt, so einen Unternehmens-Mechanismus würde niemand nutzen. Es gibt außerdem keine vorgesehenen Fristen für die Behandlung der Beschwerden. Wenn also das Unternehmen nicht reagiert, gibt es einen Klageweg in Deutschland – aber das dauert und ist teuer. Langsame Justiz ist in diesem Fall überhaupt keine Justiz. Zum Vergleich: Beim USMCA-Abkommen waren gerade die kurzen Fristen für uns überlebenswichtig.

09.02.2022 08:54
Mehr als 100 Unternehmen fordern Haftungsregel im Lieferkettengesetz
EU-Lieferkettengesetz: Kommission kündigt Entwurf für Februar an und – mehr als 100 Unternehmen fordern Haftungsregel

Das EU-Vorhaben, Unternehmen in ganz Europa zu Menschenrechts- und Umweltstandards in ihren Lieferketten zu verpflichten, findet Unterstützung von Wirtschaftsseite: Mehr als 100 Unternehmen und Investoren haben sich heute für ein EU-Lieferkettengesetz ausgesprochen. Die EU-Kommission hatte das Vorhaben im letzten Jahr mehrfach verschoben, nun steht es für ihre Sitzung am 23. Februar auf der Tagesordnung.

Zivilgesellschaftliche Organisationen in zahlreichen EU-Staaten fordern ein wirksames Gesetz, das die Situation von Betroffenen verbessert.

„Ohne klare Regeln kümmern sich Unternehmen viel zu selten um Menschenrechte und Umweltstandards in ihren Lieferketten – mit fatalen Folgen. Viele Länder haben deswegen mit nationalen Gesetzen vorgelegt. Die EU hat nun eine historische Chance, in ganz Europa klare Spielregeln zum Schutz der Betroffenen zu schaffen“, kommentiert Johanna Kusch, Sprecherin der Initiative Lieferkettengesetz.

In einer heute vom Business and Human Rights Resource Centre veröffentlichten Stellungnahme sprechen sich mehr als 100 deutsche und europäische Unternehmen und Investoren für ein EU-Lieferkettengesetz aus. Erstmals fordern sie darin auch die Einführung einer Haftungsregel, die es Betroffenen ermöglichen würde, Schadensersatz zu erhalten. In der Liste der Unterzeichner finden sich bekannte Namen wie Hapag-Lloyd, Ikea und Danone.

„Viele Unternehmen unterstützen ein EU-Lieferkettengesetz und sind der Ansicht, dass menschenrechtliche Sorgfalt in den Lieferketten dazugehört“, erläutert Friedel Hütz-Adams, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei SÜDWIND e.V. „Daher befürworten so viele Unternehmen auch eine zivilrechtliche Haftung: Sie benötigen ein Level Playing Field und das Wissen, dass auch ihre Wettbewerber handeln müssen.“

Die EU-Kommission hatte den ursprünglich für Juni 2021 geplanten Entwurf für ein EU-Lieferkettengesetz im vergangenen Jahr mehrfach verschoben. Europäische Wirtschaftsverbände betreiben massive Lobbyarbeit gegen wichtige Teile des Vorhabens, darunter aus Deutschland insbesondere der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI), die Mittelstands- und Wirtschaftsunion sowie der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Das zeigt ein heute veröffentlichtes Briefing von Misereor und dem Global Policy Forum.

„Im Gegensatz zu vielen aufgeschlossenen Unternehmen setzen deutsche Wirtschaftsverbände alles daran, ein wirksames EU-Lieferkettengesetz zu verhindern. Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag zu einem solchen Gesetz bekannt und muss jetzt liefern“, fordert Armin Paasch von Misereor.

In Deutschland setzt sich die „Initiative Lieferkettengesetz“ für eine EU-Regelung ein, da das deutsche Lieferkettengesetz nicht weitreichend genug sei: Ohne zivilrechtliche Haftungsregelung bewirke es zu wenig für die Betroffenen. Zudem leiste es einen zu kleinen Beitrag zum Klima- und Umweltschutz, gelte für zu wenige Unternehmen und mache zu viele Ausnahmen bei den Sorgfaltspflichten. Die Initiative fordert daher von der Bundesregierung, sich aktiv auf EU-Ebene für eine weiterreichende Regulierung einzusetzen.

„Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag vereinbart, sich für ein wirksames EU-Lieferkettengesetz einzusetzen. Für uns ist klar: ‚Wirksam‘ ist eine solche Regelung nur, wenn sie Unternehmen für Verfehlungen haftbar macht – und endlich unterbindet, dass Konzerne die Klimakrise und das Artensterben befeuern“, betont Ceren Yildiz, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).

Der BUND gehört ebenso wie Südwind e.V. und Misereor zu den 130 Menschenrechts-, Entwicklungs- und Umweltorganisationen, Gewerkschaften und kirchlichen Akteuren, die sich zur Initiative Lieferkettengesetz zusammengeschlossen haben.

Kontakt:
Initiative Lieferkettengesetz: Johannes Heeg, Sprecher, Tel.: 0151-10611346, E-Mail: [email protected]
BUND: Sigrid Wolff, Pressesprecherin, Tel.: 030-27586497, E-Mail: [email protected]
Misereor: Barbara Wiegard, Pressesprecherin, Tel.: 030-44351988, E-Mail: [email protected]
SÜDWIND: Friedel Hütz-Adams, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Tel.: 0160-99404467, E-Mail: [email protected]

Die Initiative Lieferkettengesetz wird getragen von:
Arbeitsgemeinschaft der Eine Welt-Landesnetzwerke in Deutschland e.V. (agl), Brot für die Welt, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND), Christliche Initiative Romero e.V. (CIR), CorA-Netzwerk für Unternehmensverantwortung, Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB), European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), FEMNET e.V., Forum Fairer Handel e.V., Germanwatch e.V., Greenpeace e.V., INKOTA-netzwerk e.V., Bischöfliches Hilfswerk MISEREOR e. V., Oxfam Deutschland e.V., SÜDWIND e.V., ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, WEED – Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung e.V., Weltladen-Dachverband e.V., Werkstatt Ökonomie e.V.

Weitere 110 Organisationen unterstützen die Initiative Lieferkettengesetz.

01.02.2022 12:33
Nachhaltigkeit ist oft für die Show und PR - eine nachhaltige Nachhaltigkeit fehlt den Unternehmen überwiegend
Nur jedes vierte Unternehmen hat klar kommunizierte Nachhaltigkeitsstrategie, obwohl sich Arbeitnehmer und Vorstände in der Bewertung der Dringlichkeit einig sind

? Lediglich 15% der Vorstände setzen für zusätzliche Wertschöpfung auf Nachhaltigkeit

? Deutscher Führungsnachwuchs hat weniger Erfahrung bei Nachhaltigkeitsthemen als internationale Konkurrenz

Der Klimawandel bleibt vielfach noch ohne echte Konsequenz für die Geschäftsmodelle deutscher Unternehmen: Trotz Pandemie und jüngster Umweltkatastrophen sieht der überwiegende Teil der deutschen Vorstände und Führungskräfte Nachhaltigkeit immer noch vorrangig als Reputationsrisiko an, das es zu managen gilt, nicht aber als Hebel zur Wertschöpfung, der Unternehmen neue Möglichkeiten eröffnet, profitabel zu wachsen. Das geht aus einer internationalen Umfrage der Personalberatung Russell Reynolds Associates hervor.

46% der befragten deutschen Vorstände geben an, dass Nachhaltigkeitsmaßnahmen aus Marketingerwägungen getroffen werden. Damit ist das Ziel verbunden, als gesellschaftlich verantwortlich angesehen zu werden und sich über ein Nachhaltigkeitsimage vom Wettbewerb abzusetzen. Nur 15% sagen, dass zusätzliche Wertschöpfung die treibende Kraft ihrer Nachhaltigkeitsstrategie ist.

Die Studie belegt, dass lediglich jeder vierte befragte Vorstand in Deutschland selbst der Auffassung ist, dass sein Unternehmen über eine Nachhaltigkeitsstrategie verfügt, die klar kommuniziert und umgesetzt wird. Und weniger als jeder Dritte (31%) ist der Meinung, dass sich ihr CEO persönlich für die Förderung der Nachhaltigkeit einsetzt.

Im internationalen Vergleich fällt zudem auf, dass in Deutschland gerade jüngere Führungskräfte vergleichsweise wenig mit Nachhaltigkeitsthemen beschäftigt sind. So hatten in den vergangenen drei Jahren nur 26% der deutschen Nachwuchsführungskräfte drei oder mehr Aufgaben mit Nachhaltigkeitsbezug – gegenüber 40% ihrer Altersgruppe im weltweiten Vergleich.

„Fast alle Führungskräfte, mit denen wir sprachen, wollen zum Aufbau einer besseren Welt beitragen. Doch während sie sich verpflichten, ihre Betriebe und Produkte umweltfreundlicher zu machen, wissen viele nicht, wie sie ihren guten Willen in konkrete und nicht nur für das Image wirksame Maßnahmen umsetzen sollen,” sagt Max von der Planitz, Berater bei Russell Reynolds Associates. „Den Umbau zu nachhaltigem Wirtschaften, das lässt sich aus unserer Studie ableiten, sehen gerade Führungskräfte in Deutschland als eine der größten Aufgaben der nächsten zehn Jahre, auf die sich aber viele nicht ausreichend vorbereitet fühlen. Schliesslich muss für diesen Umbau häufig nicht weniger als ein neues Geschäftsmodell entwickelt werden - mit dem entsprechenden Risiko.“

Dabei stimmen Management und Arbeitnehmer in Deutschland laut der Studie im Vergleich zum Ausland auffällig stark darin überein, dass Klimawandel und Umweltzerstörung die größten Bedrohungen für die Gesellschaft darstellen. Einigkeit herrscht auch in der Einschätzung, dass Pandemie und Fachkräftemangel die wichtigsten den Arbeitsplatz betreffenden Themen sind.

„Es erscheint auf den ersten Blick paradox: In den elf von uns untersuchten Märkten sind sich deutsche Arbeitnehmer und Vorstände am ehesten einig über die kritischen Themen, was eigentlich die Anpassung der Geschäftsmodelle erleichtern sollte“, sagt Max von der Planitz. „Das Geschäftsmodell Nachhaltigkeit ist heute unumgänglich. Wer Nachhaltigkeit mit guter Begründung zum Topthema macht, setzt auf Themen, die deutschen Belegschaften, aber auch zunehmend den Investoren am Herzen liegen.“

Für die Studie hatte die Personalberatung 9.500 Vorstände, Nachwuchsführungskräfte sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in elf Ländern (Kanada, USA, UK, Frankreich, Spanien, Deutschland, Australien, China, Brasilien, Indien und Mexiko) befragt und auf diese Weise ermittelt, welche Einschätzungen zur Bedeutung, zum Reifegrad und der Umsetzungsfähigkeit von Nachhaltigkeitsstrategien vorherrschen. In Deutschland wurden 658 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Nachwuchsführungskräfte sowie 89 Vorstände befragt.

"Die Studie zum Runterladen"

14.12.2021 09:09
Foodwatch vergibt Windbeutel an Rewe wegen Fleischlüge
Rewe erhält den Negativpreis »Goldener Windbeutel«. Damit zeichnet die Organisation Foodwatch seit 2009 Produkte aus, die aus Sicht der Verbraucherschützer ihre Werbeversprechen nicht einlösen. Der Handelskonzern wird mit dem »Windbeutel« für ein Hähnchenbrustfilet der Eigenmarke Wilhelm Brandenburg gerügt, das als »klimaneutral« angepriesen wird: »Die Werbung erwecke den Eindruck, dass sich die Produktion des Hähnchens nicht schädlich auf das Klima auswirke«, schreibt Foodwatch in seiner Erklärung des Preises. Tatsächlich aber werde es »weder emissionsfrei hergestellt« noch würde der bei der Produktion anfallende CO2-Ausstoß ausgeglichen.

Fleisch sei grundsätzlich nicht klimaneutral, so Foodwatch, da drei Viertel aller Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft auf die Tierhaltung entfielen. Rewe beruft sich darauf, dass die entstehenden Emissionen durch die Unterstützung eines Waldprojekts in Peru ausgeglichen würden. Nach Recherchen von Foodwatch erfüllt das Projekt in Tambopata aber die Bedingungen dafür nicht. In den Wochen vor der Preisvergabe hatte sich Climate Partner, die Firma, über die die Projektförderung von Tambopata läuft, bereits mit eigenen Recherchen gegen die Vorwürfe zur Wehr gesetzt. Foodwatch bleibt bei seiner Darstellung.
"Foodwatch mit Rewe-Kritik"

20.11.2021 08:44
Versprechen zu Klimaschutz und Fairness oft nur heiße Luft
Das kennen wir auch seitens der Fairness-Stiftung. Flink sind Bekenntnisse zur Fairness geäußert, schnell sind Fairness-Ansprüche auf Website und von Unternehmen – zumal in der Werbung – behauptet. Doch wenn man genauer hinschaut und prüft, bleibt vom Fairness-Bekenntnis nicht viel übrig. Greenwashing und Fairness-Washing wohin man schaut.
"Welche Firmen und Marken Fairness-Qualität erreichen"

Oft, zu oft haben wir erlebt, dass bei Jubiläen und Festvorträgen gern das Bekenntnis zur Fairness vorgetragen wurde, die Fairness im Führungsalltag für sehr wichtig gehalten wurde, um dann im Nachhinein nicht an der Verbesserung der Fairness-Qualität zu arbeiten, vor allen Dingen, kein Geld dafür auszugeben.

Das mussten auch die Forscher der Universität Linz (Österreich) erfahren und staunten über ihre Forschungsergebnisse nicht schlecht. Zwar geht es hier um den Klimaschutz, doch die Diskrepanz ist hier ähnlich. Alle bekennen sich zum Klimaschutz, doch nur wenige sind bereit, dafür tatsächlich einzustehen. So berichtet Verena Kern in der Frankfurter Rundschau am 20.11.:

>>Was würden Sie tun, wenn Sie fünf Euro geschenkt bekämen? Würden Sie das Geld behalten? Oder wären Sie bereit, die fünf Euro zu spenden, wenn damit Klimaschutzmaßnahmen finanziert werden, mit denen eine bestimmte Menge an CO2 eingespart wird? Und wenn ja, wie viel von der Summe würden Sie spenden? Alles? Oder nur ein, zwei Euro?

Die Frage ist nicht nur ein Gedankenexperiment. Der Statistiker Johannes Reichl vom Energieinstitut der Universität Linz hat gemeinsam mit seinem Team Menschen aus ganz Europa tatsächlich vor diese Entscheidung gestellt: Spenden oder nicht spenden? Für das Forschungsprojekt nahmen knapp 16 000 repräsentativ ausgewählte Menschen aus 27 EU-Ländern an einer Umfrage teil, in der es um ihre Einstellung zum Klimawandel ging. Für ihre Teilnahme erhielten die Befragten fünf Euro. Und sie wurden gefragt, was sie mit dem Geld machen wollen. Soll es in ihre eigene Tasche fließen oder wollen sie es für Emissionsreduktion hergeben?

Die Frage zielt auf ein zentrales Problem der Klimapolitik. In Umfragen spricht sich regelmäßig eine überwältigende Mehrheit der Bürger:innen für mehr Klimaschutz aus. Doch wenn es um die konkrete Umsetzung geht, bröckelt die Zustimmung rapide. Die geäußerte Unterstützung für Klimaschutz wird dann von anderen Erwägungen, Bedenken, Motivationen förmlich verschluckt und bleibt bloße Theorie. Wollen und Machen scheinen einfach nicht zusammenzupassen. Oder?

Es ist eine offene Forschungsfrage, was Menschen tatsächlich zu klimapositivem Handeln bewegt. Unzählige Studien haben sich damit beschäftigt und einzelne Aspekte herausgearbeitet. Etwa, dass die persönliche Einstellung zum Klimawandel eine Rolle spielt, auch das Umfeld, in dem man sich bewegt, oder auch der Zusatznutzen, den man Klimaschutzmaßnahmen zuschreibt, wie saubere Luft oder die Schaffung neuer Jobs. Dennoch bleibt vieles unklar (und die Fortschritte beim Klimaschutz sind entsprechend dürftig).

Insofern füllt das Linzer Spendenexperiment eine Lücke. Zum einen, weil es nicht nur um ein einzelnes Land geht, sondern um 27, die man dann miteinander vergleichen kann. Zum anderen, weil nicht nur Einstellungen abgefragt wurden, sondern eine ganz handfeste Entscheidung zu treffen war. Das macht die soeben im Fachmagazin „Global Environmental Change“ publizierten Ergebnisse relevant und aussagekräftig.

Drei Erkenntnisse sind besonders wichtig.

Erstens: Wer davon überzeugt ist, dass es den Klimawandel gibt und er menschengemacht ist, spendet am meisten. Das entspricht dem, was man erwarten würde. Überraschend ist hingegen, dass

zweitens – auch diejenigen, die vom anthropogenen Klimawandel nicht überzeugt sind, nicht etwa gar nichts spenden. Bei ihnen ist die Spendenbereitschaft immerhin noch halb so groß wie bei den Überzeugten – ein erstaunlicher Wert. „Viele der Skeptiker finden es trotzdem gut, dass etwas gegen den Klimawandel getan wird“, sagt Projektleiter Johannes Reichl im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau. „Sie halten es beispielsweise für wirtschaftspolitisch clever, wenn in Erneuerbare investiert wird, anstatt fossile Energie teuer zu importieren.“ Hier könnte die Klimapolitik ansetzen und das Argument des Zusatznutzens in der öffentlichen Kommunikation stärker in den Vordergrund stellen.

Drittens hängt die Spendenbereitschaft davon ab, wie ambitioniert in einem Land Klimaschutz betrieben wird – und zwar umgekehrt proportional. „Das hat uns am meisten überrascht“, sagt Reichl. Konkret heißt das: Je ambitionierter das Land, desto geringer die Spendenbereitschaft. Und umgekehrt. Der Klimaschutzvorreiter Dänemark war das Land, in dem die Leute am wenigsten spenden wollten. Im Kohleland Polen dagegen war die Bereitschaft besonders hoch. „Wenn die Leute sehen, dass der Staat schon einiges tut, ziehen sie sich zurück“, erläutert Reichl. „Crowding-out-Effekt“ wird das genannt, Verdrängungseffekt.

Für die Klimapolitik ist das wichtig. „Sie muss Maßnahmen setzen und gleichzeitig klarmachen, dass alle Verantwortung übernehmen müssen“, sagt der Statistiker. „Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, braucht man beides und kein Entweder-oder.“

Und es gibt noch eine vierte Erkenntnis – die überraschendste von allen: Insgesamt war die Spendenbereitschaft sehr bescheiden. Überhaupt gar nichts spendeten 71,5 Prozent aller Teilnehmenden. In Deutschland lag der Wert sogar bei rund 77 Prozent. Nur einen Euro spendeten 15 Prozent (Deutschland: zwölf Prozent). Die gesamten fünf Euro waren lediglich sieben Prozent bereit zu geben (Deutschland: vier Prozent). Im Gesamtdurchschnitt ergab das eine Spendensumme pro Person von lediglich 66 Cent.

Wenn man bedenkt, dass Leute sich von geschenktem Geld leichter trennen als von dem, das sie schon haben, sind das Werte, die wenig optimistisch stimmen. Oder man begreift sie als Aufforderung, sich bei der Klimakommunikation mehr Mühe zu geben, um mehr Menschen von der Wichtigkeit von Klimaschutzmaßnahmen zu überzeugen<<.
"Welche Firmen und Marken weniger fair sind als behauptet"

09.09.2021 12:36
Unfairer Umgang mit Gewinnen durch Steuerflucht großer Banken
Europas Banken verdienen Milliarden in Steueroasen. Viele europäische Banken verdienen in Malta, Luxemburg und auf den Bahamas gutes Geld. Zu den größten Profiteuren zählen laut einer Studie die HSBC – und die Deutsche Bank.

Europäische Banken machen einen signifikanten Teil ihrer Gewinne in Steueroasen. Das fand die Europäische Beobachtungsstelle zur Steuerpolitik bei einer Untersuchung von 36 großen Finanzinstituten in einer Studie heraus.

Die Geldhäuser verbuchten im Schnitt 20 Milliarden Euro Gewinn pro Jahr in Steueroasen, heißt es in der Studie. Das entspreche rund 14 Prozent ihrer gesamten Gewinne vor Steuern.

Die Studie klassifiziert 17 Gebiete wie die Bahamas, aber auch EU-Länder wie Irland, Malta oder Luxemburg wegen ihrer niedrigen Steuersätze als Oasen. Insgesamt blieb die Aktivität der Banken in Steueroasen zwischen 2014 und 2020 demnach konstant. Neun Banken verbuchten demnach keine Gewinne in Steueroasen, andere wie die britische HSBC bis zu 58 Prozent ihres Gewinns vor Steuern.

Die Deutsche Bank war bei den Spitzenreitern dabei und verbuchte im Schnitt 27 Prozent ihres Gewinns in Steueroasen wie zum Beispiel Luxemburg – obwohl dort nur ein sehr kleiner Teil der Mitarbeiter tätig ist.

Der Europaabgeordnete Sven Giegold (Grüne) sagte, das Papier zeige die Notwendigkeit einer effektiven Mindestbesteuerung von großen Unternehmen. Bei einem Mindeststeuersatz von 15 Prozent müssten die untersuchten Banken aus elf Ländern laut der Studie beispielsweise drei bis fünf Milliarden Euro mehr Steuern zahlen. Auf solch eine globale Mindeststeuer für große Unternehmen hatten sich die G20-Länder im Juli prinzipiell geeinigt.

ssu/dpa-AFX

06.08.2021 08:01
105 Dachdeckerbetriebe gegen Folgen der Flutkatastrophe im Ahrtal - beste Fairness
Das ist Fairness in höchster Qualität. Denn Fairness ist im Kern kein Tauschandel: Sei Du fair zu mir, dann bin ich auch fair zu Dir. Sondern Fairness ist Rücksichtnahme, Solidarität und Zuwendung. Ohne Erwartung einer Gegenleistung! Für ein solches Fairness-Verständnis und eine solche Fairness-Praxis stehen mehr als 100 Dachdecker-Betriebe mit ihren Mitarbeiter*innen, die ihre Hilfe und Arbeit für Ahrtal angesagt haben, das von der Flutkatastrophe massiv betroffen ist.

Reinhard Schlieker von dpa berichtet: „Leitern, Fallrohre und Holzlatten werden verladen, während Dachdeckermeister Bernd Krinninger Lagepläne verteilt. Auf einer Wiese in Kalenborn, einer Ortsgemeinde von Altenahr im Landkreis Ahrweiler, haben sich am frühen Mittwochmorgen Kollegen von Krinninger aus ganz Deutschland versammelt. Sie wollen im Ahrtal helfen – drei Wochen nach der Flutkatastrophe, die mindestens 139 Menschen in Rheinland-Pfalz das Leben kostete.

Noch immer klaffen große Löcher in den Dächern vieler Häuser, mit jedem Regen steigt der Schaden an teils ohnehin schon abrissreifen Häusern. Verbogene Fallrohre leiten bislang Regenwasser direkt in die gerade erst ausgepumpten Keller.

Via Facebook hoffte Krinninger, Inhaber von Heimbach Bedachungen in Lahnstein, zwei, drei örtliche Betriebe zur Hilfe mobilisieren zu können. Gekommen seien 105 Firmen, weitere Dachdeckerbetriebe hätten ihren Besuch für die Folgetage angekündigt.

Laut Krinninger liegen die geschätzten Lohnkosten, auf die die Betriebe verzichten, für den mehrtägigen ehrenamtlichen Einsatz im Millionenbereich. Die Materialkosten beliefen sich auf rund 750 000 Euro. Das Material komme nicht nur von den Dachdecker-Betrieben selbst, sondern sei auch von Unternehmen gespendet worden. Was an Material übrig bleibe, solle im Ahrtal zerstörten Handwerksbetrieben zum Wiederaufbau zugutekommen.

Der Facebook-Aufruf hat auch Dachdeckermeister Andreas Schulte erreicht. Mit neun Mitarbeitern ist der Inhaber eines Dachdeckerbetriebs im Sauerland angereist – Abfahrt 5.30 Uhr. Ein Baum hat ein Loch in das Dach eines Hauses in der Ortsgemeinde Mayschoß geschlagen, das er und seine Mitarbeiter nun provisorisch flicken. Vielmehr als Notreparaturen seien akut auch nicht zu machen, sagt er.

„Das Haus ist mein und doch nicht mein“ steht halb von Schlamm verdeckt auf der Hauswand. „Wem gehört das Haus?“ endet das aufwendig in Holz geschnitzte Sprichwort. „Jetzt gehört es dem Fluss“, sagt Waltraud Schütz mit Blick auf das Elternhaus ihres Ehemanns: „Jetzt gehört es der Flut.“ Das Wasser reichte bis zu den oberen Stockwerken, das bezeugt die schlammig braune Linie, die das Wasser auf der weißen Hauswand zurückgelassen hat.

Der Schaden am Dach allein beträgt nach Schätzung der Dachdecker rund 25 000 Euro. Auf Waltraut Schützes Anwesen ist dies nur ein kleiner Schadensposten. Denn auch ihr Privathaus hat das Hochwasser unbewohnbar gemacht. Provisorisch gezimmerte Stützen des Technischen Hilfswerks sichern die Statik. „Hier war die Küche, da das Wohnzimmer“, sagt sie, als sie auf Räume zeigt, die einem über Jahre verlassenen Rohbau ähnlicher sind als dem Zuhause einer Familie. Sie wisse nicht, wie es weitergehe. Aktuell sind sie und ihr Mann in einer Ferienwohnung untergekommen.
Hilfe an Behörden vorbei

Waltraud Schütz ist überwältigt von der Hilfsbereitschaft: „Alleine schafft man das nicht“, sagt sie mit Blick auf einen der Dachdecker, der gerade die Regenrinne ihrer Garage repariert: „Das ist ein unschenkbarer Gewinn, den wir hier haben. Das nimmt einem so ein bisschen die Last von den Schultern.“

Wäre es ein normaler Arbeitstag, würden die Lohnkosten von Dachdeckermeister Andreas Schulte rund 5000 Euro betragen. Dass er auf diese verzichtet, sei für ihn eine Selbstverständlichkeit: „Ich denke, das macht man so: Man hilft Leuten, die Hilfe brauchen.“ Als seine Mitarbeiter von dem Facebook-Aufruf erfahren hätten, hätten sie helfen wollen. Ihr Tenor: „Chef, ich verzichte auf meinen Lohn.“

Genauso unbürokratisch wollte Krinninger Hilfe mobilisieren. Die Aktion sei „an den Behörden vorbeigewachsen“. Die Aktion der Dachdecker wirkt aber nicht unorganisiert. Weil er die Erfahrung gemacht habe, dass die Koordination der freiwilligen Helfer in der Vergangenheit nicht gut funktioniert habe, habe er sich gegen den offiziellen Weg entschieden, sagt Krinninger. Er wolle mit der Aktion zeigen, dass „das Handwerk das Ahrtal nicht im Stich lässt“.

R. Schlieker, dpa

27.07.2021 12:22
Die gläsernen Beschäftigten - Wenn die Chefs online Beschäftigte ausspähen - Datenschutz unfair?
Immer mehr Unternehmen sammeln Daten über ihre Beschäftigten, schreibt Steffen Herrmann am 26.7. in der Frankfurter Rundschau. „Das Homeoffice während der Corona-Pandemie verstärkt die Nachfrage nach Überwachungssoftware.
Private Telefonate führen, stundenlang durch Instagram und Facebook scrollen oder den nächsten Sommerurlaub planen. Alles kein Problem, denn im Homeoffice bekommt es der Chef oder die Chefin ja nicht mit – oder?

Das stimmt nicht ganz. Vorgesetzte können ihre Beschäftigten überwachen, auch aus der Distanz. Wer wissen will, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Homeoffice treiben, muss nicht viel Geld hinlegen: Knapp 50 Euro kostet zum Beispiel die Software Orvell Monitoring pro Arbeitsrechner und Jahr. Nach der Installation zeichnet die Software alle Aktivitäten auf: Wie lange gearbeitet wird, welche Programme genutzt und welche Internetseiten besucht werden. Das Versprechen des Anbieters an die Unternehmen: „detaillierte Tätigkeitsnachweise“ aus dem Homeoffice.

Sonja Köhne forscht am Humboldt Institute für Internet und Gesellschaft, sie kennt sich aus mit den sogenannten People Analytics Tools: Unter dem Begriff verstehe man einen evidenz- und datengesteuerten Ansatz für die Personalführung, sagt Köhne. „Das heißt, man erfasst Verhaltensdaten von Beschäftigten und wertet sie automatisiert aus, um auf dieser Basis geschäftliche Entscheidungen zu optimieren.“
Dabei werden nicht nur Daten gesammelt, um die Beschäftigten zu überwachen: People Analytics Tools können auch andere, wichtige Erkenntnisse liefern – zum Beispiel, welche jungen Talente das Unternehmen wahrscheinlich freiwillig verlassen werden, welche Bewerberin am besten zur ausgeschriebenen Stelle passt oder wie sich die Zahl der Krankheitstage entwickeln wird. Auch für die Beschäftigten selbst können die Anwendungen hilfreich sein: Wo kann ich mich verbessern? Gönne ich mir genug Pausen?

Coronavirus-Pandemie hat Überwachung im Homeoffice verstärkt

Seit der Corona-Pandemie steht allerdings der Aspekt der Überwachung im Fokus. Glaubt man den Anbietern, boomen ihre Programme. Auch beim Anbieter Hubstuff soll sich die Nachfrage nach eigenen Angaben während der Pandemie verdreifacht haben, wie das „Handelsblatt“ berichtet.
Überprüfen lässt sich das nicht. Klar ist aber: Seit viele Menschen im Homeoffice arbeiten, entstehen mehr Daten. Gleichzeitig sind die Beschäftigten der direkten Kontrolle im Betrieb entzogen. Und zumindest bei einigen Unternehmen wächst deshalb der Wunsch nach digitalen Überwachungstools.

Das Vergleichsportal Getapp hat im Mai rund 1100 Führungskräfte und Beschäftigte zur Überwachung im Homeoffice befragt. 21 Prozent der Beschäftigten gaben an, per Software überwacht zu werden. Und bei der Hälfte der Überwachten wurde die Software erst nach Beginn der Corona-Krise eingeführt.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) beobachtet den Einsatz von Überwachungssoftware skeptisch. „Die Digitalisierung schafft unliebsame Möglichkeiten der Kontrolle, die in analogen Zeiten schlichtweg unmöglich waren und an die auch kein Mensch gedacht hat“, sagt DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel.

Grundsätzlich ist die Überwachung von Beschäftigten erlaubt. Allerdings nur dann, wenn die Belegschaft eingebunden ist: Die Einführung von Software, die das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern überwacht, ist mitbestimmungspflichtig. Der Betriebsrat kann also nicht übergangen werden. Wo es keine Betriebsräte gibt, müssen Beschäftigte einzeln und freiwillig zustimmen. Eine heimliche Überwachung ist nur in Ausnahmefällen erlaubt, etwa beim konkreten Verdacht einer Straftat oder schwerwiegenden Pflichtverletzung.

Mitarbeiterbefragungen und Analyse der Angestellten während der Covid-19-Pandemie

Auch vor der Coronavirus-Pandemie werteten einige Unternehmen die Daten ihrer Beschäftigten aus – unter anderem durch Mitarbeiterbefragungen. „Es gibt aber auch von Sensoren überwachte Hightech-Arbeitsplätze, die alles messen und auswerten – von den Tastaturanschlägen bis hin zur Pulsfrequenz und der Körperhaltung auf dem Bürostuhl“, sagte Stefanie Krügl, eine Expertin für Organisationskultur, schon 2015 in einem „Zeit“-Interview. Durchgesetzt hat sich diese exotische Vermessung der Beschäftigten nicht.

Der Online-Modehändler Zalando geriet vor anderthalb Jahren in die Kritik, weil er seit 2017 eine Software nutzte, die die Leistung eines Teils der Beschäftigten misst. Die Teilnehmenden werden von ihren Kolleg:innen und Vorgesetzten bewertet. Wer überdurchschnittlich performt, bekommt Lohnzuschläge. Die Hans-Böckler-Stiftung hatte die Wirkung des Programms namens Zonar 2019 untersucht. Das Fazit: Durch Zonar leide das Betriebsklima und der Stress nehme zu. Die Software sei ein „umfassendes, quasi panoptisches System der Leistungskontrolle“. Stefanie Nutzenberger, Mitglied im Vorstand der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, kritisierte Zonar daraufhin als „übergriffig, arbeitnehmerfeindlich und datenschutzrechtlich höchst problematisch“.

Und heute? Zalando gibt an, das Tool nicht mehr „in der Ende 2019 beschriebenen Funktionsweise“ zu nutzen. An den jährlich zwei Mal stattfindenden Feedbackrunden mit Hilfe des „Evaluation Tools“ nähmen knapp 6400 der insgesamt mehr als 14 500 Mitarbeiter:innen teil. Dabei kämen weder Rankings, Scores noch künstliche Intelligenz zum Einsatz. Die Berliner Datenschutzbehörde habe bestätigt, dass „Prozess und Tool konform mit der Datenschutz-Grundverordnung“ seien.

Homeoffice-Überwachung: Datenschutzfragen noch ungeklärt

Dem Deutschen Gewerkschaftsbund aber reichen die bisherigen gesetzlichen Regelungen nicht. Seit mehr als zehn Jahren fordern seine Vertreterinnen und Vertreter ein eigenständiges Beschäftigtendatenschutzgesetz, konnten sich im politischen Berlin damit bislang aber nicht durchsetzen. Dabei sei das Gesetz gerade mit Blick auf die neuen technischen Möglichkeiten dringend notwendig, sagt Anja Piel. „Das Arbeitsverhältnis besteht zwar unter formal Gleichen, tatsächlich manifestiert es aber eine wirtschaftliche Abhängigkeit.“ Der Datenschutz müsse deshalb endlich zugunsten der Beschäftigten geregelt werden.
Aber erfüllen die Programme überhaupt die Erwartungen der Unternehmen, steigern sie die Produktivität der Beschäftigten? Die Forscherin Sonja Köhne ist skeptisch: „Wenn die Metriken, die verwendet werden, nur Aussagen darüber treffen, wie viele Minuten am Tag eine Person Microsoft-Produkte verwendet hat oder wie schnell sie auf Mails reagiert, dann sagt das über die Produktivität natürlich nicht viel aus.“ Die Unternehmen müssten sich also vor dem Einsatz von People Analytics Tools ganz grundlegend der Frage stellen: Inwieweit ist die Arbeit der Beschäftigten überhaupt in Daten auszudrücken?“

Es fehlt also ein klarer Datenschutz für Beschäftigten, für ihre erzeugten Daten und Beobachtungsmerkmal. Schnell gerät ein Unternehmen ins Unfaire und Ungefähre, wenn mit Softwaretools zur Überwachung leichtsinnig oder absichtlich so umeggangen wird, dass 'gläserne Mitarbeitende' das Ergebnis sind.

25.07.2021 05:49
Menschenrechtsverletzungen in Aluminum-Lieferketten in der Autobranche
Automobilunternehmen müssen mehr tun, um Menschenrechtsverletzungen in ihren Aluminium-Lieferketten und den Bauxitminen, von denen sie beziehen, anzugehen, so Human Rights Watch und Inclusive Development International in einem am 22.7. veröffentlichten Bericht.

Fast ein Fünftel des weltweit verbrauchten Aluminiums im Jahr 2019 ging auf das Konto der Automobilhersteller und laut Prognosen wird sich ihr Aluminiumverbrauch bis 2050 verdoppeln wird. Grund hierfür ist der Übergang zu Elektrofahrzeugen.

Der 63-seitige Bericht, „Aluminum: The Car Industry's Blind Spot - Why Car Companies Should Address the Human Rights Impact of Aluminum Production“ beschreibt die globalen Lieferketten, die Automobilhersteller mit Minen, Raffinerien und Schmelzwerken in Ländern wie Guinea, Ghana, Brasilien, China, Malaysia und Australien verbinden. Auf der Grundlage von Treffen und Korrespondenz mit neun großen Automobilkonzernen - BMW, Daimler, Ford, General Motors, Groupe PSA (jetzt Teil von Stellantis), Renault, Toyota, Volkswagen und Volvo - untersuchten Human Rights Watch und Inclusive Development International, wie die Automobilindustrie mit den menschenrechtlichen Auswirkungen der Aluminiumproduktion umgeht, von der Zerstörung von Ackerland und der Schädigung von Wasserquellen durch Minen und Raffinerien bis hin zu den erheblichen Kohlenstoffemissionen der Aluminiumschmelze. Drei weitere Unternehmen - BYD, Hyundai und Tesla - reagierten nicht auf die Anfragen nach Informationen...

Obwohl sich viele der weltweit führenden Automobilkonzerne öffentlich dazu verpflichtet haben, gegen Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten vorzugehen, haben sie bisher wenig getan, um die Auswirkungen der Aluminiumproduktion auf die Menschenrechte zu bewerten und anzugehen. Stattdessen haben sie die Sorgfaltspflicht in der Lieferkette bei anderen Materialien priorisiert, die für Elektrofahrzeuge von wesentlicher Bedeutung sind, wie z.B. Kobalt, das für elektrische Batterien benötigt wird.

Da Bauxit über Tage abgebaut wird, nehmen die Minen eine große Fläche ein und zerstören oft Ackerland, das die Lebensgrundlage der lokalen Gemeinden bildet. Bauxitminen können zudem verheerende Auswirkungen auf Flüsse, Bäche und Grundwasserquellen haben, auf die die Gemeinden für ihr Trinkwasser und die Bewässerung angewiesen sind...

Drei deutsche Automobilhersteller - Audi, BMW und Daimler - versuchen, eine verantwortungsvolle Aluminiumbeschaffung zu fördern, indem sie ihre Zulieferer dazu ermutigen, einem von der Industrie geführten Zertifizierungsprogramm, der Aluminum Stewardship Initiative (ASI), beizutreten...

Die Menschenrechtsstandards von ASI sind jedoch nicht ausdifferenziert genug und bieten keine spezifischen Kriterien, um zu beurteilen, wie gut Unternehmen auf wichtige Menschenrechtsfragen reagieren, wie etwa die Umsiedlung von Gemeinden, die durch den Bergbau vertrieben wurden. ASI muss zudem besser sicherstellen, dass die Gemeinden am Prüfungsprozess beteiligt werden und für mehr Transparenz bezüglich der Ergebnisse sorgen.

Einige Automobilkonzerne haben, seit sie von Human Rights Watch und Inclusive Development International kontaktiert wurden, Schritte unternommen, um Aluminium eine höhere Priorität bei der verantwortungsvollen Beschaffung einzuräumen...

21.06.2021 12:37
Strom-Studie: Versorger liefern bis zu 58% weniger Ökostrom als offiziell angegeben
Das geht aus einem neuen Gutachten des Hamburg Instituts im Auftrag des Klimaschutz-Unternehmens LichtBlick hervor. Das Gutachten untersucht die Folgen einer Reform, die im Mai im Bundestag verabschiedet wurde. Das neue Gesetz schafft mehr Transparenz bei der Stromkennzeichnung. Künftig müssen Versorger auf Kundenrechnungen und auf ihren Internetseiten vollständig ausweisen, aus welchen Quellen der Strom für ihre Kund*innen stammt.

Stromkennzeichnung

Das Hamburg Institut zeigt auf, wie sich der Unternehmens-Strommix von 30 Versorgern durch die Neuregelung verändert. So weist zum Beispiel E.ON aktuell einen Ökostrom-Anteil von insgesamt 56 Prozent aus – nach der Reform sind es noch 7 Prozent. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei anderen großen Versorgern: Bei EnBW fällt der Ökostrom-Anteil von 65 auf 13 Prozent, bei Vattenfall von 66 auf 15 Prozent und bei EWE von 51 auf 11 Prozent.

Auch die Angaben zum CO2-Ausstoß werden an den Stromeinkauf angepasst. Damit wird sichtbarer, welchen Klima-Fußabdruck der Strom eines Versorgers hat.
„Die Verantwortung für die jahrelange Verbrauchertäuschung liegt nicht bei den Versorgern, sondern beim Gesetzgeber. Es handelt sich bei der aktuellen Stromkennzeichnung um legales Greenwashing. Das ändert der Gesetzgeber jetzt“, erläutert Ralph Kampwirth, Unternehmenssprecher von LichtBlick. „Mit der Neuregelung wird künftig klar ersichtlich, ob Stromversorger ihren Strom aus Kohle, Atom oder erneuerbaren Quellen beziehen. Das schafft mehr Transparenz für Stromkund*innen.“

Die aktuellen Angaben sind für Verbraucher*innen nicht zu durchschauen und erwecken den Eindruck, ihr Versorger kaufe bereits große Mengen Ökostrom. Grund dafür ist die geltende Kennzeichnungspflicht. Sie vermischt Angaben zum Stromeinkauf des Versorgers mit einem rechnerisch ermittelten Wert, wie viel EEG-Strom Kunden über die Zahlung der EEG-Umlage finanzieren. Diese EEG-Angabe hat allerdings nichts mit der Stromlieferung zu tun.

Mit dieser irreführenden Kennzeichnung ist nach der Novelle Schluss – zumindest beim Unternehmens-Strommix, der den gesamten Stromeinkauf eines Versorgers abbildet. Bei den Angaben zu einzelnen Stromtarifen behält der Gesetzgeber die alte Regelung bei. „Umweltbewusste Verbraucher*innen sollten sich also künftig am Unternehmensmix orientieren, da der das tatsächliche Einkaufsverhalten des Stromversorgers widerspiegelt“, empfiehlt LichtBlick-Sprecher Ralph Kampwirth.

"Mit den größten Energieversorgern und ihren teils sehr kleinen Öko-Anteilen - die Übersicht"

20.05.2021 12:26
Amazon vernichtet offenbar weiterhin Neuware
"Eigentlich soll ein neues Gesetz die Vernichtung von Rücksendungen bei Versandhändlern verhindern. Doch laut Recherchen von Greenpeace setzt Amazon die umstrittene Praxis in Deutschland fort.

Der Onlineriese Amazon vernichtet laut Recherchen der Umweltorganisation Greenpeace auch weiterhin Neuware: Am Standort Winsen in Niedersachsen würden an acht Arbeitsplätzen originalverpackte Produkte für die Vernichtung vorsortiert, berichtete Greenpeace am Donnerstag. Das zeigten Filmaufnahmen eines Greenpeace-Rechercheurs, der mehrere Wochen als Angestellter im Amazon-Logistikzentrum in Winsen gearbeitet habe. Amazon nenne diese Arbeitsplätze »Destroy«-Stationen.
Der Konzern entsorge allein an diesem Standort jede Woche mindestens eine Lkw-Ladung nicht verkaufter Ware, von T-Shirts über Bücher bis hin zu Elektroartikeln, berichtete Greenpeace. Die Umweltorganisation kritisierte, dies geschehe, obwohl im vergangenen Jahr ein Gesetz gegen diese Form von Ressourcenverschwendung in Kraft getreten war. Die sogenannte Obhutspflicht soll verhindern, dass intakte Ware zerstört wird. Doch bisher werde die Obhutspflicht weder umgesetzt noch von den Behörden überwacht.

Amazon: Anteil liege im »Promillebereich«

Amazon erklärte gegenüber der ARD-Sendung »Panorama«, der Konzern arbeite daran, möglichst gar keine Produkte zu vernichten. »Nur wenn wir keine andere Möglichkeit mehr haben, geben wir Artikel zum Recycling oder zur Energierückgewinnung – oder als allerletzte Option – zur Deponierung«, zitierte die ARD am Donnerstag. Es handle sich dabei um wenige Produkte, der Anteil befinde sich im »Promillebereich«.

»Amazon setzt allein auf schnellen Umsatz und hält deshalb den Platz im Regal für wichtiger als das Produkt darin – eine klimaschädliche Ressourcenverschwendung«, kritisierte Greenpeace-Konsumexpertin Viola Wohlgemuth. Der Konzern nutze aus, dass es bisher an einer Rechtsverordnung zur Obhutspflicht fehlt, weshalb keine Strafen verhängt werden".

Was Spiegel Online hier heute zusammenfassend berichtet, lässt tief blicken. "Der Anteil liege im »Promillebereich«, meint Amazon zur Kritik von Panorama und Greenpeace. Ja, wenn das so ist: schmeißen wir doch alles mal weg, was im Promillebereich liegt. Wie das machen wir schon - gemessen am Ressourcenvorlumen der Erde und dem, was die Menschen weltweit so wegschmeißen? Na denn, dann können wir uns ja prima rausreden. Amazon sei dank sind wir auch nicht besser oder? Wenn wir die ganze Erde in Müll und Abfall verwandelt haben, werden wir merken, dass man auf ihr nicht mehr menschlich leben kann.

20.04.2021 13:15
Parship und die Unfairness
Wer beim Online-Partner­ver­mittler Parship seinen Vertrag frist­gerecht wider­ruft, wird trotzdem kräftig zur Kasse gebeten. Das stellt die Verbraucherberung fest und fordert die Mitglieder auf, sich Geld zurückzuholen. Dazu gibt es einen Musterbrief sowie eine Liste vieler erfolgreicher Klagen gegen Parship. Denn "das Unternehmen verlangt von ehemaligen Kunden einen überzogenen Wertersatz. Nach einem aktuellen Urteil des EuGH sollte damit jetzt Schluss sein. Betroffene können ihr Geld zurückholen – mit unserem Musterbrief!", schreibt die Verbraucherberatung. Und weiter:

"Das Wichtigste in Kürze

Die Partnervermittlung Parship verlangt hohe Summen als sogenannten Wertersatz, wenn Kunden ihren Vertrag binnen der möglichen Frist von 14 Tagen widerrufen.
Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes ist der Wertersatz zeitanteilig, also anhand der Tage bis zur Erklärung des Widerrufs zu berechnen.
Betroffene können mit einem kostenlosen Musterbrief der Verbraucherzentrale Geld zurückfordern. Ansprüche gegenüber Parship verjähren nach drei Jahren.

Es geht um Fälle wie diesen: Frau L. widerrief ihre kosten­pflichtige Mitgliedschaft bei der Partnerbörse Parship nach zwölf Tagen und damit innerhalb der vorgeschriebenen Widerrufsfrist von zwei Wochen. Kurz danach erhielt sie zu ihrer Überraschung die Mitteilung, dass sie für zehn in der kurzen Zeit zustande gekommene Kontakte 306,99 Euro als sogenannten Wertersatz zahlen sollte, was 75 Prozent des Preises ihres ursprünglich abgeschlossenen Jahresabonnements von 409,32 Euro entsprach.

Wie Parship den Wertersatz berechnet

Laut Parship kann die Höhe des zu leistenden Wertersatzes wie im Fall von Frau L. bis zu 75 Prozent des Produktpreises für den vom Kunden abgeschlossenen Vertrag betragen. Berechnet wird die Höhe des Wertersatzes nach der Anzahl der bereits genutzten Kontakte auf der Online-Plattform und so schrieb Parship Folgendes an Frau L.:

„Wir garantieren Ihnen das Zustandekommen einer bestimmten Anzahl an Kontakten im Rahmen Ihrer Premium-Mitgliedschaft. Gemäß unseren Regelungen zum Wertersatz bei Widerruf ist die Anzahl der genutzten Kontakte die Basis für die Berechnung des Wertersatzes. Wir berechnen Ihnen also folgenden Wertersatz:

Ihr Produktpreis: 409,32 Euro
Laufzeit Ihres Produkts (Monate): 12
Laufzeitbezogene garantierte Kontakte: 7
Davon zustande gekommene Kontakte: 10
Bereits von Ihnen gezahlt: 409,32 Euro
Rückerstattung: 102,33 Euro

Den von Ihnen zu viel gezahlten Betrag erstatten wir Ihnen in den nächsten Tagen.“

Fordern Sie Ihr Geld zurück

Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 8. Oktober 2020 macht der Berechnungsmethode, die wir schon seit Jahren kritisieren, den Garaus. Danach ist für den Wertersatz, den Verbraucher zu zahlen haben, wenn sie ihren Vertrag widerrufen, grundsätzlich die Gesamtheit der vertragsgegenständlichen Leistungen zu betrachten und der geschuldete Betrag zeitanteilig zu berechnen.

Für den Fall von Frau L. würde dies bedeuten: Auf Basis der vertraglich vereinbarten Laufzeit ist zunächst der Tagespreis zu ermitteln. Das wären 1,12 Euro (409,32 Euro / 365 Tage). Für die gesamte Nutzungsdauer von zwölf Tagen müsste Frau L. laut EuGH lediglich 13,46 Euro zahlen. Parship forderte hingegen satte 306,99 Euro.

Wenn Sie genauso zur Kasse gebeten wurden wie Frau L., sollten Sie jetzt Ihr Geld von der Partnervermittlung zurückholen. Ermitteln Sie die berechtigte Höhe des Wertersatzes, indem Sie den für Ihren persönlichen Fall gültigen Tagespreis zugrunde legen. Schreiben Sie Parship (bzw. Elitepartner) an und fordern Sie das Unternehmen auf, den unberechtigterweise einbehaltenen Teil des Wertersatzes zurückzuzahlen.

Wichtig: Schicken Sie den Brief per Einschreiben, damit Sie nachweisen können, dass Ihr Schreiben tatsächlich eingegangen ist.

Sie wissen nicht, wie Sie das Schreiben an die Partnervermittlung formulieren sollen? Dann nutzen Sie einfach unseren kostenlosen Musterbrief. Viel Erfolg!

Verbraucher melden uns zurück, dass Parship den unberechtigterweise einbehaltenen Wertersatz tatsächlich ohne lange Diskussionen erstattet. Auf dem Konto von Frau M. gingen beispielsweise 471 Euro ein, nachdem sie unseren Brief an die Partnervermittlung geschickt und eine Frist gesetzt hatte.

Reichen Sie Klage eine

Erfolgt hingegen keine Erstattung innerhalb der Frist, sollten Sie Ihren Anspruch gerichtlich geltend machen. Die Mühe lohnt sich! Schon vor der Entscheidung des EuGH hat das Amtsgericht Hamburg das Unternehmen Parship regelmäßig verpflichtet, Geld an ehemalige Kunden zurückzuzahlen.

Die Spanne reicht von kleineren Beträgen um die 20 Euro bis hin zu höheren Summen von mehreren hundert Euro, die sogar zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozent von der Partnervermittlung beglichen werden müssen. Darüber hinaus musste Parship die Anwalts- und Gerichtskosten für die Verfahren in diesen Fällen komplett tragen".

"Zu Musterbrief und Liste der erfolgreichen Klagen"

30.03.2021 15:20
Greenwashing ist gängige Methode von Unternehmen
In Zeiten von Fridays for Future lohnt es sich für Unternehmen, sich ein grünes Image zu verpassen. Statt aber ernsthaft und vollständig umzudenken, greifen manche Konzerne gerne zum Pinsel und schwurbeln irgendwas von “Nachhaltigkeit hat für uns einen hohen Stellenwert” zusammen. Sie verwenden Werbegeldern um dem Konsumenten einzuhämmern wie umweltfreundlich man doch ist, bis er das ungeprüft glaubt. Das ist Greenwashing! Wir klären hier über die Praktiken auf und zeigen die bekanntesten Greenwashing Beispiele:

- Aldi vs. Plastik – 1 Cent für Obsttüten
- Round Table for sustainable Palmoil
- Primark cares – really?
- H&M Conscious Kollektion
- BCI: Grüne Sklavenarbeit
- Delfin-freundlicher Thunfischfang
- MSC Siegel für nachhaltigen Fischfang
- Green Cruising
- Bekanntestes Greenwashing Beispiel: Krombacher rettet den Regenwald

Mehr dazu auf
"Praxis des Greenwashing"
mit eingehender Erläuterung

und kritischer Check zu den Fairness-Versprechen von mehr als 50 großen Unternehmen und ihren Produkten:
"Über 50 Unternehmen und mehr als 200 Produkte im Fairness-Check"

18.03.2021 08:45
Viele Beschäftigte sind erschöpft - Faire Firmen punkten bei der Mitarbeiterschaft
Eine aktuellen Gallup-Umfrage zufolge fühlt sich jeder dritte Mitarbeiter ausgebrannt. Ein volles Jahr Pandemie hat den Beschäftigten viel abverlangt. Die Folgen: Der Anteil erschöpfter Mitarbeiter steigt dramatisch – und immer mehr denken an einen Jobwechsel. Doch erweist sich: Firmen, die sich vorbildlich um ihre Beschäfttigen kümmern, sie fair behandeln, was auch fürsorgliches Handeln einschließt, können die Bindung mit den Beschäftigten stärken. Firmen, die an den persönlichen Situationen der Beschäftigten eher desinteressiert sind, verlieren die Bindung. Die Angestellten gehen auf innere Distanz und erwägen nach der Pandemie den Arbeitgeberwechsel.

Viele Beschäftigte in Deutschland leiden unter den hohen beruflichen Belastungen in der Coronakrise: Der Anteil der Mitarbeiter, die sich aufgrund der Lage im Unternehmen erschöpft fühlen, ist binnen einem Jahr erheblich gestiegen.
35 Prozent der Befragten hatten im Herbst das Gefühl, aufgrund von Arbeitsstress ausgebrannt zu sein, wie das Beratungsunternehmen Gallup ermittelte. In den beiden Vorjahren waren es 26 Prozent. Die Gefahr für ein Burn-out-Syndrom sei damit deutlich gestiegen, sagte Gallup-Experte Marco Nink zu den Zahlen, die am Donnerstag vorgestellt werden sollten.

Stärkere Bereitschaft zum Jobwechsel

Die Umfrage fördert auch eine zweite Entwicklung zutage: Offenbar nimmt in der Krise die Identifikation mit dem Unternehmen und dem derzeitigen Arbeitsplatz ab. Immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind demnach zu einem Jobwechsel bereit. Nur noch 61 Prozent wollen ohne Wenn und Aber in einem Jahr noch bei ihrer derzeitigen Firma arbeiten. Im Vorjahr waren es 73 Prozent, davor 78 Prozent. Besonders wechselwillig sind laut Nink Menschen in Kurzarbeit. »Kurzarbeit geht einher mit einer Eintrübung des Vertrauensverhältnisses und einem kritischeren Bild vom Arbeitgeber.«

Gleichzeitig bekommen viele Unternehmen auch gute Noten für ihre Reaktion auf die Pandemie. Jeweils deutliche Mehrheiten der Befragten sind mit der Geschäftsführung zufrieden, sehen klare Pläne für Schutzmaßnahmen in Bezug auf die Gesundheit und glauben, dass sich ihr Unternehmen für ihr Wohlergehen interessiere. »Die Coronakrise polarisiert die Arbeitnehmerschaft in Deutschland«, sagte Nink. Unternehmen, die sich um ihre Beschäftigten als Mensch und nicht nur als reine Arbeitskraft gekümmert hätten, profitierten von einer hohen emotionalen Mitarbeiterbindung.

Für die Umfrage wurden in der Zeit vom 19. November bis 18. Dezember 2020 insgesamt 1000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über 18 Jahren telefonisch befragt.

Mit Material von beb/dpa.

24.02.2021 08:47
Krasse Unfairness gegenüber Steuerzahlern, Regierungen, Natur und klimabewusster Wirtschaft
Ein Vertrag, der verhindert, dass Regierungen dem Klimawandel entgegen wirken, und der Konzerne ermächtigt, extrem viel Steuergeld abzugreifen. Kann es das geben - einen umfassenden korrupten Vertragsskandal? Ja, gibt es, wie Investigative Europe und Buzzfeeds News schreiben:

>>Der kaum bekannte Energiecharta-Vertrag (ECT) könnte die EU-Staaten in den kommenden Jahren hunderte Milliarden Euro kosten und den Kampf gegen die Klimakrise entscheidend verzögern. Das ist das Ergebnis einer monatelangen "Investigate Europe"-Recherche. Unterschrieben haben den Energiecharta-Vertrag Anfang der Neunzigerjahre einst alle EU-Staaten, auch Deutschland.

Einst sollte die Charta Investitionen in neuen Demokratien mit unsicherer Rechtslage schützen. Doch der Vertragstext ist vage formuliert. Deshalb können ihn heute auch Energieunternehmen nutzen, um EU-Staaten vor internationalen Schiedsgerichten auf Milliarden-Entschädigung zu verklagen, wenn Gesetzgeber neue Klimamaßnahmen beschließen. In den kommenden Jahren könnten Europas Staaten Milliarden an Entschädigung zahlen müssen oder aus Angst davor, geplante Klimagesetze aufweichen. Das ist kein fernes Zukunftsszenario. Es hat bereits begonnen.

Die Recherche zeigt,

- dass das Klagepotenzial unter der Energiecharta immens ist. Das berechnete “Investigate Europe” erstmals. Demnach beträgt der Wert der Öl- und Gas-Felder, der Kohlekraftwerke und Kohleminen sowie der Gaskraftwerke, Pipelines und Flüssiggas-Terminals in der EU, Großbritannien sowie der Schweiz, die durch den Energiecharta-Vertrag geschützt werden, 344,6 Milliarden Euro. Je Einwohner entspricht das mehr als 660 Euro.

- dass vor allem der Wert der Ölfelder (126 Milliarden Euro) sowie der Pipelines (148 Milliarden Euro) zu dem hohen Wert fossiler Infrastruktur in Europa beiträgt. Das ist brisant, denn vielerorts in Europa werden momentan neue kostspielige Gas-Pipelines verlegt. Deren Investoren könnten künftig mit Hilfe der Energiecharta klagen, sollten Europas Staate aus dem Gas aussteigen und die Pipelines obsolet werden.

- dass der Energiecharta-Vertrag einseitig ist. Nur Unternehmen können Klagen. Der schwammige Vertragstext legt zudem nicht fest, wie Entschädigungen berechnet werden sollen. Investoren können auch auf entgangene künftige Gewinne klagen. Das kann zu noch höheren Entschädigungsansprüchen führen. Hat ein Schiedsgericht einen Staat verurteilt, kann dieser kaum Einspruch einlegen.

- dass allein die Möglichkeit einer Klage mittels der Energiecharta ausreicht, um von Staaten Entschädigung in Milliardenhöhe zu erhalten. Erst vor wenigen Wochen garantierte die Bundesregierung dem Kohle-Konzern Leag im Rahmen des Kohleausstiegs eine Entschädigung in Milliardenhöhe. Im Gegenzug gab Leag sein Recht auf mit Hilfe der Energiecharta zu klagen.

- dass bereits eine Klagedrohung ausreicht, um die Klimapolitik von Staaten zu beeinflussen. Als die französische Regierung 2017 ein ambitioniertes Ölförderverbot vorbereitete, teilte der kanadische Ölkonzern Vermilion der Regierung mit, dass die Maßnahme gegen die Energiecharta verstoße. Das finale Gesetz enthielt dann deutlich schwächere Regelungen.

- dass mittlerweile in zwei Dritteln der Energiecharta-Fälle Investoren aus der EU gegen EU-Staaten klagen, obwohl der Vertrag einst konstruiert wurde, um Investitionen in Staaten zu schützen mit unsicherer Rechtslage.

- dass EU-Staaten im Umgang mit der Energiecharta uneins. Gemeinsam einigten sie sich zwar darauf, dass eine Vertragsreform notwendig sei und beschlossen Mitte Februar dieses Jahres eine Verhandlungsposition für die EU-Kommission, doch damit sind nicht alle Staaten zufrieden.

- dass Frankreich und Spanien einen Austritt erwägen. Das zeigen Briefe, die Investigate Europe vorliegen.

- dass selbst mit einer gemeinsamen EU-Linie unklar ist, ob eine Reform des Energiecharta-Vertrags gelingt. Denn der müssten alle Vertragsparteien zustimmen. Japan kündigte bereits an, jegliche Änderungen zu blockieren.

- dass ein vollständiger sofortiger Austritt aus der Energiecharta unmöglich ist. Denn laut Vertragstext können Staaten nach Austritt 20 Jahre lang weiter weiter verklagt werden. Italien verließ den Vertrag 2016, wird aber seit 2017 von dem britischen Öl-Konzern Rockhopper verklagt. Die italienische Regierung hatte ein Verbot von küstennaher Ölförderung beschlossen.

- dass an den Schiedsgerichten ein kleiner Zirkel von Anwälten tätig ist, die mitunter in den Verfahren mal als Schiedsrichter und mal als Anwalt fossiler Konzerne arbeiten. Im Gespräch mit “Investigate Europe” nennt ein Schiedsrichter dies unethisch. Die Gehälter der Schiedsrichter sind zudem nahezu unbegrenzt und werden auch aus Steuergeldern bezahlt.

- dass selbst Juristen das System der Schiedsrichter und des Energiecharta-Vertrags längst kritisch sehen. In Gesprächen mit “Investigate Europe” bezeichneten sie dieses als “russisches Roulette” sowie als “historischen Fehler”.

- dass Mitarbeiter in der Verwaltung des Energiecharta-Vertrages, dem sogenannten Sekretariat, enge Verbindungen zu fossilen Konzernen pflegen. Dabei sollen sie im Auftrag der Vertragsstaaten über die Energiecharta wachen, die Modernisierung betreuen sowie um neue Mitgliedsstaaten werben.

- dass die Vertragsstaaten im Dezember 2019 zwar eine “vorübergehende Pause bei der Ausstellung von Einladungen zum Beitritt zum ECT” beschlossen haben, doch unklar ist, ob ein solcher Expansionsstopp tatsächlich erfolgt. Im Budget des Sekretariats für das Jahr 2021 wird weiterhin rund eine halbe Million Euro für Erweiterungspolitik veranschlagt. Momentan befinden sich 13 afrikanische Staaten im Beitrittsprozess. Kritiker warnen, dass sobald diese Staaten Vertragsmitglieder seien, eine “hohe Wahrscheinlichkeit” bestehe, dass sie ebenfalls verklagt werden.<<

Kommentar in der Frankfurter Rundschau von Joachim Wille dazu:

>>Der Eine Anpassung des Vertrags über die Energiecharta an das „Green Deal“-Projekt der EU ist unmöglich. Es ist notwendig, aus dem Vertrag auszusteigen. Energiecharta-Vertrag? Nie gehört. Oder das Kürzel ECT? Auch nicht? So geht es vielen, eigentlich fast allen. Und doch ist der ECT ein großer Stolperstein auf dem Weg in eine klimafreundliche Zukunft der Europäischen Union, der möglichst schnell aus dem Weg geräumt werden muss.
Eigentlich war der Vertrag in den 90ern erfunden worden, um Investitionen westlicher Unternehmen im Ex-Ostblock vor Willkürmaßnahmen dortiger Regierungen zu schützen. Inzwischen nützen Konzerne das Instrument auch, um gegen politische Entscheidungen von EU-Staaten wie Atomausstieg oder Klimaschutz vorzugehen. Bekannteste Beispiele hierzulande: Die Klage von Vattenfall gegen die Abschaltung von zwei AKW und die von RWE gegen den niederländischen Kohleausstieg. Beides potenzielle Milliardengräber - für die Steuerzahler:innen.
Die aktuelle Recherche von Investigate Europe und BuzzFeed News Deutschland zeigt, dass die Bundesregierung offenbar aus Sorge vor einer Energiecharta-Klage eine weit überhöhte Entschädigung an den tschechischen Leag-Konzern zahlt. Das unterstreicht die Notwendigkeit, endlich aus dem ECT auszusteigen. Denn eine Anpassung dieses Vertrags an das „Green Deal“-Projekt der EU ist offensichtlich unmöglich. Der ECT ist ein Black Deal.<<

04.01.2021 10:28
Bei Problemen mit Amazon wird Amazon zum Problem
Es geschah Ende 2020. Aus dem Amazon-Fan Rainer Hank - bis zur Rente leitender Wirtschaftsredakteur der FAZ - wurde ein scharfer, enttäuschter Amazon-Kritiker. Und das passsiertes so, wie er in der FAZ am 3.1.2021 schrieb: "In den letzten Wochen des Jahres 2020 habe ich den Glauben an Amazon verloren.

Und das kam so. Einige kurz hintereinander erfolgte Abbuchungen von Anfang November auf meiner Kreditkartenabrechnung, keine großen Beträge, kamen mir spanisch vor. Ich hatte die Befürchtung, ein Betrüger müsse mein Amazon-Konto gehackt haben. Solche Sachen liest man ja; warum sollte ich verschont bleiben. Ich bat meine Bank, das mutmaßlich betrügerisch abgebuchte Geld zurückzufordern. Das funktionierte binnen eines Tages reibungslos.

Tags darauf musste ich feststellen, dass es keinen Hacker gab, ich bloß bei der coronabedingt vielfältigen Online-Bestellerei den Überblick über meine Käufe verloren hatte. So waren mir etwa die Fahrradhandschuhe für 10,97 Euro nicht mehr präsent. Mein Fehler, gewiss – aber ein Fehler, den ich mir durchgehen lasse. Kann passieren.
Amazon ächtete mich

Danach lernte ich Amazon von einer anderen Seite kennen. Wie naiv war es von mir zu meinen, die Sache lasse sich mit einer korrigierenden E-Mail an Amazon aus der Welt schaffen. Erst einmal reagierte das Unternehmen gar nicht. Dann erhielt ich die Mitteilung, mein Amazon-Konto sei gesperrt, angeblich, um mich zu schützen. Einige Tage später wurde ich aufgefordert, ich solle die Nummer einer Kreditkarte angeben, um die Bestellungen zu bezahlen, die aber nicht jene Kreditkarte sein dürfe, von der ursprünglich die Beträge abgebucht worden seien; sie müsse aber gleichwohl auf meinem Amazon-Konto hinterlegt sein. Das werde schwierig, antwortete ich, denn es sei keine andere Kreditkarte hinterlegt, ich könne das aber jetzt gerne nachholen. Nein, das sei nicht möglich, wurde mir einige Tage später mitgeteilt.

Da schwante mir: Die Sache wird sich ziehen. Ich kürze ab: Amazon ächtete mich und schloss mich wochenlang aus der Community aus. Am anderen Ende der Telefon-Hotline traf ich zwar immer auf freundliche Call-Center-Mitarbeiterinnen, die stets versicherten, mein Anliegen weiterzugeben. Doch ohne Erfolg.

Ich wäre bereit gewesen, das Geld persönlich mit Schufa-Zertifikat vorbeizubringen oder als Einschreiben an Jeff Bezos nach Seattle zu schicken. Es nützte alles nichts. Wie Hohn kam es mir vor, dass die in nicht leicht zu verstehendem Deutsch formulierten E-Mails von „Kontospezialist. Amazon.de“ mit dem Hinweis enden: „Unser Ziel: das kundenfreundlichste Unternehmen der Welt zu sein. Ihr Feedback hilft uns dabei.“

Ich höre schon die Häme der Leser: Das kommt davon, wenn man sich auf Amazon verlässt. Und ich höre den Vorwurf: Hier wird ein einmaliger Vorfall, für dessen Eintreten ich auch noch selbst verantwortlich bin, generalisiert und zum Vertrauens-Super-GAU hochstilisiert. Diesen Verdacht zu entkräften half mir – wie stets – das F.A.Z.-Archiv. Dort findet sich genügend Material meiner Leidensgenossen, alle mit dem Tenor: Wehe dem, der den Automatismus von Amazon stört. Der wird bestraft.
Marktmacht ist verführerisch und bequem für den Kunden

Als dilettierender Kartellexperte hätte ich vor diesem ärgerlichen Vorfall stets behauptet, Amazon sei nicht gefährlich trotz seiner inzwischen 80 Prozent Marktanteile im Online-Handel. Denn das Unternehmen nützt seine Macht ganz offensichtlich nicht aus, mir höhere Preise abzuknöpfen. Der Erfolg verdankt sich seiner auf Netzwerkeffekten beruhenden Leistung – mit freundlicher Unterstützung durch die aktuelle Seuche, die es uns verbietet, beim stationären Händler einzukaufen. Doch jetzt sehe ich: Preissetzungsmacht ist nicht der einzige Schaden, den ein Monopolist den Menschen zufügt. Ich wurde Opfer einer Mischung aus Bürokratismus und Desinteresse am einzelnen Kunden.

Der Monopolist braucht sich – allen Marketingsprüchen zum Trotz – nicht mehr besonders anzustrengen. Bei einem Rekordumsatz von hochgerechnet etwa 380 Milliarden Dollar im Jahr 2020 und einem Gewinn allein in den ersten drei Quartalen von 14 Milliarden Dollar kommt es auf den Kunden Hank nun wirklich nicht an. Abwandern wird er nicht, er hat ja keine Alternative".

Das stimmt nun allerdings nicht; es ist nur etwas aufwändiger: etwa 20 mehr Klicks mit dem Finger, etwas mehr Grips-Einatz. Was ist daran wirklich mühsam? Es soll Menschen geben, die mehr tun müssen, um Gewünschtes zu bekommen...

14.12.2020 09:27
Wie fair ist das Sandmännchen? Faire Kuscheltier und faires Spielzeug durch die Fair Toys Organisation (FTO)
"Das Sandmännchen ist fair", stellt Hannes Koch in der Frankfurter Rundschau heute fest. Und weiter: "Was soll man von dem seit 1959 bei Kindern und Eltern beliebten Gute-Nacht-Begleiter auch sonst denken? Heute kommt die Figur in ihrer Plüsch-Puppen-Variante zwar aus China – über schlechte Qualität, gefährliche Materialien oder miese Arbeitsbedingungen in den Fabriken müsse man sich aber keine Sorgen machen, heißt es bei der Firma Heunec im bayerischen Neustadt unweit Coburg.

Zwei Millionen Plüschtiere und -Puppen lässt das Unternehmen jährlich in China fertigen, auch das Sandmännchen. Dass die Bedingungen dort in Ordnung sind, ist Firmenchefin Barbara Fehn-Dransfeld ein Anliegen. „Unsere Partner in China bestätigen uns, dass sie ihren Beschäftigten beispielsweise deutlich mehr zahlen als die niedrigen, staatlich festgesetzten Mindestlöhne“, sagt die Heunec-Miteigentümerin.

Damit die Spielzeugbranche insgesamt höhere Standards akzeptiert, hat Fehn-Dransfeld die Fair Toys Organisation (FTO) mitgegründet und arbeitet dort im Vereinsvorstand. Beigetreten sind bisher zehn Unternehmen, darunter Fischertechnik und Zapf Creation. Das ist jedoch nur ein Anfang: Der Marktanteil dieser Firmen liegt deutlich unter zehn Prozent der Branche in Deutschland. Mit zweistelligen Millionenumsätzen und 30 Leuten spielt Heunec in der Regionalliga der hiesigen Spielzeugindustrie.

Der existenzsichernde Lohn ist ein wichtiger Punkt im Verhaltenskodex der Organisation. Wer der FTO beitritt, verpflichtet sich dem Ziel, dass die Beschäftigten der ausländischen Zulieferfabriken mehr Geld bekommen als die meist spärlichen Mindestlöhne. Genaue Zahlen enthält der Kodex jedoch nicht. Weitere Regeln besagen beispielsweise: Das Personal soll regelmäßig nicht länger als 48 Stunden wöchentlich arbeiten, ein freier Tag pro Woche ist Pflicht. Gewerkschaften dürfen gegründet werden.
„Die Mitgliedsfirmen sind verpflichtet, sich den Zielen aus dem Verhaltenskodex fortschreitend anzunähern“, erklärt FTO-Initiator Maik Pflaum von der Christlichen Initiative Romero (CIR) in Nürnberg. „Sie müssen konkrete Schritte benennen und diese auch nachweisbar umsetzen.“ Die Organisation beschreibt den Weg, weiß aber, dass es selbst bei den Mitgliedsfirmen durchaus Defizite gebe. „Wer behauptet, Arbeitsrechtsverletzungen zu 100 Prozent ausschließen zu können, ist unehrlich“, heißt es auf ihrer Internetseite.

Fehn-Dransfeld räumt ein Spannungsverhältnis auch in ihrem Unternehmen ein. „Die Entlohnung in den chinesischen Firmen, die Heunec-Produkte fertigen, ist existenzsichernd“, sagt sie einerseits. Andererseits kontrolliert der deutsche Betrieb diese Informationen aus China bisher weder selbst, noch lässt er sie von beauftragten Zertifizierungsorganisationen überprüfen. „Das Thema steht aber auf der Agenda“, sagt Fehn-Dransfeld. In Zukunft wird das nicht mehr reichen. Dann müssen Heunec und andere Firmen genauer hinsehen, die Bedingungen in ihren Lieferketten dokumentieren, sowie Realität und Ziele zur Deckung bringen.

Das macht Arbeit und kostet Geld. Warum unterzieht Heunec sich dieser Mühe? Vor allem ärgere sie sich über die schlechten Arbeitsbedingungen in vielen chinesischen Fabriken, auf die die CIR Jahr für Jahr in ihrem kritischen Branchenreport (siehe Kasten) hinweise, sagt Fehn-Dransfeld. Denn damit drohe mittelbar auch ein schlechtes Licht auf ihren eigenen Betrieb zu fallen. „Die Kunden lesen ja auf unseren Etiketten ‚Made in China‘.“ Die Firmenchefin hat Angst vor einem Imageschaden.

Kann aber – andersherum betrachtet – die hohe ökologische und soziale Qualität zum Verkaufsargument werden? Suchen Verbraucherinnen und Verbraucher gezielt solche Produkte, so dass sich die Mitgliedschaft in der FTO rechnet? Möglich ist das, wie Firmenbeispiele aus der Bekleidungs- und Lebensmittelwirtschaft zeigen. Andererseits ist der Anteil nachhaltiger Produkte im Vergleich zum gesamten Einzelhandelsumsatz noch sehr gering: Mehrheitlich interessieren sich die Konsumenten höchstens theoretisch für den ethischen Mehrwert der gekauften Artikel.

Ob sich das ändert, wird man im Spielzeugmarkt erst in ein paar Jahren erfahren. „Wenn die Unternehmen ihre Zusagen einhalten und die nötige Punktzahl im FTO-Check erreichen, dürfen sie mit dem Logo der FTO an ihren Produkten in den Geschäften werben“, sagt Maik Pflaum. In frühestens zwei Jahren können die Kundinnen und Kunden auf diese Art entscheiden, ob sie fairen Plüschtieren den Vorzug vor konventionell gefertigten geben.

Wichtig erscheint allerdings auch das Marktsegment der öffentlichen Beschaffung. Die Stadt Nürnberg – Ort der alljährlichen Spielzeugmesse – ist schon jetzt FTO-Mitglied. „Ich kann mir gut vorstellen, dass der Nürnberger Stadtrat künftig beschließt, für öffentliche Einrichtungen nur noch Produkte mit dem FTO-Siegel zu kaufen“, vermutet Pflaum, der als parteiloser Abgeordneter der Grünen selbst in dem Gremium sitzt. Andere Kommunen mögen dem Beispiel folgen und für ihre Kindertagesstätten dann ausschließlich faires Spielzeug einkaufen.

Initiativen wie die FTO liegen in jedem Fall im Trend. Mit ihrem Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte übt die Bundesregierung sanften Druck auf die Unternehmen aus. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) plädieren außerdem für ein Lieferkettengesetz, damit hiesige Unternehmen die Arbeitsbedingungen in ihren ausländischen Zulieferfabriken verbessern.

Viele Firmen warten ab, manche Wirtschaftsverbände treten auf die Bremse, andere versuchen hingegen, das Beste aus der Entwicklung zu machen. So ist der Bundesverband der Spielwarenindustrie (DVSI), der rund 240 mittlere und große Unternehmen repräsentiert, der FTO schon beigetreten. Und eine Sprecherin des Herstellers Simba-Dickie, eine der Großen der Branche, sagt: „Wir stehen der Fair Toys Organisation offen gegenüber, sind in engem Kontakt und überlegen, dort zukünftig Mitglied zu werden.“"

02.11.2020 12:23
Schokolade-Unternehmen brechen ihr Versprechen
Verbraucher in Deutschland müssen nach Darstellung von Entwicklungsorganisationen weiter davon ausgehen, dass in Schokoladentafeln ausbeuterische Kinderarbeit steckt. Die Entwicklungsorganisation Inkota und das Forum Fairer Handel forderten deshalb am Dienstag in Berlin von der Bundesregierung ein ambitioniertes Lieferkettengesetz, das Unternehmen haftbar macht, wenn sie eine Mitverantwortung für ausbeuterische Kinderarbeit tragen.

Die beiden Organisationen verwiesen auf eine im Auftrag des US-Arbeitsministeriums erstellte und am Montag veröffentlichte Studie, nach der die Schokoladenindustrie ihr Versprechen gebrochen habe, die Kinderarbeit auf Kakaoplantagen bis 2020 um 70 Prozent zu verringern. Demnach arbeiten noch immer rund 1,5 Millionen Kinder unter ausbeuterischen Bedingungen auf Kakaoplantagen in Westafrika, wo rund 70 Prozent des in Deutschland verarbeiteten Kakaos angebaut werden.

Insbesondere der Anteil der Kinder, die gefährlichen Chemikalien ausgesetzt sind, sei in den vergangenen Jahren sogar stark gestiegen, betonen die Entwicklungsorganisationen.

„Die Schokoladenindustrie hat ihr Versprechen gebrochen“, kritisierte Johannes Schorling, Referent für Wirtschaft und Menschenrechte beim Inkota-Netzwerk. Programme zur Bekämpfung der Kinderarbeit erreichten bisher nur einen kleinen Teil der Bauern, auch weil Unternehmen die hohen Kosten für solche Programme scheuten. „Menschenrechte gibt es aber nicht zum Nulltarif. Unternehmen müssen bereit sein, die nötigen Kosten für die Vermeidung von Kinderarbeit zu tragen – dazu gehört auch die Zahlung eines existenzsichernden Kakaopreises“, so Schorling.

Bereits 2001 hatten Schokoladenhersteller wie Mars und Nestlé im Harkin-Engel-Protokoll versprochen, die schlimmsten Formen der Kinderarbeit bis 2005 zu beenden. Das Ziel wurde in der Zwischenzeit mehrfach revidiert. Aktuell strebt die Industrie eine Reduzierung der Kinderarbeit um 70 Prozent bis 2020 an.

„Armut ist eine der Hauptursachen für Kinderarbeit“, sagt Andrea Fütterer, Vorstandsvorsitzende des Forum Fairer Handel. „Wir brauchen existenzsichernde Preise, die die Produktions- und Lebenshaltungskosten der Kakaobäuerinnen decken. Hier setzt auch der Faire Handel an.“ Weil viele Unternehmen durch die Missachtung von Menschenrechten Wettbewerbsvorteile genießen würden, stießen Fairer-Handel-Akteure jedoch an ihre Grenzen. „Es ist an der Zeit, einheitliche Regeln für alle Unternehmen festzuschreiben“, so Fütterer.

kna/FR 20.10.20

16.10.2020 10:04
Bei Amazon sieht der Vorgesetztes alles - unfaire Arbeitssituation durch Dauerdruck
Amazon ist einer der großen Corona-Gewinner. Die Umsätze steigen rasant und auch die Aktie befindet sich auf einem Rekordniveau: Seit Mitte März hat sich ihr Wert fast verdoppelt. Weniger rosig ist die Situation für viele Beschäftigte: Recherchen zeigen, dass sie engmaschig überwacht werden, damit die Produktivität steigt.

Als Greenpeace zu Umweltproblemen bei Amazon recherchierte, stieß die Organisation auf diese Form der Überwachung und machte die Dokumente dem NDR zugänglich. Sie belegen erstmalig: Amazon kontrolliert permanent die Leistung der Arbeiter.

Dokumente, die dem NDR vorliegen, belegen erstmalig: Amazon kontrolliert permanent die Leistung der Arbeiter. Genutzt wird dafür eine Software des Warenwirtschaftssystems.

Und so funktioniert das Programm zur Leistungskontrolle: Der Amazon-Mitarbeiter scannt jedes Teil, das er einlagert, heraussucht oder in ein Paket packt. Dieser Scan-Vorgang wird sekundengenau aufgezeichnet und einem Vorarbeiter angezeigt. So kann er jeden Arbeitsschritt der Beschäftigten überwachen und sehen, ob ein bestimmter Arbeiter auch genügend Pakete, um die durchschnittliche Rate zu erfüllen. Er sieht auf seinem Display auch, wenn jemand mal für wenige Minuten nicht arbeitet. Geht es insgesamt nicht schnell genug, greift der Vorarbeiter ein.

Vorarbeiter bestätigt ständige Kontrolle
Das bestätigt ein Vorarbeiter, der in einem der Amazon-Versandlager in Deutschland arbeitet und sich gegenüber Panorama anonym äußert: "Dann gucke ich vor Ort, was das Problem ist. Unterhält sich der Mitarbeiter vielleicht zu lange, ist er nicht am Platz, zu oft auf der Toilette?" Amazon schreibt uns, das System helfe "Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beim Anlernen neuer Prozesse" und gebe bei Bedarf "Hilfestellungen".

Ob diese engmaschige, lückenlose Überwachung rechtlich einwandfrei ist, ist aber umstritten. In Niedersachsen läuft deswegen ein Kontrollverfahren der Datenschutzbehörde. Amazon schreibt uns auf Nachfrage: "Nach unserer Einschätzung sind diese Systeme im Einklang mit den Verordnungen und Gesetzen in Deutschland und in der EU." Man nutze das Programm als "Warenwirtschaftssystem, mit dem wir die Abläufe für Kundenbestellungen in unserem Netzwerk planen."

Rate steigt kontinuierlich

Auf dieser Grundlage werden die Arbeiter offenbar verglichen. Obwohl es offiziell keine Akkordarbeit gibt, entsteht so defacto ein starker Druck, so viele Pakete wie möglich zu bearbeiten. Denn: Wer am wenigsten leistet, muss um die Verlängerung des häufig befristeten Vertrags fürchten.

Am Ende entscheide auch die durch die Software gemessene Schnelligkeit, wer beschäftigt wird oder nicht, so der Vorarbeiter. Die Schnellen bleiben, die eher Langsamen müssen gehen. Die Folge: eine kontinuierlich steigende Durchschnitts-Rate, an der sich die Beschäftigten zu orientieren haben. Wer heute noch schnell genug ist, um weiter beschäftigt zu werden, kann schon morgen zu langsam sein - und damit vor dem Aus stehen.

Das Ergebnis, so der Vorarbeiter, führt zu den so genannten "Release Days" - übersetzt etwa "Tage der Freisetzung". An diesen Tagen wird den Mitarbeitern mitgeteilt, ob ihr befristeter Vertrag ausläuft oder verlängert wird. Der Vorarbeiter berichtet: "Man hat die Unterlagen vor sich, die Security steht bereit, falls es Probleme gibt. Denn wenn mehrere Leute gleichzeitig gehen mit schlechter Laune, kann es natürlich auch mal zu verbalen Auseinandersetzungen oder auch zu Handgreiflichkeiten kommen."

Ehemalige Beschäftigte bestätigt Überwachung

Fatma Körugallari hat die Überwachung am eigenen Leib erfahren. Sie hat fast zwei Jahre im großen Versandlager im niedersächsischen Winsen (Luhe) gearbeitet, wurde sogar in den Betriebsrat gewählt. Der Druck war immer zu spüren, erinnert sich die heute 60-Jährige. Wenn die Rate mal fiel, sei sie sofort ermahnt worden. "Ich wurde dann zum Beispiel gefragt, wo ich um eine bestimmte Uhrzeit war", sagt sie.

Kurz nach Weihnachten 2018 hat sie dann erst erfahren, dass ihr nur wenige Tage später endender Vertrag nicht verlängert wird. Zum plötzlichen Abschied habe es lediglich ein kühles Dankeschön und eine Tafel Schokolade gegeben. Amazon möchte diesen Fall nicht kommentieren.

Arbeitssoziologe: Fluktuation und Kontrolle Teil des Amazon-Modells

Für Peter Birke von der Universität Göttingen sind die ständige Überprüfung der Arbeiter und befristete Verträge Teil des Beschäftigungsmodells bei Amazon. "Solange die Leute noch befristet sind, ist die Sanktionsmöglichkeit des Betriebs groß, weil die Beschäftigten ohne Angabe von Gründen nicht weiter angestellt werden müssen", so der Arbeitssoziologe.

von Sebastian Friedrich und Johannes
Jolmes von Panorama für die ARD/1. Programm

"Der TV-Beitrag"