Es mangelt nicht nur an Kritikfähigkeit, an kritischer Selbstreflexion und mitarbeiterorientiertem Gestaltungswillen in Unternehmen, sondern auch und vor allem an Transparenz, Fairness und Beteiligung. Obwohl es in vielen Branchen an Personal fehlt. Oder gerade deshalb? Der Wettbewerb um kompetente Arbeitskräfte spitzt sich zu, schreibt Steffen Hermann in der Frankfurter Rundschau zu seinem Interview mit Kununu-Chefin Zimmermann: „Dabei wird der Auftritt von Unternehmen im Internet wichtiger – auch auf Plattformen wie Kununu. Dort können Beschäftigte ihre Arbeitgeber bewerten: Gehalt, Unternehmenskultur, Vielfalt. Schlechte Bewertungen drücken den Score – und verschlechtern die Chancen eines Unternehmens bei potenziellen Bewerberinnen und Bewerbern. Im Interview spricht Kununu-Chefin Nina Zimmermann über typische Beschwerden, Feedback-Probleme deutscher Unternehmen und Pay Gaps.
Frau Zimmermann, wegen der konjunkturellen Flaute herrscht in vielen Chefetagen eine schlechte Stimmung. Wie gereizt ist der Ton derzeit auf Ihrer Plattform?
Es ist nicht so, dass derzeit mehr negative Bewertungen kommen. Was man aber schon merkt: Wer sich in schlechten Zeiten von Mitarbeitern trennen muss, kann es gut oder schlecht machen. Und da müssen die Arbeitgeber noch viel lernen: Wie erhält man eine gute Unternehmenskultur, wenn die Zeiten härter werden?
Wie sieht denn eine gute Unternehmenskultur in schlechten Zeiten aus?
Offen und ehrlich mit der Situation umgehen, frühzeitig kommunizieren und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teilhaben lassen.
Und die typischen Beschwerden auf Ihrer Plattform berichten dann vom Gegenteil?
Ja, eine Sache hat sich seit Jahren nicht verändert: Leute kommen oft wegen des Geldes, und sie gehen wegen des Chefs. Der Ton, das Umfeld, der Umgang miteinander – wenn es Probleme in einem Unternehmen gibt, dann häufig dort. Das sehen wir in unseren Daten.
Wie gehen Sie mit den Daten um, die sie durch die Bewertungen bekommen?
Ein Beispiel: Zwei Medienunternehmen, beide haben einen Score von 3,6, beide haben knapp 10 000 Mitarbeiter, die Sterne-Bewertungen sind ähnlich. Die Unterschiede verstecken sich häufig in den Texten, die die Bewertenden über das Unternehmen schreiben. Das ist der Schatz, den wir uns ganz genau anschauen. Damit können wir Arbeitgeber dann beraten, wenn sie offen dafür sind.
Spielt künstliche Intelligenz bei der Auswertung eine Rolle?
Ja, aber wir müssen noch viel lernen. Wir haben tolle Data-Science-Kollegen, die sich damit beschäftigen und helfen, die Plattform besser zu machen. Es gibt noch einiges zu tun, denn wir sitzen auf sehr vielen Daten.
Und wie verdient Kununu Geld mit diesen Daten?
Wir haben ein klassisches Werbemodell. Unternehmen können ihr Profil schöner und besser darstellen, indem sie ein Abo kaufen, dessen Preis sich nach der Unternehmensgröße richtet. Das Schöne ist: Die Unternehmen haben dann die Chance, mehr über sich zu erzählen – aber es ändert sich an der Mechanik der Plattform nichts. Das Ranking bleibt gleich und auch Unternehmen ohne Bezahlprofil können Bewertungen kommentieren.
Das heißt, die Unternehmen können kein besseres Ranking kaufen?
Nein, das wäre auch nicht im Sinne unserer Plattform. Wir wollen Mehrwert stiften.
Stichwort Mehrwert. Wie stellen Sie denn sicher, dass die Bewertungen ein realistisches Bild zeichnen? Wer mit seinem Arbeitgeber einigermaßen zufrieden ist, schreibt in der Regel keine Online-Bewertung.
Tja, beim Job ist es anders als beim Restaurant- oder Hotelbesuch. Da schreibt man eine Bewertung, wenn der Teller leer oder der Urlaub vorbei ist. Die Frage ist: Wann ist ein guter Zeitpunkt, einen Arbeitnehmer zu ermutigen, eine Bewertung zu schreiben? Wir raten Arbeitgebern, regelmäßig um Feedback zu bitten – zum Beispiel nach der ersten Bewerbungsrunde oder am Ende der Probezeit. Und klar: Man kann nicht 100 Prozent gewährleisten, dass das Bild stimmt, das die Bewertungen von einem Unternehmen zeichnen. Aber je mehr Bewertungen es gibt, desto genauer ist es in der Regel.
Prüfen Sie die Bewertungen denn?
Ja. Missbrauch können wir technisch identifizieren, zum Beispiel, wenn es mehrere Bewertungen in kurzer Zeit sind oder gleiche IP-Adressen. Unser System erkennt auch Schimpfwörter oder Namen, die werden sofort rausgefischt. Und selbstverständlich können sich auch Arbeitgeber bei uns melden, wenn sie der Meinung sind, eine Bewertung stimme nicht.
Können Sie denn sagen, welches Problem größer ist: Frustrierte Ex-Mitarbeiter:innen, die dem Arbeitgeber nach der Kündigung eine Ohrfeige geben wollen, oder Unternehmen, die die eigenen Bewertungen polieren wollen?
Das Problem liegt definitiv bei den Unternehmen. Und das ist ein kulturelles Thema: Im deutschsprachigen Raum tun wir uns schwer mit Feedback und Kritik. Das Problem wächst. Ich kann Ihnen Anekdoten erzählen von Unternehmen, die mich abends anrufen und sich beschweren, weil sie eine schlechte Bewertung bekommen haben. Dann schaue ich mir das Profil an und sehe: 19 tolle Bewertungen und eine ganz schlechte. Da denke ich mir: Macht euch locker!
Es fehlt also der Impuls, zu fragen: Was kann ich als Arbeitgeber verbessern?
Genau, meistens heißt es dann: Ich weiß ganz genau, wer die Bewertung geschrieben hat, dem haben wir gerade gekündigt. Ich sage dann: Okay, das ist doch verständlich. Vielleicht war der Kündigungsprozess nicht gut.
Sie sind seit Juni 2021 Chefin von Kununu. Haben Sie in dieser Zeit etwas über den Arbeitsmarkt gelernt, das Sie überrascht hat?
Da muss ich mich wiederholen: Das ist die Negativität aufseiten vieler Unternehmen, dass sie sich nicht mit Kritik auseinandersetzen. Ich dachte, da wären wir wirklich weiter. Positiv hat mich überrascht, wie wichtig Transparenz inzwischen ist. Wie offen viele Menschen inzwischen über ihre Arbeit sprechen, über das Gehalt und die Kultur in den Unternehmen. Und zwar weil sie anderen Menschen helfen wollen, die sich für einen Arbeitgeber interessieren.
Bei Transparenz ist der Weg nicht weit zur Gleichstellung und dem Gender Pay Gap. Sie sammeln ja auch Daten zu Gehältern. Was sind Ihre Erkenntnisse?
Tatsächlich haben wir zwei Dinge analysiert: Es gibt große Pay Gaps zwischen unterschiedlichen Städten. Und wir sehen auch, dass Frauen weiterhin deutlich benachteiligt werden. Ihre Gehälter sind schon beim Berufseinstieg teilweise 13, 14 Prozent niedriger als die der Männer. Das ist eine unerklärliche Lücke.
Ist das auch ein kulturelles Problem? Über Geld spricht man nicht?
Ja, aber auch da ändert sich etwas. Zumindest bei den jüngeren Generationen. Während man früher nicht mal den eigenen Eltern erzählt hat, was man verdient, ist das bei der Generation Z anders. Die jungen Menschen sagen: Ich brauche so viel Geld im Monat, deshalb muss es dieser Job sein. Es ändert sich also auch der Umgang mit Geld.
Sie sind gebürtige Britin, haben in London und Boston studiert, wohnen nun in Wien. Sie haben also immer wieder die Perspektive gewechselt: Was sollten deutsche Unternehmen lernen?
Ich wünsche den deutschen Unternehmen mehr Mut. Sie sollten erkennen, dass sie mit alten Methoden keinen Erfolg mehr haben werden. Mit der Generation Z muss man anders kommunizieren, die klassische Top-Down-Hierarchie funktioniert nicht mehr. Also: mehr Mut, Offenheit und Wertschätzung“.
Nina Zimmermann, 48, ist seit Juni 2021 Chefin des Portals Kununu. Dort können Beschäftigte ihre Arbeitgeber bewerten. Zuvor war die gebürtige Britin bei Burda, wo sie unter anderem für Bunte.de zuständig war. Sie studierte in London und Boston, machte Karriere bei Bertelsmann, der Telekom und der Karriereplattform Experteer. "Fairness-Partner werden und die Unternehmenskultur verbessern"
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