Blog nach Monat: Juni 2023

29.06.2023 10:34
FDP - der lange Arm der Klimawandelverschärfer
Ist die FDP der verlängerte Arm der Klimaleugner, der Blockade-Politik von bestimmten Konzernen und Teilen der Wirtschaft - auf Kosten der künftigen Generationen und eines erdverträglichen Fortschritts unserer Gesellschaft?

Diesen Eindruck kann man gewinnenn, wenn man die folgende Kolumne von Christian Stöcker über „Die heimlichen Einflüsterer der FDP“ im Spiegel am 25.6.2023 liest und die Information zur Kenntnis nimmt. Die FDP-Strategie befördert auch rechte Entwicklungen und den Aufstieg der AFD, hoffentlich nicht absichtlich, zumindest aber töricht und sehr egozentrisch:

„Die FDP versucht in der Ampel jedes relevante Klimaschutzgesetz zu torpedieren, mit erschreckendem Erfolg. Warum? Eine zentrale Rolle spielen radikale Ideologen – und ein libertärer US-Milliardär.

»Es gibt eben keine andere Wahl als die: entweder von isolierten Eingriffen in das Spiel des Marktes abzusehen oder aber die gesamte Leitung der Produktion und der Verteilung an die Obrigkeit übertragen. Entweder Kapitalismus oder Sozialismus; ein Mittelding gibt es eben nicht«. Ludwig von Mises (1929): »Kritik des Interventionismus. Untersuchungen zur Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsideologie der Gegenwart«
»Je politisch einflussreicher Koch Industries wurde, desto mehr betonte es, dass seine Lobbyisten eine ausschließlich ideologische Mission verfolgten. Kochs Lobbyisten und Public Relations Teams erklärten, ihr Ziel sei es nicht, die Profite von Koch Industries zu mehren, sondern nur die Idee von Freiheit und Wohlstand zu verfechten.« Christopher Leonard, »Kochland« (2019)

Der oben zitierte Ludwig von Mises, ein österreichischer Ökonom, war ein Radikaler. Von Mises, der nicht ganz so berühmt wurde wie später sein Schüler Friedrich von Hayek, war der Überzeugung, dass jede Form staatlicher Regulierung mit »Sozialismus« gleichzusetzen sei. Er verabscheute nicht nur die Idee eines Mindestlohns, sondern sogar das Konzept des Kartellrechts: Regulierung zur Verhinderung von Monopolen hätte nur eine »produktivitätsmindernde Wirkung«.

Der reichste und mächtigste lebende Fan Ludwig von Mises und Friedrich von Hayek ist der in Deutschland bis heute kaum bekannte US-Multimilliardär Charles Koch (Laut »Forbes« derzeit 57 Milliarden Dollar schwer). Das Buch »Kochland«, eine Art kombinierte Unternehmens- und Personenbiografie von dem US-Investigativjournalisten Christopher Leonard, ist auf Deutsch leider nie erschienen. Dabei ist es sehr hilfreich, wenn man verstehen will, was in der deutschen Politik gerade passiert.

»Apparat zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung«

Charles Koch verehrte von Mises und von Hayek, Pioniere des libertären Denkens, schon seit den Sechzigerjahren, als er mit seinen Brüdern das Ölgeschäft seines Vaters übernahm. Bald gründete Koch ein Institut zur Verbreitung radikallibertären Gedankenguts, das bis heute zu den einflussreichsten Lobbyorganisationen der USA gehört: das Cato Institute. Damals begann er auch, »einen Apparat zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung zu konstruieren, der in der Geschichte amerikanischer Unternehmen einzigartig sein dürfte«, wie Leonard schreibt.

Koch Industries war schon ab den Siebzigerjahren ein sektenhaft geführtes Unternehmen, dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Indoktrinationsseminaren zur Unternehmensphilosophie des »Market based Managements« teilnehmen mussten. Jahrelang hielt Koch diese Seminare selbst. Sein Unternehmen wird vom »Political Economy Research Institute« an der University of Massachusetts gleich in drei Hitlisten geführt : den Top 100 der Firmen, die am meisten zum Klimawandel, am meisten zur Luftverschmutzung und am meisten zur Wasserverschmutzung beitragen. Allein seit dem Jahr 2000 hat Koch Industries über eine Milliarde Dollar an Strafzahlungen leisten müssen, 815 Millionen nur für die Verletzung von Umweltauflagen.

Teure Reisen für wertvolle Richter

Koch ließ schon sehr früh kostspielige Seminarreisen für Richterinnen und Richter organisieren, in deren Verlauf die Eingeladenen auf die Prinzipien eines möglichst unreglementierten Marktes eingeschworen wurden. Charles Koch und sein Bruder David spendeten viel Geld an die sogenannte Federalist Society, eine Vereinigung »konservativer« Richterinnen und Richter, aus deren Kreis die Republikaner in Washington gerne Leute an möglichst hohe Gerichtshöfe berufen. Zu den Leuten, die auf Koch-Kosten auf Reisen gingen gehörte zum Beispiel Clarence Thomas , einer der stramm rechten Richter am Supreme Court, der gerade wieder Ärger wegen teuren Reisen mit Milliardären hat, genau wie sein Supreme-Court-Kollege Samuel Alito . Als der Supreme Court 2022 gegen die US-Umweltbehörde EPA entschied und so deren Möglichkeiten zum Klimaschutz drastisch beschränkte, titelte das Investigativportal »The Intercept «: »Wie Charles Koch sich die EPA-Entscheidung des Supreme Courts kaufte.«

Charles Koch ist aber nicht nur ein Pionier der Methode, mit sehr langem Atem einem selbst gewogene Gerichte zu erzeugen. Er ist auch einer der wichtigsten Finanziers der Lüge, dass es keinen menschengemachten Klimawandel gebe. Es gelang Koch sogar, die um das Jahr 2009 in den USA entstehende »Tea Party«-Bewegung, die eigentlich ganz andere Interessen verfolgte, auf den Kampfschrei »der Klimawandel ist ein Hoax!« einzuschwören. Er nutzte dazu eine üppig finanzierte Pseudo-Graswurzelorganisation namens Americans for Prosperity, die Scharen von Demonstranten und Zwischenrufer mit Sprechzetteln losschickte, um Politiker unter Druck zu setzen.

Hunderte Millionen Dollar für Lobbyismus

Koch hat über die Jahre mindestens Hunderte Millionen Dollar in Desinformation und Lobbyismus gesteckt. »Die effektivste Quelle für Klimawandelleugnung war ein einzelner, entschlossener Libertärer, der glaubte, er schaffe eine bessere Welt«, schrieb »The Daily Beast « vergangenes Jahr über Koch.

Koch Industries verdankt seine immense Größe und seinen Reichtum maßgeblich Öl, Gas, Pipelines, Raffinerien, Tankern. Mittlerweile umfasst das absichtlich intransparente Konglomerat auch Rohstoffhändler, Chemie- und Düngemittelfabriken und anderes. Koch entwickelte schon ab den frühen Neunzigern das Instrumentarium, das noch heute gegen jede wirksame Klimaschutzregulierung in Stellung gebracht wird: Stiftungen, »Thinktanks«, »Bürgerinitiativen« mit undurchsichtigen Geld- und Propagandaquellen und so weiter.

2009 standen die USA kurz vor einer Gesetzesänderung, mit der die Lage der Menschheit heute nicht ganz so verzweifelt wäre. Das sogenannte Waxman-Markey-Gesetz hätte einen CO2-Preis und einen Emissionshandel in den USA eingeführt. Die Gesetzesvorlage schaffte es sogar durch das Repräsentantenhaus, auch mit den Stimmen von acht Republikanern.

Die Lüge als Hilfe beim Selbstbetrug

In diesem Moment setzte Charles Koch seine über Jahrzehnte aufgebaute Einflussoperation aus »Experten«, »Thinktanks«, »Stiftungen«, »Bürgerinitiativen« und natürlich traditionellen Lobbyisten in Marsch. In »Kochland« heißt es, Kochs Ziel sei es gewesen, »die Republikanische Partei neu zu formen und an diesen Abgeordneten ein Exempel zu statuieren«. Das Ergebnis ist die Republikanische Partei von heute. Das Waxman-Markey-Gesetz starb einen stillen Tod, es schaffte es nie in den Senat.

Offenbar reduzierten die hoch bezahlten Koch-Lobbyisten ihre kognitive Dissonanz angesichts ihrer Lügenkampagne mit der einfachsten Methode: Sie überredeten sich selbst, dass es keine menschengemachte Klimakrise gebe. Leonard zitiert aus den Erinnerungen eines ehemaligen Mitglieds der Washingtoner Lobbytruppe: »Die meisten der Anwesenden gaben bekannt, dass sie den Klimawandel für einen ›Hoax‹ hielten. Das war für ihn schwer nachvollziehbar.« Schließlich waren die Anwesenden doch »sehr intelligente« Leute, gut informiert über Kochs gewaltige Emissionen. Aber, »wenn die Erderwärmung nicht real war, dann gab es auch keinen Grund für so ein Gesetz«.

Für Marktradikale wie Charles Koch ist diese Lüge notwendig, damit sie ihr ideologisches System aufrechterhalten können. Die Logik funktioniert folgendermaßen: Märkte regeln alles zum Besten. Ein Eingriff ist höchstens bei sogenannten negativen Externalitäten zulässig, wenn also jemand Schäden verursacht, für die andere oder die Allgemeinheit anschließend aufkommen müssen. Diese Schäden müssen »internalisiert«, also vom Verursacher ausgeglichen werden, sonst herrscht »Marktversagen«.

Und damit zur FDP

Koch entschied sich augenscheinlich dafür, die Billionen Dollar schweren negativen Externalitäten, die CO2 nachweislich schon jetzt verursacht, für nicht existent zu erklären. Und doch verkniff sich Koch bei einem extrem seltenen Interview, das er 2016 der »Washington Post« gab, den Klimawandel nicht selbst explizit zu leugnen. Stattdessen stellte er jede Gegenmaßnahme infrage.

Und damit kommen wir zur FDP von heute. Als die Partei kürzlich das Gebäudeenergiegesetz torpedierte, dem sie selbst vorher bereits zugestimmt hatte, steckte dahinter vor allem ein Mann. Der Abgeordnete Frank Schäffler brachte den entsprechenden Antrag ein, versehen mit einem Feigenblatt: Der Gebäudesektor müsse früher in den Emissionshandel einbezogen werden. Noch auf dem Parteitag kassierte der Parteichef und Finanzminister Lindner diesen Teil des Antrags: Das gehe leider nicht. Das wäre ein Schachzug nach Charles Kochs Geschmack.

Schäffler selbst hat öffentlich zuletzt 2014 die Klimakrise geleugnet , in einem Beitrag fürs »Handelsblatt« (»Ich bin ein Klimaskeptiker«). Der sehr aggressive Text enthält lauter Talking Points, die heute noch gängig sind: »Klimahysterie«, »Schuldkomplex«, »Umerziehungsversuche«. Und sogar einen, mit dem auch Kochs ferngesteuerte Bürgerinitiativen schon fünf Jahre vorher antraten: »die Eisbären werden mehr«. Koch ließ 2009 sogar Leute im Eisbärkostüm bei Kundgebungen auftreten.

Vielfältige Verflechtungen

Die Verbindungen reichen aber weiter. Schäffler tritt beim nach Kochs Vorbild benannten »Ludwig von Mises Institut Deutschland« auf. Das amerikanische Mutterschiff wurde in den frühen Achtzigern von Leuten gegründet, denen Charles Koch libertäre Thinktanks nicht radikal genug waren , kein Witz. Bis 2021 war Schäffler auch Mitglied der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft, der auch ihre eigenen Mitglieder schon 2015 zuvor vorwarfen, »Staatshasser« und »rechte, reaktionäre Kräfte« zu dulden. Einen Tag nach Schäffler, Anfang 2021, trat auch Alice Weidel von der AfD aus der Gesellschaft aus, wegen der »aktuell aufgeheizten Stimmung«. Der Chef-Klimawandelleugner der AfD, Michael Limburg, ist bis heute Mitglied der Gesellschaft und hält dort Vorträge zu Klimathemen. Viele Mitglieder sind bekennende Klimawandelleugner.

Schäffler hat das sogenannte Prometheus-Institut gegründet, dessen Finanziers er nicht transparent machen will. Er verweist zu dieser Frage stets auf »ein paar Familienunternehmen«. Das ist eine interessante Wendung vor dem Hintergrund, dass Schäffler auch »Mitglied des Strategischen Beirats« des Unternehmensverbands »Die Familienunternehmer « ist, einer Organisation, die jede Art von Klimarschutzregulierung erbittert bekämpft .

Der Verband geht nach Angaben mehrerer Betroffener bei der Durchsetzung seiner Interessen auf extrem aggressive Weise vor. Die mittlerweile in der FDP bis hinauf zum Vorsitzenden hoffähige Formulierung, Klimapolitik sei »planwirtschaftlich« stammt aus dem Fundus der »Familienunternehmer« – Charles Koch und Ludwig von Mises hätten an alldem vermutlich ihre helle Freude.
Spender: ExxonMobil, Philip Morris, Koch

Schäfflers Prometheus-Institut gehört zum Atlas Network, benannt nach dem von US-Libertären gefeierten Roman »Atlas Shrugged« von Ayn Rand aus dem Jahr 1957. Zitat aus der »Lobbypedia «: »Zu den Spendern gehören/gehörten ExxonMobil, Philip Morris, die US-Milliardäre Charles G. Koch und David H. Koch.« (David Koch starb 2019, Charles Koch ist heute 87 Jahre alt.)

Atlas-Jahreseinnahmen 2021: über 18 Millionen Dollar. Alle weiteren Verflechtungen aufzuzählen würde hier zu weit führen – zum Beispiel ist einer der Atlas-Geschäftsführer auch für Kochs Cato Institute tätig. Es existiert ein internationales Netzwerk mit dem Ziel, ultralibertäre Zustände zu erreichen und Klimaschutz so weit wie möglich zu verhindern. Bis heute.

Frank Schäffler und seine Verbündeten, die das Gebäudeenergiegesetz mit einer Koch-typischen Strategie zu Fall brachten, stecken mittendrin. Auch der als »Klimareferent« der FDP in Erscheinung tretende Steffen Hentrich vertritt bis heute öffentlich »Klimaskeptiker«-Positionen , trat bei der wiederum gemeinsam mit einem berüchtigten US-Klimawandelleugner bei der mit den Koch-Netzwerken verbandelten Klimawandelleugnerbude EIKE auf. Der hört heute sonst nur noch die AfD zu.

Die Geschichte von Schäfflers Wärmepumpe

Wie Schäffler bis heute operiert, zeigte sich gerade erst wieder, ganz öffentlich. Am 12. Juni twitterte er: »Der Schornsteinfeger war kürzlich bei mir, wenn Sie eine Wärmepumpe einbauen wollen, investieren Sie mit allem Drum und Dran rund 150.000 Euro«. Weniger als zwei Wochen später verriet er bei »Markus Lanz«, dass er gerade eine Wärmepumpe bestellt habe, weil er sie in seinem Neubau »für geeignet gehalten« habe. Ständige Desinformation gehört für Leute wie ihn zum täglichen Geschäft. Wie in den USA.

Und libertäres Gedankengut à la Koch scheint in der FDP von heute auch weiterhin einen festen Platz zu haben. So erklärte Verkehrsminister Volker Wissing kürzlich im »Morgenmagazin« von ARD und ZDF: »2022 waren die Bürgerinnen und Bürger nicht in der Lage, so wenig zu emittieren wie vorgeschrieben.« Es sei schließlich »nicht die Politik, die mit vielen Autos durch die Gegend fährt«. Das ist die radikale Staatsablehnung libertärer Ideologen, vorgetragen von einem Bundesminister: Die Regierung kann nichts tun, die von ihr selbst gesetzten Ziele einzuhalten, das muss die Bevölkerung schon allein hinkriegen.

Interessanterweise gibt es eine Passage aus Friederich von Hayeks Hauptwerk »The Road to Serfdom« von 1944, das sich heute wie ein Plädoyer für harte internationale Klimaregulierung liest. Übersetzt heißt die Passage: »Es muss eine Macht geben, die die unterschiedlichen Nationen davon abhalten kann, ihren Nachbarn zu schaden, ein Regelwerk, was ein Staat tun darf, und eine Autorität, die fähig ist, diese Regeln durchzusetzen.«

Das müssen Leute wie Schäffler und Koch überlesen haben.


Christian Stöcker: Jahrgang 1973, ist Kognitions­psychologe und seit Herbst 2016 Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Dort verantwortet er den Studiengang Digitale Kommunikation. Vorher leitete er das Ressort Netzwelt bei SPIEGEL ONLINE.


21.06.2023 12:32
Krasse Unfairness zugunsten reicher Privatflieger
Es ist ein starkes Stück Unfairness, Unrecht und Reichenbevorzugung, dass Privatjets, Luxusflieger allemal, vom EU-Emissionshandel ausgenommen, der eigentlich für den innereuropäischen Luftverkehr gilt.

Sarah Lange, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Siegen und Mitglied im Netzwerk Plurale Ökonomik, schreibt in der Frankfurter Rundschau am 19.6. zu Recht dazu:

„Oft wird behauptet, Klima- und Sozialpolitik stünden miteinander in Konflikt, dabei ist das Gegenteil der Fall: Verteilungsgerechtigkeit kann ein Schlüssel für wirksamen Klimaschutz sein.

Über den Wolken scheint die Freiheit grenzenlos zu sein. Zumindest gilt das für Superreiche und andere Betreiber:innen von Privatjets. Die Luxusflieger sind vom EU-Emissionshandel ausgenommen, der eigentlich für den innereuropäischen Luftverkehr gilt. Ein Sinnbild für die soziale Ungleichheit in Sachen Klimaschutz. Die Klimakrise ist menschengemacht, aber manche Menschen tragen deutlich mehr zur drohenden Überschreitung der Pariser Klimaziele bei als andere.

In Deutschland werden durchschnittlich elf Tonnen klimaschädlicher Treibhausgase pro Person und Jahr ausgestoßen. Während die ärmere Hälfte der Bevölkerung mit ihrem Lebensstil allerdings „nur“ knapp acht Tonnen pro Person verursacht, fällt der CO2-Fußabdruck von Reichen und Superreichen deutlich größer aus.

Rechnet man klimaschädliche Investitionen, etwa in fossile Energieträger, mit ein, verbraucht das reichste ein Prozent der deutschen Bevölkerung 160 Tonnen CO2 pro Person pro Jahr – die oberen 0,1 Prozent ganze 720 Tonnen. Eine absurd hohe Treibhauslast. Klimaverträglich wäre laut Umweltbundesamt ein Pro-Kopf-Ausstoß von unter einer Tonne.

Während die obersten Einkommensgruppen sowohl im globalen als auch im bundesweiten Vergleich überproportional stark zur Klimakrise beitragen, leiden Einkommensschwache besonders stark unter den Folgen der globalen Erhitzung. Oft wird behauptet, Klima- und Sozialpolitik stünden miteinander in Konflikt, dabei ist das Gegenteil der Fall. Verteilungsgerechtigkeit kann ein Schlüssel für wirksamen Klimaschutz sein.

Hierbei geht es nicht darum, die „Reichen“ kollektiv zu verurteilen. Vielmehr bedarf es zielgerichteter Steuern, aber auch Verbote von energieintensivem Luxuskonsum. Nur so entstehen Verbindlichkeit und Planungssicherheit.

Ein begleitender sozialer Kompensationsmechanismus wie das Klimageld ist notwendig, um Klimaschutz sozial gerecht zu gestalten. Mehreinnahmen aus der Besteuerung von Luxusgütern wie Privatjets oder Yachten können außerdem für die Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen an die Folgen der Klimakrise verwendet werden. Insbesondere die vulnerable Bevölkerung in den Ländern des globalen Südens gilt es zu unterstützen.

Auch über den Wolken endet die Freiheit des Einzelnen dort, wo die Freiheit der anderen beginnt“.

16.06.2023 10:02
Organisierte Unfairness gegenüber Menschen ohne oder mit wenig Arbeit
Der Wirtschaftswissenschaftler und emeritierte Professor Heinz-Josef Bontrup erinnert in einem Gastbeitrag für die FR daran, dass und wie Menschen in Arbeitslosigkeit vergessen werden – und das schon längere Zeit. Das verwundert sicher, wenn man sich die fast tägliche Klage über den Fachkräftemangel bewusst macht. Wie passt damit zusammen, dass Millionen Menschen hierzulande kein auskömmliches Einkommen erarbeiten können und die Arbeitslosigkeit nicht systemisch und systematisch angegangen werden. Gleichzeitig bleiben die Subventionen auch in CO2-treibende hoch für oftmals gutverdienende Unternehmen. Prof. Bontrup schreibt:

„Neoliberales Denken hat in den vergangenen Jahrzehnten eine aktive Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik nicht zugelassen. Hartz-IV-Politik stand mit katastrophalen Folgen auf der Agenda. Millionen Menschen wurden prekarisiert und verarmt. Ausbildungsplätze im dualen System waren rar und Berufsschulen unterfinanziert. Bis heute gilt dies für den gesamten Bildungssektor von der Grund- bis zur Hochschule. Die versagende Politik flüchtete sich in Sonntagsreden.

Und über dem Ganzen schwebt in Deutschland seit Mitte der 1970er Jahre eine nicht bekämpfte Arbeitslosigkeit. Trotz höchster Erwerbstätigenzahlen, aber einem dazu nicht analog gestiegenen Arbeitsvolumen, sind 3,35 Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos, alles Einzelschicksale. Bezogen auf die gut 41,5 Millionen abhängig Beschäftigten, entspricht dies einer Arbeitslosenquote von 8,1 Prozent und nicht von 5,5 Prozent, wie von der Bundesagentur für Arbeit offiziell ausgewiesen wird. Hinzu kommt die stille Reserve. Menschen, die es mangels Arbeitsnachfrage aufgegeben haben, noch nach Arbeit zu suchen. Außerdem sind 7,4 Millionen Menschen nur geringfügig beschäftigt. Trotz Mindestlohn kann man davon nicht leben. Die Betroffenen sind armutsgefährdet – nicht nur heute, sondern auch im Alter.

Unternehmer wollen keine vollbeschäftigte Wirtschaft, das ist evident. Und die Politik? Sie ist mehrheitlich unternehmerfreundlich. Abhängig Beschäftigte und ihre Gewerkschaften sind auf dem kapitalistischen Spielfeld zu schwach, um Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. So gibt es heute weiter gut 2,5 Millionen registrierte Arbeitslose plus 0,85 Millionen sogenannter „Unterbeschäftigter“, die realiter von der Politik statistisch wegdefinierte Arbeitslose sind. Ein Skandal – aber keiner regt sich darüber auf. Selbst die Gewerkschaften nicht.

Und bei alledem gibt es Fachkräftemangel, aber nur auf einzelnen Teilarbeitsmärkten. Betroffen ist hier jeder sechste Beruf (200 von 1200). Insbesondere Pflege-, medizinische und Bauberufe, Kinderbetreuung, KFZ-Technik und der IT-Bereich. Und schon wieder versagt die Politik. Sie will jetzt Arbeitskräfte aus dem Ausland anwerben und setzt auf einen Arbeitsmarktimperialismus, anstatt endlich eine binnenwirtschaftliche aktive Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik umzusetzen“.

01.06.2023 12:13
EU-Parlament stimmt für strenges EU Lieferkettengesetz - für Menschenrechte und Umwelt
Das ist fast nicht zu glauben: Die Regeln sind strenger als ursprünglich geplant. Die Europaabgeordneten haben neue Vorgaben für Unternehmen beim Umgang mit Lieferanten beschlossen. Sie sollen nun auch für kleinere Firmen gelten. Spiegel-Online berichtet am 1.6.2023 wie folgt:

"Das EU-Parlament hat sich für ein verhältnismäßig strenges Lieferkettengesetz ausgesprochen. Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte in Brüssel für Vorschriften, die Unternehmen für die Bekämpfung von Kinderarbeit, Ausbeutung und Umweltverschmutzung entlang ihrer weltweiten Lieferketten verantwortlich machen. Die Vorgaben sollen demnach über die im deutschen Lieferkettengesetz vorgesehenen Maßnahmen hinausgehen und etwa auch für den Finanzsektor gelten.

Die neuen Regeln übertreffen in ihrer Strenge vorherige Pläne. Denn ihnen sollen über alle Sektoren hinweg Unternehmen mit Sitz in der EU unterliegen, die mehr als 250 Angestellte und mehr als 40 Millionen Euro Jahresumsatz weltweit haben. Zunächst war das Lieferkettengesetz nur für Firmen ab 500 Beschäftigten und 150 Millionen Euro Umsatz gedacht. Auch Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU sollen sich an das neue Regelwerk halten müssen, wenn sie mehr als 150 Millionen Euro umsetzen und mindestens 40 Millionen Euro davon in der EU.

Die betroffenen Unternehmen sind künftig verpflichtet, negative Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf Menschenrechte und Umwelt zu ermitteln »und erforderlichenfalls zu verhindern, zu beenden oder abzumildern«, beschloss das Parlament. Außerdem müssen sie die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards auch bei ihren Partnerunternehmen in der Wertschöpfungskette überwachen. Dazu gehören Lieferanten, Vertriebspartner, Transportunternehmen, Lagerdienstleister oder auch die Abfallwirtschaft.

Die EU-Kommission hatte das Gesetz im vergangenen Februar vorgeschlagen. Die 27 Mitgliedstaaten einigten sich im Dezember auf eine Position, die den Vorschlag der Kommission etwas abschwächen würde. Für die abschließenden Verhandlungen zwischen Mitgliedstaaten und EU-Parlament fehlte noch die Positionierung der Abgeordneten, die nun über die Vorschläge der Kommission hinaus geht. In Deutschland gilt bereits seit Januar ein Lieferkettengesetz, das eventuell an die EU-Vorgaben angepasst werden müsste.
Scharfe Kritik aus der Wirtschaft

Das deutsche und nun entsprechend auch das europäische Gesetzesvorhaben wird von Wirtschaftsvertretern scharf kritisiert. Sie warnen vor überbordender Bürokratie und einer Schwächung europäischer Unternehmen auf dem Weltmarkt.

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) kritisierte, dem Gesetzentwurf fehle es an Praxistauglichkeit, Verhältnismäßigkeit und Rechtssicherheit. »Das Lieferkettengesetz bürdet den Unternehmen ein neues und unkalkulierbares Haftungsrisiko auf.« Von ihnen werde eine Kontrolle erwartet, die außerhalb ihrer eigenen Einflussmöglichkeiten liege, sagte DIHK-Präsident Peter Adrian. Lieferketten bestünden oft aus mehreren hundert, teils mehreren tausend Firmen. In der Regel sei einem Betrieb aber nur der direkte Zulieferer bekannt. Kleine und mittlere Unternehmen würden »komplett überfordert« durch die geplanten Richtlinien.

Der Arbeitgeberverband BDA warnt gar vor einer Abwanderung von Unternehmen durch mehr Regulierung. In Krisenzeiten brauchten Unternehmen Flexibilisierung und Spielräume für Innovationen – »und weniger Bürokratie aus Brüssel«, sagte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der Vorschlag des EU-Parlaments zu den Lieferketten bringe mehr Regulierung und keinen zusätzlichen Schutz für Menschenrechte.

Tiemo Wölken, rechtspolitischer Sprecher der Europa-SPD, sieht in dem EU-Gesetz dagegen die Chance, dafür zu sorgen, dass nicht mit zweierlei Maß gemessen werde, »sondern dass wir dafür sorgen, dass Menschenrechte und Umweltschutz überall auf der Welt gleichermaßen gelten«.

Insbesondere die CDU- und CSU-Delegation im Europaparlament hatte sich bis zuletzt für weniger strenge Vorschriften eingesetzt. Etwa sollten Subunternehmer sowie der Finanzsektor ausgenommen und nur größere Unternehmen betroffen sein. Der CDU-Europaabgeordnete Axel Voss forderte noch am Mittwoch in einer Debatte im Parlament, den bürokratischen Aufwand zu stoppen. Entsprechende Änderungsanträge fanden jedoch keine Mehrheiten.

366 Abgeordnete befürworteten das geplante EU-Lieferkettengesetz, 225 Abgeordnete stimmten dagegen, 38 enthielten sich".

Der Widerstand gegen diese Fassung der Lieferkettengesetzes durch Wirtschaftsverbände im Verbund mit Politikern der konservativen Parteien, allen voran CDU und CSU, war enorm. Um so eindrucksvoller der Entscheid einer starken Mehrheit des EU-Parlaments.

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