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16.06.2023 10:02
Organisierte Unfairness gegenüber Menschen ohne oder mit wenig Arbeit  

Der Wirtschaftswissenschaftler und emeritierte Professor Heinz-Josef Bontrup erinnert in einem Gastbeitrag für die FR daran, dass und wie Menschen in Arbeitslosigkeit vergessen werden – und das schon längere Zeit. Das verwundert sicher, wenn man sich die fast tägliche Klage über den Fachkräftemangel bewusst macht. Wie passt damit zusammen, dass Millionen Menschen hierzulande kein auskömmliches Einkommen erarbeiten können und die Arbeitslosigkeit nicht systemisch und systematisch angegangen werden. Gleichzeitig bleiben die Subventionen auch in CO2-treibende hoch für oftmals gutverdienende Unternehmen. Prof. Bontrup schreibt:

„Neoliberales Denken hat in den vergangenen Jahrzehnten eine aktive Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik nicht zugelassen. Hartz-IV-Politik stand mit katastrophalen Folgen auf der Agenda. Millionen Menschen wurden prekarisiert und verarmt. Ausbildungsplätze im dualen System waren rar und Berufsschulen unterfinanziert. Bis heute gilt dies für den gesamten Bildungssektor von der Grund- bis zur Hochschule. Die versagende Politik flüchtete sich in Sonntagsreden.

Und über dem Ganzen schwebt in Deutschland seit Mitte der 1970er Jahre eine nicht bekämpfte Arbeitslosigkeit. Trotz höchster Erwerbstätigenzahlen, aber einem dazu nicht analog gestiegenen Arbeitsvolumen, sind 3,35 Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos, alles Einzelschicksale. Bezogen auf die gut 41,5 Millionen abhängig Beschäftigten, entspricht dies einer Arbeitslosenquote von 8,1 Prozent und nicht von 5,5 Prozent, wie von der Bundesagentur für Arbeit offiziell ausgewiesen wird. Hinzu kommt die stille Reserve. Menschen, die es mangels Arbeitsnachfrage aufgegeben haben, noch nach Arbeit zu suchen. Außerdem sind 7,4 Millionen Menschen nur geringfügig beschäftigt. Trotz Mindestlohn kann man davon nicht leben. Die Betroffenen sind armutsgefährdet – nicht nur heute, sondern auch im Alter.

Unternehmer wollen keine vollbeschäftigte Wirtschaft, das ist evident. Und die Politik? Sie ist mehrheitlich unternehmerfreundlich. Abhängig Beschäftigte und ihre Gewerkschaften sind auf dem kapitalistischen Spielfeld zu schwach, um Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. So gibt es heute weiter gut 2,5 Millionen registrierte Arbeitslose plus 0,85 Millionen sogenannter „Unterbeschäftigter“, die realiter von der Politik statistisch wegdefinierte Arbeitslose sind. Ein Skandal – aber keiner regt sich darüber auf. Selbst die Gewerkschaften nicht.

Und bei alledem gibt es Fachkräftemangel, aber nur auf einzelnen Teilarbeitsmärkten. Betroffen ist hier jeder sechste Beruf (200 von 1200). Insbesondere Pflege-, medizinische und Bauberufe, Kinderbetreuung, KFZ-Technik und der IT-Bereich. Und schon wieder versagt die Politik. Sie will jetzt Arbeitskräfte aus dem Ausland anwerben und setzt auf einen Arbeitsmarktimperialismus, anstatt endlich eine binnenwirtschaftliche aktive Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik umzusetzen“.

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