Blog nach Monat: Dezember 2024

30.12.2024 15:32
2024 - 2025
Wir wünschen Ihnen einen guten Jahresausklang 2024 und ein gutes neues Jahr 2025 mit Resilienz wider alle Unfairness und gutes Know How zur Verbesserung von Fairness-Qualität und Fairness-Kultur!
Wir werden es alle brauchen können.
Gerne sind wir in 2025 wieder für Sie ab
7.1.2025 da!

Jutta Schmidt M.A. und Dr. Norbert Copray

23.12.2024 09:23
Fairness-Abkommen eine Chance auf faire Kommunikation
SPD, CDU, CSU, Grüne, FDP und Linke haben sich auf ein Fairnessabkommen im Bundestagswahlkampf geeinigt. In einer am Sonntag veröffentlichten Erklärung heißt es, man wolle bei aller notwendigen Klarheit, Kontroverse und auch Härte respektvoll miteinander debattieren. Auf persönliche Herabwürdigungen oder Angriffe auf das persönliche oder berufliche Umfeld werde man ebenso verzichten wie auf bewusste Falschinformationen.

Nun müssen sie zeigen, dass sie die Regeln auch einhalten. Die Wählerinnen und Wähler haben einen Wahlkampf verdient, der Inhalte in den Mittelpunkt stellt, kommentiert Alisha Mendgen vom RND.

Nach den Erfahrungen in den Europa- und Landtagswahlkämpfen mit persönlichen Übergriffen auf Plakatkleber unterstreichen die Parteien zudem, dass die Sicherheit der Wahlkämpfe gewahrt und Plakate der politischen Konkurrenten nicht zerstört werden dürfen. Veranstaltungen sollten nicht gegenseitig gestört werden. Im Online-Wahlkampf soll der Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei Bild-, Video- oder Tonmaterial klar gekennzeichnet werden.

Das Letzte, was die deutsche Gesellschaft braucht, ist ein schmutziger und spaltender Wahlkampf. Insofern ist es eine gute Nachricht, dass sich die demokratischen Parteien nach langem Hin und Her auf ein Fairnessabkommen geeinigt haben. Jetzt kommt es darauf an, dass sich SPD, Union, Grüne, FDP und Linke an ihre eigenen Regeln halten – sonst sind sie das Papier nicht wert, auf dem sie stehen.

Die Parteien verpflichten sich beispielsweise, auf „persönliche Herabwürdigungen“ und auf Desinformation zu verzichten. Plakate des politischen Gegners dürfen nicht beschädigt werden, und von Künstlicher Intelligenz generierte Videos müssen entsprechend gekennzeichnet sein.

Respektvolle Debatten über Inhalte notwendig
Am besten legen sich die Politikerinnen und Politiker diese Vereinbarung sichtbar auf den Schreibtisch, falls sie doch einmal in Versuchung geraten sollten, davon abzuweichen.

Die vergangenen Wochen deuteten nämlich eher darauf hin, dass dieser kurze Wahlkampf in Teilen niveaulos werden könnte. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz „Fritze“, und CSU-Chef Markus Söder lehnte eine Koalition mit „Heiz-Grünen“ und „Gender-Grünen“ ab.

Bärbel Bas: „Bedenkt, wie unser Auftreten bei den Menschen ankommt“

Bei Ausdrücken wie diesen handelt es sich nicht nur um Verunglimpfungen und Populismus, sie sind auch eine Beleidigung der Intelligenz der Wählerinnen und Wähler: Die Bevölkerung will eine Auseinandersetzung über die besten Lösungen für aktuelle Herausforderungen sehen – davon gibt es genug – und nicht Beleidigungen wie im Kindergarten.

Gewiss: Wahlkampfzeiten sind turbulente Zeiten. Aber ein Grundsatz muss immer gelten: hart in der Sache, respektvoll in der Sprache. Vor allem eine Partei hält davon gar nichts: die in weiten Teilen rechtsextreme AfD. Gerade deshalb müssen die demokratischen Parteien auf Anstand setzen.

Fairer Wahlkampf vor allem durch Social Media gefährdet

Zudem betonten die Unterzeichner der Erklärung: "Mit der AfD und mit Parteien, die nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen, wird es keinerlei Zusammenarbeit geben."

BSW lehnt Abkommen als selbstgerecht ab

Das Bündnis Sahra Wagenknecht lehnt das Fairnessabkommen ab. Generalsekretär Christian Leye sagte, die Vereinbarung habe keinen Sinn, wenn man "diejenige Partei nicht mit an den Tisch setzt, auf die sich diese Problematik hauptsächlich bezieht."

Zudem sei das Abkommen unehrlich und selbstgerecht, wenn die beteiligten Parteien zugleich "Falschbehauptungen über das BSW" verbreiteten. Leye verwies auf einen Tweet von CSU-Chef Markus Söder, wonach das BSW von Moskau gesteuert sei. Leye kündigte an, das BSW werde eine Selbstverpflichtung für einen fairen Wahlkampf abgeben.

Mit Material von MDR/AFP/dpa

19.12.2024 10:01
Mehr Fairness im Finanzbereich ist unbedingt nötig
Die ehemalige Staatsanwältin Anne Brorhilker spricht im Interview mit der Frankfurter Rundschau über die Folgen des Cum-Ex-Betruges, die schwierige Suche nach den Schuldigen und das Vorbild Greenpeace. Sie vollzog einen spektakulären Rollenwechsel: Aus Anne Brorhilker, der bekanntesten Staatsanwältin Deutschlands, wurde die Co-Geschäftsführerin der Bürgerbewegung Finanzwende. Elf Jahre lang hatte die Ermittlerin zuvor versucht, den Cum-Ex-Skandal, den größten Steuerbetrug der Nachkriegsgeschichte, aufzuklären. Doch sie musste erfahren, dass der politische Wille dazu fehlte. Im Interview mit der FR spricht die 51-Jährige jetzt über die Milliarden-Schäden für die Steuerzahler:innen sowie über Defizite und Fehler von Justiz und Politik:

„Frau Brorhilker, Sie waren durch Ihren Kampf gegen Finanzkriminalität Deutschlands bekannteste Staatsanwältin, bevor sie im Frühjahr 2024 zur Bürgerbewegung Finanzwende wechselten. Haben Sie nicht dadurch stark an Macht und Einflussmöglichkeit verloren?

Ich sehe das nicht so. Auch als Staatsanwältin ermittelt man nicht allein, sondern im Team mit anderen Ermittlern und muss die Anklagen dann noch vor Gericht durchbringen. Effektive Strafverfolgung ist daher auch immer das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit vieler. Wenn es jetzt darum geht, über die Bürgerbewegung Finanzwende Druck auf politische Entscheidungsträger auszuüben, um bessere Rahmenbedingungen für eine effektive Strafverfolgung zu schaffen, dann funktioniert das auch umso besser, je mehr Bürgerinnen und Bürger mitmachen. Und ich bin zuversichtlich, dass das gelingt, denn beim Thema Finanzkriminalität haben viele Menschen in Deutschland das Gefühl, dass es nicht gerecht zugeht.

Sie haben elf Jahre lang in Fällen von Cum-Ex und Cum-Cum ermittelt, also bei Finanzkriminalität, durch die der Staat um Milliarden von Euro betrogen wurde. Wie viele Fälle konnten abgeschlossen werden und wie viele Beschuldigte wurden verurteilt?

Nicht nur durch die Staatsanwaltschaft Köln, sondern auch durch die Kollegen in Frankfurt am Main und München wurden bereits zahlreiche Personen angeklagt, alle Anklagen wurden durch die Gerichte eröffnet und führten zu öffentlichen Hauptverhandlungen. Ich bin sehr froh, dass es gelungen ist, diese Ermittlungen in den sehr komplizierten Fällen überhaupt zum Abschluss zu bringen. Ermittlungen im Bereich von Wirtschaftskriminalität sind häufig sehr langwierig, weil sich die betroffenen Banken und Beschuldigten mit Händen und Füßen wehren. Beweismittel wurden systematisch ins Ausland verlagert, so dass die Ermittlungsbehörden die ausländischen Behörden um Rechtshilfe bitten müssen und diese sehr formalistischen Rechtshilfeverfahren dauern oft mehrere Jahre. Zudem müssen häufig riesige Datenmengen ausgewertet werden, was die technischen Möglichkeiten von Ermittlungsbehörden oftmals an ihre Grenzen bringt.

Cum-Ex-Skandal: 1500 Beschuldigte in Deutschland

Bei Cum-Ex und Cum-Cum gibt es gegenwärtig etwa 1500 Beschuldigte bundesweit. Ist das nicht ein riesiges Missverhältnis zwischen der gesamten Bandbreite der Fälle und den tatsächlichen Verurteilungen?

Nicht jeder Beschuldigte wird am Ende auch tatsächlich angeklagt. Die hohe Zahl der Beschuldigten klingt immer so, als wäre da noch ein riesiger Berg abzuarbeiten, aber tatsächlich ist das für eine Staatsanwaltschaft ein relativ normales Volumen. Aber klar, die Fälle sind teils sehr kompliziert und das Dunkelfeld ist noch riesig, gerade bei Cum-Cum. Deshalb braucht es einfach mehr Ermittler bundesweit. Nötig ist auch, dass das Ermittlungspersonal nicht dauernd ausgetauscht wird, sondern die Möglichkeit hat, überhaupt Fachexpertise aufbauen zu können. Derzeit folgen Behörden aber meist noch Konzepten der Personalrotation und das ist für den Aufbau von Fachexpertise kontraproduktiv.
Viele der Fälle reichen ins Ausland, viele Beschuldigte sind im Ausland abgetaucht.
Das ist richtig. Deshalb gilt: Wir brauchen für Fälle schwerer international organisierter Steuer- und Finanzkriminalität ein zentrales Ermittlungs-Team auf Bundesebene. Wenn diese Fälle nicht mehr auf Behörden in ganz Deutschland verteilt wären, deren Aufgabe es eigentlich ist, lokale Kriminalität zu bekämpfen und die auf internationales und spezielles Fachwissen erfordernde Ermittlungen oft nicht ausgerichtet sind, dann würde man im Ergebnis weniger, dafür aber speziell geschultes Personal einsetzen können. Das würde sicherlich zu viel mehr Effektivität der Ermittlungen führen. Eine solche Einheit könnte beispielsweise beim Bundeskriminalamt angesiedelt werden oder auch bei einer Behörde wie dem geplanten Bundesamt zur Bekämpfung von Finanzkriminalität. Wichtig ist, dass Steuerkriminalität dabei nicht außen vor gelassen wird. Das können wir uns wegen der Milliardenschäden, die durch Steuerhinterziehung verursacht werden, schlicht nicht leisten. Das ist daher eine dringende Aufgabe der nächsten Bundesregierung.

Wie hoch ist der Schaden, der durch Cum-Ex und Cum-Cum für den Staat entstanden ist?
Konservative Schätzungen gehen von zehn Milliarden Euro Schaden bei Cum-Ex und 28,5 Milliarden Euro bei Cum-Cum aus. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, dass es noch mehr ist. Bei vielen Banken waren diese Betrugsmethoden absolut üblich, das haben mehrere Kronzeugen vor den Gerichten bestätigt.

Nicht mal ein Prozent der gestohlenen Milliarden konnten zurückgeholt werden
Die Gerichte fordern stets auch die Rückzahlung von hinterzogenem Geld an den Staat. Wieviel Geld konnte denn bisher schon zurückgewonnen werden?

Die Zahlen sind nicht offiziell bekannt. Selbst wenn man bei Cum-Ex großzügig von eine Milliarde Euro ausgehen würde, wäre das immer noch nur ein Bruchteil der insgesamt entstandenen Schadenssumme. Bei Cum-Cum ist die Lage noch viel dramatischer. Das Bundesfinanzministerium hat in diesem Jahr mitgeteilt, dass etwa 200 Millionen Euro zurückgewonnen werden konnten. Das ist nicht mal ein Prozent der geschätzten gesamten Schadenssumme, und diese Summe beruht noch auf sehr konservativen Schätzungen.

Seit Sie Co-Geschäftsführerin der Bürgerbewegung Finanzwende sind, wächst die Organisation.

Ja, das freut mich sehr. Wir wollen unsere Bewegung natürlich weiter ausbauen, noch mehr Experten gewinnen und weiter an Schlagkraft zulegen. Wir haben seit meinem Wechsel zu Finanzwende bereits erfolgreich eine Kampagne gegen das Bürokratie-Entlastungsgesetz der Bundesregierung gefahren und innerhalb kürzester Zeit über 300.000 Unterschriften für eine Petition sammeln können. Das zeigt mir, dass viele Menschen möchten, dass sich bei der Strafverfolgung von Wirtschaftskriminalität etwas ändert.

Wie groß ist der Apparat der Bürgerbewegung Finanzwende derzeit?
Wir haben 36 festangestellte Mitarbeitende. Dazu kommen noch externe Experten, sogenannte Fellows und ehrenamtliche Mitarbeiter. Und wir verfügen derzeit über 12.500 Fördermitglieder.

Welche Größe, welche Schlagkraft wollen Sie erreichen? Was ist ihr Ziel?

Wenn wir so groß wären wie Greenpeace, wäre das natürlich super. Aber auch kleinere Hebel können große Dinge bewegen, wenn man sie richtig ansetzt. Es geht mir vor allem darum, ein Bewusstsein für Finanzkriminalität in der Öffentlichkeit zu schaffen. Finanzthemen betreffen uns alle. Aber über Finanzkriminalität wird nicht gesprochen. Und wenn, dann wird seitens der Politiker häufig so kompliziert gesprochen, dass es kaum jemand versteht. Das wollen wir ändern.

Was kann Finanzwende dagegen tun?

Ein wichtiger Teil unserer Tätigkeit ist zunächst einmal die Öffentlichkeitsarbeit. Wir haben zum Beispiel gerade einen Bericht zur Lobbyarbeit der Sparkassen in Deutschland veröffentlicht. Dann verfügen wir über eine Tochtergesellschaft, die wissenschaftliche Studien erstellt – zu Greenwashing bei Anlageprodukten ebenso wie zu Finanzinvestoren in Arztpraxen, das Themenfeld ist da sehr breit. Ein anderer wichtiger Teil unserer Arbeit sind öffentliche Protest-Aktionen, Petitionen und Offene Briefe.

Es geht also um Aufklärung.

Finanzwende will das Gegengewicht zur Finanzlobby aufbauen – und dafür ist Aufklärung der zentrale erste Schritt. Menschen müssen wissen, was da passiert – denn nur wer das weiß, kann sich auch dagegen wehren“.

Zur Person: Anne Brorhilker ist Geschäftsführerin der Bürgerorganisation Finanzwende. Zuvor war die 51 Jahre alte Juristin Oberstaatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Köln. Dort ermittelte sie seit 2013 zu Cum-Ex-Betrug und ließ im Oktober 2014 eine weltweite Razzia durchführen. Brorhilker gilt bis heute als treibende Kraft der Ermittlungen. Im April 2024 verließ sie den Staatsdienst und kritisierte die aus ihrer Sicht zu schwache Aufstellung der Justiz.

10.12.2024 10:49
Fairness gegenüber Menschen mit psychischen Belastungen völlig unzureichend
»Es handelt sich um Menschenrechtsverletzungen, wenn Menschen mit psychosozialen Problemen mit dem Hinweis auf eine Krankheit und ihre Folgen verwehrt wird, in einer eigenen Wohnung zu leben oder einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt anzustreben. Es ist auch eine Menschenrechtsverletzung, wenn sie sich in akuten Krisen in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik behandeln lassen müssen.« Dirk Richter. Menschenrechte in der Psychiatrie

Genau heute vor 76 Jahren erfolgte die Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen. Der 10. Dezember wird jährlich von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International genutzt, um auf die Verletzungen der Menschenrechte in den unterschiedlichen Ländern hinzuweisen.

Dass auch die psychische Gesundheit ein Menschenrecht ist, machte António Guterres letztes Jahr zum Welttag der psychischen Gesundheit deutlich:
»Psychische Gesundheit ist kein Privileg, sondern ein grundlegendes Menschenrecht – und sie muss Teil der allgemeinen Gesundheitsversorgung sein. Die Regierungen müssen eine Versorgung bereitstellen, die die Gesundung der Betroffenen fördert und ihre Rechte wahrt.«

Wie genau es um die Menschenrechte in der psychiatrischen Versorgung bestellt ist, erörtert Prof. Dr. Dirk Richter in seinem Buch »Menschenrechte in der Psychiatrie«
"Richters Buch"

Er ist sicher, dass Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie nicht mit dem Inklusionsansatz der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar sind.

Wie Prävention, Reduktion und Alternativen zu Zwangsmaßnahmen in der Praxis aussehen können, zeigen die Autor*innen Martin Zinkler, Klaus Laupichler und Margret Osterfeld in ihrem Buch »Prävention von Zwangsmaßnahmen«. Bei schwierigen ethischen Situationen in psychiatrischen Arbeitsfeldern bietet das interdisziplinär ausgerichtetes Praxisbuch »Ethik in der Psychiatrie« zusätzlich Hilfestellung. Es informiert über Grundlagen und Rahmenbedingungen und diskutiert Fälle aus dem Arbeitsalltag aller beteiligten Berufsgruppen.

Weitreichende Gedanken über die Zukunft der Psychiatrie machen sich Matthias Heißler und Arno Deister. »Psychiatrie ohne Betten« ist ein leidenschaftliches Plädoyer für eine Alternative zur stationären Behandlung. Wie zukünftig eine ethische, soziale und partizipative Psychiatrie aussehen könnte, versucht Arno Deister im Gespräch mit engagierten Expert*innen zu beantworten.

"Zu den genannten Büchern"

02.12.2024 14:52
Unfairness gegenüber Menschen mit Handicap - Eine Lösung wäre möglich
Menschen mit Behinderung finden nur schwer einen Job. 1,6 Millionen Schwerbehinderte in Deutschland haben keinen Arbeitsplatz. In Deutschland sind 1,6 Millionen Menschen mit Schwerbehinderung nicht auf dem Arbeitsmarkt integriert, zeigt das neue Inklusionsbarometer.

Aktion Mensch kritisiert, dass jedes vierte Unternehmen gar keine Menschen mit Behinderung beschäftigt. Firmen zahlen demnach lieber eine Ausgleichsabgabe, als sich mit dem Thema Inklusion zu beschäftigen.
Menschen mit Behinderung haben am Arbeitsmarkt einer Studie zufolge schlechtere Karten als früher. Aus dieser Gruppe seien im Oktober in Deutschland 177.280 Menschen arbeitslos gewesen und damit sieben Prozent mehr als ein Jahr zuvor, heißt es in einer Untersuchung des Handelsblatt Research Institutes und des Vereins Aktion Mensch. Die Wirtschaftskrise gehe für Menschen mit Behinderung im Hinblick auf Chancengerechtigkeit mit einem deutlichen Rückschritt einher, sagte Christina Marx, Sprecherin von Aktion Mensch.

Bereits im vergangenen Jahr hatte sich die Situation verschärft: 2023 lag die Arbeitslosenquote von Menschen mit Schwerbehinderung den Angaben zufolge bei durchschnittlich 11 Prozent und damit 0,2 Prozentpunkte höher als 2022. Schätzungsweise 46.000 Arbeitgeber hatten keine schwerbehinderten Beschäftigten, obwohl sie sie hätten haben müssen – das waren 1000 mehr als ein Jahr zuvor.

Behinderung am Arbeitsplatz - Inklusion im Berufsleben: Woran hakt es?

Mehr als drei Millionen Menschen in Deutschland im erwerbsfähigen Alter haben eine Schwerbehinderung, doch nur etwa ein Drittel von ihnen geht einer regulären Beschäftigung nach. Dabei gibt es eigentlich gesetzliche Regelungen.
Ab 20 Mitarbeitenden sind Arbeitgeber verpflichtet, schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Das sind den Angaben zufolge rund 179.000 Unternehmen in Deutschland. Erfüllt ein Arbeitgeber die Pflichtquote von fünf Prozent nicht, muss er für jeden unbesetzten Pflichtarbeitsplatz eine Ausgleichsabgabe bezahlen.

Schlechte Konjunktur sei eine Ausrede, moniert Aktion Mensch

Der Anteil der Unternehmen, die alle Pflichtplätze besetzen, lag 2023 den Angaben zufolge nur bei 38,5 Prozent und damit 0,5 Prozentpunkte niedriger als ein Jahr zuvor. Das sei ein Tiefstwert, heißt es von Aktion Mensch. Insgesamt beschäftigt jedes vierte Unternehmen keine Menschen mit Behinderung. Die Inklusionsbarometer genannte Studie kommt seit 2013 jedes Jahr heraus, sie basiert vor allem auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Die meisten Behinderungen entstehen im Laufe des Lebens, nur drei Prozent sind angeboren.

Die Privatwirtschaft stellt relativ wenige Menschen mit Behinderungen ein. Aktion-Mensch-Sprecherin Marx sagt dazu: „Eine schlechte Konjunktur greift als Erklärung nicht weit genug – schließlich klagt die Wirtschaft zunehmend über den Fachkräfte – wie auch den Arbeitskräftemangel allgemein.“ Unternehmen besetzen die Arbeitsplätze aber nicht mit den vielen gut qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Behinderung, moniert Marx.

Schwerbehinderte werden häufiger gekündigt als noch vor einem Jahr

Kritisch ist der Studie zufolge auch, dass die Firmen ihren schwerbehinderten Beschäftigten häufiger gekündigt haben als zuvor. Gingen beim Integrationsamt im Jahr 2022 noch rund 17.000 Kündigungen ein, so waren es 2023 schon rund 21.000. Kündigt eine Firma einem Menschen mit Behinderung, so muss dies bei dem Amt beantragt haben. Damit die Kündigung gültig wird, ist die Zustimmung des Amts nötig. Vorher wird geprüft, ob nicht doch eine Weiterbeschäftigung möglich ist, etwa mit staatlichen Zuschüssen.

In Deutschland gibt es den Angaben zufolge 3,1 Millionen Menschen mit einer schweren Behinderung, die zwischen 15 und 65 Jahre alt sind – also weitestgehend in einem Alter, in dem sie arbeiten könnten. Rund 1,1 Millionen dieser Menschen sind bei Firmen beschäftigt, die mindestens 20 Angestellte haben. Schätzungsweise rund 200.000 Menschen mit Behinderung sind bei kleineren Firmen tätig. Abzüglich junger Menschen, die noch zur Schule gehen, und älteren Menschen, die schon in Frührente sind, sind es laut Aktion Mensch circa 1,6 Millionen Menschen mit Schwerbehinderung, die nicht in den Arbeitsmarkt integriert sind.

Der Sozialverband Deutschland zeigte sich besorgt. „Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht Vertreterinnen und Vertreter der deutschen Wirtschaft über den Fachkräftemangel öffentlich jammern“, sagte der Verbandsvorsitzende Michaela Engelmeier. Aus Bequemlichkeit, Überforderung und anderen vorgeschobenen Gründen nutze die Wirtschaft nicht das vorhandene Potenzial von gut ausgebildeten Menschen mit Behinderung oder Schwerbehinderung. Staat und Politik schauten einfach zu. „Vom allzu oft propagierten echten „inklusiven Arbeitsmarkt“ ist Deutschland bewiesenermaßen noch meilenweit entfernt“, moniert Engelmeier.

Die Caritas sieht es ähnlich kritisch und fordert mehr Rückendeckung aus den Chefetagen. „Arbeitsuchende mit einer Behinderung haben dann Chancen auf einen Job, der ihren Stärken entspricht, wenn die Betriebskultur Diversität und Nichtdiskriminierung großschreibt“, sagt Wolfgang Tyrychter, der Vorsitzende des Caritas-Bundesverbandes Behindertenhilfe und -Psychiatrie.

RND/dpa

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