Blog-Artikel

19.12.2024 10:01
Mehr Fairness im Finanzbereich ist unbedingt nötig  

Die ehemalige Staatsanwältin Anne Brorhilker spricht im Interview mit der Frankfurter Rundschau über die Folgen des Cum-Ex-Betruges, die schwierige Suche nach den Schuldigen und das Vorbild Greenpeace. Sie vollzog einen spektakulären Rollenwechsel: Aus Anne Brorhilker, der bekanntesten Staatsanwältin Deutschlands, wurde die Co-Geschäftsführerin der Bürgerbewegung Finanzwende. Elf Jahre lang hatte die Ermittlerin zuvor versucht, den Cum-Ex-Skandal, den größten Steuerbetrug der Nachkriegsgeschichte, aufzuklären. Doch sie musste erfahren, dass der politische Wille dazu fehlte. Im Interview mit der FR spricht die 51-Jährige jetzt über die Milliarden-Schäden für die Steuerzahler:innen sowie über Defizite und Fehler von Justiz und Politik:

„Frau Brorhilker, Sie waren durch Ihren Kampf gegen Finanzkriminalität Deutschlands bekannteste Staatsanwältin, bevor sie im Frühjahr 2024 zur Bürgerbewegung Finanzwende wechselten. Haben Sie nicht dadurch stark an Macht und Einflussmöglichkeit verloren?

Ich sehe das nicht so. Auch als Staatsanwältin ermittelt man nicht allein, sondern im Team mit anderen Ermittlern und muss die Anklagen dann noch vor Gericht durchbringen. Effektive Strafverfolgung ist daher auch immer das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit vieler. Wenn es jetzt darum geht, über die Bürgerbewegung Finanzwende Druck auf politische Entscheidungsträger auszuüben, um bessere Rahmenbedingungen für eine effektive Strafverfolgung zu schaffen, dann funktioniert das auch umso besser, je mehr Bürgerinnen und Bürger mitmachen. Und ich bin zuversichtlich, dass das gelingt, denn beim Thema Finanzkriminalität haben viele Menschen in Deutschland das Gefühl, dass es nicht gerecht zugeht.

Sie haben elf Jahre lang in Fällen von Cum-Ex und Cum-Cum ermittelt, also bei Finanzkriminalität, durch die der Staat um Milliarden von Euro betrogen wurde. Wie viele Fälle konnten abgeschlossen werden und wie viele Beschuldigte wurden verurteilt?

Nicht nur durch die Staatsanwaltschaft Köln, sondern auch durch die Kollegen in Frankfurt am Main und München wurden bereits zahlreiche Personen angeklagt, alle Anklagen wurden durch die Gerichte eröffnet und führten zu öffentlichen Hauptverhandlungen. Ich bin sehr froh, dass es gelungen ist, diese Ermittlungen in den sehr komplizierten Fällen überhaupt zum Abschluss zu bringen. Ermittlungen im Bereich von Wirtschaftskriminalität sind häufig sehr langwierig, weil sich die betroffenen Banken und Beschuldigten mit Händen und Füßen wehren. Beweismittel wurden systematisch ins Ausland verlagert, so dass die Ermittlungsbehörden die ausländischen Behörden um Rechtshilfe bitten müssen und diese sehr formalistischen Rechtshilfeverfahren dauern oft mehrere Jahre. Zudem müssen häufig riesige Datenmengen ausgewertet werden, was die technischen Möglichkeiten von Ermittlungsbehörden oftmals an ihre Grenzen bringt.

Cum-Ex-Skandal: 1500 Beschuldigte in Deutschland

Bei Cum-Ex und Cum-Cum gibt es gegenwärtig etwa 1500 Beschuldigte bundesweit. Ist das nicht ein riesiges Missverhältnis zwischen der gesamten Bandbreite der Fälle und den tatsächlichen Verurteilungen?

Nicht jeder Beschuldigte wird am Ende auch tatsächlich angeklagt. Die hohe Zahl der Beschuldigten klingt immer so, als wäre da noch ein riesiger Berg abzuarbeiten, aber tatsächlich ist das für eine Staatsanwaltschaft ein relativ normales Volumen. Aber klar, die Fälle sind teils sehr kompliziert und das Dunkelfeld ist noch riesig, gerade bei Cum-Cum. Deshalb braucht es einfach mehr Ermittler bundesweit. Nötig ist auch, dass das Ermittlungspersonal nicht dauernd ausgetauscht wird, sondern die Möglichkeit hat, überhaupt Fachexpertise aufbauen zu können. Derzeit folgen Behörden aber meist noch Konzepten der Personalrotation und das ist für den Aufbau von Fachexpertise kontraproduktiv.
Viele der Fälle reichen ins Ausland, viele Beschuldigte sind im Ausland abgetaucht.
Das ist richtig. Deshalb gilt: Wir brauchen für Fälle schwerer international organisierter Steuer- und Finanzkriminalität ein zentrales Ermittlungs-Team auf Bundesebene. Wenn diese Fälle nicht mehr auf Behörden in ganz Deutschland verteilt wären, deren Aufgabe es eigentlich ist, lokale Kriminalität zu bekämpfen und die auf internationales und spezielles Fachwissen erfordernde Ermittlungen oft nicht ausgerichtet sind, dann würde man im Ergebnis weniger, dafür aber speziell geschultes Personal einsetzen können. Das würde sicherlich zu viel mehr Effektivität der Ermittlungen führen. Eine solche Einheit könnte beispielsweise beim Bundeskriminalamt angesiedelt werden oder auch bei einer Behörde wie dem geplanten Bundesamt zur Bekämpfung von Finanzkriminalität. Wichtig ist, dass Steuerkriminalität dabei nicht außen vor gelassen wird. Das können wir uns wegen der Milliardenschäden, die durch Steuerhinterziehung verursacht werden, schlicht nicht leisten. Das ist daher eine dringende Aufgabe der nächsten Bundesregierung.

Wie hoch ist der Schaden, der durch Cum-Ex und Cum-Cum für den Staat entstanden ist?
Konservative Schätzungen gehen von zehn Milliarden Euro Schaden bei Cum-Ex und 28,5 Milliarden Euro bei Cum-Cum aus. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, dass es noch mehr ist. Bei vielen Banken waren diese Betrugsmethoden absolut üblich, das haben mehrere Kronzeugen vor den Gerichten bestätigt.

Nicht mal ein Prozent der gestohlenen Milliarden konnten zurückgeholt werden
Die Gerichte fordern stets auch die Rückzahlung von hinterzogenem Geld an den Staat. Wieviel Geld konnte denn bisher schon zurückgewonnen werden?

Die Zahlen sind nicht offiziell bekannt. Selbst wenn man bei Cum-Ex großzügig von eine Milliarde Euro ausgehen würde, wäre das immer noch nur ein Bruchteil der insgesamt entstandenen Schadenssumme. Bei Cum-Cum ist die Lage noch viel dramatischer. Das Bundesfinanzministerium hat in diesem Jahr mitgeteilt, dass etwa 200 Millionen Euro zurückgewonnen werden konnten. Das ist nicht mal ein Prozent der geschätzten gesamten Schadenssumme, und diese Summe beruht noch auf sehr konservativen Schätzungen.

Seit Sie Co-Geschäftsführerin der Bürgerbewegung Finanzwende sind, wächst die Organisation.

Ja, das freut mich sehr. Wir wollen unsere Bewegung natürlich weiter ausbauen, noch mehr Experten gewinnen und weiter an Schlagkraft zulegen. Wir haben seit meinem Wechsel zu Finanzwende bereits erfolgreich eine Kampagne gegen das Bürokratie-Entlastungsgesetz der Bundesregierung gefahren und innerhalb kürzester Zeit über 300.000 Unterschriften für eine Petition sammeln können. Das zeigt mir, dass viele Menschen möchten, dass sich bei der Strafverfolgung von Wirtschaftskriminalität etwas ändert.

Wie groß ist der Apparat der Bürgerbewegung Finanzwende derzeit?
Wir haben 36 festangestellte Mitarbeitende. Dazu kommen noch externe Experten, sogenannte Fellows und ehrenamtliche Mitarbeiter. Und wir verfügen derzeit über 12.500 Fördermitglieder.

Welche Größe, welche Schlagkraft wollen Sie erreichen? Was ist ihr Ziel?

Wenn wir so groß wären wie Greenpeace, wäre das natürlich super. Aber auch kleinere Hebel können große Dinge bewegen, wenn man sie richtig ansetzt. Es geht mir vor allem darum, ein Bewusstsein für Finanzkriminalität in der Öffentlichkeit zu schaffen. Finanzthemen betreffen uns alle. Aber über Finanzkriminalität wird nicht gesprochen. Und wenn, dann wird seitens der Politiker häufig so kompliziert gesprochen, dass es kaum jemand versteht. Das wollen wir ändern.

Was kann Finanzwende dagegen tun?

Ein wichtiger Teil unserer Tätigkeit ist zunächst einmal die Öffentlichkeitsarbeit. Wir haben zum Beispiel gerade einen Bericht zur Lobbyarbeit der Sparkassen in Deutschland veröffentlicht. Dann verfügen wir über eine Tochtergesellschaft, die wissenschaftliche Studien erstellt – zu Greenwashing bei Anlageprodukten ebenso wie zu Finanzinvestoren in Arztpraxen, das Themenfeld ist da sehr breit. Ein anderer wichtiger Teil unserer Arbeit sind öffentliche Protest-Aktionen, Petitionen und Offene Briefe.

Es geht also um Aufklärung.

Finanzwende will das Gegengewicht zur Finanzlobby aufbauen – und dafür ist Aufklärung der zentrale erste Schritt. Menschen müssen wissen, was da passiert – denn nur wer das weiß, kann sich auch dagegen wehren“.

Zur Person: Anne Brorhilker ist Geschäftsführerin der Bürgerorganisation Finanzwende. Zuvor war die 51 Jahre alte Juristin Oberstaatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Köln. Dort ermittelte sie seit 2013 zu Cum-Ex-Betrug und ließ im Oktober 2014 eine weltweite Razzia durchführen. Brorhilker gilt bis heute als treibende Kraft der Ermittlungen. Im April 2024 verließ sie den Staatsdienst und kritisierte die aus ihrer Sicht zu schwache Aufstellung der Justiz.

Recht
  Blog-Artikel
  Blog-Kategorien
  Blog-Archiv