Blog nach Monat: März 2023

27.03.2023 11:48
Banken und ihre Lobby finanzieren die Erderwärmung massiv
Schon 2012 zeichnete die Fairness-Stiftung die NGO Finance Watch in Brüssel mit dem "Fairness-Initiativpreis" aus. Nun macht sie auf schwerwiegende Akitivitäten der Banken aufmerksam, die mit ihrer Lobbyarbeit erfolgreich die Decarbonisierung verhindern. Deswegen führt die EU nun keinen Klima-Risikoaufschlag für den Klimaschutz ein. Die taz recherchierte und berichtete durch Christian Jakob und Jonathan Rap am 20.3. auf S. 4 wie folgt:

Kredite für Fossilenergie-Projekte sind eine Gefahr für die Welt. Der Bankenlobby gelang es, überfällige Regulierungen der EU abzuwehren.

Von Ugandas Ölfeldern an den Großen Seen zum tansanischen Hafen Tanga am indischen Ozean soll die East African Crude Oil Pipeline (EACOP) führen. Die Ölfelder liegen teils im ugandischen Murchison-Falls-Nationalpark, nicht weit von dort, wo eine der größten Schimpansen-Gruppen weltweit lebt. Und große Teile der 1.445 Kilometer langen Pipeline führen durch oder vorbei an Natur- und Landschaftsschutzgebieten.

Im Januar wurden am Albertsee die ersten Bäume gerodet. Ugandas Präsident Yoweri Museveni gab nach über zehn Jahren Verhandlungszeit den Startschuss für den Bau durch ein australisch-chinesisches Konsortium. Ab 2025 soll dann Öl fließen, 246.000 Barrel pro Tag, aufgeheizt auf 70 Grad, sonst wäre es zu zäh. Alles in allem werden dadurch bis 2050 rund 380 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente in die Atmosphäre gelangen, schätzt das Climate Accountability Institute. Rund 5 Milliarden Dollar soll der Bau kosten. 2 Milliarden bringen die Regierungen von Uganda, Tansania, der französische Energiekonzern Total und die China National Offshore Oil Corporation selber auf. Den Rest sollen externe Kreditgeber beisteuern.

Die EACOP ist nur eines von hunderten Projekten, mit denen Energiekonzerne die noch verbleibenden globalen Fossilvorkommen ausbeuten wollen. Sagenhafte 857 Milliarden Dollar wollen sie dafür allein bis 2030 ausgeben, so eine Studie der NGOs Global Witness und Oil Change International. Die Summe kommt zu den 4,6 Billionen Dollar hinzu, die internationale Banken nach Zahlen der Banking-on-Climate-Chaos-Studie zwischen dem Abschluss des Pariser Abkommens 2015 und 2021 schon an Krediten für fossile Projekte bereitgestellt haben. Kaum etwas trägt so viel dazu bei, die Ziele des Pariser Abkommens zu verfehlen, wie die Allianz aus Finanz- und fossiler Energiewirtschaft.

„Ermöglicher des Klimawandels“

„Die Banken sind die Ermöglicher des Klimawandels“, sagt Thierry Philipponat. Er war einst Manager bei der Eunext-Börse in Brüssel und der Londoner Future-Börse LIFFE. Heute ist er der Chefökonom der NGO Finance Watch in Brüssel. Dass sich ein womöglich einmaliges Zeitfenster öffnen würde, um

Das Wissen über die Klimakrise ist da, das gesellschaftliche Bewusstsein auch. Was fehlt, sind Konsequenzen: politische Entscheidungen, die die nötigen Veränderungen vorantreiben. Für diese Blockaden gibt es Verantwortliche. Es sind Akteure, die die Interessen klimaschädlicher Industrien vertreten, an diesen weiter verdienen oder die nicht aufgeben wollen, was keinen Bestand haben darf.

In einer vom Weltklimastreik am 3. März 2023 bis zur Klimakonferenz COP 28 in Dubai im Dezember laufenden Serie fragt die taz: Wer sabotiert die Entscheidungen, die das Klima und unsere Lebensgrundlagen retten? Wer blockiert, was nötig ist –und warum? Wer führt uns in die Krise?

An jenem Tag veröffentlichte die EU-Kommission ihr „Arbeitsprogramm“ für das angebrochene Jahr. Im Anhang, unter Punkt 21, findet sich darin ein unscheinbarer Eintrag: „Überprüfung der Rechtsvorschriften über Eigenkapitalanforderungen“ steht dort. Es geht, kurz gesagt, darum, die Lehren aus der Finanzkrise von 2008 in aktuelle Regeln für Banken zu gießen – unter anderem mit Blick auf die Folgen des Klimawandels. Das Schlagwort lautet „Basel III“ – ein internationales Regelwerk, um Bankenpleiten zu verhüten, das die EU in eigenes Recht umsetzen muss.

Nur Fachleute erkannten, welche politischen Möglichkeiten das dröge Reformvorhaben bot. Wie Philipponat. „In Anbetracht der kurzen Zeit, die zur Verfügung steht, ist spätes Handeln leider gleichbedeutend mit Nichtstun.“ Und so handelt Philipponat schnell. Vier Monate bevor die Kommission ihren Gesetzentwurf präsentiert, bringt er ein Papier heraus. Der Name: „Breaking the Climate-Finance-Doom-Loop“.

Sinngemäß soll das so viel heißen wie: „Den Teufelskreis zwischen Klimawandel und Finanzierung stoppen“. Die Annahme: Wenn Banken weiter Geld für klimaschädliche neue Fossilprojekte verleihen, gefährden sie dabei nicht nur das Klima – sondern auch sich selbst. Denn erstens drohen die Fossilprojekte durch die grüne Transformation ökonomisch zu scheitern, die vergebenen Kredite deshalb auszufallen. Zweitens gefährden die durch die Nutzung fossiler Energiequellen angeheizten Extremwetterereignise die Wirtschaft insgesamt. Und drittens drohen den Banken zunehmend Haftungsklagen.

Rot gekleidete Protestierende vor Konzernzentrale

Philipponats Vorschlag lautete: Die sogenannte Risikogewichtung für neue Fossilprojekte soll all das berücksichtigen – und deshalb drastisch angehoben werden. Vereinfacht gesagt: Wer Geld für neue Öl- und Gasfelder verleiht, soll künftig pauschal die gleiche Summe an Eigenkapital vorhalten müssen. Das soll die Bank bei Zahlungsausfall schützen. Bislang sind es teils nur 1,6 Prozent.

Der Energiekonzern Total, der Hauptbetreiber der East African Crude Oil Pipeline, etwa wird von der Ratingagentur Fitch in der zweithöchsten Kategorie AA- und damit auch von der Finanzaufsicht als „sichere Anlage“ eingestuft. Unter der heute geltenden Regelung müsste eine europäische Bank, die Total die 3 Milliarden für die Pipeline leiht, deshalb gerade einmal 48 Millionen Euro an Eigenkapital dafür vorhalten. Philipponats Vorschlag folgend müssten es bei neuen Projekten wie der Ostafrika-Pipeline künftig 3 Milliarden sein. Die Kreditvergabe würde so höchstwahrscheinlich unrentabel werden.

Viele Bemühungen um eine effektive Emissionsbegrenzung, vor allem durch einen höheren CO2-Preis, waren politisch bisher nicht durchsetzbar. Philipponats Vorschlag ist eine Chance, die Weiternutzung fossiler Energien trotzdem effektiv einzudämmen. „Ich war sehr enttäuscht, dass die Kommission sich in ihrem Entwurf nicht mit dem wohl größten Risiko für Finanzinstitute befasst hat“, sagt er – eine verpasste Gelegenheit. „Unsere Empfehlungen sind weit weniger radikal und viel billiger als die Maßnahmen, die als Reaktion auf die Covid-19-Krise ergriffen wurden. Aber sie zielen auf eine weitaus größere Bedrohung ab.“

Harte Maßnahmen waren nicht vorgesehen

Das leuchtete auch Parlamentariern ein. Nachdem Philipponat sein Papier an EU-Institutionen und Fachpolitiker verschickt hatte, brachten immerhin fünf MEPs auf seinen Vorschlägen fußende Änderungsanträge ein. Für die Grünen war das der Finne Ville Niinistö, für die Liberalen die Franzosen Pascal Canfin und Gilles Boyer und für die Sozialdemokraten Aurore Lalucq aus Frankreich und Paul Tang aus den Niederlanden. „Der Kommissionsvorschlag war schwach in Bezug auf den Klimaschutz“, sagt Tang. Denn im Gesetzentwurf der Kommission ist zwar ausführlich von der grünen Transformation die Rede. Harte Maßnahmen gegen das „Klimarisiko“ hatten von der Leyens Beamte aber nicht vorgesehen. Stattdessen sollte die Europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA bis 2027 Vorschläge machen, wie das Klimarisiko für die Banken berechnet werden soll.

Die Verhandlungen im Ausschuss sind schwierig. „Die beiden Liberalen hatten ihre eigene Fraktion nicht hinter sich, die Konservativen und die extreme Rechte waren gegen die Klimarisiko-Aufschläge“, sagt Tang. Am 24. Januar 2023 lehnt der Ausschuss alle Änderungsanträge zu den Klima-Aufschlägen ab. Philipponats Vorschlag ist damit vom Tisch. „Er hatte im Ausschuss keine Chance“, sagt Tang. Der Entwurf geht nun in die sogenannte Trilog-Beratung von Rat, Parlament und Kommission. Dass dabei noch ein fester Klimarisiko-Zuschlag eingebaut wird, glaubt Tang nicht. „Da wird jetzt nichts mehr kommen.“

Die Chance, auf diese Weise zumindest europäische Kredite für klimazerstörende Energieprojekte in aller Welt zu erschweren, ist perdu. „Sehr enttäuschend“ sei das Votum des Ausschusses, sagt Thierry Phi­lip­ponat. „Der Bankensektor tut alles, was er kann, um sich gegen eine Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen zu wehren.“

Die NGO Finanzwende hat untersucht, wie. „Der sogenannte Basel-III-Kompromiss ist das Ergebnis einer jahrelangen, intensiven Lobbykampagne von Banken und ihren Verbänden“, heißt es in einer Stellungnahme der NGO Finanzwende. „Banken und ihre Interessenvertreter gingen bei EU-Parlamentariern und der EU-Kommission ein und aus.“ So hätten sie zentrale Kapitalregeln für Banken verwässern können. „Gut für die Profite der Banken, schlecht für ihre Krisenfestigkeit.“

Zwischen November 2021 und dem Tag der Abstimmung, am 24. Januar 2022, gab es nach Transparenzangaben des EU-Parlaments 190 Treffen der Abgeordneten mit „Interessenvertretern“. Vier dieser Treffen waren mit NGOs: Der deutsche Grüne Rasmus Andresen traf sich einmal mit Fridays for Future, zwei Abgeordnete trafen sich insgesamt dreimal mit Finance Watch. Die übrigen 186 Treffen waren mit Vertretern von Banken, Bankenverbänden und Vermögensverwaltern, vereinzelt auch von Kammern und öffentlichen Körperschaften.

368 Lobbytreffen

Bei den Lobbytreffen mit der EU-Kommission, die den ursprünglichen Entwurf formuliert hatte, sieht es fast genauso aus. Nach Zählung von Finanzwende gab es zum Thema Basel III seit Amtsantritt von Ursula von der Leyen 178 Treffen mit Interessenvertretern – davon ganze zwei mit Vertretern der Zivilgesellschaft, also NGOs. 176-mal hingegen sprachen von der Leyens Kabinett, EU-Kommissare und Generaldirektoren in Sachen Bankenregulierung mit der Finanzindustrie.

Die Treffen an sich sind völlig legal und politisch legitim. Das Missverhältnis, welche Stake­holder, wie es so schön heißt, sich aber in welchem Maß Gehör zu verschaffen vermögen und welche nicht, ist eklatant – und schlägt sich zweifellos in den Beschlüssen nieder.

Vor allem zwei Abgeordnete hatten sich nach taz-Informationen gegen die Klima-Aufschläge starkgemacht: der Ausgburger CSUler Markus Ferber und der österreichische ÖVP-Abgeordnete Othmar Karas.

„Kapital ist der Lebenssaft der europäischen Wirtschaft. Wir müssen sehr genau aufpassen, dass die neuen Eigenkapitalvorschriften für Banken den europäischen Unternehmen nicht die Kreditversorgung abdrehen“, hatte Ferber, ein ehemaliger Siemens-Ingenieur und Vorsitzender der Hans-Seidel-Stiftung, während der Beratungen auf seiner Webseite geschrieben. „Das Bankenaufsichtsrecht ist nicht der richtige Ort für Klimaschutzdebatten.“ Es ist exakt das Argument, das auch die Banken selbst immer wieder vortragen werden.

Schon die zahnlosen Vorschläge der EU-Kommission für eine stärkere Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten hatte Ferber vehement abgelehnt: „Die Bankenaufsicht muss sich allein am Risiko orientieren, andernfalls droht sich eine Finanzkrise wie im Jahr 2008 zu wiederholen – nur diesmal mit grünem Vorzeichen. Der Weg in die nächste Krise ist gepflastert mit guten Vorsätzen“, sagte Ferber 2021.

„Let's talk Finance“

Ein Interview lehnt er ab – und verweist an den für das Thema zuständigen Berichterstatter Karas. Auch der will sich nicht öffentlich äußern. Sein Mitarbeiter verweist darauf, dass die EU-Bankenaufsicht nun bis 2025 Vorschläge für die Behandlung der Klimarisiken machen soll.

Karas hat 14 Jahre in der Bank- und Versicherungswirtschaft gearbeitet, bevor er Vollzeitpolitiker wurde. Heute ist er Vorsitzender des European Parliamentary Financial Services Forum, einer Arbeitsgruppe aus EU-Parlamentariern und Vertretern der EU-Finanzwirtschaft. „Let’s talk Finance“ ist das Motto. Auch Markus Ferber ist hier im Vorstand. „Chair“ der Gruppe ist der Niederländer Wim Mijs, der Manager des Europäischen Bankenverbandes EBF. Und der hat eine tragende Rolle dabei gespielt, die schärferen neuen Bankenregeln zu verhindern.

Gewiss ging es bei den Lobbytreffen auch um andere Aspekte der Regulierung als nur um die Klima-Aufschläge. Doch die zu kippen war den Banken wichtig. Mindestens vier Positionspapiere zur Eigenkapitalrichtlinie brachte der Bankenverband EBF heraus. Unter anderem heißt es darin: „Auch wenn die Banken die EU-Ziele unterstützen und von ihnen erwartet wird, dass sie ihre Strategien daran ausrichten, müssen Geschäftsmodell und Geschäftsstrategie in der Verantwortung der Leitungsgremien der Banken bleiben.“ Soll heißen: An Gas- und Ölverfeuerung weiter mitzuverdienen, ist unser Recht. Weiter schreibt der EBF: Jegliche Kapitalzuschläge, die die EU allein beschließt, würden „die Wettbewerbsfähigkeit sowohl der EU-Industrie als auch des Finanzsektors gegenüber den Volkswirtschaften außerhalb der EU untergraben“.

Beim EBF leitet Gonzalo Gasós die Abteilung für Bankenaufsicht. Gasós nannte strengere Eigenkapitalanforderungen für Banken durch die EU schon 2016 einen „Schuss in den eigenen Fuß“. In öffentlichen Auftritten wandte er sich mehrfach gegen die Risiko-Aufschläge beim Eigenkapital, unter anderem bei einem Podium der Florence School of Finance and Business im Juni 2022. Höhere Eigenkapitalanforderungen für bestehende Fossilkredite würden die Banken zu höheren Rücklagen zwingen. Die Folge sei fehlendes Geld zur „Finanzierung des Übergangs europäischer Unternehmen zu kohlenstoffarmen Produktionsmethoden“, behauptete Gasós dort. Der Übergang würde schließlich rund 500 Milliarden Euro kosten. „Wir brauchen also alle unsere Mittel, um dieses ehrgeizige Projekt zu finanzieren.“
Fossile Kredite „sehr stark mit Risiken behaftet“

Gleichzeitig hält der EBF aber daran fest, dass die Banken weiter günstig Geld für Fossilprojekte verleihen dürfen sollen. Von „Lobby-Mythen“ sprach Finance Watch nach der Veranstaltung. „Viele Argumente sind technisch unsinnig, werden aber so oft wiederholt, dass sie geglaubt werden und als Argumente des öffentlichen Interesses erscheinen“, sagt Thierry Philliponat dazu.

Eine Interviewanfrage lehnt auch Gasós ab. Über eine Sprecherin lässt er ausrichten, dass es nicht Ziel der Bankenaufsicht sei, „eine Klimapolitik festzulegen, und auch nicht der Wunsch, bestimmte Unternehmen unrentabel zu machen“, eine Rolle spielen dürfe. Zudem sei ein erhöhter Risikoaufschlag innerhalb der EU unwirksam, weil dann Banken von außerhalb der EU das Geschäft machen.

Laura Mervelskemper ist bei der GLS Bank in Bochum für „Wirkungstransparenz & Nachhaltigkeit“ zuständig. „Fossile Energien sind sehr stark mit Risiken behaftet, die aktuell wenig eingepreist werden“, sagt sie. Müssten die Risiken angemessen eingepreist werden, würde sich „vieles nicht mehr lohnen.“ Das Risikomanagement auszuweiten sei deshalb richtig. Dass dies nicht geschehe, „könne an einem Lobbying liegen.“ Mervelskemper sagt, dass Beratungen und Lobbyismus natürlich stattfinden dürfen. „Aber die Meinungen, die eingeholt werden, sollten möglichst objektiv, faktenbasiert und auf jeden Fall divers sein und nicht nur die Meinung weniger.“

Viele Positionen der konventionellen Banken deckten sich nicht mit jenen der Wissenschaft zu ökologischen Fragen – sonst gäbe es einen „ganz anderen Blick auf die Risiken, die wissenschaftlich bereits großflächig erfasst wurden und erwartbar sind“, sagt Mervelskemper. Dann würde viel stärker dafür gesorgt werden, dass „diese Risiken auch integriert werden – dazu sprechen wir auch mit anderen Finanzinstitutionen und der Politik.“ Doch noch werde „viel zu viel außerhalb transparenter und geregelter Formate abgesprochen, was nicht dem gesellschaftlichen Zweck dient“. Allzu oft gehe es dabei um finanzielle Interessen zu Lasten von Umwelt und Gesellschaft. „Das darf nicht passieren.“

23.03.2023 06:50
Psychische Belastung steigert Fehlzeiten in Unternehmen
Psychische Belastungen und Burnout führen immer mehr dazu, dass Menschen ihren Jobs zeitweise nicht gewachsen sind. Die Fehlzeiten steigen, zeigt eine aktuelle Studie der Techniker Kasse.

Überforderung wird wohl weiter ansteigen

38,5 Prozent der befragten Geschäftsführenden, Gesundheitsverantwortlichen und Personaler geben an, dass dieses Thema bereits jetzt eine eher große oder große Bedeutung in ihren Unternehmen habe. Das teilt die Techniker Krankenkasse (TK) mit. Die Studie wurde vom Konstanzer Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung im Auftrag der Techniker Krankenkasse erarbeitet.

Auf die Frage, welche Bedeutung Burnout und Co. in drei Jahren haben werden, sagen das sogar rund 70 Prozent.

Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz haben die körperlichen Belastungen in ihrer Dringlichkeit in vielen Branchen überholt. Das betont die Personalvorständin der TK, Karen Walkenhorst.

Herausforderung und Chance in einem

Die zunehmende Herausforderung, der sich "die Arbeitgeber stellen müssen", sei gleichzeitig aber auch "eine Chance, die Gesundheit der Beschäftigten in Arbeitsprozessen und Unternehmenskultur fest zu verankern", erklärt Personalvorständin Walkenhorst weiter.

Diesen Trend würden Auswertungen zu den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der bei der TK versicherten Erwerbspersonen bestätigen. Bereits seit Jahren gehören psychische Erkrankungen demnach zu den drei häufigsten Gründen für eine Krankschreibung.
Kontinuierlicher Anstieg der Krankheitstage

2022 betrug der Anteil am Gesamtkrankenstand rund 17,5 Prozent und lag damit noch vor den Krankheiten des Muskel-Skelettsystems (13,7 Prozent) und nur hinter Erkrankungen des Atmungssystems wie Grippe und Erkältung (25,3 Prozent). Auch seien die durchschnittlichen Krankheitstage je Erwerbsperson aufgrund psychischer Belastungen in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich gestiegen. War jede TK-versicherte Erwerbsperson 2012 noch durchschnittlich 2,46 Tage mit einer psychischen Diagnose krankgeschrieben, so waren es 2022 bereits 3,33 Fehltage.

Der AOK-Report zeigt: Weniger Kranke in sozial geführten Firmen

Unternehmen können den Krankenstand durch eine soziale Unternehmensführung senken. Das geht aus dem neuesten AOK-Fehlzeitenreport 2022 hervor.

Zu den größten Herausforderungen am Arbeitsplatz gehören den Angaben nach die Menge sowie die Komplexität der Aufgaben, die Quantität der zu verarbeitenden Informationen, permanente Veränderungen sowie Ablenkungen und Unterbrechungen. Zwar würden rund 40 Prozent der Unternehmen bereits Angebote zur Stressreduktion und Ressourcenstärkung anbieten, während rund 37 Prozent schon Workshops zum Thema Achtsamkeit und Resilienz umgesetzt hätten.

16.03.2023 10:35
Deutschland unternimmt nicht genug gegen Korruption
Nach Ansicht des Europarats tut Deutschland noch nicht genug gegen Korruption. Nur eine von vierzehn Empfehlungen des Anti-Korruptions-Gremiums Greco aus dem Jahr 2020 sei zufriedenstellend umgesetzt worden, kritisierte die Staatengruppe. Lobend erwähnt wurde das Lobbyregister des Bundestags.

Das Gremium hatte beispielsweise empfohlen, Gesetzgebungsverfahren transparenter zu gestalten und Einflüsse von Lobbyisten deutlicher zu machen. Dies sei nicht umgesetzt worden, hieß es. Bedauernswert sei auch, dass es immer noch keine schärferen Regeln für den Wechsel von Politikern in die Privatwirtschaft gebe, beispielsweise längere Karenzzeiten. Auch sei mehr Transparenz in Bezug auf finanzielle Interessen der Bundesministerinnen und -minister wünschenswert.

Nach einer Auswertung der Bürgerbewegung Finanzwende ist keine andere Branche unter den 100 finanzstärksten Lobbyakteuren so stark vertreten wie die Finanzbranche.
Lob gab es für die Einführung des Lobbyregisters im Bundestag, allerdings müsste es noch mehr Informationen über den Zweck von Kontakten mit Lobbyisten geben.

Transparency erhofft von Ampel-Koalition schärfere Lobbyregeln

Der Europarat mit Sitz im französischen Straßburg ist für den Schutz der Menschenrechte zuständig. Er ist kein Organ der Europäischen Union. Die Staatengruppe gegen Korruption wurde 1999 gegründet und zählt insgesamt 50 Mitgliedstaaten, deren Engagement im Kampf gegen Korruption sie in regelmäßigen Abständen beurteilen. Greco wird die deutsche Umsetzung der Empfehlungen 2024 bewerten.

RND/dpa

09.03.2023 10:41
Ist die Vier-Tage-Woche barer Unsinn oder eine sinnvolle Perspektive?
„Die Vier-Tage-Woche ist ein Fake“,sagt der Ökonom Heinz-Josef Bontrup. Gleichwohl übernehmen immer mehr und immer hochleistungsfähige Computer und Roboter immer mehr Arbeit, die heute noch von vielen Menschen getan werden.

Einige Unternehmen testen bereits die Vier-Tage-Woche. Es führt in einigen Bereichen zu zufriedeneren Mitarbeiter*Innen ohne Produktivitätsverlust. Der Ökonom ist nicht überzeugt von dem Konzept. Er fordert im Interview mit der Frankfurter Rundschau eine echte Verkürzung der Arbeitszeit. Ein Interview von Steffen Herrmann vom 8.3.23 S. 15:

„Herr Bontrup, sind Sie ein Fan der Vier-Tage-Woche?

Nein, ich bin kein Fan einer sogenannten Vier-Tage-Woche, die lediglich eine Arbeitsumverteilung impliziert. Sondern ich bin seit Jahrzehnten ein Fan einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Das größte Problem vor dem Hintergrund der bestehenden hohen Arbeitslosigkeit und zusätzlichen Unterbeschäftigung von Millionen Menschen in Deutschland ist allerdings, dass die abhängig Beschäftigten sich nicht hinreichend in den Gewerkschaften organisieren. Deshalb fehlt bislang eine Koalition, die die Macht hat, eine Arbeitszeitverkürzung durchzusetzen.

Frage: Hinter dem Schlagwort der Vier-Tage-Woche verstecken sich verschiedene Modelle. Bei einigen wird der einzelne Arbeitstag dafür länger. In Belgien können Beschäftigte zum Beispiel ihre Wochenarbeitszeit von 40 Stunden an vier Tagen leisten. Andere Modelle reduzieren tatsächlich die Arbeitszeit – statt 40 Stunden an fünf Tagen arbeiten die Beschäftigten dann 30 oder 35 Stunden an vier Tagen. Welches Modell ist sinnvoll, welches nicht?

Sie werfen hier die ganze Bandbreite von diskutieren Arbeitszeitverteilungen pro Woche oder auch pro Monat auf. Das sind aber keine Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohn- und Personalausgleich, wie ich sie seit langem fordere. Die zurzeit in einigen Ländern in Pilotprojekten, auch in einzelnen deutschen Unternehmen, erprobten Vier-Tage-Wochen sind deshalb nur ein Arbeitszeitverkürzungs-Fake. Und ich muss mich mehr als wundern, wenn hier bei einer nur anderen Arbeitszeitverteilung betont wird, dass dies bei vollem Lohnausgleich stattfinden würde. Ja, wie denn wohl sonst? Wäre das nicht der Fall, so käme es zu drastischen Einkommenskürzungen bei den abhängig Beschäftigten. Und übrigens: Nicht eine diskutierte Vier-Tage-Woche will die Arbeitszeit auf eine 30- oder 32-Stunden-Woche reduzieren. Dies würde eine sofortige Produktivitätssteigerung von rund 20 Prozent bedeuten. Das ist ökonomisch völlig unrealistisch.

Sehen Sie denn überhaupt keine Vorteile einer Vier-Tage-Woche?

Nun ja, einige abhängig Beschäftigte sind der Auffassung, es hätte Vorteile für sie, wenn sie statt 5 mal 8 Stunden, also 40 Stunden, jetzt 4 mal 10 Stunden, also auch 40 Stunden in der Woche, nur anders verteilt, arbeiten. Das will ich in Einzelfällen nicht in Abrede stellen. Darum geht es aber nicht. Es geht um die Volkswirtschaft als Ganzes. Und dass aus einer lediglich anderen Verteilung der Arbeit Produktivitätseffekte resultieren, müsste wissenschaftlich erst noch einmal nachgewiesen werden. Meine Prognose fällt hier eher negativ aus.

Bisher läuft die Wirtschaft zu großen Teilen im Rhythmus einer Fünf-Tage-Woche. Von Montag bis Freitag ist zu den üblichen Geschäftszeiten immer jemand im Dienst. Wie müsste man den Umstieg gestalten?

Der Umstieg einer Arbeitsumverteilung wird in den meisten Branchen der Wirtschaft überhaupt nicht gehen, denken sie nur an die vielen Arbeitsprozesse, wo man nicht mal einfach die Arbeit an einem Tag einstellen kann. So nach dem Motto, wir arbeiten jetzt die 40 Stunden in der Woche an vier Tagen ab. Am fünften Tag steht alles leer und wir schließen die Firma ab. Ganz „Schlaue“ argumentieren hier mit Energieeinsparungen, vergessen dabei aber die Nicht-Nutzung von Maschinen und Anlagen. Wer soll den Ausfall denn dann bitteschön am Ende bezahlen? Die Kunden, die durch die Arbeitsumverteilung zusätzlich noch auf eine schlechtere Erreichbarkeit der Firmen stoßen? Das ist alles paradox.

Wie groß sind die Chancen für eine Vier-Tage-Woche in Deutschland? Dafür bräuchte es starke Gewerkschaften oder?

Da die Vier-Tage-Woche als Arbeitsumverteilung ein Fake ist, wird sie sich auch nicht durchsetzen und so auch kein Thema für die Gewerkschaften werden.

In einigen Modellen sinkt mit der Arbeitszeit auch das Gehalt. Das können sich doch nur Besserverdienende leisten.

Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnausgleich, also mit Einkommenskürzungen, sind genauso wie die Arbeitsumverteilung ein Arbeitszeitverkürzungs-Fake, den sich natürlich so gut wie keiner leisten kann. Was aber an diesem Fake besonders fatal ist, ist der ökonomische Tatbestand, dass es damit zu einer noch größeren Umverteilung der Wertschöpfung zu Gunsten der Kapitaleigentümer kommt.

Weniger Arbeit, gleiches Gehalt – warum sollten die Arbeitgeber da mitspielen?

Ganz einfach, weil eine Arbeitszeitverkürzung nicht nur bei vollem Lohnausgleich, sondern auch bei einem vollen Personalausgleich – das ist ganz wichtig – auf Basis einer wertmäßigen Arbeitsproduktivitätserhöhung, für Unternehmer überhaupt keinen Nachteil hat.

Das müssen Sie jetzt aber näher erklären.

Ja, weil auch ihre Gewinne in Höhe der Produktivitätszuwächse steigen. Die Verteilung der Wertschöpfung ist zwischen Kapital und Arbeit neutral. Lohn- und Gewinnquote bleiben konstant, es gibt keine inflatorischen Wirkungen, die Lohnstückkosten verändern sich nicht, und die Arbeitslosigkeit geht zurück. Und wissen Sie was: Dann haben sich die Unternehmer nicht einmal mit einem Cent an der Finanzierung der Arbeitszeitverkürzung beteiligt. Das ist völlig inakzeptabel. Daher muss es zu einer Mitfinanzierung durch ein Absenken der viel zu hohen volkswirtschaftlichen Mehrwertquote kommen, die bei rund 43 Prozent liegt und stark dysfunktionale makroökonomische Effekte impliziert.

Arbeitgeberpräsident Steffen Kampeter fordert „mehr Bock auf Arbeit“ und längere Arbeitszeiten. Hat er mit Blick auf den Personalmangel, den es in einigen Branchen gibt, nicht recht?

Der Unternehmer-Lobbyist Kampeter fordert nicht nur den Unsinn von längeren Arbeitszeiten. Als Wissenschaftler weiß ich das einzuordnen. Und was den sogenannten Personalmangel in einigen Branchen oder, wissenschaftlich sauber formuliert, auf Teilarbeitsmärkten anbelangt, darüber freue ich mich. Als Ökonom lernt man im ersten Semester: Alles was knapp ist, hat einen hohen Preis. Die Löhne werden hier steigen und in Folge Arbeitskräfte anlocken. Gegen diesen marktwirtschaftlichen Mechanismus habe ich nicht einzuwenden".

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