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09.03.2023 10:41
Ist die Vier-Tage-Woche barer Unsinn oder eine sinnvolle Perspektive?  

„Die Vier-Tage-Woche ist ein Fake“,sagt der Ökonom Heinz-Josef Bontrup. Gleichwohl übernehmen immer mehr und immer hochleistungsfähige Computer und Roboter immer mehr Arbeit, die heute noch von vielen Menschen getan werden.

Einige Unternehmen testen bereits die Vier-Tage-Woche. Es führt in einigen Bereichen zu zufriedeneren Mitarbeiter*Innen ohne Produktivitätsverlust. Der Ökonom ist nicht überzeugt von dem Konzept. Er fordert im Interview mit der Frankfurter Rundschau eine echte Verkürzung der Arbeitszeit. Ein Interview von Steffen Herrmann vom 8.3.23 S. 15:

„Herr Bontrup, sind Sie ein Fan der Vier-Tage-Woche?

Nein, ich bin kein Fan einer sogenannten Vier-Tage-Woche, die lediglich eine Arbeitsumverteilung impliziert. Sondern ich bin seit Jahrzehnten ein Fan einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Das größte Problem vor dem Hintergrund der bestehenden hohen Arbeitslosigkeit und zusätzlichen Unterbeschäftigung von Millionen Menschen in Deutschland ist allerdings, dass die abhängig Beschäftigten sich nicht hinreichend in den Gewerkschaften organisieren. Deshalb fehlt bislang eine Koalition, die die Macht hat, eine Arbeitszeitverkürzung durchzusetzen.

Frage: Hinter dem Schlagwort der Vier-Tage-Woche verstecken sich verschiedene Modelle. Bei einigen wird der einzelne Arbeitstag dafür länger. In Belgien können Beschäftigte zum Beispiel ihre Wochenarbeitszeit von 40 Stunden an vier Tagen leisten. Andere Modelle reduzieren tatsächlich die Arbeitszeit – statt 40 Stunden an fünf Tagen arbeiten die Beschäftigten dann 30 oder 35 Stunden an vier Tagen. Welches Modell ist sinnvoll, welches nicht?

Sie werfen hier die ganze Bandbreite von diskutieren Arbeitszeitverteilungen pro Woche oder auch pro Monat auf. Das sind aber keine Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohn- und Personalausgleich, wie ich sie seit langem fordere. Die zurzeit in einigen Ländern in Pilotprojekten, auch in einzelnen deutschen Unternehmen, erprobten Vier-Tage-Wochen sind deshalb nur ein Arbeitszeitverkürzungs-Fake. Und ich muss mich mehr als wundern, wenn hier bei einer nur anderen Arbeitszeitverteilung betont wird, dass dies bei vollem Lohnausgleich stattfinden würde. Ja, wie denn wohl sonst? Wäre das nicht der Fall, so käme es zu drastischen Einkommenskürzungen bei den abhängig Beschäftigten. Und übrigens: Nicht eine diskutierte Vier-Tage-Woche will die Arbeitszeit auf eine 30- oder 32-Stunden-Woche reduzieren. Dies würde eine sofortige Produktivitätssteigerung von rund 20 Prozent bedeuten. Das ist ökonomisch völlig unrealistisch.

Sehen Sie denn überhaupt keine Vorteile einer Vier-Tage-Woche?

Nun ja, einige abhängig Beschäftigte sind der Auffassung, es hätte Vorteile für sie, wenn sie statt 5 mal 8 Stunden, also 40 Stunden, jetzt 4 mal 10 Stunden, also auch 40 Stunden in der Woche, nur anders verteilt, arbeiten. Das will ich in Einzelfällen nicht in Abrede stellen. Darum geht es aber nicht. Es geht um die Volkswirtschaft als Ganzes. Und dass aus einer lediglich anderen Verteilung der Arbeit Produktivitätseffekte resultieren, müsste wissenschaftlich erst noch einmal nachgewiesen werden. Meine Prognose fällt hier eher negativ aus.

Bisher läuft die Wirtschaft zu großen Teilen im Rhythmus einer Fünf-Tage-Woche. Von Montag bis Freitag ist zu den üblichen Geschäftszeiten immer jemand im Dienst. Wie müsste man den Umstieg gestalten?

Der Umstieg einer Arbeitsumverteilung wird in den meisten Branchen der Wirtschaft überhaupt nicht gehen, denken sie nur an die vielen Arbeitsprozesse, wo man nicht mal einfach die Arbeit an einem Tag einstellen kann. So nach dem Motto, wir arbeiten jetzt die 40 Stunden in der Woche an vier Tagen ab. Am fünften Tag steht alles leer und wir schließen die Firma ab. Ganz „Schlaue“ argumentieren hier mit Energieeinsparungen, vergessen dabei aber die Nicht-Nutzung von Maschinen und Anlagen. Wer soll den Ausfall denn dann bitteschön am Ende bezahlen? Die Kunden, die durch die Arbeitsumverteilung zusätzlich noch auf eine schlechtere Erreichbarkeit der Firmen stoßen? Das ist alles paradox.

Wie groß sind die Chancen für eine Vier-Tage-Woche in Deutschland? Dafür bräuchte es starke Gewerkschaften oder?

Da die Vier-Tage-Woche als Arbeitsumverteilung ein Fake ist, wird sie sich auch nicht durchsetzen und so auch kein Thema für die Gewerkschaften werden.

In einigen Modellen sinkt mit der Arbeitszeit auch das Gehalt. Das können sich doch nur Besserverdienende leisten.

Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnausgleich, also mit Einkommenskürzungen, sind genauso wie die Arbeitsumverteilung ein Arbeitszeitverkürzungs-Fake, den sich natürlich so gut wie keiner leisten kann. Was aber an diesem Fake besonders fatal ist, ist der ökonomische Tatbestand, dass es damit zu einer noch größeren Umverteilung der Wertschöpfung zu Gunsten der Kapitaleigentümer kommt.

Weniger Arbeit, gleiches Gehalt – warum sollten die Arbeitgeber da mitspielen?

Ganz einfach, weil eine Arbeitszeitverkürzung nicht nur bei vollem Lohnausgleich, sondern auch bei einem vollen Personalausgleich – das ist ganz wichtig – auf Basis einer wertmäßigen Arbeitsproduktivitätserhöhung, für Unternehmer überhaupt keinen Nachteil hat.

Das müssen Sie jetzt aber näher erklären.

Ja, weil auch ihre Gewinne in Höhe der Produktivitätszuwächse steigen. Die Verteilung der Wertschöpfung ist zwischen Kapital und Arbeit neutral. Lohn- und Gewinnquote bleiben konstant, es gibt keine inflatorischen Wirkungen, die Lohnstückkosten verändern sich nicht, und die Arbeitslosigkeit geht zurück. Und wissen Sie was: Dann haben sich die Unternehmer nicht einmal mit einem Cent an der Finanzierung der Arbeitszeitverkürzung beteiligt. Das ist völlig inakzeptabel. Daher muss es zu einer Mitfinanzierung durch ein Absenken der viel zu hohen volkswirtschaftlichen Mehrwertquote kommen, die bei rund 43 Prozent liegt und stark dysfunktionale makroökonomische Effekte impliziert.

Arbeitgeberpräsident Steffen Kampeter fordert „mehr Bock auf Arbeit“ und längere Arbeitszeiten. Hat er mit Blick auf den Personalmangel, den es in einigen Branchen gibt, nicht recht?

Der Unternehmer-Lobbyist Kampeter fordert nicht nur den Unsinn von längeren Arbeitszeiten. Als Wissenschaftler weiß ich das einzuordnen. Und was den sogenannten Personalmangel in einigen Branchen oder, wissenschaftlich sauber formuliert, auf Teilarbeitsmärkten anbelangt, darüber freue ich mich. Als Ökonom lernt man im ersten Semester: Alles was knapp ist, hat einen hohen Preis. Die Löhne werden hier steigen und in Folge Arbeitskräfte anlocken. Gegen diesen marktwirtschaftlichen Mechanismus habe ich nicht einzuwenden".

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