16.10.2009 13:12
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Fairness heißt: Zweite Chance
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Ist juristische Härte fair? Pfandbons von 1,30 €, eine Frikadelle nebst zwei Brötchenhälften und jetzt sechs Maultaschen: Unternehmen und Gerichte machen von sich reden, weil sie einfach Beschäftigten kündigen oder Kündigungen bestätigen, wenn mit geringfügigen Sachen vermeintlich betrügerisch umgegangen wurde.
Jetzt wurde einer 58-jährige Konstanzer Altenpflegerin vom Arbeitsgericht bestätigt, dass sie zu Recht gekündigt worden sei – nach 17 Jahren Betriebszugehörigkeit. Es handelte sich um Essensreste, von denen sich die Mitarbeiterin etwas mitgenommen hatte, die sonst vorschriftsmäßig im Müll gelandet wären. Die städtische Konstanzer Spitalstiftung betrachtet die Mitnahme der Maultaschen als Diebstahl. Das Vertrauensverhältnis sei zerstört, eine Weiterbeschäftigung nicht möglich, heißt es seitens des Arbeitsgebers. Das Gericht argumentierte, die Klägerin habe gegen eine ausdrückliche Anweisung des Arbeitgebers verstoßen. Der habe untersagt, sich vom Essen der Heimbewohner zu bedienen. Reste müssten in die Küche zurückgehen. Für das Personal werde täglich eine Extra-Verpflegung zum Preis von 3,35 Euro angeboten. Eine Abmahnung kam für die Spitalstiftung nicht in Frage. Sie hatte allerdings der Pflegerin eine Abfindung von 25 000 Euro angeboten, wenn sie die Kündigung akzeptiert. Das lehnte die Frau jedoch ab. Sie wollte ihren Teilzeitjob behalten.
Gewerkschaftsvertreter vermuten, dass man aus anderen Gründen die Frau auf jeden Fall loswerden wolle und daher keinen anderen Weg gewählt hat.
Tatsächlich sind dieser und ähnliche Fälle auffällig, weil es jenseits der Kündigung offenbar keinen anderen Weg gibt, mit einem Vertrauensbruch umzugehen. Doch wer viele Jahre in einem Unternehmen gearbeitet hat, muss in jedem Fall mindestens eine vertrauenswürdige Person gewesen sein, sonst hätte man nicht jahrelang miteinander gearbeitet. Und wenn in einem Vertrauensverhältnis ein Fehlverhalten passiert, dann gehört es zur Fairness, den Schaden im Vertrauensverhältnis zu reparieren und nicht gleich das ganze Verhältnis für gescheitert zu erklären. Das machen Menschen in der Regel auch nicht in Partnerschaften oder Geschäftsleute in langfristigen Geschäftsbeziehungen.
Was die Arbeitnehmer getan haben, liegt im Bagatellbereich und wird zu einem Elefanten im Vertrauensladen aufgeblasen. Hier geht es also darum, Exempel zu statuieren, Recht vor Vertrauen und Fairness walten zu lassen. Denn einem Arbeitgeber steht es sehr gut zu Gesicht, wenn er nach einem langen Beschäftigungsverhältnis im Fall eines Vertrauensbruchs das Gespräch sucht, dem Mitarbeiter Regeln und nächste Schritte zur erneuten Vertrauensbildung und damit ihm Orientierung und eine zweite Chance gibt. Jeder und jede hat eine zweite Chance verdient. Existenzgefährdende Konsequenzen sind nicht fair, wenn es nicht eine zweite Chance zur Heilung des Vertrauensbruchs und zur Bewährung gibt.
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