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03.11.2023 08:07
Edeka, Rewe, Aldi und Lidl verstoßen gegen Lieferkettengesetz - Ausbeutung ist Standard  

Oxfam hat Beschwerdee gegen Edeka und Rewe wegen Ausbeutung im Kontext mit Bananenankauf und -Handel eingereicht und schreibt dazu:

"Arbeit im giftigen Pestizidnebel, Hungerlöhne, Niederschlagung von Gewerkschaften: Immer wieder haben wir Arbeitsrechtsverletzungen auf Bananen- und Ananas-Plantagen aufgedeckt. Immer wieder haben wir an die Verantwortung der vier großen Supermarktketten appelliert. Doch einige Supermärkte machen weiter wie bisher, vor Ort hat sich kaum etwas geändert. Jetzt reicht‘s: Wir haben Beschwerde nach dem Lieferkettengesetz eingereicht.

Grillen zirpen, die Sonne scheint auf ein Meer aus riesigen grünen Blättern – Bananenstauden, soweit das Auge blickt. Die Arbeiter*innen auf der Plantage packen gerade die empfindlichen Früchte ein, da ertönt plötzlich ein ohrenbetäubendes Dröhnen: Ein Pestizidflugzeug fliegt tief und versprüht seine Wolke aus Gift direkt über den Köpfen der Arbeiter*innen. „Man versteckt sich unter den Blättern, damit die Flüssigkeit einen nicht trifft“, erzählt ein Arbeiter einer Plantage für Aldi-Bananen in Costa Rica. Ein- bis zweimal pro Woche kommt das Flugzeug – wann genau, weiß niemand. „Sie holen die Arbeiter*innen nicht aus der Plantage, wenn gesprüht wird. Sie sagen den Arbeiter*innen auch nicht Bescheid.“

Die Flüssigkeit ist sehr intensiv, nicht mal Masken bekommen wir, um dem starken Geruch nach Gift zu entgehen.
Giftdusche aus dem Flugzeug

Auf einer Plantage für Rewe-Bananen in Ecuador läuft es ähnlich: „Heute gab es eine Luftbesprühung per Flugzeug, wir waren alle noch bei der Arbeit“, erzählt ein Arbeiter. „Niemand ist vom Feld heruntergegangen, niemand hat uns Bescheid gesagt. Die Flüssigkeit ist sehr intensiv, nicht mal Masken bekommen wir, um dem starken Geruch nach Gift zu entgehen.“

Auch auf Plantagen, die Edeka beliefern, berichten Arbeiter*innen: „Manchmal haben sie auch nachmittags um vier Uhr gesprüht. […] Die Arbeiter*innen, die geerntet haben, waren da noch in der Plantage.“

Warum stellen die Plantagen keine geeignete Schutzkleidung zur Verfügung?

Mitverantwortlich für die schlechten Arbeitsbedingungen ist auch der Preisdruck der deutschen Supermärkte: Damit die Marge stimmt, muss das Obst möglichst billig im Einkauf sein. Dieser Preisdruck wird entlang der Lieferkette weitergereicht – bis zu den Arbeiter*innen auf dem Feld.

Alles wird teurer, selbst Reis, Bohnen, Salz, Speiseöl, aber was am wenigsten steigt, ist der Lohn.

Das zeigt sich auch bei den Löhnen: Der Mindestlohn für Landarbeiter*innen in Costa Rica liegt bei 11.738,83 Colones pro Tag, das entspricht rund 20 Euro. Doch viele Arbeiter*innen auf den Plantagen berichten, dass sie deutlich weniger bekommen – z.B. zwischen 5.000 und 10.000 Colones pro Tag, also zwischen rund 10 und 18 Euro, laut einem Arbeiter, der Aldi-Bananen anbaut.

„Wenn wir den Lohn den Lebenshaltungskosten gegenüberstellen, sehen wir, dass der Lohn nicht ausreicht“, erklärt auch ein Arbeiter auf einer Bananen-Plantage in Costa Rica, die für Lidl produziert. „Alles wird teurer, selbst Reis, Bohnen, Salz, Speiseöl, aber was am wenigsten steigt, ist der Lohn. […] Das trifft uns sehr.“

Auftrags-Ausbeuter

Besonders hart trifft es Migrant*innen aus Nicaragua, die häufig über „Contratistas“ angestellt sind. Contratistas lassen sich am besten als Auftrags-Ausbeuter beschreiben:

„Ich war wie versklavt“, erzählt Walter Montoya, der für einen Contratista auf einer Plantage gearbeitet hat, die an Lidl liefert. „Und nicht nur ich, es gab eine Unzahl von Personen, die versklavt waren. Sie wurden zum Arbeiten geschickt und sie bekamen vielleicht 3000 oder 2500 Colones [rund 9 Euro pro Tag] bezahlt; Personen, denen die Krankenversicherungsbeiträge gestohlen wurden. All das wissen sie [die Firma].”

Auch in Ecuador werden die Löhne gedrückt: „Sie zahlen uns nicht für Vollzeit, lassen uns aber Vollzeit arbeiten“, erklärt eine Arbeiterin auf einer Bananen-Plantage, die für Rewe produziert. „Sie lassen uns um 6 [Uhr morgens] anfangen und wir arbeiten bis 6 Uhr abends. Diese Überstunden werden uns nicht bezahlt. […] Auf der Lohnabrechnung steht eine Summe Geld, aber auf dem Konto steht eine andere. Sie zahlen uns nicht, was wir vermeintlich verdienen.“

Frauen und Ältere diskriminiert

Wer jahrzehntelange gesundheitsgefährdende Arbeit überstanden hat, kann sich immerhin auf eine bescheidene Rente freuen – in Ecuador z.B. schreibt das Gesetz nach 25 Jahren im Betrieb eine Betriebsrente vor. Was tut also der sparsame Plantagenbesitzer? „Ich wurde entlassen, ungefähr einen Monat bevor ich die Betriebszugehörigkeitsjahre erreicht hatte, ab denen mir eine Rente zugestanden hätte“, erzählt ein ehemaliger Arbeiter eines Edeka-Zulieferers in Ecuador. „Das betrifft nicht nur mich, wir sind eine Gruppe von ungefähr 300 Arbeiter*innen, die in dieser Art entlassen wurden.“

„Die älteren Kolleg*innen werden noch mehr ausgebeutet“, erklärt ein Arbeiter auf einer Plantage für Rewe-Bananen. „Sie lassen sie schwerere Arbeiten machen, damit sie von allein gehen und ihre Kündigung unterschreiben.“

Von Diskriminierung berichten auch Frauen auf der Plantage: „Wir werden mehr ausgebeutet [als die Männer]. Sie marginalisieren uns, behandeln uns schlecht, beschimpfen uns, die Chefs, Ingenieure, Vorarbeiter.“ Auch bei den Löhnen berichten Frauen von Benachteiligung: „Die Männer verdienen mehr und wir verdienen weniger. Den Männern zahlen sie etwa 13 US-Dollar [rund 12 Euro] pro 1000 Kisten, uns nur 10,24 US-Dollar [rund 10 Euro].“

Mutige Gewerkschaften

Viele Arbeiter*innen wollen sich gegen die Missstände wehren und organisieren sich gewerkschaftlich. Doch dafür braucht es Mut, denn wer gegen das Unternehmen aussagt, riskiert viel:

„Ich habe viele Kolleg*innen, die entlassen wurden, nur weil sie mit mir einen Kaffee oder ein Getränk getrunken haben“, berichtet der Gewerkschafter Cristino Hernández von einer Plantage eines Aldi-Lieferanten. „Sie bekommen keine Arbeit mehr, weil Gewerkschaften nicht geachtet werden.“

Der Gewerkschafter Cristino Hernández bekommt wegen seines aktiven Engagements keinen Job mehr.

Auch Cristino Hernández selbst hat es inzwischen getroffen: Ein Teil der Farm wurde unter fadenscheinigen Gründen im August 2023 verkauft und dabei alle Arbeiter*innen entlassen. Ein Großteil der Beschäftigten wurde nach dem Verkauf wieder eingestellt – Gewerkschaftsmitglieder bekamen aber keinen Job.

„Es nennt sich ‚die schwarze Liste‘“, erklärt ein*e ehemalige*r Arbeiter*in einer Zulieferer-Plantage von Edeka. „Wenn mein Name auf der Liste ist, wird diese Liste an alle Unternehmen weitergereicht. Wenn das passiert, findest du keine Arbeit mehr in keinem Unternehmen. […] Das ist vielen Kolleg*innen passiert.“

Auch Familienangehörige von Gewerkschaftsmitgliedern sind von den Verstößen gegen die Vereinigungsfreiheit betroffen, berichtet ein Arbeiter eines Lidl-Lieferanten: „Wenn Familienmitglieder von mir auf der Plantage arbeiten wollen, werden sie abgelehnt. Dann wird einem gesagt: ‚Wenn Sie wollen, dass Ihr Bruder, Ihr Vater oder Ihr Neffe hier arbeitet, müssen Sie aus der Gewerkschaft austreten.‘“

Trotz dieser widrigen Bedingungen kämpfen Gewerkschaften in Ecuador und Costa Rica weiter für die Rechte der Arbeiter*innen. Das führt inzwischen sogar dazu, dass sie Morddrohungen erhalten.

Die Gewerkschafterin Diana Montoya leitet eine Infoveranstaltung für Arbeiter*innen über die Arbeit von ASTAC und die Rechte der Arbeiter*innen. Diese Art von Austausch ist offensichtlich nicht gern gesehen, denn Diana erhielt bereits Morddrohungen aufgrund ihres Engagements.

Was Supermärkte bisher tun: Siegel, Zertifizierungen und Audits

Einmal im Jahr fährt ein Auto vor, jemand in Hemd und Krawatte steigt aus und macht fleißig Häkchen auf einem Formular. Dafür gibt es dann einen grünen Frosch oder ein anderes hübsches Siegel auf dem Produkt. Für die Supermärkte ist es bequem, sich auf solche Zertifizierungen und Audits zu verlassen. Doch die bringen nichts, um die Situation auf den Plantagen zu verbessern.

Denn für die Zertifizierungsfirmen ist der Kunde König – und der Kunde ist das Unternehmen, das die Zertifizierung bezahlt. Plantagen-Arbeiter*innen eines Lidl-Zulieferers in Costa Rica sprechen Klartext: „Zertifizierungsfirmen wie Rainforest [Alliance] kommen hierher und nehmen lediglich Lügen und Falschheiten mit. Sie zertifizieren das Unternehmen und sagen, dass es die Anforderungen erfüllt, und das ist falsch. Eine Lüge. Das Unternehmen umgeht alle Hindernisse, aber hält die Regeln, die die Abnehmer stellen, nicht ein.“

Wer also wissen will, was tatsächlich auf den Plantagen passiert, muss den Arbeiter*innen und Gewerkschaften zuhören.

„Wir haben die Vorgesetzten darum gebeten, dass sie uns mit zu den Audits nehmen“, erzählt ein Arbeiter auf einer Plantage in Costa Rica, die Aldi beliefert. „Aber sie bringen nur ihre eigenen Leute. Sie lassen sie in der Nähe arbeiten, wo [die/der Auditor*in] vorbeikommt und sagen ihnen: ‚Das wird passieren und das hier sagt ihr und nicht mehr.’“

Arbeiter*innen auf einer Plantage für Rewe-Bananen in Ecuador erhielten am Tag vor dem Audit folgende Sprachnachricht: „Morgen haben wir voraussichtlich Besuch von einer Person von ‚Rainforest‘. […] Nur Glyphosat darf verwendet werden. Nicht verwendet werden dürfen Ammonium-Glufosinat und Paraquat. Das heißt, auf den Plantagen darf es keine Behälter dieser zwei Produkte geben. Nur Glyphosat, nur dieses wird berichtet.” Daraufhin mussten Arbeiter*innen die Pestizidbehälter verstecken oder entsorgen.

Welche Supermärkte Verantwortung übernehmen – und welche nicht

Wir sind mit allen großen Supermarktketten seit Längerem im Austausch und bieten ihnen an, den Kontakt zu Gewerkschaften und Arbeiter*innen vor Ort zu vermitteln. Denn zu ihrer Sorgfaltspflicht nach dem Lieferkettengesetz gehört, dass sie dafür sorgen, dass die oben beschriebenen Menschenrechtsverletzungen nicht mehr passieren. Dazu müssen sie sich mit den Betroffenen austauschen. Und sie haben die Macht, etwas zu verändern, denn die vier großen Supermarktketten beherrschen 85 % des deutschen Lebensmittel-Einzelhandels.

Auf Bananenplantagen aller vier großen Supermärkte – Aldi, Edeka, Lidl und Rewe – haben Gewerkschaften vor Ort Menschenrechtsverletzungen festgestellt und sich darüber bei den Supermärkten beschwert. Wie sollte ein Supermarkt auf solche Beschwerden reagieren? Der erste Schritt ist eigentlich ganz einfach: Mit den Beschwerdeführerinnen in den Austausch zu gehen.

Aldi und Lidl haben das getan: Sie haben sich den Vorwürfen gestellt und verhandeln inzwischen mit Gewerkschaften und Zulieferern. Anders Edeka und Rewe: Sie wollen lieber weiter Augen und Ohren verschließen und an die Magie der Audits und hübschen Siegel glauben. Der Rewe-Zulieferbetrieb Otisgraf war bis zuletzt von Rainforest Alliance zertifiziert. Erst auf die Beschwerde der Gewerkschaft ASTAC hin hat der Betrieb die Zertifizierung verloren. Nun hat Otisgraf einige Monate Zeit, um die Lage zu verbessern und das Siegel wieder zu erhalten. Doch bei der Erstellung des Maßnahmenplans wurden die Beschäftigten und ASTAC wieder nicht einbezogen. Nach einem ersten Gespräch zusammen mit Rewe und ASTAC über die Situation Anfang August gab es keine weiteren Gespräche zwischen dem Unternehmen und der Gewerkschaft. Edeka will die Missstände nicht einmal anerkennen – bei eigenen Untersuchungen der Vorwürfe wurden die Gewerkschaft und die betroffenen Arbeiter*innen nicht einmal einbezogen.

Deshalb haben wir nun gegen Edeka und Rewe Beschwerden nach dem Lieferkettengesetz bei der zuständigen Behörde eingelegt: dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA).

Wie geht es jetzt weiter?

Das BAFA als Kontrollbehörde muss jetzt unseren Hinweisen auf Verstöße gegen das Lieferkettengesetz nachgehen. Es darf nicht folgenlos bleiben, wenn einzelne Unternehmen wie Rewe und Edeka gegen das Gesetz verstoßen, während andere ihre gesetzlichen Pflichten ernst nehmen. Wir erwarten, dass das BAFA den Unternehmen konkrete Anweisungen geben wird und klar formuliert, welche Anforderungen es an Prävention und Abhilfe bei Menschenrechtsverletzungen gibt. Wenn Unternehmen ihre Pflichten nicht erfüllen, kann das BAFA Bußgelder verhängen: bis zu 2 % des Jahresumsatzes.

Wir bleiben dran

Oxfam wird die behördliche Durchsetzung des Lieferkettengesetzes durch das BAFA anhand der eingereichten Beschwerden gegen Edeka und Rewe in den kommenden Monaten verfolgen. Genauso werden wir beobachten, ob Aldi und Lidl tatsächlich angemessene Maßnahmen ergreifen, um in Zusammenarbeit mit den lokalen Gewerkschaften bestehende Probleme strukturell zu beheben"

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