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14.12.2020 09:27
Wie fair ist das Sandmännchen? Faire Kuscheltier und faires Spielzeug durch die Fair Toys Organisation (FTO)  

"Das Sandmännchen ist fair", stellt Hannes Koch in der Frankfurter Rundschau heute fest. Und weiter: "Was soll man von dem seit 1959 bei Kindern und Eltern beliebten Gute-Nacht-Begleiter auch sonst denken? Heute kommt die Figur in ihrer Plüsch-Puppen-Variante zwar aus China – über schlechte Qualität, gefährliche Materialien oder miese Arbeitsbedingungen in den Fabriken müsse man sich aber keine Sorgen machen, heißt es bei der Firma Heunec im bayerischen Neustadt unweit Coburg.

Zwei Millionen Plüschtiere und -Puppen lässt das Unternehmen jährlich in China fertigen, auch das Sandmännchen. Dass die Bedingungen dort in Ordnung sind, ist Firmenchefin Barbara Fehn-Dransfeld ein Anliegen. „Unsere Partner in China bestätigen uns, dass sie ihren Beschäftigten beispielsweise deutlich mehr zahlen als die niedrigen, staatlich festgesetzten Mindestlöhne“, sagt die Heunec-Miteigentümerin.

Damit die Spielzeugbranche insgesamt höhere Standards akzeptiert, hat Fehn-Dransfeld die Fair Toys Organisation (FTO) mitgegründet und arbeitet dort im Vereinsvorstand. Beigetreten sind bisher zehn Unternehmen, darunter Fischertechnik und Zapf Creation. Das ist jedoch nur ein Anfang: Der Marktanteil dieser Firmen liegt deutlich unter zehn Prozent der Branche in Deutschland. Mit zweistelligen Millionenumsätzen und 30 Leuten spielt Heunec in der Regionalliga der hiesigen Spielzeugindustrie.

Der existenzsichernde Lohn ist ein wichtiger Punkt im Verhaltenskodex der Organisation. Wer der FTO beitritt, verpflichtet sich dem Ziel, dass die Beschäftigten der ausländischen Zulieferfabriken mehr Geld bekommen als die meist spärlichen Mindestlöhne. Genaue Zahlen enthält der Kodex jedoch nicht. Weitere Regeln besagen beispielsweise: Das Personal soll regelmäßig nicht länger als 48 Stunden wöchentlich arbeiten, ein freier Tag pro Woche ist Pflicht. Gewerkschaften dürfen gegründet werden.
„Die Mitgliedsfirmen sind verpflichtet, sich den Zielen aus dem Verhaltenskodex fortschreitend anzunähern“, erklärt FTO-Initiator Maik Pflaum von der Christlichen Initiative Romero (CIR) in Nürnberg. „Sie müssen konkrete Schritte benennen und diese auch nachweisbar umsetzen.“ Die Organisation beschreibt den Weg, weiß aber, dass es selbst bei den Mitgliedsfirmen durchaus Defizite gebe. „Wer behauptet, Arbeitsrechtsverletzungen zu 100 Prozent ausschließen zu können, ist unehrlich“, heißt es auf ihrer Internetseite.

Fehn-Dransfeld räumt ein Spannungsverhältnis auch in ihrem Unternehmen ein. „Die Entlohnung in den chinesischen Firmen, die Heunec-Produkte fertigen, ist existenzsichernd“, sagt sie einerseits. Andererseits kontrolliert der deutsche Betrieb diese Informationen aus China bisher weder selbst, noch lässt er sie von beauftragten Zertifizierungsorganisationen überprüfen. „Das Thema steht aber auf der Agenda“, sagt Fehn-Dransfeld. In Zukunft wird das nicht mehr reichen. Dann müssen Heunec und andere Firmen genauer hinsehen, die Bedingungen in ihren Lieferketten dokumentieren, sowie Realität und Ziele zur Deckung bringen.

Das macht Arbeit und kostet Geld. Warum unterzieht Heunec sich dieser Mühe? Vor allem ärgere sie sich über die schlechten Arbeitsbedingungen in vielen chinesischen Fabriken, auf die die CIR Jahr für Jahr in ihrem kritischen Branchenreport (siehe Kasten) hinweise, sagt Fehn-Dransfeld. Denn damit drohe mittelbar auch ein schlechtes Licht auf ihren eigenen Betrieb zu fallen. „Die Kunden lesen ja auf unseren Etiketten ‚Made in China‘.“ Die Firmenchefin hat Angst vor einem Imageschaden.

Kann aber – andersherum betrachtet – die hohe ökologische und soziale Qualität zum Verkaufsargument werden? Suchen Verbraucherinnen und Verbraucher gezielt solche Produkte, so dass sich die Mitgliedschaft in der FTO rechnet? Möglich ist das, wie Firmenbeispiele aus der Bekleidungs- und Lebensmittelwirtschaft zeigen. Andererseits ist der Anteil nachhaltiger Produkte im Vergleich zum gesamten Einzelhandelsumsatz noch sehr gering: Mehrheitlich interessieren sich die Konsumenten höchstens theoretisch für den ethischen Mehrwert der gekauften Artikel.

Ob sich das ändert, wird man im Spielzeugmarkt erst in ein paar Jahren erfahren. „Wenn die Unternehmen ihre Zusagen einhalten und die nötige Punktzahl im FTO-Check erreichen, dürfen sie mit dem Logo der FTO an ihren Produkten in den Geschäften werben“, sagt Maik Pflaum. In frühestens zwei Jahren können die Kundinnen und Kunden auf diese Art entscheiden, ob sie fairen Plüschtieren den Vorzug vor konventionell gefertigten geben.

Wichtig erscheint allerdings auch das Marktsegment der öffentlichen Beschaffung. Die Stadt Nürnberg – Ort der alljährlichen Spielzeugmesse – ist schon jetzt FTO-Mitglied. „Ich kann mir gut vorstellen, dass der Nürnberger Stadtrat künftig beschließt, für öffentliche Einrichtungen nur noch Produkte mit dem FTO-Siegel zu kaufen“, vermutet Pflaum, der als parteiloser Abgeordneter der Grünen selbst in dem Gremium sitzt. Andere Kommunen mögen dem Beispiel folgen und für ihre Kindertagesstätten dann ausschließlich faires Spielzeug einkaufen.

Initiativen wie die FTO liegen in jedem Fall im Trend. Mit ihrem Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte übt die Bundesregierung sanften Druck auf die Unternehmen aus. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) plädieren außerdem für ein Lieferkettengesetz, damit hiesige Unternehmen die Arbeitsbedingungen in ihren ausländischen Zulieferfabriken verbessern.

Viele Firmen warten ab, manche Wirtschaftsverbände treten auf die Bremse, andere versuchen hingegen, das Beste aus der Entwicklung zu machen. So ist der Bundesverband der Spielwarenindustrie (DVSI), der rund 240 mittlere und große Unternehmen repräsentiert, der FTO schon beigetreten. Und eine Sprecherin des Herstellers Simba-Dickie, eine der Großen der Branche, sagt: „Wir stehen der Fair Toys Organisation offen gegenüber, sind in engem Kontakt und überlegen, dort zukünftig Mitglied zu werden.“"

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