Patricia Juan Pineda arbeitet bei der Schlichtungsstelle für Arbeits- und Menschenrechte (Litigio Estrategico en Derechos Humanos Laborales, LEDHL) in Mexiko. Für das gewerkschaftliche Zentrum Cilas (Centro de Investigacion Laboral y Asesoria Sindical, Mexiko-Stadt) reiste sie durch Deutschland. Die Reise erfolgte auf Einladung des Internationalen Gewerkschaftlichen Arbeitskreises Köln (IGAKK e.V.).
Sie antwortet auf Fragen von Steffen Herrmann und Tobias Schwab für die FR. Hier Auszüge. Das ganze Interview unter: "Weckruf für Lieferketten"
In Mexiko sind viele deutsche Zulieferer und Autobauer aktiv. Welchen Ruf haben die deutschen Unternehmen unter den Arbeiterinnen und Arbeitern?
Sie haben tolle Produkte, aber behandeln ihre Arbeiter schlecht. Die deutschen Arbeitgeber haben ein schlechtes Image.
Schlechter als Unternehmen aus anderen Ländern?
Nicht unbedingt, aber wir wissen schon: Es gibt an Standorten deutscher Unternehmen in Mexiko schlechte Arbeitsbedingungen und schlechte Löhne. Auch die Deutschen setzen auf Schutzgewerkschaften, und wenn man sie dafür öffentlich angreift, sagen sie: Das ist völlig legal, das dürfen wir. Zum Beispiel BMW: In San Luis Potosi hat BMW 2014 einen neuen Standort aufgebaut. Und noch bevor die Halle errichtet war, hatte BMW schon einen Schutzvertrag unterzeichnet. Es gab noch keinen einzigen Arbeiter, aber die Schutzgewerkschaft gab es schon. Dagegen haben wir uns beschwert, aber das hat niemanden interessiert.
Und in der Pandemie: Sind die deutschen Unternehmen ihrer Fürsorgepflicht nachgekommen? Gab es Impfprogramme? Dort, wo unabhängige Gewerkschaften aktiv sind, haben wir versucht, Impfprogramme auf die Beine zu stellen. Aber in den allermeisten Werken ist die Pandemie einfach durchgerollt. Wer infiziert war, hat einen zweiten Mundschutz bekommen und musste weiterarbeiten.
Auch das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist ein Thema für Sie. Werden die Unternehmen in Mexiko nervös, weil sie sehen, dass neue Anforderungen und Berichtspflichten auf sie zu kommen?
Wir haben uns das Lieferkettengesetz aus gewerkschaftlicher Sicht angeschaut und wir haben einige Schwachstellen gefunden. Zum Beispiel: Die Unternehmen sollen Beschwerdestellen schaffen, aber sie kontrollieren dann auch, was mit den Eingaben geschieht. Uns ist wichtig, dass die Kontrolle nicht alleine den Firmen obliegt, sondern dass Mechanismen geschaffen werden, die es den Gewerkschaften ermöglichen, zu überprüfen, ob die Beschwerden tatsächlich verfolgt werden. Wenn die Unternehmen sich bereiterklären, die Menschenrechte zu respektieren: Warum möchten sie dann die Hand auf dem Beschwerdemechanismus haben? Offensichtlich werden innerhalb vieler Unternehmen mit Standorten in Mexiko und Deutschland Informationen nicht weitergereicht. Deshalb ist ein direkter Draht zwischen den Beschäftigten in Mexiko und Deutschland so wichtig. Das Lieferkettengesetz ist sehr wichtig, aber wenn gewerkschaftliche Mechanismen fehlen, die Druck aufbauen, dann ist es nur ein weiteres schönes Gesetz.
Sie misstrauen Beschwerdemechanismen? Beschwerden wirft man in der Regel in den Briefkasten des Unternehmens. Da weiß jeder Arbeiter in Mexiko: Wenn ich das mache, riskiere ich meinen Job, meine Gesundheit und die Gesundheit meiner Familie. Das heißt, so einen Unternehmens-Mechanismus würde niemand nutzen. Es gibt außerdem keine vorgesehenen Fristen für die Behandlung der Beschwerden. Wenn also das Unternehmen nicht reagiert, gibt es einen Klageweg in Deutschland – aber das dauert und ist teuer. Langsame Justiz ist in diesem Fall überhaupt keine Justiz. Zum Vergleich: Beim USMCA-Abkommen waren gerade die kurzen Fristen für uns überlebenswichtig.
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