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Bernd Hontschik, Chirurg und Publizist, beschreibt in der Frankfurter Rundschau (6.12.25) kritisch „Gewalt im Krankenhaus“ und sieht darin einen Spiegel der zunehmend verrohten Gesellschaft:
Von einer „Zunahme von Beleidigungen, Bedrohungen und körperlichen Attacken, von Tritten und Schlägen die Rede. Allein in einem halben Jahr, sagt ein Hamburger Feuerwehrsprecher, habe es zahlreiche Angriffe gegen Kollegen seiner Wache gegeben: „Eine Notfallsanitäterin wurde getreten – in den Unterleib. Es ist ein Kollege mit einem Faustschlag im Gesicht getroffen worden. Ein Tritt vor die Brust und natürlich auch Bespucken und so weiter. Es sind Fahrzeuge beschädigt worden durch Fußtritte. Das Ganze wird rauer draußen, wirklich rauer.“
In einer Umfrage im Auftrag von Doctolib unter Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräften und Medizinischen Fachangestellten gaben 75 Prozent an, im letzten Jahr mindestens einmal mit Gewalt in Konfliktsituationen zu tun gehabt zu haben. Bei zwei Dritteln der Befragten waren es verbale Attacken und Beleidigungen durch Patient:innen, mehr als ein Drittel war bedroht worden, ein Viertel war sogar körperlicher Gewalt wie Schlägen oder Beißen ausgesetzt. Frauen waren überproportional häufig von Angriffen betroffen, besonders junge Ärztinnen.
Wenn ausgerechnet Angehörige von gemeinwohlorientierten Dienstleistungen zur Zielscheibe von Aggressionen werden, ist Ursachenforschung dringend angesagt. Die Ursachen dieser Entgleisungen sind vielfältig: Alkoholisierungen, Kontrollverluste durch Drogen, soziale Eskalationen, psychiatrische Auffälligkeiten oder Machogehabe. Das hat es aber schon immer gegeben, auch vor zehn Jahren und auch vor zwanzig Jahren. Diese Überlegungen können nicht den massiven Anstieg in den letzten fünf Jahren erklären. Was hat sich in dieser Zeit geändert?
In einer Krankenhausambulanz erlebt man nichts anderes als das, was sich im täglichen, im öffentlichen Leben abspielt. Als Beispiel möge das Benehmen von Bundestagsabgeordneten dienen, die in ihren Hasstiraden und Beleidigungen kaum noch Grenzen kennen. Das gab es vor wenigen Jahren noch nicht. Das wäre der allgemeine Teil, sozusagen das gesellschaftliche Klima. Da ist jeder Respekt vor dem Gegenüber abhandengekommen.
Und was hat sich im Gesundheitswesen verändert? Es beginnt damit, dass man in weiten Landstrichen gar keine ambulante ärztliche Versorgung mehr vorfindet. Dazu ist eine große Zahl von kleinen Krankenhäusern in die Insolvenz getrieben worden. Besonders im Osten und auf dem Land sind weite Anreisen inzwischen der Normalfall. Die Terminvergabe bei Fachärzten ist ein Glücksspiel, inzwischen auch schon bei immer mehr Hausärzten. Der Anstieg der Fallzahlen in den Krankhausambulanzen ist also Folge eines Versagens der ambulanten Medizin, die immer mehr ausgedünnt, immer schwerer erreichbar und mit immer längeren Wartezeiten verbunden ist.
Im Krankenhaus sind die Veränderungen besonders schwerwiegend. Krankenhäuser müssen schwarze Zahlen schreiben. Unrentable Bereiche werden personell ausgetrocknet und unterfinanziert. Krankenhausambulanzen sind höchst unrentabel. Daher erlebt man dort immer öfter Wartezeiten von mehreren Stunden, um dann blitzartig abgefertigt zu werden. Da muss man sich eigentlich über jeden einzelnen Fall wundern, in dem es nicht zu Wutausbrüchen kommt.
So haben die beiden Meldungen eben doch sehr viel miteinander zu tun. Ein Anstieg der Nachfrage trifft auf ein immer weiter reduziertes Angebot: Das kann zu Verzweiflung führen. Manchmal auch zu Gewalt.
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