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01.03.2012 16:16
Innovative Unfairness für Billiglohn  

Das Schlupfloch zu Billigstlöhnen: Werkverträge und Subunternehmen. Auf diesen unfairen Trick verfallen immer mehr Firmen, vor allem Einzelhändler. Die Billigstlöhne werden durch immer mehr Mindestlöhne erschwert und verhindert, die die Tarifparteien untereinander aushandeln und die vom Staat sanktioniert wird. Das Schlupfloch für die Unternehmen sind Werkverträge und Subunternehmen.

Insbesondere Einzelhändler haben in den vergangenen Jahren systematisch Werkverträge als Mittel für Niedrigstlöhne und zur Umgehung von Mindestlöhnen missbraucht. Früher räumten Leiharbeiter billig die Regale ein. Nachdem für sie ein Mindestlohn eingeführt wurde, war die ‚Methode Leiharbeiter‘ weitgehend hinfällig.

Nun fanden die Arbeitgeber mit den Werkverträgen ein neues Schlupfloch. Im Ergebnis erhalten die Berufstätigen dann einen Lohn von 3 bis 7 € pro Stunde. Davon kann niemand leben. Und da viele Tätigkeiten in die Rand- und Nachtstunden fallen sowie zu Überstunden führen und die Beschäftigung wegen der Befristung meistens prekär ist, kommt der gesundheitliche Ruin noch hinzu.

So etwa die Firma SIG Instore Logistics. Der Dienstleister bezahlt seine Beschäftigten nach dem Tarifvertrag des 2010 gegründeten Verbandes Instore und Logistik Services (ILS). Dessen 16 Unternehmen mit 50.000 Beschäftigten decken nach eigenen Angaben rund die Hälfte des Marktes ab, auf dem insgesamt an die 120 Dienstleister tätig sind. Da der Subunternehmer die Verantwortung für einen ganzen Betriebsbereich übernimmt und seinen Mitarbeitern gegenüber allein weisungsbefugt ist, gelten diese nicht als Leiharbeiter. So kann der Leiharbeit-Mindestlohn umgangen werden.

In ihrer Werbung heißt das bei der Firma „Warenverräumung ohne SIG RETAIL Prozess-Analyse. Erfahrene und umsetzungsstarke Teams verräumen auf Stundenbasis Neu- und Bestandsware“. Und weiter: „Um den Vermarktungserfolg von Produkten und Dienstleistungen nachhaltig zu steigern, bieten wir unseren Kunden als eines der führenden Dienstleistungsunternehmen in Europa maßgeschneiderte und branchenunabhängige Outsourcinglösungen an. Dabei reicht unser Produktportfolio von innovativen Vertriebsdienstleistungen für Markenunternehmen bis hin zu optimierten Instore-Logistik-Prozessen für den Handel“.

Kein Anzeigenblättchen, keine Jobbörse ohne Stellenausschreibungen der Firma. Gesucht vor allem: Praktikanten, Studenten, Mini-Jobber, Teilzeitkräfte auf Abruf.

Jedoch sind Werkverträge verboten, wo Beschäftige nach Weisung arbeiten und in die Arbeitsprozesse einer Firma eingebunden sind. Damit dieser Nachweis nicht möglich ist, begründen viele Firmen Schein-Werkverträge.
Damit es so nicht kommt, gibt es Nachhilfe für die Unternehmen. Da lernen Unternehmer wie sie Gehälter drücken können trotz Mindestlohn und Tarifvertrag. Da werden sogar Gebäudereiniger zu Künstlern - aus dem geputzten Fenster wird ein Werk, das per Werkvertrag bezahlt wird.

Zu diesem Zweck hatte sich die Spitze der deutschen Wirtschaft am 9. September 2011 im Holiday Inn (Düsseldorf) versammelte: Die Deutsche Bahn, Bosch und BMW, Metro, Porsche, Siemens und BASF, die Zeitarbeitsunternehmen Manpower und Randstad sowie die Unternehmensberatung KPMG. Auf dem Programm standen neue Tricks wie: „Freie Industriedienstleistungen als Alternative zur regulierten Zeitarbeit.“ 130 Topmanager folgten der Anleitung zum Lohndumping mit neuen Mitteln. Inzwischen werden mit (Schein-)Werkverträgen komplette Arbeitsschichten bei Subunternehmern eingekauft.

Rechtliche Bestimmungen scheinen kein Hindernis zu sein. Die vorgeschriebenen sogenannten getrennten Arbeitsbereiche werden durch gestrichelte Linien in der Werkhalle markiert. Maschinen stundenweise an den Subunternehmer vermietet. Damit wird angeblich den gesetzlichen Auflagen entsprochen, die für Werkverträge mit Subunternehmern gelten. Selbst Edelkaufhäuser wie das Berliner KaDeWe beschäftigten an ihren Kassen nicht mehr Stamm- oder Leiharbeiter, sondern sogenannte Werkvertragler.

Im BMW-Werk Regensburg wurden in den vergangenen vier Jahren Leiharbeiter mit knapp zwölf Euro pro Stunde entlohnt. Am Fließband aber standen ebenso Werkvertragler mit einem Stundenlohn von 7,81 Euro. Unter den 12 000 Mitarbeitern des Bosch-Werks in Stuttgart befinden sich laut Gewerkschaft nur 60 Leiharbeiter, dafür aber 2 000 Kollegen von Subunternehmen, die über Werkverträge dort tätig sind.

Auch Real, Rewe, Edeka und Rossmann nutzen das Modell Werkvertrag.
Bei Rossmann heißt es in der Internetwerbung: „Wir sind und bleiben flexibel und das verbindet. Teamgeist, Wertschätzung und Mitarbeiterorientierung stehen in unserem Fokus und sind für uns selbstverständlich. Das beste Beispiel für unsere Unternehmenskultur ist das Vorbild des Unternehmers Dirk Roßmann. Jeden Tag aufs Neue profitieren wir von der aktiven Unternehmensführung des Dirk Roßmann. Sein soziales Engagement ist aufrichtig und macht ihn zu einem vorbildlichen, anerkannten und hoch geschätzten Unternehmer“. Leider kommen etliche Mitarbeiter bei Subunternehmen und Werkvertraglicher nicht in den Genuss der so schön beschriebenen Firmenkultur.

Bei Real können sich die schlecht entlohnten Werkvertragler und Subunternehmensmitarbeiter gleich bei den Tafeln fast kostenlos mit Lebensmitteln eindecken, die sie nächtens bei Real ein- und ausgeräumt haben: „Die Förderung der lokal engagierten „Tafeln“ gehört für real,- zu den wichtigsten sozialen Kooperationen des Unternehmens“. Leider sind auch bei Real viele Rowdies von der positiv beschriebenen Unternehmenskultur ausgeschlossen: „Unternehmensverantwortung ist nicht nur nach außen gerichtet, sondern schließt auch die Mitarbeiter und kulturelle Veränderungen mit ein. Im Bereich der Aus- und Weiterbildung kann real,- bereits viel vorweisen. Mitarbeiter werden durch E-Learning und Fachseminare weiter qualifiziert und bis in Führungspositionen gefördert. Und die Personalpolitik soll familien- und frauenfreundlicher werden“. Schönes Image. Es mangelt an Glaubwürdigkeit.

Wer Billigpersonal einsetzt, riskiert seinen Ruf. Billigpersonal und Umgehungstricks zur Vermeidung von Mindestlöhnen gelten zu Recht als unfaire Aktionen. Wie sagte Stefan Genth (FR 25.2.2012), Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes HDE, so schön: „Ein großer Discounter macht die Anlieferung inzwischen wieder in Eigenregie, weil er mit der Qualität nicht zufrieden war. Hinzu kommt: Vor dem Hintergrund der Berichterstattung über Werkverträge werden auch die anderen Unternehmen überlegen, ob sie dieses Instrument zurückführen“.

Dabei können die Verbraucher mithelfen. Und um die Unternehmen einen Bogen machen, deren unfaires und moralwidriges Handeln ruchbar ist und wird.

Aktualisierung: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1709180/Ausbeutung-mit-Werkvertraegen#/beitrag/video/1709180/Ausbeutung-mit-Werkvertraegen vom 14.8.2012
http://www.fr-online.de/arbeit---soziales/billige-arbeitskraefte-regale-einraeumen-fuer-5-70-euro,1473632,11621792.html
http://www.fr-online.de/arbeit---soziales/unternehmer-nutzen-werkvertraege-manager-lernen-lohndumping,1473632,11621040.html
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2011-08/lohndumping-leiharbeit
http://www.derwesten.de/nachrichten/nrw-startet-bundesratsinitiative-gegen-schein-werkvertraege-id6350863.html
http://www.schwarzwaelder-bote.de/inhalt.einzelhandel-razzia-bei-handelskonzernen-wegen-scheinwerkvertraegen.8cca0abd-25b2-42c1-b041-d90ae614d9e6.html
http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/10/0,3672,8467882,00.html
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/074/1707482.pdf

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