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20.06.2024 10:00
Viele Vorwürfe gegen Adidas wegen Lohnraub und asozialen Geschäftspraktiken  

Während der Fußball-EM werben Sponsoren gerne mit der Nachhaltigkeit ihrer Produkte. Nun sieht Adidas sich schweren Vorwürfen ausgesetzt: Der Konzern nutze Arbeitskräfte aus. Frankfurter Rundschau und andere Medien berichten darüber:

"In den Augen von Sithyneth Ry war Adidas immer eine Qualitätsmarke. Heute sieht er das anders. Wenn der Präsident des Unabhängigen Gewerkschaftsbunds in Kambodscha jetzt über den deutschen Sportartikelhersteller redet, fällt das Wort „Lohnraub“: „Bei acht Zulieferern von Adidas hat es 11,7 Millionen Dollar Diebstahl an 30 000 Arbeitskräften gegeben.“ Dies sei Geld, das den Menschen zustehe, die für Adidas Kleidung hergestellt haben.

Schwere Vorwürfe: Nutzt Adidas Arbeitskräfte aus?

Die Zahlen basieren auf einer Schätzung von der „Kampagne für Saubere Kleidung“, einem Verbund von NGOs und Gewerkschaften. Es sind schwere Vorwürfe, die Sithyneth Ry auf einer Veranstaltung der NGOs Gesellschaftsspiele e.V. und Fairness United Ende Mai in Berlin erhoben hat. Die Kurzfassung: Adidas habe es zugelassen, dass Arbeitskräfte in seiner Lieferkette nicht bezahlt worden seien – und unternehme bis heute nichts dagegen.

Gerade jetzt, da die Fußballeuropameisterschaft der Männer hierzulande begonnen hat, ist so ein Vorwurf brisant. Adidas gehört zu den offiziellen Sponsoren der EM, deren Veranstalter betonen, die nachhaltigste Europameisterschaft aller Zeiten zu organisieren. Hört man den Gewerkschafter Ry, kommen Zweifel auf. Kambodscha ist einer der wichtigsten Produktionsstandorte für Adidas.

Adidas in Kambodscha: Vorwürfe gegen EM-Sponsor

Im südostasiatischen 17-Millionenland beträgt der Mindestlohn 204 Dollar pro Monat – schon das ist zu wenig für einen angemessenen Lebensstandard. Als aber wegen der Corona-Pandemie die Produktion in Kambodscha gestoppt werden musste, hätten viele Arbeitskräfte nur eine geringe Lohnfortzahlung erhalten und sich deswegen verschuldet, erzählt Ry. Hulu Garment, ein Betrieb in der Hauptstadt Phnom Penh, der Kleidung für Adidas hergestellt hat, habe dies ausgenutzt.

„Nach einem Monat, im April 2020, wurden die Arbeitskräfte zurückgeholt“, berichtet Ry. „Der Betrieb hat ihnen einen Vertrag vorgelegt, den sie unterschreiben müssten, damit ihnen der Lohn ausgezahlt werden könnte. Rund 200 Personen unterschreiben das auch.“ Erst einige Tage später hätten sie bemerkt, was sie da unterschrieben hatten: „Es war ein Aufhebungsvertrag! Damit haben sie alle Ansprüche auf eine Abfindung oder Kündigungsfrist verloren.“

Korruption

In China untersucht Adidas laut einem Medienbericht einen möglichen Fall von Korruption. Hochrangigen Beschäftigten vor Ort werde vorgeworfen, mehrere Millionen Euro veruntreut zu haben, berichtete die Zeitung „Financial Times“ am Sonntag. In einem mutmaßlich von „Angestellten von Adidas China“ geschriebenen Brief würden mehrere chinesische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter namentlich benannt und beschuldigt, hieß es.

Adidas weist Vorwürfe zurück

Man wisse zwar, dass die Betroffenen nicht die direkten Angestellten von Adidas waren, so Ljarja. „Aber ein Konzern wie Adidas hat so viel Macht, wie diese Lieferkette gebaut ist, dass sie eigentlich genauso dafür verantwortlich sein sollten.“ Der Jahresumsatz von Adidas hat 2023 rund 21 Milliarden Euro betragen. Das Bruttoinlandsprodukt – also die Summe aller in einem Jahr produzierten Güter und Dienstleistungen – von ganz Kambodscha war zuletzt nur leicht höher: 27,5 Milliarden.

Bei Adidas ist man sich keiner Schuld bewusst. Auf Anfrage heißt es: „Wir weisen die Vorwürfe entschieden zurück, sie sind unzutreffend. Die Zusammenarbeit zwischen dem Hersteller Hulu Garment und einem unserer Lizenznehmer war von vornherein befristet und ist wie vertraglich vereinbart im August 2020 ausgelaufen. Alle Aufträge wurden abgearbeitet und vollständig bezahlt.“

Initiative „Sport handelt Fair“ erhebt ebenfalls Vorwürfe – und schreibt Brief an Adidas

Adidas stelle seit mehr als 25 Jahren mit vielfältigen Maßnahmen faire und sichere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten seiner Lieferkette sicher, schreibt das Unternehmen: „Ein Team von weltweit rund 50 Expert:innen arbeitet an der Anwendung und Einhaltung unserer Arbeitsplatzstandards. Im Jahr 2023 führte adidas mehr als 1200 Fabrikaudits bei Zulieferern durch. Bei Verstößen gegen unsere Standards gibt es einen Sanktionsmechanismus bis hin zur Beendigung der Geschäftsbeziehung.“

Aber nicht nur eine kambodschanische Gewerkschaft erhebt Vorwürfe. In einem offenen Brief an Adidas von der Initiative „Sport handelt Fair“, der von 49 Institutionen unterzeichnet wurde, heißt es im Januar dieses Jahres: „Es darf nicht sein, dass Arbeiter:innen auch in Ihren Zulieferbetrieben wochenlang Überstunden leisten müssen, gesundheitliche Schäden durch mangelnden Arbeits- und Gesundheitsschutz erleiden, Hungerlöhne erhalten, unter zu hoher Arbeitslast arbeiten (…).“

Gewerkschaft erhebt Vorwürfe gegen Adidas und macht Druck

Auch wird angeprangert, dass Arbeitskräfte „ihre Jobs verlieren, sobald sie sich gegen die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen wehren.“ Daran anschließend die Forderung der Initiative: „Bitte kümmern Sie sich umgehend darum, dass mehr als nur ein Prozent des Trikotpreises bei den Textilarbeiter*innen ankommen und es keine Zwangsarbeit in der Trikotproduktion mehr gibt.“ Gewerkschafter Sithyneth Ry hat weitere Vorschläge: „Die Verbraucherinnen können auch Druck ausüben. Durch ihr Kaufverhalten.“

Zudem solle Adidas seiner Meinung nach einen Fonds auflegen, der dann bei Lohnausfällen eingreifen könnte. „Wenn Adidas nur 15 Cent pro hergestelltem Schuh zurücklegen könnte, wäre das schon eine Hilfe.“ Aber solche Schritte seitens großer Sportartikelhersteller werden Sithyneth Ry und seine Mitstreiter:innen wohl hart erkämpfen müssen. Denn nach Auffassung von Adidas ist die eigene Lieferkette offenbar längst nachhaltig.

Der Handel erhält größten Anteil des Preises. Nicht einmal ein Achtel des Trikotpreises entfallen auf die reinen Produktionskosten. Die Trikots der deutschen Nationalmannschaft sind beliebt wie lange nicht mehr. 100 Euro kostet ein Trikot – und damit zehn Euro mehr als noch bei den letzten großen Turnieren.

Sportmarketing-Experte Peter Rohlmann hat in der SWR-Sendung „Marktcheck“ vorgerechnet, wie sich der Preis zusammensetzt. Ausrüster Adidas verdient an jedem verkauften Trikot 19,80 Euro. Der größte Anteil geht an den Einzelhandel, der 40,77 Euro erhält – außer die Fans kaufen das Trikot direkt bei Adidas, dann fließen 60,57 Euro an Adidas. 6,50 Euro Lizenzgebühr gehen an den DFB, hinzu kommen 15,96 Euro für Steuern sowie 2,90 Euro für Werbung und 2,77 Euro für Vertrieb.

Nicht einmal ein Achtel des Trikotpreises entfallen auf die reinen Produktionskosten. Die liegen bei 11,30 Euro. Darunter fallen Material- oder Lohnkosten bei den Herstellern und Zulieferern. Einer Schätzung des Oikos-Instituts zufolge kommt nur ein Prozent des Trikotpreises bei den Näherinnen und Nähern an, die überwiegend in Asien sitzen. Das wäre ein Euro pro verkauftem Trikot.

Produzieren lässt Adidas von „unabhängigen Herstellern“ im Ausland, um Kosten zu sparen. Die DFB-Trikots werden in Kambodscha, China, Georgien, Indonesien, Pakistan, Thailand und Vietnam produziert – Länder, in denen sehr niedrige Löhne gezahlt werden.

Adidas schreibt zwar in seinem Geschäftsbericht 2023, dass die Zulieferfirmen ihre Angestellten teilweise deutlich über dem gesetzlich festgelegten Mindestlohn bezahlen. Doch Marijke Mulder von der Frauenrechtsorganisation Femnet sagte dem Evangelischen Pressedienst jüngst: „In den meisten Produktionsländern wie Vietnam, Kambodscha, Bangladesch oder Pakistan müsste der Mindestlohn drei- oder viermal höher liegen, um existenzsichernd zu sein.“

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