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27.07.2021 12:22
Die gläsernen Beschäftigten - Wenn die Chefs online Beschäftigte ausspähen - Datenschutz unfair?  

Immer mehr Unternehmen sammeln Daten über ihre Beschäftigten, schreibt Steffen Herrmann am 26.7. in der Frankfurter Rundschau. „Das Homeoffice während der Corona-Pandemie verstärkt die Nachfrage nach Überwachungssoftware.
Private Telefonate führen, stundenlang durch Instagram und Facebook scrollen oder den nächsten Sommerurlaub planen. Alles kein Problem, denn im Homeoffice bekommt es der Chef oder die Chefin ja nicht mit – oder?

Das stimmt nicht ganz. Vorgesetzte können ihre Beschäftigten überwachen, auch aus der Distanz. Wer wissen will, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Homeoffice treiben, muss nicht viel Geld hinlegen: Knapp 50 Euro kostet zum Beispiel die Software Orvell Monitoring pro Arbeitsrechner und Jahr. Nach der Installation zeichnet die Software alle Aktivitäten auf: Wie lange gearbeitet wird, welche Programme genutzt und welche Internetseiten besucht werden. Das Versprechen des Anbieters an die Unternehmen: „detaillierte Tätigkeitsnachweise“ aus dem Homeoffice.

Sonja Köhne forscht am Humboldt Institute für Internet und Gesellschaft, sie kennt sich aus mit den sogenannten People Analytics Tools: Unter dem Begriff verstehe man einen evidenz- und datengesteuerten Ansatz für die Personalführung, sagt Köhne. „Das heißt, man erfasst Verhaltensdaten von Beschäftigten und wertet sie automatisiert aus, um auf dieser Basis geschäftliche Entscheidungen zu optimieren.“
Dabei werden nicht nur Daten gesammelt, um die Beschäftigten zu überwachen: People Analytics Tools können auch andere, wichtige Erkenntnisse liefern – zum Beispiel, welche jungen Talente das Unternehmen wahrscheinlich freiwillig verlassen werden, welche Bewerberin am besten zur ausgeschriebenen Stelle passt oder wie sich die Zahl der Krankheitstage entwickeln wird. Auch für die Beschäftigten selbst können die Anwendungen hilfreich sein: Wo kann ich mich verbessern? Gönne ich mir genug Pausen?

Coronavirus-Pandemie hat Überwachung im Homeoffice verstärkt

Seit der Corona-Pandemie steht allerdings der Aspekt der Überwachung im Fokus. Glaubt man den Anbietern, boomen ihre Programme. Auch beim Anbieter Hubstuff soll sich die Nachfrage nach eigenen Angaben während der Pandemie verdreifacht haben, wie das „Handelsblatt“ berichtet.
Überprüfen lässt sich das nicht. Klar ist aber: Seit viele Menschen im Homeoffice arbeiten, entstehen mehr Daten. Gleichzeitig sind die Beschäftigten der direkten Kontrolle im Betrieb entzogen. Und zumindest bei einigen Unternehmen wächst deshalb der Wunsch nach digitalen Überwachungstools.

Das Vergleichsportal Getapp hat im Mai rund 1100 Führungskräfte und Beschäftigte zur Überwachung im Homeoffice befragt. 21 Prozent der Beschäftigten gaben an, per Software überwacht zu werden. Und bei der Hälfte der Überwachten wurde die Software erst nach Beginn der Corona-Krise eingeführt.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) beobachtet den Einsatz von Überwachungssoftware skeptisch. „Die Digitalisierung schafft unliebsame Möglichkeiten der Kontrolle, die in analogen Zeiten schlichtweg unmöglich waren und an die auch kein Mensch gedacht hat“, sagt DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel.

Grundsätzlich ist die Überwachung von Beschäftigten erlaubt. Allerdings nur dann, wenn die Belegschaft eingebunden ist: Die Einführung von Software, die das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern überwacht, ist mitbestimmungspflichtig. Der Betriebsrat kann also nicht übergangen werden. Wo es keine Betriebsräte gibt, müssen Beschäftigte einzeln und freiwillig zustimmen. Eine heimliche Überwachung ist nur in Ausnahmefällen erlaubt, etwa beim konkreten Verdacht einer Straftat oder schwerwiegenden Pflichtverletzung.

Mitarbeiterbefragungen und Analyse der Angestellten während der Covid-19-Pandemie

Auch vor der Coronavirus-Pandemie werteten einige Unternehmen die Daten ihrer Beschäftigten aus – unter anderem durch Mitarbeiterbefragungen. „Es gibt aber auch von Sensoren überwachte Hightech-Arbeitsplätze, die alles messen und auswerten – von den Tastaturanschlägen bis hin zur Pulsfrequenz und der Körperhaltung auf dem Bürostuhl“, sagte Stefanie Krügl, eine Expertin für Organisationskultur, schon 2015 in einem „Zeit“-Interview. Durchgesetzt hat sich diese exotische Vermessung der Beschäftigten nicht.

Der Online-Modehändler Zalando geriet vor anderthalb Jahren in die Kritik, weil er seit 2017 eine Software nutzte, die die Leistung eines Teils der Beschäftigten misst. Die Teilnehmenden werden von ihren Kolleg:innen und Vorgesetzten bewertet. Wer überdurchschnittlich performt, bekommt Lohnzuschläge. Die Hans-Böckler-Stiftung hatte die Wirkung des Programms namens Zonar 2019 untersucht. Das Fazit: Durch Zonar leide das Betriebsklima und der Stress nehme zu. Die Software sei ein „umfassendes, quasi panoptisches System der Leistungskontrolle“. Stefanie Nutzenberger, Mitglied im Vorstand der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, kritisierte Zonar daraufhin als „übergriffig, arbeitnehmerfeindlich und datenschutzrechtlich höchst problematisch“.

Und heute? Zalando gibt an, das Tool nicht mehr „in der Ende 2019 beschriebenen Funktionsweise“ zu nutzen. An den jährlich zwei Mal stattfindenden Feedbackrunden mit Hilfe des „Evaluation Tools“ nähmen knapp 6400 der insgesamt mehr als 14 500 Mitarbeiter:innen teil. Dabei kämen weder Rankings, Scores noch künstliche Intelligenz zum Einsatz. Die Berliner Datenschutzbehörde habe bestätigt, dass „Prozess und Tool konform mit der Datenschutz-Grundverordnung“ seien.

Homeoffice-Überwachung: Datenschutzfragen noch ungeklärt

Dem Deutschen Gewerkschaftsbund aber reichen die bisherigen gesetzlichen Regelungen nicht. Seit mehr als zehn Jahren fordern seine Vertreterinnen und Vertreter ein eigenständiges Beschäftigtendatenschutzgesetz, konnten sich im politischen Berlin damit bislang aber nicht durchsetzen. Dabei sei das Gesetz gerade mit Blick auf die neuen technischen Möglichkeiten dringend notwendig, sagt Anja Piel. „Das Arbeitsverhältnis besteht zwar unter formal Gleichen, tatsächlich manifestiert es aber eine wirtschaftliche Abhängigkeit.“ Der Datenschutz müsse deshalb endlich zugunsten der Beschäftigten geregelt werden.
Aber erfüllen die Programme überhaupt die Erwartungen der Unternehmen, steigern sie die Produktivität der Beschäftigten? Die Forscherin Sonja Köhne ist skeptisch: „Wenn die Metriken, die verwendet werden, nur Aussagen darüber treffen, wie viele Minuten am Tag eine Person Microsoft-Produkte verwendet hat oder wie schnell sie auf Mails reagiert, dann sagt das über die Produktivität natürlich nicht viel aus.“ Die Unternehmen müssten sich also vor dem Einsatz von People Analytics Tools ganz grundlegend der Frage stellen: Inwieweit ist die Arbeit der Beschäftigten überhaupt in Daten auszudrücken?“

Es fehlt also ein klarer Datenschutz für Beschäftigten, für ihre erzeugten Daten und Beobachtungsmerkmal. Schnell gerät ein Unternehmen ins Unfaire und Ungefähre, wenn mit Softwaretools zur Überwachung leichtsinnig oder absichtlich so umeggangen wird, dass 'gläserne Mitarbeitende' das Ergebnis sind.

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