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20.09.2023 09:53
Fairness muss erzwungen werden – sonst passiert wenig und Unfairness triumphiert  

Ohne das Lieferkettengesetz gäbe es vermutlich kaum Bewegung in den Produktions- und Lieferketten in Deutschland, Europa und international. Darauf wurde in diesem Blog schon vielmals aufmerksam gemacht – und das ist auch im "Fairness-Check" zu erkennen. Cordula Rhode hat (in der taz) anlässlich der Fairen Woche in Deutschland einen genaueren Blick auf den aktuellen Stand der Lieferketten und der Notwendigkeit, mit der EU noch mehr für die Fairness in Lieferketten zu sorgen – vor allem auch zugunsten der meisten prekären Beschäftigten:

„Bereits im Februar 2022 hat die EU-Kommission ihren Vorschlag für ein Gesetz über Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen vorgelegt, die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD). Sie soll verbindliche Regelungen in den Bereichen Menschenrechte, Klima und Umwelt treffen. Im Dezember desselben Jahres einigten sich die EU-Länder auf ein Lieferkettengesetz. Im EU-Parlament stimmte im Juni 2023 eine Mehrheit für eine Verschärfung des ursprünglichen Gesetzesvorschlags der EU-Kommission. Nun folgt der Trilog-Prozess, in dem die drei gesetzgebenden EU-Institutionen (Kommission, Parlament und Rat) die endgültige Ausgestaltung der Richtlinie verhandeln. Erfolgt eine Einigung, wird das Gesetz in Kraft treten.

Im Vergleich zum deutschen Lieferkettengesetz (LkSG), das seit dem 1. Januar 2023 gilt, gehen die Forderungen des EU-Gesetzes in vielen Bereichen weiter. Anders als das deutsche Gesetz differenziert zum Beispiel das EU-Gesetz bei der Existenzsicherung zwischen Lohn und Einkommen. „Dies ist von großer Bedeutung, da rund ein Drittel der von uns konsumierten Lebensmittel von kleinbäuerlichen Betrieben produziert werden, die als unabhängige Ateur:innen keinen Lohn bekommen, sondern sich ein Einkommen erwirtschaften“, erläutert Stephanie Seeger vom Weltladen Dachverband. Ihre berufliche Existenz würde durch das neue Gesetz endlich geschützt. Die Umsetzung dieses Rechts wird aber vermutlich nicht einfach: „Bei Verstößen liegt die Beweislast allein bei den Betroffenen, während die ‚Informationsmacht‘ bei den Unternehmen liegt.“ Es scheint eher unwahrscheinlich, dass diese eine:r Kläger:in volle Einsicht in ihre Unterlagen geben würden.

Die Bundesregierung hatte in der Verhandlung im EU-Rat eine Protokollnotiz zur sogenannten „Safe Harbour“-Klausel durchgesetzt und knüpft ihre Zustimmung zu einem EU-Lieferkettengesetz an diese Klausel: Sie würde es Unternehmen etwa erlauben, Produkte oder Produktionsprozesse von externen Prüfern als einwandfrei zertifizieren zu lassen oder sich an bestimmten Brancheninitiativen zu beteiligen. Auf diese Weise müssten sie dann nur noch haften, wenn ihnen Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werden. „Diese Forderung, die einen der wichtigsten Aspekte des geplanten Gesetzes aushebeln würde, wurde aber nicht in den Vorschlag des EU-Parlaments übernommen“, erklärt Stephanie Seeger. Im Trilog werde sich nun zeigen, ob die Bundesregierung weiter auf der Regelung besteht – eine der vielen noch offenen Fragen. „Natürlich wird dieses Gesetz noch zahlreiche Schwachstellen haben“, so die Expertin, „aber es ist gut und wichtig, dass es überhaupt kommen wird.“

Fachleute sehen noch zahlreiche Schlupflöcher für die Unternehmen. Mehr als 140 Organisationen, auch der Weltladen Dachverband, fordern in der „Initiative Lieferkettengesetz“ gemeinsam konsequente und verbindliche Regelungen. Vor vier Jahren wurde die Initiative gegründet, um das damals in Planung befindliche deutsche Lieferkettengesetz im öffentlichen Bewusstsein zu verankern und Einfluss auf die Politik nehmen. „Nachdem dieses Gesetz auf den Weg gebracht war, haben wir uns auf das geplante EU-Gesetz konzentriert“, erzählt Michelle Trimborn, Koordinatorin der Initiative. „Wir hoffen, dass das Gesetz zahlreiche Lücken des deutschen Gesetzes schließen wird.“ Einen der wichtigsten Unterschiede sieht die Initia­tive darin, dass das EU-Gesetz sich nicht auf den Aspekt der klassischen Menschenrechte beschränkt, sondern auch Bestimmungen zu Umwelt- und Klimaschutz fest verankert.

Zahlreiche Beispiele verdeutlichen, wie eng alle drei Themen meist verzahnt sind. So sind in der Produktion von Leder und Schuhen in Ländern wie Indien und Bangladesch minimale Löhne, Kinder- und Tagelohnarbeit der Normalfall. Durch den Kontakt mit vielen Giftstoffen sind die Arbeiter:innen einem hohen Gesundheitsrisiko ausgesetzt, ihnen drohen Haut- und Atemwegserkrankungen, Benzolvergiftungen und Krebs. Eine gesundheitliche Absicherung durch die Arbeitgeber erfolgt im Normalfall nicht, Gewerkschaften oder andere Interessenvertretungen werden in den meisten Herstellerländern gesetzlich verhindert. Auch die Umweltschäden durch hochtoxische Industrieabfälle sind enorm.

Die fertigen Waren, die die Kunden bei großen Unternehmen wie Deichmann und Zalando erwerben, haben also eine lange Lieferkette hinter sich, die bereits in ihren Anfängen weder Menschenrechte noch Umweltschutz berücksichtigt. Nur wenn ein Gesetz wirklich alle Schritte der Produktion reglementiert und nicht, wie das deutsche Gesetz, zwischen direkten und indirekten Zulieferern unterscheidet (für letztere sind Unternehmen nur in wenigen Ausnahmefällen verantwortlich), kann auf Dauer Abhilfe geschaffen werden.

„Wir richten das Augenmerk auch auf die nachgelagerte Wertschöpfungskette, die im Gesetz verankert werden soll“, erklärt Michelle Trimborn. Dies beziehe sich zum Beispiel auf Aspekte wie Abfallentsorgung, aber auch die Verwendung des jeweiligen Produktes. „Auch hier müssen die Unternehmen in die Verantwortung genommen ­werden.““

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