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11.07.2020 15:58
Hunger statt Hilfe - krasse Unfairness gegenüber Bauern und Bevölkerung  

Die sehr investigative Journalistin und Autorin Kathrin Hartmann zeigt in der Frankfurter Rundschau, wie die „Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika“ sich in ihren falschen Versprechen verheddert. Und oft das Gegenteil erreicht, was sie zu erreichen vorgibt. Dazu stellt sich eine Studie, herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Brot für die Welt, Fian, Forum Umwelt und Entwicklung und Inkota in Kooperation mit Partnerorganisationen aus Mali, Kenia, Sambia und Tansania vor und ordnet sie wie folgt ein:

„Wenn die Vereinten Nationen am Montag die Zahlen zum Welthunger vorstellen, wird dieser zum fünften Mal in Folge gestiegen sein. In den vergangenen Tagen schon hatte die Welthungerhilfe vor einem massiven Anstieg hungernder Menschen infolge der Corona-Krise gewarnt. Ihre Zahl, so die Hilfsorganisation, könnte auf eine Milliarde Menschen ansteigen – besonders auch in Afrika.

Dort hatte die „Allianz für eine Grüne Revolution Afrika“ (Agra) Großes versprochen: Bis 2020 wollte die privat-öffentliche Initiative die Ernährungsunsicherheit in 20 afrikanischen Ländern halbieren und die Einkommen sowie die Produktivität von 30 Millionen Kleinbäuerinnen und -bauern verdoppeln. Dafür sollte eine „Grüne Revolution“ sorgen – mit lizenziertem Saatgut, synthetischen Düngern und Pestiziden sowie der Integration in globale Lieferketten.
Die Bilanz ist indes fatal: In den 13 Schwerpunktländern ist seit Beginn von Agra die Zahl der Hungernden um ein Drittel auf 130 Millionen Menschen gestiegen. Bei den Grundnahrungsmitteln insgesamt sind die Erträge in den Agra-Schwerpunktländern in zwölf Jahren im Durchschnitt nur um 18 Prozent gestiegen. Dies entspricht einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 1,5 Prozent – und liegt damit auf einem fast identischen Niveau wie in der Zeit vor Agra.

Die Monokulturen, die Agra durchgesetzt hat, etwa von Mais, haben lokale Sorten wie Sorghum, Hirse, Maniok, Süßkartoffeln und Erdnüsse verdrängt. Das hat die Ernährungsvielfalt eingeschränkt und die Ernährungsunsicherheit verschärft. Zu diesem Ergebnis kommt der Bericht „Falsche Versprechen: Die Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (Agra)“, herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Brot für die Welt, Fian, Forum Umwelt und Entwicklung und Inkota in Kooperation mit Partnerorganisationen aus Mali, Kenia, Sambia und Tansania. Jan Urhahn, Agrarexperte bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, nennt sie „ein Armutszeugnis für eine Initiative, die mit ihrem Narrativ der Grünen Revolution erheblichen Einfluss auf die Agrarpolitiken in vielen Ländern hat“.
Die „Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika“ wurde 2006 von der Bill & Melinda-Gates-Stiftung und der Rockefeller Foundation gegründet. Fast eine Milliarde US-Dollar hat Agra an Zuschüssen erhalten – etwa von den USA, Großbritannien, Kanada, den Niederlanden und Norwegen. Auch das deutsche Entwicklungsministerium (BMZ) steuerte zehn Millionen Euro bei. Zu den Geldgebern zählen auch UN-Organisationen und der Düngemittelhersteller Yara.

Im Zentrum von Agra stehe die politische Einflussnahme, um eine „Saatgutpolitik mit regulatorischen Reformen, die Investitionen und Wachstum von Saatgutunternehmen des Privatsektors“ zu ermöglichen, so die Studie. Agra brachte die Regierungen dazu, Subventionsprogramme aufzulegen, damit Bauern Hybridsaatgut, Dünger und Pestizide kaufen können. Diese stammen von Agrarkonzernen wie Bayer, BASF, Corteva Agriscience (eine Fusion von Dow und DuPont), Yara und Cargill. Verkauft werden sie laut Agra über ein Netz von 44 000 Agrarhändlern, das die Allianz mit viel Geld aufgebaut hat.
Der Bericht „Falsche Versprechen“ basiert auf der Studie „Failing Africa’s Farmers: An Impact Assessment of the Alliance for a Green Revolution in Africa“ von Timothy A. Wise von der Tufts University in Massachusetts im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Dafür wurden Länderdaten zu landwirtschaftlicher Produktion und Anbauflächen sowie Zahlen zu Hunger und Armut der Food and Agriculture Organization (FAO) der Vereinten Nationen ausgewertet. Ergänzt wurde die Recherche durch Fallstudien aus Kenia, Mali, Sambia und Tansania. Der Report ist als PDF im Netz zu finden.

524 Millionen Dollar hat Agra in Programme gesteckt – was mit den restlichen 450 Millionen geschah, ist unbekannt. Bis heute hat Agra keine Gesamtauswertung vorgelegt: weder, wie viele kleinbäuerliche Haushalte erreicht wurden, noch Zahlen zu Erträgen,

Einkommenssteigerungen und zur Ernährungssicherheit.

Auch vom Hauptgeldgeber, der Gates-Stiftung, gibt es keine aussagekräftige Evaluierung, obwohl die Organisation auf „messbare Ergebnisse“ setzt. Das Ziel der „Verdopplung der Erträge und Einkommen von 30 Millionen kleinbäuerlicher Haushalte bis 2020“ wurde im Juni von der Agra-Webseite gelöscht. Umso verheerender sind Ergebnisse der Studie. In Sambia flossen 40 Prozent der 12,4 Millionen Dollar in die Ausbildung von Agarchemiehändlern und in ihre Netzwerke. Das staatliche Subventionsprogramm für Inputs verschlang 2017 die Hälfte des Agarhaushaltes. Der sambische Staat schuldet den Agrarhändlern nun 106 Millionen Dollar, weil er ihre Produkte zu Marktpreisen kaufen musste, um sie günstig weiterzugeben. Viele Teilnehmende in Agra-Projekten konnten bereits nach der ersten Ernte die Kredite für Dünger und Saatgut nicht zurückzuzahlen, weil die Maispreise gefallen waren.

In Tansania mussten Bäuerinnen und Bauern Vieh verkaufen, um Schulden zu tilgen, so der Report. Ihnen wurde sogar verboten, Mischkulturen anzulegen. Während Agrarhändler und -konzerne profitieren, ist die Zahl unterernährter Menschen dort um vier Millionen gestiegen. Ebenso in Kenia. Dort durften die Teilnehmenden nicht einmal selbst entscheiden, welches Maissaatgut, welche Dünger und Pestizide sie verwenden. In Ruanda wurde bestraft, wer andere Pflanzen als die aus dem Agra-Programm anbaute.

Einzig Mali ist die Ausnahme: Dort hatten bäuerliche Bewegungen Widerstand gegen Agra geleistet, so dass die Regierung dort das Programm nicht vollständig umsetzte. In Mali garantiert ein Gesetz Bäuerinnen und Bauern das Recht auf eigenes Saatgut. In dem westafrikanischen Land verdoppelte sich die mit Mais bebaute Fläche, ohne traditionelle Nutzpflanzen zu verdrängen: Die Anbaufläche für Hirse und Sorghum ist dreimal so groß, Armut und Hunger sind prozentual stark gesunken.

Schon die erste Grüne Revolution, von der Rockefeller-Stiftung in den 60er und 70er Jahren initiiert, scheiterte: Trotz Ertragssteigerungen nahm die Armut, etwa in Indien, zu. Nun stehe Agra exemplarisch für ein technikfixiertes, inputintensives und autoritäres Agrarmodell, resümiert der Report. Der Ansatz forciere die Ausbreitung von Monokulturen, verletze das Selbstbestimmungsrecht von Bäuerinnen und Bauern und treibe sie in die Abhängigkeit. Agra verschärfe die Folgen des ungerechten Welthandels und stärke die Macht von Agrarkonzernen. Genau jene Ursachen, die für Hunger, Klima- und Biodiversitätskrise verantwortlich seien.

Vor mehr als zehn Jahren stellte der Weltagrarbericht im Auftrag der Weltbank fest, dass dieses Landwirtschaftssystem beendet werden müsse: „Weiter so ist keine Option“, stellten darin mehr als 400 Wissenschaftler fest. Demgegenüber steht die Agarökologie: Diese sorgt laut Studien für Ertragssteigerungen von bis zu 80 Prozent – mit lokal angepasstem Saatgut, niedrigem Wasserverbrauch und ohne synthetischen Dünger und Pestizide. Agra verhindert dieses vielversprechende Modell – auch deshalb, weil die Initiative öffentliches Geld bindet, das für landwirtschaftliche Forschung und Unterstützung von Bäuerinnen und Bauern fehlt.

Deshalb fordern die Studienherausgeber die Geberländer dazu auf, die Unterstützung von Agra zu beenden und das Geld stattdessen in entsprechende Alternativen zu lenken. Es sei „höchste Zeit, Agra nicht weiter auf den Leim zu gehen“, resümiert Urhahn“.

"Kathrin Hartmann über Hunger statt Hilfe in der FR

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