Das ist Fairness in höchster Qualität. Denn Fairness ist im Kern kein Tauschandel: Sei Du fair zu mir, dann bin ich auch fair zu Dir. Sondern Fairness ist Rücksichtnahme, Solidarität und Zuwendung. Ohne Erwartung einer Gegenleistung! Für ein solches Fairness-Verständnis und eine solche Fairness-Praxis stehen mehr als 100 Dachdecker-Betriebe mit ihren Mitarbeiter*innen, die ihre Hilfe und Arbeit für Ahrtal angesagt haben, das von der Flutkatastrophe massiv betroffen ist.
Reinhard Schlieker von dpa berichtet: „Leitern, Fallrohre und Holzlatten werden verladen, während Dachdeckermeister Bernd Krinninger Lagepläne verteilt. Auf einer Wiese in Kalenborn, einer Ortsgemeinde von Altenahr im Landkreis Ahrweiler, haben sich am frühen Mittwochmorgen Kollegen von Krinninger aus ganz Deutschland versammelt. Sie wollen im Ahrtal helfen – drei Wochen nach der Flutkatastrophe, die mindestens 139 Menschen in Rheinland-Pfalz das Leben kostete.
Noch immer klaffen große Löcher in den Dächern vieler Häuser, mit jedem Regen steigt der Schaden an teils ohnehin schon abrissreifen Häusern. Verbogene Fallrohre leiten bislang Regenwasser direkt in die gerade erst ausgepumpten Keller.
Via Facebook hoffte Krinninger, Inhaber von Heimbach Bedachungen in Lahnstein, zwei, drei örtliche Betriebe zur Hilfe mobilisieren zu können. Gekommen seien 105 Firmen, weitere Dachdeckerbetriebe hätten ihren Besuch für die Folgetage angekündigt.
Laut Krinninger liegen die geschätzten Lohnkosten, auf die die Betriebe verzichten, für den mehrtägigen ehrenamtlichen Einsatz im Millionenbereich. Die Materialkosten beliefen sich auf rund 750 000 Euro. Das Material komme nicht nur von den Dachdecker-Betrieben selbst, sondern sei auch von Unternehmen gespendet worden. Was an Material übrig bleibe, solle im Ahrtal zerstörten Handwerksbetrieben zum Wiederaufbau zugutekommen.
Der Facebook-Aufruf hat auch Dachdeckermeister Andreas Schulte erreicht. Mit neun Mitarbeitern ist der Inhaber eines Dachdeckerbetriebs im Sauerland angereist – Abfahrt 5.30 Uhr. Ein Baum hat ein Loch in das Dach eines Hauses in der Ortsgemeinde Mayschoß geschlagen, das er und seine Mitarbeiter nun provisorisch flicken. Vielmehr als Notreparaturen seien akut auch nicht zu machen, sagt er.
„Das Haus ist mein und doch nicht mein“ steht halb von Schlamm verdeckt auf der Hauswand. „Wem gehört das Haus?“ endet das aufwendig in Holz geschnitzte Sprichwort. „Jetzt gehört es dem Fluss“, sagt Waltraud Schütz mit Blick auf das Elternhaus ihres Ehemanns: „Jetzt gehört es der Flut.“ Das Wasser reichte bis zu den oberen Stockwerken, das bezeugt die schlammig braune Linie, die das Wasser auf der weißen Hauswand zurückgelassen hat.
Der Schaden am Dach allein beträgt nach Schätzung der Dachdecker rund 25 000 Euro. Auf Waltraut Schützes Anwesen ist dies nur ein kleiner Schadensposten. Denn auch ihr Privathaus hat das Hochwasser unbewohnbar gemacht. Provisorisch gezimmerte Stützen des Technischen Hilfswerks sichern die Statik. „Hier war die Küche, da das Wohnzimmer“, sagt sie, als sie auf Räume zeigt, die einem über Jahre verlassenen Rohbau ähnlicher sind als dem Zuhause einer Familie. Sie wisse nicht, wie es weitergehe. Aktuell sind sie und ihr Mann in einer Ferienwohnung untergekommen. Hilfe an Behörden vorbei
Waltraud Schütz ist überwältigt von der Hilfsbereitschaft: „Alleine schafft man das nicht“, sagt sie mit Blick auf einen der Dachdecker, der gerade die Regenrinne ihrer Garage repariert: „Das ist ein unschenkbarer Gewinn, den wir hier haben. Das nimmt einem so ein bisschen die Last von den Schultern.“
Wäre es ein normaler Arbeitstag, würden die Lohnkosten von Dachdeckermeister Andreas Schulte rund 5000 Euro betragen. Dass er auf diese verzichtet, sei für ihn eine Selbstverständlichkeit: „Ich denke, das macht man so: Man hilft Leuten, die Hilfe brauchen.“ Als seine Mitarbeiter von dem Facebook-Aufruf erfahren hätten, hätten sie helfen wollen. Ihr Tenor: „Chef, ich verzichte auf meinen Lohn.“
Genauso unbürokratisch wollte Krinninger Hilfe mobilisieren. Die Aktion sei „an den Behörden vorbeigewachsen“. Die Aktion der Dachdecker wirkt aber nicht unorganisiert. Weil er die Erfahrung gemacht habe, dass die Koordination der freiwilligen Helfer in der Vergangenheit nicht gut funktioniert habe, habe er sich gegen den offiziellen Weg entschieden, sagt Krinninger. Er wolle mit der Aktion zeigen, dass „das Handwerk das Ahrtal nicht im Stich lässt“.
R. Schlieker, dpa
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