Wer von Landgrabbing spricht, denkt meist an Investoren aus den USA und China. Tatsächlich sitzen wird von dort sowie von Malaysia, Singapur, Brasilien und den Vereinigten Arabischen Emiraten Landgrabbing im großen Stil gesteuert. Dazu wird in Schwellen- und Entwicklungsländer Land aufgekauft, um dort Getreide, Spritpflanzen oder Plantagenholz zu produzieren. Oder um zu spekulieren.
Dass auch europäische Akteure an diesen Deals beteiligt sind, belegt die Menschenrechtsorganisation FIAN in einer Studie über Landkonflikte in den Ländern des globalen Südens. Demnach kontrollieren britische Firmen 1,9 Millionen Hektar Land im Ausland, deutsche Unternehmen folgen mit 300?000 Hektar – nach Ländern wie Frankreich, Italien oder Finnland – auf Platz sieben. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Akteure aus Europa oftmals an Landgrabbing beteiligt sind und dass die Politik auf die hiermit verbundenen menschenrechtlichen Probleme bislang kaum angemessene Antworten gefunden hat.
Roman Herre, Agrar-Referent von FIAN Deutschland: „Vor genau zehn Jahren berichteten die Medien erstmals über moderne Landnahmen, auch Landgrabbing genannt. Private und staatliche Investoren sind seitdem ständig auf der Suche nach riesigen Landflächen, um Agrartreibstoffe anzubauen, Nahrungsmittel zu exportieren oder um damit schlicht zu spekulieren. Oftmals werden hierdurch örtliche Gemeinden von ihrem Land vertrieben. Die jüngste Absage von Bundeskanzlerin Merkel an die „klassische Entwicklungshilfe“ und die Ankündigung einer verstärkten Zusammenarbeit mit Konzernen und Finanzinvestoren lassen für die Landwirtschaft wenig Gutes erwarten“.
Die Fallbeispiele von Landgrabbing in Sambia, Uganda, Kongo und Mosambik zeigen, dass großflächige Agrar-Investitionen menschenrechtlich hochsensibel sind. In vielen Ländern sind 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft tätig. Durch den Flächenhunger von Agrarinvestoren verlieren Millionen von Menschen ihre Existenzgrundlage.
Die deutschsprachige Zusammenfassung der Studie „Land Grabbing and Human Rights: The Involvement of European Corporate and Financial Entities in Land Grabbing outside the European Union“ beschreibt eine Vielzahl bislang ausgebliebener Handlungsmöglichkeiten der EU und ihrer Mitgliedstaaten, um das weltweite Landgrabbing zu reduzieren. „Bis heute fehlen viele Grundlagen wie konkrete Handlungsanleitungen für Botschaftspersonal, um Fällen von Landgrabbing aktiv nachzugehen, diese zu dokumentieren und an Regierungen und Parlamente zu übermitteln“, erklärt Brigitte Reisenberger, Geschäftsleiterin von FIAN Österreich. Auch die Arbeit des EU-Sonderbeauftragten für Menschenrechte müsste laut Reisenberger sehr viel konkreter werden, beispielsweise durch eine systematische Auswertung der zahlreichen Berichte über Landkonflikte sowie die engere Zusammenarbeit mit den Menschenrechtsexperten der Vereinten Nationen.
Wie wenig internationale Finanzinvestoren sich für die sozialen Auswirkungen ihrer Aktivitäten interessieren, zeigt das vielgelobte Beispiel der „UN-Prinzipien für verantwortungsvolle Investitionen“. Eine aktuelle Untersuchung des think tanks E3G kommt zu dem Ergebnis, dass bei knapp 1000 dort beigetretenen Konzernen und Investoren im Schnitt eine Person pro 14 Milliarden US-Dollar verwaltetem Vermögen angestellt wird, die sich um ökologische und soziale Auswirkungen der Investments kümmert. „Es ist absurd anzunehmen, dass auf diese Weise ein relevanter Beitrag gegen Umweltschäden oder Menschenrechtsverstöße geleistet wird“, so Roman Herre weiter. „Die Zahlen belegen die Notwendigkeit einer internationalen Regulierung anstelle freiwilliger Selbstverpflichtungen.“
Internationale Organisationen beklagen, dass das finanzielle Engagement häufig auf Kosten der Bevölkerung geht, denn durch den Flächenhunger der Investoren verlieren Millionen von Menschen ihre Existenzgrundlage. Die in der Studie genannten Beispiele, in denen auch Konsortien aus Deutschland genannt werden, belegen zudem, dass die betroffenen Menschen kaum eine Chance haben, ihre Ansprüche vor Gericht durchzusetzen. FIAN-Agrarreferent Roman Herre beklagt überdies, dass die Absage von Bundeskanzlerin Angela Merkel an die „klassische Entwicklungshilfe“ und die Ankündigung einer verstärkten Zusammenarbeit mit Konzernen und Finanzinvestoren „wenig Gutes erwarten lassen“.
Seit 2000 dokumentiert eine internationale Gruppe, an der auch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) beteiligt ist, größere Landkäufe und benennt die damit verknüpften Absichten der Käufer. Land Matrix heißt das Projekt, und es beziffert (Stand Ende August) den Kauf durch ortsfremde Investoren weltweit auf 49 Millionen Hektar. Das entspricht fast der dreifachen landwirtschaftlichen Fläche Deutschlands.
"FIAN-Studie zu Landgrabbing - deutsch"
"Was ist Landgrabbing? Definition und Situation"
|