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01.03.2024 08:02
Krasse Unfairness und Qualitätsmängel bei Spielzeug aus Fernost  

Über Plattformen wie Temu landet massenweise gefährliches Spielzeug in Deutschland. Die Branche schlägt Alarm, berichtet die Frankfurter Rundschau am 29.2.24 auf S. 15:

"Es ist ein Testkauf, der sprachlos macht. 19 Spielwaren des auch in Deutschland immer beliebteren Online-Marktplatzes Temu hat der europäische Spielwarenverband TIE erworben und prüfen lassen. „Keines der Spielzeuge entsprach in vollem Umfang den EU-Vorschriften, 18 von ihnen stellen ein Sicherheitsrisiko für Kinder dar“, teilt der deutsche Branchenverband DVSI das besorgniserregende Ergebnis mit.

Einmal enthielt ein Schleimspielzeug, das Babys in dem Mund nehmen, eine Chemikalie, deren Grenzwert um das Elffache überschritten war. Ein andermal sorgten Kleinteile für Erstickungsgefahr oder scharfe Kanten an Metallglöckchen für die von Schnittwunden. Die Spielwarenbranche in Europa und Deutschland schlägt Alarm.

„Die EU hat die weltweit strengsten Regeln für die Sicherheit von Spielzeug“, betont Catherine Van Reeth. „Auf Online-Plattformen können Nicht-EU-Verkäufer aber weiterhin unsicheres Spielzeug verkaufen, das die Kinder gefährdet“, kritisiert die TIE-Generaldirektorin. Ihr deutscher DVSI-Kollege Ulrich Brobeil assistiert. „Schwarze Schafe kommen oft aus China“, betont er. Das zeigten seit Jahren entsprechende Funde des europäischen Schnellwarnsystems Safety Gate, das vor gefährlichem Spielzeug warnt. Eine Spielwiese für unlauteren Wettbewerb tue sich auf, wo europäische Hersteller EU-Sicherheitsstandards achten und andere sie ignorieren können.

Auch Stefanie Grunert kennt das Problem. „Es ist die schiere Masse, die effektive Kontrollen durch Marktüberwachung und Zoll unmöglich macht“, weiß die Referentin für Recht und Handel der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV). Immer mehr Spielzeug würde von preissensitiv gewordenen Verbraucher:innen über Plattformen wie Temu oder Alibaba direkt von oft chinesischen Herstellern bestellt und per Direktimport vor die Haustür deutscher Kund:innen geliefert. Liege der Bestellwert, wie oft in solchen Fällen unter 150 Euro, müsse nicht einmal der Zoll tätig werden. Zugleich sei Spielzeug seit Jahren EU-weit unter den drei Produktgruppen, mit den größten festgestellten Sicherheitsmängeln.

Der VZBV sieht eine Regelungslücke. Für Direktimporte vor allem aus Asien gebe es niemanden, der für Produktsicherheit in die Pflicht genommen werden könnte.
Verzerrung des Wettbewerbs

Auch eine im kommenden Dezember in Kraft tretende neue Produktsicherheitsverordnung der EU ändere daran nichts. „Leider fehlt es den neuen Vorschriften an Ehrgeiz bezüglich der Rolle der Online-Marktplätze“, findet Grunert. Sie seien in der EU eines der größten Einfallstore für gefährliche Produkte. Folgen sind Rauchmelder, die keinen Rauch melden, Kosmetika mit verbotenen Chemikalien oder eben unsichere Kinderspielzeuge. Die Gefahr sei groß, dass Verbraucher:innen im Schadensfall niemanden zur Verantwortung ziehen können, warnen VZBV und Spielwarenverbände.

Die im Testkauf bloßgestellte Plattform Temu reagiert. Man versichere, sich verpflichtet zu haben, „alle relevanten Regeln und Vorschriften der Märkte in denen wir tätig sind, einzuhalten“, erklärt das erst 2022 gegründete und zur chinesischen PDD Holding zählende Unternehmen. Alle 19 kritisierten Produkte seien in der EU nicht mehr verfügbar. Man habe auch die eigene Überwachung verstärkt. Wie die bei einer Mängelrate von 95 Prozent wie beim TIE-Testkauf funktionieren kann, lässt Temu allerdings offen.

Für jedes unsichere Spielzeug, das auf der Plattform gefunden wird, gebe es unzählige andere, die nicht gefunden werden und weiter unkontrolliert in die Hände der Verbraucher:innen in der EU gelangen, kritisiert der DVSI. Auch Florian Sieber sieht das Problem wachsen. „Die Shopping-App von Temu ist in ganz Europa seit längerem unter den fünf am meisten heruntergeladenen, das ist ein guter Indikator für die Relevanz des Verkaufskanals“, sagt der Chef von Deutschland größter Spielwarengruppe Simba Dickie in Fürth.

Wenn die EU Produktrichtlinien verschärfe, dann müsse jeder Wettbewerber sie befolgen. „Gelten die Vorschriften nicht für alle, verschärft das Preisdiskrepanzen“, warnt der Manager. Billigplattformen, die sich an keine Regeln halten müssen, könnten weiter zu Dumpingpreisen anbieten, während Spielzeug von Qualitätsherstellern sich mit jeder eingehaltenen Auflage weiter verteuere.

„Dann kaufen noch mehr Leute bei solchen Plattformen“, beschreibt Sieber einen Teufelskreis. Den wollen Verbände und VZBV unterbrechen. „Die Online-Plattformen müssen verpflichtet werden, für Sicherheitsmängel von ihnen nach Europa gebrachter Produkte geradezustehen, wenn niemand anders greifbar ist“, sagt Grunert. Sieber und DVSI stimmen zu. Aktuell gingen Kunden und Kundinnen oft fälschlicherweise davon aus, dass in der EU verkaufte Ware auch immer EU-Regularien unterliegt, weiß die VZBV-Expertin. Bei Direktimporten aus China sei das aber nicht grundsätzlich so. Ändern ließe sich das mit der derzeit diskutierten neuen EU-Spielzeugrichtlinie. Auch deren Entwurf sehe aber leider keine Haftungsverschärfung für Online-Plattformen von außerhalb der EU vor, bedauern Grunert und die Verbände.

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