Seit Juli schützt ein Gesetz Whistleblower in Unternehmen, wenn sie etwa Korruption oder Diebstahl melden wollen. Doch nur jeder dritte Beschäftigte weiß davon, zeigt eine Umfrage. Das schreibt Spiegel Online und gibt dazu Informationen:
Wer einen Hinweis zu seinem Unternehmen hat, soll den dank des Whistleblower-Gesetzes einfacher äußern können
Der Chef macht anzügliche Bemerkungen, in einer Abteilung stimmen regelmäßig die Zahlen nicht: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind oft die Ersten, die Missstände aufdecken. Um in Betrieben Anlaufstellen für Whistleblower zu schaffen, ist bereits im Juli ein entsprechendes Gesetz mit sperrigem Namen in Kraft getreten: das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG). Nur: Wie gut kann ein Gesetz schützen, von dem kaum jemand weiß?
Eine repräsentative Civey-Umfrage, die dem SPIEGEL exklusiv vorliegt, zeigt nun: Zwei Drittel der Beschäftigten haben noch nie vom Whistleblower-Gesetz gehört. An der Onlinebefragung im Auftrag des Softwareentwicklers Rexx Systems nahmen Ende November bis Anfang Dezember 2500 abhängig Beschäftigte teil.
Gibt es die Meldestellen gar nicht – oder weiß nur niemand davon?
In Betrieben mit 250 Mitarbeitenden ist demnach nur jedem Fünften bekannt, welche konkreten Maßnahmen der eigene Arbeitgeber getroffen hat, um den Hinweisgeberschutz zu gewährleisten. In kleineren Unternehmen kann das sogar nur jeder Zehnte sagen.
»Das bedeutet im Umkehrschluss, dass viele Unternehmen entweder noch keine Mechanismen etabliert haben, um dem Gesetz gerecht zu werden, oder sie ihre Mitarbeiter darüber noch nicht ausreichend informiert haben«, sagt Arnim Köpke, Head of Sales bei Rexx Systems. Beide Fälle seien alarmierend.
»Jeder liebt den Verrat, aber keiner den Verräter«
Seit Juli ist das HinSchG in Kraft – und soll einen rechtssicheren Raum in Unternehmen schaffen, damit Mitarbeitende Verdachtsfälle oder Missstände melden können. Betriebe ab 50 Mitarbeitenden sind seitdem dazu verpflichtet, interne Hinweisgebersysteme wie etwa Meldestellen einzurichten. Firmen, die mehr als 50, aber weniger als 250 Mitarbeitende beschäftigen, wurde noch eine Schonfrist gewährt – die allerdings zum 17. Dezember ausläuft.
Spätestens dann gilt: Whistleblower müssen Hinweise mündlich, schriftlich sowie auf Wunsch auch persönlich abgeben können. Arbeitgeber können etwa eine Hotline einrichten. Auf die Hinweise muss eine interne Meldestelle innerhalb von drei Monaten reagieren – und den Whistleblower über die ergriffenen Maßnahmen informieren. Gleichzeitig gibt es eine externe Meldestelle beim Bundesamt für Justiz. Daran können sich unter anderem Angestellte aus kleineren Unternehmen wenden, die sich besonders um ihre Anonymität sorgen. Aber auch die Länder können eigene externe Meldestellen einrichten, etwa für die jeweilige Landesverwaltung.
Die Umfrage zeigt, dass die bisherige Wissenslücke beim HinSchG sowohl in kleineren als auch in größeren Unternehmen existiert. In Betrieben mit bis zu 250 Beschäftigten wissen nur 39 Prozent der Belegschaft von dem Gesetz – also ähnlich viele wie in Firmen mit mehr als 250 Beschäftigten (38 Prozent).
Sexismus, Interessenkonflikte, Betrug
Der Umfrage zufolge mangelt es den meisten Beschäftigten allerdings nicht an Erfahrungswerten: Etwa 78 Prozent haben in ihrem Berufsleben schon Missstände erlebt, auf die sie ihren Arbeitgeber gern aufmerksam gemacht hätten. Dazu zählen etwa sexistische Vorfälle, Interessenkonflikte oder Betrug.
Die Befragung zeigt auch, dass die Angestellten unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie sie Missstände vorbringen wollen. Rund 66 Prozent der Befragten würde sich lieber an eine interne Stelle wenden, um Vorfälle zu melden. Mehr als ein Drittel (34 Prozent) der Beschäftigten bevorzugen eine externe Anlaufstelle.
Immer auf dem Laufenden bleiben?
In einem Interview mit dem SPIEGEL erklärte Harvard-Ökonom Jonas Heese schon im vergangenen Jahr, warum Anlaufstellen für Whistleblower wichtig sind: »Am Ende des Tages braucht man die Einsicht, dass jedes Unternehmen Probleme hat – und dass es im eigenen Interesse ist, sie so schnell wie möglich aufzudecken, bevor es zur Eskalation kommt.« Lange habe es in Deutschland kaum rechtlichen Schutz für Whistleblower gegeben. Dementsprechend wisse man hierzulande auch nicht von besonders vielen Hinweisgebern.
In den USA sind Whistleblower besser geschützt – und sichtbarer. Deshalb weiß man dort mehr darüber, wer Unternehmensmissstände aufdeckt, auch auf eigenes Risiko. »In der Regel sind das nicht besonders auffällige Personen, rund 60 Prozent Männer, 40 Prozent Frauen«, so Heese. Vertreten seien alle Altersgruppen und alle Hierarchien – häufiger trauten sich aber eher untere Ebenen.
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