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01.09.2018 08:25
Fairness lohnt sich doch  

Wenn Betriebe willkürlich den Lohn kürzen, sinken Motivation und Produktivität der Beschäftigten – klar. Weniger offensichtlich hingegen: Beschäftigte werden auch dann unproduktiver, wenn nicht sie, sondern die Kolleginnen und Kollegen unfair behandelt werden. Das stellte jetzt eine Forschungsgruppe um Sabrina Jeworrek am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) fest.

Was passiert mit der eigenen Produktivität, wenn einer Kollegin oder einem Kollegen Ungerechtigkeit widerfährt? Dieser indirekte Einfluss am Arbeitsplatz wurde bisher kaum untersucht. Unfaires Verhalten des Arbeitgebers macht Angestellte unproduktiver – auch dann, wenn sie selbst gar nicht betroffen sind. Das zeigen IWH-Ökonomin Sabrina Jeworrek und Koautoren Matthias Heinz, Vanessa Mertins, Heiner Schumacher sowie Matthias Sutter in einem verhaltensökonomischen Experiment.

Das Experiment simulierte eine unfaire Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Situation: 195 Probanden wurden für zwei Arbeitseinsätze in einem Callcenter angeworben, um eine deutschlandweite Umfrage durchzuführen. Die 3,5 Stunden langen Schichten wurden jeweils zu Beginn mit 40 Euro pro Einsatz vergütet. Die Beschäftigten wurden während ihres Einsatzes im Callcenter zufällig in eine von drei Gruppen eingeteilt, um den indirekten Effekt unfairen Verhaltens messen zu können: In der ersten Gruppe blieb die Personalmenge in der zweiten Schicht unverändert. In einer zweiten Gruppe wurde das Personal um 20% reduziert, den Verbliebenen wurde aber nicht mitgeteilt, dass es sich um Kündigungen handelte. Vielmehr wurde ihnen mitgeteilt, dass für die zweite Schicht schlicht weniger Personal anwesend sein würde. In der dritten Gruppe wurde das Personal ebenfalls um 20% reduziert, die Kündigung aber an die verbliebenen Beschäftigten kommuniziert. „Den Personen in der dritten Gruppe sagten wir außerdem, dass wir ihren Kolleginnen und Kollegen gekündigt haben, damit wir Kosten sparen können, und dass die Auswahl der Personen vollkommen willkürlich war. Wir wollten, dass die Situation möglichst unfair wirkt“, so Ökonomin Jeworrek.

Drei mögliche Szenarien waren zu diesem Zeitpunkt denkbar: „Entweder die Versuchspersonen sind froh, dass sie nicht betroffen sind und machen einfach normal weiter wie bisher. Oder sie leisten sogar besonders gute Arbeit, um ihre Dankbarkeit auszudrücken. Denkbar ist aber ebenso, dass sie das Verhalten des Arbeitgebers als ungerecht wahrnehmen, obwohl sie selbst nicht einmal betroffen sind, und ihre Arbeitsleistung als Folge dessen reduzieren“, so Jeworrek. Letzteres war der Fall: In der dritten Gruppe wurden die Beschäftigten signifikant unproduktiver, die durchschnittliche Anzahl der Anrufe sank um 12%, da die Probanden längere Pausen einlegten und den Arbeitsplatz früher verließen. Der Umstand, dass in der zweiten Vergleichsgruppe ebenfalls 20% weniger Arbeitskräfte beschäftigt waren, schien demgegenüber aber keinen Einfluss auf die Produktivität zu haben.

Einige Wochen später klärten die Ökonomen die Beschäftigten über das Experiment auf und befragten diejenigen, denen nicht gekündigt wurde, zu ihrer Arbeitszufriedenheit: In allen Gruppen waren die Teilnehmenden zufrieden mit Lohn, Atmosphäre und dem Verhalten des Managements gegenüber ihnen selbst. Das Verhalten den Kolleginnen und Kollegen gegenüber stufte die dritte Gruppe allerdings deutlich schlechter ein als die Vergleichsgruppen. Befragt danach, was sie als besonders unsozial empfanden, nannten sie vor allem die willkürliche Auswahl der entlassenen Personen und die Kündigungen per se.

Zuletzt befragte die Forschungsgruppe erfahrene Personalleiterinnen und -leiter. Diese sollten einschätzen, wie sich die Produktivität der Versuchspersonen im Verlauf des Experiments entwickelt hatte. Obwohl die Fachleute das Ergebnis im Durchschnitt sehr gut einschätzten, lagen sie einzeln oft daneben: Ungefähr 60% überschätzten den negativen Effekt auf die Arbeitsleistung, dafür unterschätzten die verbliebenen Befragten den Effekt oder vermuteten gar einen Produktivitätsanstieg.

„Wir vermuten, dass die Kosten von unfairem Verhalten für Arbeitgeber deutlich höher sind als ursprünglich gedacht“, so Jeworrek. „Sparmaßnahmen können ihr Ziel komplett verfehlen, wenn Angestellte durch die Kündigungen ihrer Kolleginnen und Kollegen unproduktiver werden.“ Das bedeutet: Nicht nur Angestellte schätzen eine faire Behandlung – sie lohnt sich auch aus ökonomischer Sicht.

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