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12.06.2015 12:37
Wie man seine Fairness unterläuft  

In Entscheidungen, von denen Menschen betroffen sind, fair zu sein, versteht sich fast von selbst. Glauben jedenfalls Viele, vor allem von sich selbst. Fakt ist jedoch, dass wir Menschen sehr inkonsistent in unserem Urteil sind. Und dazu neigen, zu unterschiedlichen Zeiten und Gelegenheit mitunter gegenteilig zu entscheiden. „Wer montags hü sagt, sagt dienstags hott“ schreibt Daniel Rettig in der Wirtschaftswoche über neue Erkenntnisse der Verhaltensökonomie.

„Das zeigt jetzt eine noch unveröffentlichte Studie von Ökonomen um Daniel Chen von der ETH Zürich. Zum einen analysierte er mehr als 106.000 Entscheidungen von 412 amerikanischen Asylrichtern aus den Jahren 1987 bis 2013 – und entdeckte einen bedenklichen Zusammenhang: Die Richter lehnten ein Asylgesuch mit höherer Wahrscheinlichkeit ab, wenn sie dem vorherigen Gesuch stattgegeben hatten – unabhängig vom Einzelfall.

Wann Überzeugungen zu Handlungen führen
Ohne einen erkennbaren, individuellen, hohen und relativ sicheren Gewinn, ändert kein Mensch sein gewohntes Verhalten. Dieser Gewinn muss und sollte nicht nur materiell sein. Materielle Belohnungen wirken schnell und sättigen schnell. Sozialer Gewinn (zum Beispiel Anerkennung) wirkt nachhaltiger. Die einzige nicht sättigende Belohnung ist die intrinsische, die man sich selbst gibt.
Umsetzung
Ins Blaue hinein ändern wir unser Leben nicht gern. Die Umsetzung der Neuerung muss daher klar vorgezeichnet und praktikabel sein.
Vorbilder
Pioniere können und wollen nur die wenigsten Menschen sein. Die meisten anderen brauchen Vorbilder, denen sie nacheifern können. Und die müssen vor allem glaubwürdig sein.
Hindernisse
Die erwartbaren Widerstände gegen das neue Leben sollten nicht zu groß sein. Das Festhalten an Gewohntem trägt eine starke Belohnung in sich. Der Anreiz muss doppelt so stark sein, wie die Bremskräfte.
Mehr noch: Hatten sie zwei Gesuche in Folge erlaubt, lehnten sie das nächste mit einer 2,1 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit ab. Dieselbe Beobachtung machte Chen bei indischen Sachbearbeitern. Sie lehnten einen Kredit umso eher ab, wenn sie den vorigen gewährt hatten.

Wer heute hü sagt, wählt morgen eher hott. Unfair? Mit Sicherheit. Unerklärlich? Keineswegs. Psychologen bezeichnen dieses Phänomen als Spielerfehlschluss (gambler’s fallacy). Dahinter steckt eine Art Irrglaube an ausgleichende Gerechtigkeit. Nach dem Motto: Wenn die Münze zwei Mal hintereinander „Kopf“ zeigt, ist beim dritten Mal „Zahl“ wahrscheinlicher – obwohl sich die Wahrscheinlichkeit nicht verändert hat“.

Wer also fair, vor allem als Chef oder Chefin, Entscheidungen treffen will, sollte sich seine Vorgehensweise sehr bewusst machen und für faires Verhalten sorgen. Am besten gelingt das, indem man selbst über seine Entscheidungen gewissermaßen ‚Buch führt‘ und so Muster, unbeabsichtigte Gesetzmäßigkeiten und heimliche Regeln erkennt, die einem fairen und fundierten Vorgehen abträglich sind.

"Daniel Rettig Artikel in der Wirtschaftswoche über unfaires Verhalten"

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