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21.08.2023 13:32
Diskriminierung stoppen - AGG verbessern - Antidiskriminierung fördern  

Anlässlich des Jahrestags des Inkrafttretens des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) kritisierten die Vertreter*innen des Bündnisses AGG Reform – Jetzt! die Untätigkeit der Ampelkoalition bei der Verbesserung des Diskriminierungsschutzes. Deutschland hat eines der schwächsten Antidiskriminierungsgesetze in Europa und trotzdem bleibt der von der Ampel im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellte Fortschritt bei der Reform des AGG aus. Dieser Zustand ist insbesondere angesichts des stetig wachsenden Zuspruchs fu¨r rechtsextreme Parteien und ihre Bewegungen fu¨r Betroffene und ihre Vertreter*innen nicht hinnehmbar.

Diskriminierung ist antidemokratisch und gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Deutschland ist Schlusslicht, wenn es um die Gewinnung von Fachkräften geht. Als Wirtschaftsstandort sollte das Land alles im globalen Wettbewerb um Fachkräfte dafu¨r tun, um diese fu¨r den deutschen Arbeitsmarkt zu gewinnen und auch zu halten. Auf der Pressekonferenz hat das Bu¨ndnis AGG Reform – Jetzt! mit verschiedenen Betroffenenperspektiven auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und seine Schutzlu¨cken geblickt und verdeutlicht, welche beachtlichen Auswirkungen der Mangel an Diskriminierungsschutz fu¨r das Leben von Betroffenen hat.

Der ehemalige kommissarische Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Bernhard Franke, der sich jetzt ehrenamtlich in dem Bu¨ndnis engagiert, erklärt, dass es bei der Reform auch um die Stärkung von Grundrechten Betroffener durch einen besseren Rechtsschutz und kollektive Klagemöglichkeiten geht. Diskriminierung sollte abschreckend sanktioniert werden und Betroffene nicht Entschädigungssummen tolerieren mu¨ssen, “die sich quasi aus der Portokasse begleichen lassen.”, sagt Bernhard Franke.


Oriel Klatt von der Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung (GgG) stellt fest, dass dicken Amtsanwärter*innen häufig eine Verbeamtung versagt wird und somit “Gleicher Lohn fu¨r gleiche Arbeit” fu¨r sie nicht gilt. Daher fordert das Bu¨ndnis AGG Reform – Jetzt! die Erweiterung des Diskriminierungsmerkmalskatalogs im AGG unter anderem um die Kategorie “Körpergewicht”, denn “in Diskriminierungsfällen, bei denen kein Bezug zu den im AGG genannten Kategorien hergestellt werden kann, ist das AGG nutzlos und die Betroffenen damit schutzlos”, sagt Oriel Klatt (GgG).

Prof. Dr. Sigrid Arnade vom Deutschen Behindertenrat (DBR) betont, dass es unbedingt eine Verpflichtung fu¨r angemessene Vorkehrungen im AGG und somit auf dem Arbeitsmarkt, im Dienstleistungsbereich und dem Waren- und Gu¨terverkehr braucht. “Als Rollstuhlfahrerin habe ich keine freie Arztwahl, wie sie in § 76 SGB V eigentlich jeder Bu¨rgerin garantiert wird. Ärzt*innen sind nicht grundsätzlich zur Barrierefreiheit verpflichtet. Um diese Diskriminierungen zu beenden, muss das AGG ergänzt werden”, sagt Prof. Dr. Sigrid Arnade (DBR).

Karen Taylor von der Bundeskonferenz der Migrant*innenorganisationen (BKMO) macht darauf aufmerksam, dass zu viele Menschen aufgrund von Diskriminierung und Rassismus schlechtere Lebenschancen haben. Damit das Chancenland Deutschland fu¨r alle Realität wird, fordert Karen Taylor die FDP und insbesondere Justizminister Buschmann auf, die Blockadehaltung aufzugeben und endlich das AGG als wichtigen Baustein im Kampf gegen Rassismus zu gestalten.

Pia Sombetzki von AlgorithmWatch betont, dass algorithmenbasierte Diskriminierung jede*n betreffen kann und es aktuell keinen Schutz davor gibt. “Wenn das AGG so bleibt, wie es jetzt ist, blicken Betroffene von Diskriminierung in eine du¨stere Zukunft – denn es wird unter den gegebenen Umständen so gut wie unmöglich sein, gegen Diskriminierung dieser Art vorzugehen”, sagt Pia Sombetzki (Algorithm Watch).

Besonders häufig und existenziell bedrohlich ist Diskriminierung auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt. Alexander Thom von der Fachstelle Fair mieten – Fair wohnen in Berlin macht darauf aufmerksam, dass Wohnraum essentiell fu¨r die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen ist. Dabei sei es aber vor allem wichtig , dass neben den Maßnahmen gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt im AGG auch die Rechtsdurchsetzungmöglichkeiten von Betroffenen gestärkt
werden mu¨ssen. U.a. durch Beweislasterleichterung und Auskunftsrechte, da Diskriminierung nicht leicht nachzuweisen ist. “Unsere Ratsuchenden können bei der Bewerbung auf eine Wohnung gar keine Einsicht in die internen Abläufe der Unternehmen gewinnen, um die Diskriminierungen widerspruchsfrei zu beweisen. Ohne Beweislasterleichterung wäre der Gang vors Gericht in diesen Fällen aussichtslos und der Schutz vor Diskriminierung damit nur theoretisch”, sagt Alexander Thom (Fair mieten-Fair wohnen).

Larissa Hassoun vom Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) weist Deutschland auf seine internationalen Verpflichtungen zum Schutz vor sexueller Belästigung auf dem Arbeitsmarkt hin. Hassoun betont auch, dass es fu¨r den Diskriminierungsschutz von allen Beschäftigten, funktionierende Beschwerdestellen in Betrieben braucht. “Fakt ist: 17 Jahre nach Einfu¨hrung des AGG tun viele Arbeitgeber*innen noch zu wenig, um Diskriminierungsschutz im Unternehmen umzusetzen. Es braucht eine klare Botschaft an Arbeitgeber*innen: Die Erfu¨llung ihrer Schutzpflichten ist keine freiwillige Leistung”, sagt Larissa Hassoun von bff. Es fehle außerdem, so Hassoun, “im AGG der Schutz vor sexueller Belästigung in allen anderen Lebensbereichen, denn sexuelle Belästigung geschieht nicht nur am Arbeitsplatz sondern auch beim Einkauf, bei Behördenterminen oder beim Arzt – auch hier mu¨ssen Betroffene sich rechtlich wehren können.”

Eva Andrades vom Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd) stellt außerdem fest, dass Antidiskriminierung nachweislich auch die Wirtschaft und Unternehmen stärkt, da Arbeitskräfte besser eingesetzt werden und es weniger personelle Fluktuation gibt. Eine starke Antidiskriminierungspolitik in Unternehmen erzeuge motiviertere Mitarbeiter*innen, da Karriereoptionen besser gestaltet werden und ein höheres Gerechtigkeitsempfinden im Unternehmen herrscht. Außerdem betont Eva Andrades im abschließenden Resu¨mée, dass Antidiskriminierung kein Nischenthema ist und die Verbände im Bu¨ndnis Millionen von Menschen vertreten. Ein effektives AGG wu¨rde, laut Eva Andrades, mehr Partizipation und Fairness in der Gesellschaft ermöglichen und mit der Stärkung der Grundrechte einhergehen. Das Bekenntnis zu einem umfassenden Diskriminierungsschutz sei aber auch ein gesellschaftliches Signal, das internationale Resonanz erzeugt. Es vermittelt die Zuversicht, dass wir uns den Barrieren und Ungleichbehandlungen in unserem Land bewusst sind und durch umfassenden effektiven Rechtsschutz und politische Maßnahmen konsequent dagegen angehen werden.

"Antidiskriminierung praktizieren"

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