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24.02.2022 09:24
Werden Unternehmen durch die EU ernsthafter mit einem Lieferkettengesetz in die Pflicht genommen?  

Die EU-Kommission will Firmen zwingen, Menschenrechte und Umwelt bei der Herstellung ihrer Produkte zu schützen. Sie geht viel weiter als Deutschland mit seinem Lieferkettengesetz. Damir Fras beschreibt heute in der Rundschau, was das Vorgehen der EU-Kommission für deutsche Unternehmen und für Menschenrechtsgeltung bedeutet.

„In Deutschland ist ein Lieferkettengesetz bereits beschlossen. Jetzt zieht die EU mit einem eigenen Gesetz nach. Große Unternehmen sollen künftig keine Gewinne mehr mit Produkten machen, die mit Hilfe von Kinder- oder Zwangsarbeit hergestellt werden, die Umwelt zerstören oder das Klima belasten. Das Gesetz folgt einer in den letzten Jahren immer intensiver geführten Debatte über uigurische Zwangsarbeit in chinesischen Arbeitslagern, die Zustände in Textilfabriken in Pakistan und Bangladesch und Umweltverschmutzungen der Ölindustrie in Nigeria. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach am Mittwoch bei der Vorstellung des Entwurfs in Brüssel von „einem starken Signal“ der EU: „Geschäfte dürfen niemals auf Kosten der Menschenwürde und der Freiheit gemacht werden.“ Was plant die EU genau? Ein Überblick.

Was müssen Unternehmen künftig leisten?

Die Firmen müssen nach dem am Mittwoch vorgestellten Gesetzesentwurf genau darauf achten, dass ihre ausländischen Produzenten, Zwischenhändler und Lieferanten nicht gegen Menschenrechte verstoßen oder die Umwelt zerstören. Konkret heißt das zum Beispiel: Ein deutsches Unternehmen, das Kakaobohnen vertreibt, muss sicherstellen, dass bei Anbau und Ernte der Bohnen keine Kinder eingesetzt werden. Die Lieferanten des Unternehmens, in diesem Fall zum Beispiel Reedereien, werden verpflichtet, Umwelt- und Klimastandards zu beachten.

Welche Unternehmen sind betroffen? In die Pflicht genommen werden Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mehr als 150 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Nach Angaben der EU-Kommission sind das etwa 9400 Unternehmen. Dazu kommen etwa 2600 Firmen, die ihren Sitz nicht in der EU haben, aber im EU-Binnenmarkt Geschäfte machen.

Die Auflagen sollen zudem für Firmen gelten, die mehr als 250 Beschäftigte und einen Jahresumsatz von mehr als 40 Millionen Euro haben, wenn sie mehr als die Hälfte des Umsatzes in sogenannten Risikosektoren machen. Dazu gehören die Textilbranche, die Landwirtschaft, der Mineralienabbau und die Ölförderung. Das trifft etwa 3400 Unternehmen aus der EU und 1400 Unternehmen, die ihren Hauptsitz nicht in der EU haben.

Kleinere Firmen sind von dem Lieferkettengesetz ausgenommen, aber indirekt davon betroffen, wenn sie etwa als Zulieferer für größere Unternehmen arbeiten.

Welche Strafen gibt es bei Verstößen gegen das Gesetz?

Das ist in dem Gesetz nicht genau geregelt. Die EU-Mitgliedstaaten sollen die Sanktionen festlegen, wenn es Verstöße gegen die Sorgfaltspflicht gibt. In dem Gesetz ist von einem Haftungsmechanismus die Rede, der Opfern von Menschenrechtsverletzungen den Zugang zu Gerichten erleichtern soll. Auch müssen Geschäftsführer:innen die Vorgaben des EU-Klimaplans in ihre Unternehmenspläne integrieren.

Wirtschaft und Menschenrechte

Ausgangspunkt für die menschenrechtliche Sorgfalt in globalen Lieferketten sind die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP). Nach diesen Prinzipien soll der Schutz der Menschenrechte weltweit in Form von „Nationalen Aktionsplänen“ (NAP) umgesetzt werden.

Deutschland verabschiedete im Dezember 2016 einen NAP zu Wirtschaft und Menschenrechten und vertraute dabei zunächst auf das freiwillige Engagement der Unternehmen, diesen entsprechend umzusetzen. Ein unabhängiges Monitoring zeigte aber, dass nur 17 Prozent der größeren Unternehmen die Anforderungen zur Beachtung der Menschenrechte erfüllten – weit weniger als das von der großen Koalition vorgegebene Ziel von mindestens 50 Prozent.

Der Bundestag verabschiedete daher am 11. Juni 2021 das innerhalb der Bundesregierung hart umkämpfte Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Wirtschaftsverbände gingen von Anfang an gegen eine solche Regulierung auf die Barrikaden.

Die Industrielobby BDI warnte vor einem „nationalen Sonderweg“ und forderte stattdessen ein EU-Rahmenwerk, um ein europäisches Level-Playing-Field – also gleiche Bedingungen für alle Firmen – zu schaffen. Aber auch gegen eine EU-weite Regulierung ziehen Wirtschaft und Arbeitgeber zu Felde, wie Recherchen des Global Policy Forum und von Misereor zeigen. Zentrales Ziel ist dabei, eine zivilrechtliche Haftung der Unternehmen bei Menschenrechtsverstößen und Sanktionen wie den Ausschluss von der öffentlichen Auftragsvergabe auszuschließen. tos

Was haben Verbraucher:innen von dem Gesetz?

„Verbraucherinnen und Verbraucher können aufatmen“, sagte die Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im Europaparlament, Anna Cavazzini (Grüne), dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Denn sie können sicher sein, dass die Produkte, die sie kaufen, dank der kommenden EU-Vorschriften nachhaltiger und fairer produziert werden.“

Welche Unterschiede gibt es zum deutschen Lieferkettengesetz?

Das deutsche Lieferkettengesetz, das von 2023 an gelten soll, gilt zunächst nur für Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten. Von 2024 an sinkt diese Schwelle auf 1000 Beschäftigte. Cavazzini sagte: „Der Vorschlag für ein europäisches Lieferkettengesetz geht bedeutend weiter als das deutsche Gesetz.“ Die neuen EU-Regeln zur Sorgfaltspflicht „sollen für viel mehr Unternehmen gelten und auch indirekte Zulieferer in der Wertschöpfungskette umfassen“. Der Vorschlag beinhalte konkrete Vorgaben zu umweltbezogenen Sorgfaltspflichten. „Vor allem aber enthält das europäische im Gegensatz zum deutschen Lieferkettengesetz Haftungsklauseln, die sicherstellen, dass Unternehmen vor EU-Gerichten zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie ihren Pflichten nicht nachkommen“, so Cavazzini.

Was ist die Kritik an dem EU-Vorschlag?

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) warnte vor einer Überlastung deutscher Unternehmen. „Es drohen enormer Aufwand und hohe Kosten – für vergleichsweise wenig Wirkung“, sagte DIHK-Präsident Peter Adrian. Ähnlich äußerte sich der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). „Der Entwurf droht Unternehmen zu überfordern. Angesichts der Größe der Herausforderung ist es falsch, die Aufgabe des Schutzes von Menschenrechten und Umwelt in dieser Form auf die Unternehmen abzuwälzen“, sagte Wolfgang Niedermark, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung.

Dagegen begrüßte das Bündnis „Initiative Lieferkettengesetz“, in dem Gewerkschaften und Umweltverbände vertreten sind, den Gesetzentwurf. Er gehe jedoch nicht weit genug. Auch kleinere Unternehmen müssten zu mehr Sorgfalt verpflichtet werden.

Wann tritt das EU-Gesetz in Kraft?

Der Gesetzgebungsprozess dauert anderthalb bis zwei Jahre. Danach haben die EU-Staaten zwei Jahre Zeit, um ihre Lieferkettengesetze anzupassen. Die schärferen Verordnungen dürften also in Deutschland nicht vor 2026 gelten“.

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