Bund und Länder haben sich im Vermittlungsausschuss auf ein Hinweisgeberschutzgesetz und die damit verbundene, längst überfällige nationale Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie geeinigt. An einigen inhaltlichen Punkten stellt der Kompromiss im Vergleich zum Koalitionsentwurf leider eine Verschlechterung für Whistleblower dar.
Whistleblower weisen auf Missstände und Fehlentwicklungen hin und ermöglichen so frühzeitig Abhilfe. Sie selbst zahlen dafür oft einen hohen Preis und sind schwerwiegenden Repressalien wie Mobbing ausgesetzt. Repressalien, die gravierende und langanhaltende Auswirkungen auf ihr Leben haben, deren Schaden aber aus juristischer Sicht meist von immaterieller Natur ist.
Die EU-Whistleblowing-Richtlinie und der Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen (§ 37) haben daher zurecht ein Schmerzensgeld für „immaterielle Schäden“ vorgesehen. Dieser Entschädigungsanspruch ist dem Kompromiss im Vermittlungsausschuss zum Opfer gefallen. „Die Streichung des immateriellen Schadensersatzanspruches kann gravierende Auswirkungen für Whistleblower haben. Damit fällt ein Schmerzensgeldanspruch für sehr viele Repressalien, von denen Whistleblower betroffen sind, weg. Zudem wird gegen europäische Vorgaben verstoßen, obwohl gegen Deutschland bereits jetzt ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig ist““, kritisiert Dr. Simon Gerdemann, Leiter eines DFG-geförderten Forschungsprojekts zum Whistleblowing-Recht.
Wie zu erwarten war, konnten CDU/CSU im Vermittlungsausschuss weitere Änderungen zum Nachteil von Whistleblowern durchsetzen: - Die Anpassungen beim Wahlrecht zwischen interner und externer Meldung (§ 7) sehen vor, dass sich Whistleblower bevorzugt an eine (organisations-)interne Stellen wenden „sollten“. Dies könnte auf Whistleblower wie eine Abschwächung der von der EU-Richtlinie zwingend vorgesehenen Gleichrangigkeit von internem und externem Whistleblowing wirken. Studien und Erfahrungen belegen, dass sich Whistleblower an eine interne Stelle wenden, wenn sie das Gefühl haben, den Ansprechpartner*innen vertrauen und auf diesem Weg Veränderungen bewirken zu können. Eine Gleichrangigkeit der Meldewege schafft einen Anreiz für gutaufgestellte interne Hinweisgebersysteme und eine whistleblower-freundliche Organisationskultur. - Die Einrichtung anonymer Meldekanäle ist nicht mehr verpflichtend. Die Pflicht anonymen Meldungen nachzugehen, wird zu einer „Sollte“-Bestimmung abgeschwächt. Anonyme Meldekanäle ermöglichen es Whistleblowern, Vertrauen zur Anlaufstelle aufzubauen, bevor sie ihre Identität preisgeben, und ermutigen sie so zu Meldungen. Systematische Befragungen von Unternehmen haben ergeben, dass die Einführung anonymer Hinweisgeberkanäle keinesfalls Denunziantentum fördert. Der Nutzen anonymer Hinweisgeberkanäle überwiegt die (überschaubaren) Kosten bei weitem. „Der Kompromiss zeigt, dass es bei den Unionsparteien und Teilen der Wirtschaft nach wie vor große Vorbehalte gegen Whistleblower gibt, obwohl diese im Interesse von Gesellschaft und Wirtschaft handeln“, so der Geschäftsführer von Whistleblower-Netzwerk, Kosmas Zittel. „Erfreulicherweise hat sich wenigstens die Erkenntnis durchgesetzt, dass mit einer Einschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs keinem gedient gewesen wäre.“
Der sachliche Anwendungsbereich beinhaltet nach wie vor Hinweise zu Straftatbeständen und bestimmten Ordnungswidrigkeiten. Die von CDU/CSU geforderte Beschränkung des Anwendungsbereichs auf möglichst wenige Rechtsbereiche hätte deutlich mehr Aufwand für Unternehmen und Behörden zur Folge gehabt. Nach Eingang einer Meldung hätte jedes Mal geprüft werden müssen, ob der Verstoß in den Anwendungsbereich fällt oder nicht. Eine Abgrenzung, die bereits erfahrenen Jurist*innen in vielen Fällen schwer gefallen und für juristische Laien, wie die meisten Whistleblower, fast unmöglich gewesen wäre. Dies hätte zu Rechtsunsicherheit geführt und Whistleblower abgeschreckt.
Bedauerlicherweise hat der Gesetzgeber diese wahrscheinlich letzte Chance nicht genutzt, die Mängel des Gesetzentwurfes zu beheben. Whistleblower-Netzwerk bemängelt u.a. die restriktiven Vorgaben für Offenlegungen gegenüber den Medien und die weitgehenden Ausnahmen für Whistleblower aus dem Geheimschutzbereich. Außerdem fordert WBN eine Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereichs auf sonstiges erhebliches Fehlverhalten oder Missstände unterhalb der Schwelle eindeutiger Rechtsverstöße (s. Pressemitteilung mit Reporter Ohne Grenzen).
Weitere Informationen • Bundesrats-Pressemitteilung zur Einigung im Vermittlungsausschuss (09.05.2023) • Gesetzesbeschluss des Bundestags (16.12.2022) • WBN-Pressemitteilung und Stellungnahme für die zweite öffentliche Anhörung des Bundestags-Rechtsausschusses (27.03.2023) • WBN-Pressemitteilung zur ersten Lesung des Bundestags (15.03.2023) • WBN-Pressemitteilung zum Bundestagsbeschluss (16.12.2022) • WBN-Pressemitteilung zur ersten öffentlichen Anhörung des Bundestags-Rechtsausschusses (19.10.2022) • Podcast-Interviews zum Regierungsentwurf
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