Nestlé wird vorgeworfen, Mineralwasser wie Perrier nachbehandelt und irreführend als „natürlich“ vermarktet zu haben. Nun steht Frankreichs Regierung im Fokus, schreibt die Frankfurter Rundschau am 20.5.25.
"Mineralwasser mit dem Zusatz „natürlich“ darf diesen einer EU-Vorschrift zufolge nur tragen, solange das Produkt gänzlich unbehandelt bleibt. Dagegen hat der Konzern Nestlé mutmaßlich verstoßen, indem er offenbar jahrelang unerlaubte Filter zur Behandlung seines Wassers einsetzte. Betroffen ist vor allem die Marke Perrier, daneben macht der Skandal aber auch vor anderen Mineralwassern der Marke Nestlé keinen Halt. Nun gibt es einen neuen schweren Vorwurf. Dieses Mal richtet er sich an die französische Regierung.
Im Zuge des Rechtsstreits um mutmaßlich illegal behandeltes Mineralwasser wirft eine Untersuchungskommission im französischen Senat der Regierung des Landes „Vertuschung“ vor. „Der Staat hat es an Transparenz fehlen lassen mit Blick auf die lokalen und europäischen Stellen, aber auch mit Blick auf die Bevölkerung“, heißt es in einem am Montag (19. Mai) veröffentlichten Bericht einer Untersuchungskommission des Senats in Paris, wie die französische Nachrichtenagentur AFP nun berichtet. Das sei eine „bewusste Strategie“ gewesen.
Vermarktet wird Perrier als Wasser mit einzigartiger Spritzigkeit und als „Art de vivre à la française“, also als Ausdruck französischer Lebensart. Doch die Untersuchungskommission im französischen Senat kam nun zu dem Schluss: „Das verkaufte Produkt entsprach nicht dem Etikett“, wird der Vorsitzende der Kommission, Laurent Burgoa, von der Tagesschau zitiert. „Es gab hier also eine Täuschung der Verbraucher. Statt natürlichem Mineralwasser tranken sie normales, aufbereitetes Getränkewasser.“ Nestlé soll Mineralwasser wie Perrier entgegen EU-Richtlinie nachträglich gefiltert haben
Zwar ging davon kein Gesundheitsrisiko für Konsumentinnen und Konsumenten aus, doch von Transparenz gegenüber Endverbrauchern zeugt das mutmaßliche Handeln der Nestlé Unternehmensführung gewiss nicht. Ausgangspunkt für die zu Unrecht eingesetzte Nachbehandlung des Mineralwassers sollen ursprünglich Verunreinigungen des Quellwassers gewesen sein. Auch Quellen anderer Nestlé-Marken, etwa Vittel und Contrex, sollen davon betroffen gewesen sein.
Ans Licht kam die mutmaßliche Affäre Anfang 2024 durch Berichte der Zeitung Le Monde und des Senders France-Info, demzufolge Nestlé Waters 0,2 Mikron feine Filter (ein Mikron ist ein Millionstelmeter) verwende, um seine Mineralwasser von Verunreinigungen zu befreien. „Obwohl die Desinfektion des Wassers eine Täuschung der Verbraucher darstellte, hatte dies keine juristischen Folgen“, schreiben die Senatorinnen und Senatoren weiter.
Frankreichs Regierung wird vorgeworfen, Mineralwasser-Skandal unter den Tisch gekehrt zu haben
Nachdem Nestlé bereits 2020 Verunreinigungen in den Quellwassern seiner Produkte festgestellt hatte, soll die Unternehmensführung in Kontakt mit der französischen Regierung getreten sein. Anstatt Maßnahmen auf Grundlage der EU-weiten Mineralwasser-Richtlinie zu treffen und die Filtration einzuschränken oder die Bezeichnung „natürliches Mineralwasser“ betroffener Nestlé-Produkte zu streichen, sollen Behörden dem Konzern die Reinigung der Mineralwasser mit Mikrofiltern gestattet haben, was der europäischen Richtlinie widerspricht.
Marie Dupin von Radio France sagte vor dem Untersuchungsausschuss des Senats, in dieser Affäre habe die französische Regierung ihre Pflichten missachtet, weil sie die Verfahrensweisen Nestlés zum Vorteil des Konzerns nicht vor Gericht gebracht hätte. Aus dem Bericht der Untersuchungskommission im französischen Senat ging darüber hinaus auch hervor, dass eine Liste der im Wasser der Perrier-Quellen entdeckten Verunreinigungen, wie Bakterien und Pflanzengifte, nicht in einen Bericht der regionalen Gesundheitsbehörde aufgenommen wurde.
Auch die Organisation Foodwatch wirft Frankreichs Regierung vor, „eine massive Betrügerei gedeckt zu haben“. Dies habe es Nestlé ermöglicht, „weiter betrügerischen Produkte zu verkaufen“, wie Ingrid Kragl, Kommunikationsleiterin der Organisation, gegenüber Reuters betonte. Am Perrier-Standort im südfranzösischen Vergèze fürchten rund Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um ihre Anstellung. Denn die Quellen entsprechen wegen Verunreinigungen offenbar nicht mehr den Normen natürlichen Mineralwassers. Bis Anfang August hat die Präfektur in Gard, Frankreichs ärmsten Departement, Nestlé noch eine Lizenz zur Abfüllung seines natürlichen Mineralwassers gegeben. Um den Standort zu retten, sollte der Konzern bis dahin eine Lösung im Mineralwasser-Skandal finden".
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