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29.10.2025 10:47
Verdummungspraktiken am Werk  

Im FR-Interview (27.10.2, S. 2+3) spricht Arbeitsforscher Hans Rusinek über kluge Maschinen, denkende Körper und Sinnkrisen im Berufsalltag.

Herr Rusinek, werden Maschinen immer intelligenter und Menschen immer dümmer?

Das kommt darauf an, was man als Intelligenz begreift. Es gibt eine bestimmte Intelligenz, die in der Arbeitswelt sehr stark gefragt ist: also zum Beispiel viel Content zu produzieren, Powerpoint-Folien, E-Mails. Wenn wir uns daran messen, dann werden Maschinen tatsächlich sehr intelligent.

Aber?

Wenn es uns darum ginge, kritische Fragen diskutieren zu können, umzudenken, umzulernen in der Arbeitswelt, dann würden die Maschinen uns keine Angst machen. Das heißt: Die Angst vor der Intelligenz der Maschinen hängt sehr stark damit zusammen, dass wir unsere Intelligenz verflacht haben. Auch ohne die Maschinen, ohne KI machen wir in der Arbeitswelt nicht sehr viel aus unserer Intelligenz.

Wie meinen Sie das?

Wir hetzen durch den Arbeitsalltag. Alle vier Minuten wird man in einem deutschen Büro unterbrochen, wie Vera Starker untersucht hat, dabei bräuchte man sechs bis acht Minuten, um zu einem geordneten Gedankengang zu kommen. Man könnte sagen: Da sind Verdummungspraktiken am Werk.

Was sind die Folgen?

Durch die Gehetztheit handeln wir weniger verantwortungsvoll. Also zum Beispiel ist die Wahrscheinlichkeit, unnötige Antibiotika verschrieben zu bekommen, extrem hoch, wenn man einen Arzttermin hat am Ende des Tages. Es gibt auch Experimente mit Richtern, die weniger Bewährungsstrafen und mehr Haftstrafen vergeben, wenn sie gehetzt sind. Und Banker vergeben mehr Kredite, die platzen, wenn sie gehetzt sind. In der Arbeitsforschung nennt man das Decision Fatigue, also Entscheidungsmüdigkeit durch Gehetztheit und Erschöpfung. Das ist das eine.

Und das andere?

Das andere ist der Körper. Wir glauben, wir wären Gehirne, die am Laptop angeschlossen sind. Das stimmt natürlich nicht. Wir denken sehr stark mit dem Körper. Viele Menschen spüren ihren Körper aber kaum noch. Die Folge: Wir sind auf Blindflug in der Arbeitswelt, weil wir nicht in einem Einklang mit unserem Körper sind.

Wie ändert man das?

Ich rate zum Beispiel, von Meetingräumen zu Spaziergängen zu wechseln. Blockieren Sie einen Termin bei Outlook: kleine Waldrunde, große Waldrunde. Nachgewiesenermaßen sind Spaziergänge gut für die Kreativität. Langsames Laufen schärft die Gedanken. Es ist faszinierend, wie sehr unser Körper mitdenkt. Man kann das auch manipulativ einsetzen, was ich nicht empfehlen würde: Geben Sie jemandem eine warme Tasse Kaffee oder Tee in die Hand, dann wird diese Person Sie als wärmer empfinden, als nettere Person. In Verhandlungspositionen können Sie Ihren Gesprächspartner auf ein weiches Sofa setzen, wahrscheinlich ist diese Person dann nachgiebiger in der Verhandlung mit Ihnen. Also: Der Körper denkt mit, aber wir lassen es oft nicht zu. Stattdessen sind wir im Tunnel, lassen Dinge, die uns zu denken geben sollten, gar nicht mehr an uns ran. Wir kriegen nicht mit, dass wir ein Nachwuchsproblem haben, ein Klimaverantwortungsproblem oder dass unser Geschäftsmodell eigentlich gar nicht mehr funktioniert. Auf der anderen Seite gibt es auch immer weniger Gänsehautmomente, die etwas auslösen.

Kann die KI uns aus dem Tunnel führen? Viele Menschen befürchten, dass es noch hektischer wird: mehr E-Mails, mehr Meetings.

Aktuell sind wir in einer Ambivalenzphase, alles ist möglich. Die Arbeit mit KI kann uns mehr Freiräume bieten, das ist theoretisch möglich. Genauso wie es theoretisch möglich war, dass die Einführung der E-Mail uns im Vergleich zum Fax oder dem Brief mehr Freiräume bietet. Wenn wir nur so wenig E-Mails schreiben würden, wie wir früher Briefe geschrieben hätten. Leider ist die Geschichte etwas anders ausgegangen. Wir stecken jetzt 20 unserer Kollegen in CC und ballern uns mit E-Mails voll. Das zeigt mal wieder, dass Technologie die Folgefragen von Technologie nicht lösen kann. Dass es eben darauf ankommt, was man damit macht.

Sie sind also skeptisch?

Vor einem halben Jahr war ich noch optimistischer, dass KI uns Freiräume zur Reflexion gibt. Und jetzt mehren sich tatsächlich doch die Signale, dass eher das Gegenteil der Fall ist. Da gibt es zum Beispiel das Phänomen des Workslop.

Was ist das?

Wer mit Texten arbeitet, erlebt zum Beispiel, dass die Kollegen sehr unsaubere, zusammengerotzte KI-Texte schicken. Diese Texte müssen dann mit viel Aufwand korrigiert werden. Das heißt: Der eine macht es sich leicht, der andere muss es ausbaden. Man könnte es auch als KI-Gedöns bezeichnen. Es wird viel mehr produziert, aber damit nimmt die Arbeit zu oder es geht auf die Qualität und auch auf die Kollegialität.

Die meisten Menschen verbringen einen Großteil ihrer Zeit am Arbeitsplatz. Inwiefern strahlt das ins Private aus?

Zumindest in der Wissensarbeit bewegen wir uns in einer Arbeitswelt, in der Menschen eigentlich nie etwas richtig gut und zu Ende machen, weil schon der nächste Termin wartet. Oft sind die Dinge, an denen wir arbeiten, nicht körperlich in der Welt, wir können sie nicht anfassen. Und sie sind nie wirklich abgeschlossen: Die Power-Point könnte immer noch besser gemacht werden, die E-Mail könnte immer noch besser geschrieben werden. Was uns bei diesen unfertigen und ungreifbaren Dingen abhandenkommt, ist so etwas wie Werkstolz. Die Folge ist eine Entfremdung, auf die wir reagieren, indem wir am Wochenende zu einem Töpferkurs gehen. Dann spüren wir wieder etwas, dann machen wir wieder etwas mit den Händen. Aber ich habe noch nie von einer Töpferin gehört, die am Wochenende einen Power-Point-Kurs macht, um sich zu spüren.

Da passt was nicht zusammen.

Ja, Gehetztheit und Entkörperlichung führen zu Sinnkrisen. Wir wissen nicht mehr, welchen Unterschied unsere Arbeit macht. Wir empfinden dann eben keinen Stolz auf unser Werk, wie beispielsweise eine Tischlerin. In der entkörperlichten Arbeitswelt bleibt nur der Erschöpfungsstolz, deswegen sind die Kalender voller Meetings und Termine. Statt einen Tisch gebaut zu haben, hatte man 18 Meetings.

Ein voller Kalender als Statussymbol.

Ich beobachte das seit der Pandemie. Damals haben die Menschen angefangen, untereinander ihre Kalender zu teilen, die Kalender also einsehbar zu machen. Das hatte mit Blick auf die Arbeit im Homeoffice gute Gründe, aber es hat eben auch das Performative an der Arbeit gesteigert. Denn solange keiner in meinen Kalender gucken kann, ist es natürlich auch kein wirkliches Erfolgszeichen, einen vollen Kalender zu haben.

Sie haben Sinnkrisen angesprochen. Glauben Sie, dass die Menschen deshalb das Wirtschaftsmodell infrage stellen?

Das Problem ist gar nicht, dass wir Sinnkrisen in der Arbeit hätten, sondern dass wir selbst Krisen nicht mehr an uns heranlassen. In solchen Fällen stellen die Menschen überhaupt keine Sinnfragen mehr. Alles ist egal. Ich kenne Leute, die sind Mitte 40 und zählen die Monate bis zu ihrer Rente. Das sind Menschen, die lassen nichts mehr an sich heran, auch nicht so etwas wie produktiven Zweifel. Wir sind gar nicht mehr in einer Welt, in der viele Menschen eine Sinnkrise haben. Sondern in einer Resonanzkrise.

Was also tun?

Man müsste Mitarbeitende mehr dazu bringen, auch darüber zu sprechen, was ihnen gegen den Strich geht, damit sie wieder eine Resonanz mit sich selbst bekommen. Denn diese Entfremdung ist ungesund. Das trägt man mit sich nach Hause. Wenn ich das Gefühl habe, nicht mehr im Fahrersitz des eigenen Lebens zu sitzen, keine Selbstautorenschaft zu haben – das führt zum Beispiel zu mehr häuslicher Gewalt und Depressionen.

Blicken wir zum Abschluss in die Zukunft: Bleibt die Maschine das Werkzeug des Menschen oder wird sie immer mehr zur Chefin, die dann selbst auch Arbeitsaufträge verteilt?

Wie Marshall McLuhan so schön schrieb: Jede Maschine ist auch eine Amputation. Schauen Sie nur, wie sich unsere Gedächtnisintelligenz verändert hat in den letzten Jahrzehnten. Ich kann mir genau eine Telefonnummer merken und das ist eine aus den 90ern, die heute vollkommen irrelevant für mich ist. Intelligenz verändert ihre Form, wenn sich Technologie verändert. Jede Maschine nimmt uns ein Stück, und sie schenkt uns zugleich ein neues. Ob sie das Werkzeug bleibt oder wir zum Werkzeug werden, das ist eine Organisationsfrage. Und genau daran entscheidet sich unsere Zukunft.


Hans Rusinek, 36, ist Berater und Forscher zu Themen der Arbeitswelt. Er berät Unternehmen, ist tätig an der Universität St. Gallen und schreibt Bücher. Zuletzt erschien im Herder-Verlag „Work-Survive-Balance: Warum die Zukunft der Arbeit die Zukunft unserer Erde ist“.

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