Eine "Mobbing-Chronologie", sollte beweisen, dass jahrelanges Einengen auf der Arbeit ihn krankgemacht hat. Es ist jahrzehntelange Beratungspraxis – auch der Fairness-Stiftung, Betroffene zu einem Mobbing-Tagebuch zu raten, das in Spalten Datum, Vorkommnis, Folge, Bewertung (ggf. Kommentar) enthält. Dies dient in der Regel dazu, bei Arbeitsgerichtsprozessen die Glaubwürdigkeit des Betroffenen (oft: Kläger) aufzuweisen, wenn er sich als jemand sieht, der in seiner Firma oder Organisation unfair attackiert bzw. gemobbt wurde.
Nun hat ein ehemaliger Pastoralreferent einer italienisch-katholischen Gemeinde den Grund für seine Depressionen und eine posttraumatische Belastungsstörung maßgeblich in den Schikanen gesehen, denen er zwischen 2006 und 2012 bei seiner Arbeit in einer italienisch-katholischen Gemeinde ausgesetzt war. Bei seinem Unfallversicherer beantragte er wegen der psychischen Folgen die Anerkennung von Mobbing als Berufskrankheit. Der Versicherer lehnte das ab. Der einstige Pastoralreferent zog dagegen in zweiter Instanz vor das Bayerische Landessozialgericht (Az.: L 3 U 11/20).
Mobbing steht nicht auf Liste der Berufskrankheiten
Die Richter stützen sich in ihrer Entscheidung auf die Argumentation, die auch der Unfallversicherer in seiner Ablehnung an den Pastoralreferenten bereits vorgebracht hatte. Die psychische Erkrankung durch Mobbing sei nicht in der Berufskrankheiten-Verordnung und der dazugehörigen Berufskrankheiten-Liste aufgeführt, hatte die Unfallversicherung damals argumentiert. Welche Krankheiten in die Verordnung aufgenommen werden, wird auf Vorschlag des beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales angesiedelten »Ärztlichen Sachverständigenbeirats Berufskrankheiten« entschieden.
Zwar könnten auch nicht darin enthaltene Erkrankungen »wie« eine Berufskrankheit anerkannt und entschädigt werden, erläuterte das Landessozialgericht. Voraussetzung für die Anerkennung als »Wie-Berufskrankheit« sei aber, dass eine bestimmte Personengruppe wegen ihrer versicherten Tätigkeit »in erheblich höherem Maße« als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen eine Krankheit hervorrufen.
Dass Pastoralreferenten ein höheres Mobbing-Risiko haben, sei aber nicht belegt. Eine Anerkennung als »Wie-Berufskrankheit« scheide daher aus, so die Richter in ihrer Entscheidung aus dem Mai vergangenen Jahres, die erst jetzt veröffentlicht wurde.
Erhöhtes Mobbing-Risiko für einzelne Berufsgruppen noch eine Grauzone
Ohne Erfolg verwies der frühere Pastoralreferent auf eine Studie aus dem Jahr 2002, den sogenannten »Mobbing-Report«. Danach bestehe im sozial-karitativen und insbesondere im kirchlichen Bereich ein erhöhtes und spezifisches Mobbing-Risiko. Da es im kirchlichen Bereich nur eingeschränkte Mitarbeitervertretungsrechte gebe, könnten Mobbing-Betroffene sich zudem schlecht zur Wehr setzen, sagte er.
Dem widersprach das Gericht. Mobbing sei vielmehr ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Bisher habe der Ärztliche Sachverständigenbeirat ein erhöhtes Erkrankungsrisiko infolge von Mobbing für einzelne Berufsgruppen nicht untersucht. Zwar könne jahrelanges Mobbing durchaus zur psychischen Erkrankung des Klägers geführt haben. Für die Anerkennung als Berufskrankheit komme es aber nicht auf den Einzelfall an, begründeten die Richter.
Ähnlich hatte am 23. Oktober 2012 bereits das Hessische Landessozialgericht in Darmstadt geurteilt (Az.: L 3 U 199/11). Mobbing komme in allen Berufsgruppen und im privaten Umfeld vor. Dass eine bestimmte Berufsgruppe besonders häufig betroffen sei, sei bislang nicht nachgewiesen, begründete man damals. Explizite Forschung darüber, etwa für die Mobbing-Folgen für Rettungssanitäter, hat das Bundessozialgericht Kassel nun in die Wege leiten lassen (Az.: B 2 U 11/20 R).
Das Urteil wundert nicht. Bei einem Mobbingtagebuch geht es um den Einzelfall und um das Verlangen nicht angemessener Wahrnehmung eines Betroffenen durch ein Gericht. Etwas Anderes ist es, wenn man eine grundsätzliche Entscheidung erwartet, die über den Einzelfall hinaus geht und die zudem Folge hat für alle Versicherte und Arbeitgeber. Insofern ist die Entscheidung differenziert zu verstehen. Weitere Forschung hat das Gericht angestoßen. Die Ergebnisse werden sicher sehr interessant und mit Spannung erwartet.
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