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22.03.2022 08:54
Es hilft nur ein faires und bedächtiges Miteinander  

Wir erleben gerade schmerzlich, dass viele Probleme und Krisen miteinander zusammenhängen. Langfristig hilft da nur eins: ein faires Miteinander aller auf der Welt, meint der Theatermacher und Autor Michael Herl in seiner heutigen Kolumne der Frankfurter Rundschau:

„Eigentlich lassen sich gerade nur wenige Gründe finden, morgens hoffnungsfroh aus den Federn zu hüpfen. Man muss schon ein pathologisches Verdrängungspotenzial an den Tag legen, um optimistisch in die Zukunft zu blicken. Krieg, düstere Corona-Aussichten, Energiekrise, Flüchtlingsbewegung, Versorgungsmangel, Klimawandel – dies alles müsste man ausblenden, um sich beispielsweise auf einen sorgenfreien Sommerurlaub zu freuen. Das ist nicht jedem gegeben.

Was hilft, ist helfen. Etwa durch Spenden. Doch erfahrungsgemäß lassen sich mit Geld nicht alle Probleme lösen. Vor allem nicht die eigenen, erst recht nicht die diffusen. Geld erhellt keine dunklen Wolken, und es vertreibt keine düsteren Gedanken, die des Nachts durch unser Hirn wabern und uns den Schlaf rauben. Doch was tun? Ist es sinnvoll, nach Gutem in dieser Situation zu schürfen? Oder wäre dies sogar höhnisch gegenüber jenen, die noch viel mehr darunter leiden? Die ihr Hab und Gut verloren haben, die um ihr Leben fürchten und das ihrer Liebsten? Oder ist es sogar notwendig, die Lage nüchtern zu betrachten und neben den Widers auch ein Für zu suchen? Oder dies wenigstens zu probieren? Vorab: Es gibt kein Für. Dennoch lohnt der Versuch einer Analyse.

Schon zu Beginn der Corona-Krise meinten kluge Menschen, es sei längst an der Zeit gewesen, dem überbordenden Wachstumswahn Einhalt zu gebieten. Das Immer-Weiter könne so nicht weitergehen. Innehalten sei überlebenswichtig, und wenn wir dies nicht von allein schafften, müssten wir halt dazu gezwungen werden. So kam es denn auch. Weite Teile der Welt standen weitgehend still. Und nun, auch wenn die Pandemie noch gar nicht vorüber ist, erleben wir eine Steigerung dieses Erkenntnisprozesses. Wir spüren drastisch, auf welch tönernen Füßen unser Wohlstand steht. Viele begreifen das erst, wenn das spottbillige Weißmehl fehlt, das wir früher nach Ladenschluss als „Altbrot“ auf den Müll warfen, und wenn der Liter Benzin bald fünf Mark kostet, wie es einst als grünes Horrorszenario postuliert wurde.

Signale wie Klimawandel, verdreckte Meere, wachsendes Arm-Reich-Gefälle und Ausbeutung der sogenannten „Dritten Welt“ reichten offensichtlich nicht aus, uns auf den Boden der Realität zu ringen und zu erkennen: Die Welt war schon eine Einheit, bevor wir den neokolonialistischen Begriff „Globalisierung“ erfanden. Wir erleben nun schmerzhaft, dass alle Probleme fein ziseliert zusammenklumpen. Wie auch das Wunder der Schöpfung bilden sie ein fatal-geniales Ganzes, sind durch vermeintlich winzigste Verbindungen miteinander verflochten, entwickeln sogar sukzessive eine eigene Dynamik. Blickt man da genau hin, könnte man glatt gläubig werden.

Eins der Rädchen, die da ineinandergreifen, uns in den Untergang zu zwingen, heißt Wladimir Putin. Doch er ist nur eines von vielen – die alle wir geschaffen haben. Nun müssen wir den Schaltplan erkennen und an den richtigen Stellen eingreifen, unsere Fehler zu revidieren. Dazu bedarf es womöglich gar einer temporären Aufrüstung – längerfristig aber hilft nur ein faires und bedächtiges Miteinander aller auf diesem Erdenball. Geschieht dies nicht, wird Putin nicht der letzte Aggressor gewesen sein. Da warten noch ganz andere Kaliber“.

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