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21.03.2025 08:41
Rassismus ist krasse Unfairness mit tiefer und großer Reichweite  

Der neue Nationale Rassismusmonitor zeigt das Ausmaß von Diskriminierung und ihre Folgen. Forschungsleiter Cihan Sinanoglu warnt vor einem Vertrauensverlust in die Institutionen. Pitt von Bebenburg führte für die Frankfurter Rundschau und veröffentlichte heute dieses Interview. Als einschneidend stellen sich Diskrimierungserfahrungen heraus, die das Vertrauen in Institutionen stören und zerstören,so dass der Zusammenhalt in der Gesellschaft, sofern überhaupt möglich. kein Fundament findet. Alltäglicher Rassismus ist krasse Unfairness mit tiefer und großer Reichweite.

Rassismus und Diskriminierung sind Alltag in Deutschland, berichtet Dr. Cihan Sinanoglu, Leiter des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor. Frauen sind besonders betroffen. Erfahrungen auf Ämtern und mit der Polizei sorgen für Verunsicherung.

"Herr Sinanoglu, welche Erfahrungen machen die Menschen in Deutschland mit Rassismus und Diskriminierung?

Wir haben für den Nationalen Rassismusmonitor Menschen aus der gesamten Gesellschaft befragt, mit und ohne Migrationshintergrund. Dabei gaben 41 Prozent aller Befragten an, mindestens einmal im Monat Diskriminierung zu erleben.

Wen trifft das besonders?

Frauen werden öfter diskriminiert als Männer, und rassistisch markierte Menschen besonders oft. Wobei auch Menschen ohne Migrationshintergrund Diskriminierungs?erfahrungen machen. Aber 54 Prozent der rassistisch markierten Menschen und nur 32 Prozent der nicht rassistisch markierten Menschen erleben mindestens einmal im Monat Diskriminierung. Das ist also ein großer Unterschied von 22 Prozentpunkten.

Um welche Erfahrungen geht es dabei?

Wir haben unterschieden zwischen subtilen Erfahrungen, also wenn Betroffene sich schlecht behandelt gefühlt haben oder angestarrt wurden, und offenen Formen der Diskriminierung wie Beleidigung, Bedrohung oder Angriffen. Muslimische Frauen geben zu 61 Prozent an, dass sie subtile Diskriminierung in den letzten zwölf Monaten erlebt haben, Schwarze Männer sogar zu 63 Prozent. Offenkundige Diskriminierung sehen wir bei Schwarzen Männern zu 25 Prozent, bei asiatischen, muslimischen und osteuropäischen Frauen zu 21 Prozent. Das sind alarmierende Zahlen.

Das kann aber auch eine Unfreundlichkeit ohne rassistischen Hintergrund sein, richtig?

Ja. Aber wir haben dann nach der Ursache für die Diskriminierung gefragt. Hier sehen wir: Diskriminierung erfolgt nicht zufällig, sondern anhand rassistischer Merkmale. Am häufigsten genannt wurde die Hautfarbe – 84 Prozent der Schwarzen Menschen geben an, dass sie aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert worden seien. Religion ist eine weitere Ursache – muslimische Menschen geben das zu 51 Prozent an. Und auch die Wahrnehmung als „nicht Deutsch“ wird als Grund angegeben, bei muslimischen Menschen mit 51 Prozent, bei asiatischen Menschen sogar mit 54 Prozent.

Unabhängig davon, ob diese Menschen Deutsche sind oder nicht?

Ja. Im Gegensatz dazu geben Menschen ohne Migrationshintergrund, die sich diskriminiert sehen, am häufigsten Alter und Geschlecht als Grund dafür an. Hautfarbe spielt da keine Rolle. Das spielt in die Diskussion hinein, ob es eine so genannte „Deutschenfeindlichkeit“ als Diskriminierungsgrund gibt. Das können wir empirisch widerlegen.

Wo werden die Menschen diskriminiert?

Diskriminierung gibt es in fast allen gesellschaftlichen Bereichen. Zum Beispiel im öffentlichen Raum. Aber auch in Ämtern und Behörden – das geben mehr als ein Drittel der Schwarzen Männer und der muslimischen Frauen an, um mal zwei Gruppen herauszustellen. Das ist ein sensibler Bereich, weil dort vieles über die persönlichen Schicksale entschieden wird. Im Kontakt mit der Polizei berichten muslimische Männer zu 19 und Schwarze Männer zu 18 Prozent über Diskriminierung. Auch das sind alarmierende Zahlen.

Wie repräsentativ ist Ihre Befragung?

Wir haben mehr als 9500 Menschen befragt, die Statistiken sind daher sehr aussagekräftig.

Was bewirkt Diskriminierung?

Wir sehen unter anderem, dass diese zur Belastung für die psychische Gesundheit wird. Rassistisch markierte Gruppen sind davon stärker betroffen als andere, Frauen stärker als Männer. Je mehr Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen ich mache, desto schlechter schätzen unsere Befragten ihre psychische Gesundheit ein. Menschen, die selten oder nie Diskriminierung erleben, sind viel seltener davon betroffen.

Welche Folgen hat das für die Gesellschaft?

Wir beobachten einen Vertrauensverlust in staatliche Institutionen. Bei unserer Erhebung von 2022 hatten die rassistisch markierten Menschen ein höheres Vertrauen in staatliche Institutionen als die nicht rassistisch markierten Menschen.

Das war damals schon überraschend.

Nicht unbedingt. In der Forschung geht man davon aus, dass rassistisch markierte Menschen vermehrt aus Ländern kommen, die autoritär und unter Missachtung der Menschenrechte regiert werden. Wenn sie nach Deutschland kommen, haben sie ein hohes Vertrauen in die hiesigen Institutionen. Ohne Diskriminierungserfahrungen vertrauen rassistisch markierte Gruppen um die 90 Prozent der Polizei. Mit häufigen Diskriminierungserfahrungen reduziert sich das Vertrauen drastisch. Bei der Schwarzen Gruppe fällt sie auf zehn Prozent, bei der asiatischen Gruppe noch stärker. Wir sehen den Zusammenhang zwischen Diskriminierungserfahrungen und dem Verlust an Vertrauen.

Sie haben auch rassistische Einstellungen abgefragt. Was haben Sie als Ergebnis herausgefunden?

Rassismus wird subtiler. Er tritt nicht mehr so aggressiv auf. Aber subtiler Rassismus ist bei einem Viertel der Bevölkerung vorhanden. 23 Prozent stimmen der Aussage zu, dass ethnische und religiöse Minderheiten zu viele Forderungen stellen. 22 Prozent glauben, Minderheiten profitierten mehr als ihnen zustünde. 25 Prozent finden, dass der Staat zu viele Rücksicht auf ethnische und religiöse Minderheiten nehme. Man kann sagen: Rund ein Viertel der Gesellschaft teilt rassistische Einstellungen. Das bedeutet aber auf der Gegenseite eine große Mehrheit, die diese Einstellungen nicht teilt.

Wer äußert sich rassistisch?

In der Tendenz stimmen Männer diesen Aussagen mehr zu als Frauen, ältere Menschen mehr als jüngere Menschen. Aber in postmigrantischen Gesellschaften sind rassistische Einstellungen bei allen Bevölkerungsgruppen auffindbar, auch bei migrantischen Gruppen.

Welche Schlüsse ziehen Sie aus Ihrer Untersuchung?

Es ist eine Gefahr für die Demokratie, wenn das Vertrauen in die Institutionen und in die Gesellschaft sinkt wegen Erfahrungen von Diskriminierung und Rassismus. Das sollte man mitnehmen aus diesen Befunden.

Welche Schlüsse sollte die Politik daraus ziehen?

Die Politik sollte rassismuskritische Bildungs- und Sensibilisierungsarbeit systematisch ausbauen, um subtile und offene Formen von Rassismus besser zu erkennen und zu bekämpfen. Gleichzeitig braucht es umfassende Schutzmaßnahmen für Betroffene, einschließlich leicht zugänglicher Antidiskriminierungsberatung sowie unabhängiger Kontroll- und Beschwerdestellen in Institutionen. Zudem sollte die mentale Gesundheit rassistisch markierter Menschen stärker in den Fokus rücken, indem diskriminierungssensible Gesundheitsversorgung, kultursensible Therapieangebote und niedrigschwellige psychosoziale Unterstützungsstrukturen gefördert werden.

Die Diskussionen im Wahlkampf sind von vielen Betroffenen als rassistisch wahrgenommen worden, etwa wenn es um Kriminalität ging. Trägt das zu weiterem Vertrauensverlust bei?

Wir haben nicht erhoben, was die genauen Gründe für den Vertrauensverlust sind. Aber wir versuchen das zu interpretieren und Deutungsangebote zu machen. Eine wichtige Rolle spielen sicher die aufgedeckten Pläne der AfD. Die „Remigrations“-Drohung hat viele Menschen verängstigt. Das zweite ist die Art und Weise, wie wir diese Migrationsdebatte geführt haben. Nicht alles, was migrationskritisch ist, ist auch gleich rassistisch. Aber wie darüber diskutiert wurde, war in einigen Teilen ganz klar rassistisch. Ein Beispiel: Nach dem islamistischen Anschlag in Solingen übertrafen sich nahezu alle Parteien in einem Überbietungswettbewerb bezüglich menschenverachtender Maßnahmen gegenüber Geflüchteten. So forderte die FDP in einem Fraktionspapier nur noch „Bett, Seife, Brot“ für ausreisepflichtige Geflüchtete, also die Rationierung von Sozialleistungen. Was ein islamistischer Anschlag zu tun hat mit den Bedingungen von Geflüchteten in Geflüchtetenheimen, wurde überhaupt nicht mehr gefragt.

Was erwarten Sie von der künftigen Bundesregierung?

Es stellt sich die Frage, welchen Stellenwert der Kampf gegen Rassismus im Koalitionsvertrag und in der neuen Regierung bekommt. Wir konnten in den letzten Monaten beobachten, wie rassistische und antisemitische Ideologien nach und nach in die Parlamente einziehen – ein erschreckender Beweis dafür, wie gesellschaftlicher Hass politische Macht erlangen kann. Es ist jetzt an der Zeit, diesem gefährlichen Trend etwas entgegenzusetzen".

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