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26.01.2012 12:34
Krasse Unfairness bei Wirtschaftskriminalität  

Häufig milde und nachsichtig fallen Verfahren und Gerichtsurteile im Fall von Wirtschaftskriminalität aus. Das wurde auf der Jahrestagung der wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung Ende Januar 2012 in Frankfurt am Main offensichtlich. Mehrere Vorträge befassten sich mit dem zahnlosen Wirtschaftsstrafrecht, wenn es um Ermittlungs- und Gerichtsverfahren geht. Der Titel des Tagung: „Moloch Wirtschaftsstrafrecht – Staatliche Wirtschaftslenkung durch die und auf Kosten der Justiz?“. Er zeigte an, wo den Wirtschaftsstraftrechtlern – ob Anwalt, Staatsanwalt oder Richter – der Schuh drückt.

Besonders der Vorsitzende Richter am Landgericht Osnabrück, Dr. Dieter Temming, zeigte die möglicherweise politisch gewollte Schwäche des Wirtschaftsstrafrechts auf. Es ist für ihn ein „soft law“. Damit ist gemeint: die Instrumente des Wirtschaftsstrafrechts haben keine Verbindlichkeit oder Zugriffskraft wie dies beim traditionellen Recht der Fall ist, das oft als "hartes Recht" (hard low) bezeichnet wird. Insofern ist das Wirtschaftsstrafrecht vergleichbar mit dem Völkerrecht, das auch als eher weiches Recht bezeichnete wird. Das hat auch damit zu tun, dass im Bereich der Wirtschaft viele vertragliche Verbindlichkeiten keinen oder nur einen schwachen rechtlichen Status haben und sehr interpretationsfähig sind. Dazu gehören vor allem Dingen auch „Verhaltenskodizes" (Code of Conduct), „Leitlinien", „Kommunikationsrichtlinien". Insofern sind die Ermessensspielräume im Wirtschaftsstrafrecht sehr groß, allerdings auch die Spielräume der Strafverteidiger und der Justitiare.

Laut Urteilen des Bundesgerichtshofes müssen Vermögensschäden durch Akteure zugleich der entscheidende Maßstab für Schuld und Bestrafung eines Täters sein. Doch wie Temming zeigte, gibt es bei Wirtschaftsstrafkammern die Eigenart, Bewährungs- und Geldstrafen kombiniert zu verhängen. So wird eine oft „für alle erträgliche Situation“ angezielt. Temming: „Auffällig ist ferner, dass die ausgeurteilten Strafen häufig nicht mit den jeweiligen Schadenshöhen kompatibel sind - und dies unabhängig vom Delikttyp“. Als Beispiele nannte er eine zweieinhalbjährige Haftstrafe für 1,6 Millionen € Vorsteuerbetrug und eine dreijährige Haftstrafe bei gleichem Vergehen mit 10 Millionen € Schadenssumme.

Temmings Urteil: „Insgesamt wirkt diese Zumessungspraxis der Wirtschaftsstrafkammern vordergründig willkürlich und unberechenbar“. Hintergrund ist oft die Verständigung des Gerichts, der Beklagten und der Geschädigten im Vorhinein eines Urteils. Damit ersparen sich Ermittlungsbehörden und Gerichte aufwändige Beweiserhebungen, die oft in keinem Verhältnis zum Ergebnis stehen. Geldstrafen dienen dann oft dazu, die Einnahmen des Staates zu erhöhen.

Ein Steuerfahnder übte daran öffentliche Kritik: Für seine Ermittlungsbehörde sei es oft kaum nachvollziehbar, dass die Gesetzeskeule zuschlägt, weil ein Täter einen Geschäftspartner oder das Sozialamt um ein paar tausend Euro betrogen haben, während in großen Strafverfahren, wo es um großen Summen geht, Milde und Nachsichtigkeit herrscht. Hinzu kommt als Hindernis größerer Fairness und Gleichbehandlung von Tätern, dass die Straftrichter oft wenig Kenntnis des Steuerrechts haben. Auch wenn Gesetzgeber und Bundesgerichtshof mehr Schärfe und Härte verlangen, wird es voraussichtlich nicht dazu kommen, weil kein Richter die Aufhebung seines Urteils riskieren will und zudem ausgehandelte Urteile regulär nicht in die Revision gehen können.

Hinzu kommt ein sozialpsychologischer Aspekt, auf den Temming aufmerksam machte. Da die Täter in Wirtschaftsstrafsachen häufig zur gesellschaftlichen Schicht der Anwälte und Richter gehören, werde über sie oft milder geurteilt, weil die Justizorgane ihnen mehr Verständnis entgegen bringen. Motive und Verhalten von Tätern hingegen, die einer anderen gesellschaftlichen Schicht angehören, sind für die Richter oft schwer nachvollziehbar. Im Urteil kommt dann auch das Unverständnis zum Ausdruck.

Entscheidend wird sein: 1. Die Bestimmungen des Wirtschaftsstrafrechts zu verschärfen und die Spielräume für ausgehandelte Urteile zu verkleinern, 2. Richter und Staatsanwälte zu Steuerrecht und Wirtschaftsrecht sowie zu den psychologischen Fallen der Schichtzugehörigkeit stärker und fundierter fortzubilden und dies zur Auflage u machen, 3. Den Aufwand von Staat und Justiz tatsächlich zur Schadenssumme ins Verhältnis zu setzen und die Kosten für den Aufwand überzukompensieren. Dann kann es fairer auch in Wirtschaftsstrafverfahren zugehen und Wirtschaftskriminelle bekommen vor allem bei größeren Schadenssumme keine unbegründete Nachsicht.
http://www.focus.de/finanzen/news/studie-wirtschaftskriminelle-oft-fuehrungskraefte_aid_658496.html

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