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24.10.2014 09:44
Pflege braucht Zuwendung und Fairness  

„Alt werden ist nichts für Feiglinge“, titelte der legendäre Joachim Fuchsberger 2010 sein vorletztes Buch, mit dem er es auf die Spiegel-Bestsellerliste schaffte. Das schaffte er auch mit seinem letztes Buch „Zielgerade“ (Gütersloher Verlagshaus. 19,99 €), ehe er 87jährig vor einem Monat starb. Und hinterließ in seinem Buch den Satz: „Es ist sinnlos, über das zu klagen, was nicht mehr geht. Viel bekömmlicher ist es, sich über das zu freuen, was noch geht“.

Zu ähnlicher Einsicht kommt Malte, dem Vater von David Sieveking, der die letzten Lebensjahre seiner an der Alzheimer-Krankheit erkrankte Mutter Gretel in seinem preisgekrönten Film „Vergiss mein nicht“ dokumentiert und dazu das gleichnamige, erfolgreiche Buch verfasst hat. Davids Vater hat bis zur Erschöpfung seine Frau viele Jahre betreut. Im letzten Monat ihres Lebens sagt der Vater: „Eigentlich bin ich der Demenz dankbar. Dafür, dass ich die Liebe neu entdeckt und erkannt habe, wie schön es ist, für jemanden da zu sein“. Solche Einsichten sind längst nicht allen vergönnt, die alte und pflegebedürftige Menschen begleiten beziehungsweise ein hohes Alter erreichen.

Damit das Altsein und Pflege humane Situationen sind oder werden, engagieren sich die Pflegeexperten Claus Fussek und Gottlob Schober vielfach publizistisch, so mit ihrem Buch „Es ist genug!“, in dem sie verlangen, zwanzig Grund- und Menschenrechte für alte und pflegebedürftige Menschen zu verwirklichen, die juristisch einklagbar sein und durch Sofortmaßnahmen umgesetzt werden müssen. Für Fussek ist „schlechte Pflege Folter“. Und wer sich mit den vielfachen problematischen Tatbeständen der Pflege, mit der unzureichenden personellen Ausstattung und den rigiden Rahmenbedingungen und Vorschriften befasst, die auf Kostensparen und Gewinn, aber nicht auf humanes Pflegen und Altsein ausgerichtet sind, wird dem nicht widersprechen.

„Wen kümmern die Alten?“ fragt daher Thomas Klie, Professor für öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft, um einen „Weg in eine sorgende Gesellschaft“ zu bahnen. Er stellt fest: Menschenrechtsverletzungen kommen häufig eher aus einer mangelhaften Haltung und einer unzureichenden Professionalität. Zumal die „Ökonomisierung der Pflege“, die Ausbreitung der „Pflege-Industrie“ und die Etablierung eines „Überwachungsgeist, der alle Lebensbereiche ergreift“, das Gegenteil einer humanen Pflege sind. Was jeweils als Pflegereform von der Politik verkauft wird, ist nichts anderes als Flickschusterei. Klie präsentiert eine Fülle von Schritten einer Strukturreform für eine „neue Orientierung in der Sozial-, Gesundheits- und Familienpolitik“, die die „Verantwortlichkeiten neu zuordnet und ernst macht mit dem Leitbild“ einer gemeinwesenorientierten, integrierenden Pflege.

Nicht selten gelten alte Menschen als Kostenfaktor unter dem Motto: „zu alt, zu krank, zu teuer“, weswegen die Wissenschaftsjournalistin Ursula Bierbaum in ihrem Buch „Der Alte stirbt doch sowieso“ den „alltäglichen Skandal im Medizinbetrieb“ ihrer Analyse und Kritik unterzieht. Da ist die Missachtung der von Fussek und Schober genannten Grund-und Menschenrechte förmlich zugreifen. Was allerdings auch im umgekehrten Fall für die „Gewalt gegen Pflegekräfte“ gilt.

Dazu bietet die Fachhochschuldozentin Birgit Panke-Kochine Informationen und Hilfen, um „problematische Situationen erkennen und lösen“ zu können. Aggressivität seitens pflegebedürftiger und alter Menschen geht häufig auf die Missachtung ihrer Grund-und Menschenrechte zurück, kann aber auch in der Person selber vorhanden sein. Es ist auch nicht ganz einfach, sich mit seinem Altwerden, seiner zunehmenden Gebrechlichkeit und Abhängigkeit von anderen einverstanden zu erklären. Daher brauchen alte Menschen, kranke und pflegebedürftige Menschen Zuwendung und Fairness; allerdings auch diejenigen, die unter oftmals schwierigen Bedingungen pflegen und helfen.

Der Soziologe Peter Gross bietet eine versöhnende Betrachtung an, in der Schwäche des Alters, der fundamentalen Müdigkeit, der deutlich spürbaren und gewussten Grenze des Lebens den Sinn zu erkennen. Das Leben auf der Welt könnte durch und mit den Alten ruhiger, weniger ungeduldig und entspannter werden. Schön wär's.

Literatur:

Ursula Biermann
„Der Alte stirbt doch sowieso!“
Der alltägliche Skandal im Medizinbetrieb. Herder. 198 Seiten. 17,95 €

Claus Fussek/Gottlob Schober
Es ist genug!
Auch alte Menschen haben Rechte. Knaur 78644. 208 Seiten. 7 €

Peter Gross
Wir werden älter. Vielen Dank. Aber wozu?
Herder. 158 Seiten. 14,99 €

Thomas Klie
Wen kümmern die Alten?
Auf dem Weg in eine sorgende Gesellschaft. Pattloch. 256 Seiten. 18 €

Birgit Panke-Kochinke
Gewalt gegen Pflegekräfte
Problematische Situationen erkennen und lösen. Mabuse. 103 Seiten. 14,90 €

David Sieveking
Vergiss mein nicht
Wie meine Mutter ihr Gedächtnis verlor und ich meine Eltern neu entdeckte. Herder 6528. 8,99 €

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