Der Bericht „Saisonarbeit in der Landwirtschaft“ stellt der Branche ein schlechtes Zeugnis aus. Steffen Hermann berichtet und kommentiert in der Frankfurter Rundschau:
"In wenigen Wochen beginnt die Erntesaison. Tausende Saisonarbeitskräfte aus dem Ausland werden dann auf den Feldern schuften, um Spargel und Erdbeeren auf die Küchentische zu bringen. Vor dem Start der neuen Erntesaison hat die Initiative Faire Landarbeit einen Blick zurück auf das Jahr 2022 geworfen. Das Bündnis stellt der Branche kein gutes Zeugnis aus: Arbeit auf dem Feld ohne Schutz vor der Sonne, verschimmelte Wohnungen ohne echtes Bad, Akkordarbeit, ausbleibende Löhne und fehlende Krankenversicherungen. „Das sind teils unhaltbare Zustände“, sagte Harald Schaum, stellvertretender Bundesvorsitzender der IG BAU, bei der Präsentation des Berichts „Saisonarbeit in der Landwirtschaft“ am Freitag.
Schaum stellte vor allem einen Punkt heraus: die Krankenversicherung. Zwar müssen Betriebe die Helfer:innen seit 2022 bei einer Krankenversicherung anmelden. Aber auch die sogenannte private Gruppen-Krankenversicherung habe ihre Lücken, oft bleiben die kurzfristig Beschäftigten auf Behandlungskosten sitzen. „Sie dürfen keine Beschäftigten zweiter Klasse sein“, forderte Schaum. Die Bundesregierung kritisierte der Gewerkschafter scharf. Er sei „ziemlich enttäuscht“, dass SPD, Grüne und FDP ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag für einen „vollen Krankenversicherungsschutz ab dem ersten Tag“ bis heute nicht eingelöst habe.
Anja Piel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), lobte die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro. Aber: Damit das Geld bei den Leuten ankomme, brauche es eine transparente Erfassung der Arbeitszeit. Das passiere vielerorts aber nicht, was die Gefahr für Lohndumping erhöhe, so Piel. Sie beklagte auch andere Tricks, mit denen der Lohn gedrückt werde: nicht anerkannte Überstunden, Wuchermieten für gestellte Unterkünfte oder in Rechnung gestellte Arbeitsgeräte.
Saisonarbeit: Kaum Kontrollen in Landwirtschaft
Mehr Kontrollen könnten die Situation verbessern. Doch die Gefahr für ausbeuterische Arbeitgeber aufzufliegen, ist sehr gering: Nur knapp ein Prozent der Betriebe sei 2021 von den Behörden kontrolliert worden, sagte Piel. Im ersten Halbjahr 2022 sei die Kontrolldichte sogar unter ein Prozent gefallen.
Die meisten der rund 250 000 bis 270 000 Saisonkräfte reisten 2022 aus Rumänien an, etwa 60 Prozent. Auch aus Polen, Ungarn und Bulgarien kamen viele Menschen zum Arbeiten auf deutsche Felder. Weil es aber immer schwieriger wird, arbeitswillige Menschen zu finden, suchen die Unternehmen in immer ferneren Ländern wie der Ukraine, Kirgistan oder Usbekistan. Auch Menschen aus Georgien und der Republik Moldau dürfen hierzulande inzwischen ohne Visum als Saisonarbeitskräfte eingesetzt werden.
Saisonarbeit: Erntehelfer kommen aus fernen Ländern
Auch andere Staaten suchen nach Erntehelfer:innen. So wollen britische Landwirte laut dem Portal Easyfruit in diesem Jahr 1500 Arbeitskräfte aus Usbekistan anwerben. Auch in Nepal, Kasachstan und Kirgistan seien britische Recruiter auf der Suche nach Arbeitswilligen.
Erfahrungen wie auf einem Obsthof am Bodensee dürften keine Werbung für Deutschland sein: Eine Gruppe aus Georgien klagte über Wohncontainer voller Schimmel und Kakerlaken. Außerdem sollen sie für sechs Wochen Arbeit im Schnitt nicht mehr als 300 Euro erhalten haben, wie es im aktuellen Bericht heißt. Der Fall aus der Saison 2021 landete vor Gericht, wo er zunächst mit einem Urteil zugunsten der Erntehelfer, und im Dezember 2022 dann mit einem Vergleich endete. Zumindest ein Teil des ausstehenden Lohnes dürften die Georgier:innen erhalten haben.
Das sei durchaus ein Erfolg, sagte Schaum. Seine Gewerkschaft hatte die Klage unterstützt, denn die georgischen Arbeitskräfte waren Mitglieder der IG BAU. Möglich machte das eine Einjahresmitgliedschaft, die die Gewerkschaft für Wander:arbeiterinnen anbietet.
Indes sind die ersten Arbeitskräfte der neuen Saison schon eingetroffen: Sie bereiten die Felder für die Ernte vor".
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